"Terroristen" im Sitzstreik

Ralf Streck 05.02.2007 21:11
Begleitet von Hunderten Freunden, Angehörigen und Genossen führten 18 Jugendliche einen Sitzstreik durch. Sie zerschlugen, indem sie sich freiwillig ausgeliefert haben, erneut das politische Konstrukt, die verbotenen Organisationen und die Jugendlichen gehörten der ETA an. Kürzlich wurden sie plötzlich sogar als terroristisch eingestuft und insgesamt 23 Jugendliche müssen nun erneut zwischen 2 und 6 Jahren in den Knast. Die Londoner Times hat die miserable Lage des Hungerstreikenden Juana de Chaos nun nach dem Besuch des Europarats in Madrid auf die politische Tagesordnung in Europa gesetzt.
Es reißt schon die Grenze von bewusster Desinformation oder notorischer Dummheit, wenn diverse Medien von einer "Verhaftungswelle im ETA-Umfeld" ( http://de.today.reuters.com/news/newsArticle.aspx?type=topNews&storyID=2007-02-05T101919Z_01_NEI537149_RTRDEOC_0_SPANIEN-EXPLOSION.xml&archived=False) sprechen oder schreiben Jugendfunktionäre seien "gefasst" worden ( http://www.euronews.net/create_html.php?page=detail_info&article=404672&lng=3). Tatsächlich haben sich die Jugendlichen am Sonntag zu einem mutigen politischen Schritt entschieden. Der dürfte für alle denkenden Menschen die Propaganda entlarven, mit der erneut über sie berichtet wird oder mit der ihre Organisationen plötzlich zu Terrororganisation gestempelt wurden. Das geschah schlicht darüber, weil eine uferlose Ausweitung des Begriffs "Terrorismus" vorgenommen wurde ( http://de.indymedia.org/2007/01/166681.shtml).

Mit der neuen Definition kann nun jede linke Organisation belegt werden, wenn es eine andere gibt, die ähnliche oder gleiche Ziele bewaffnet vertritt. Ob es eine Verbindung zu der bewaffneten Organisation gibt, ob jemals Gewalt von den Kriminalisierten selbst eingesetzt wurde, ist demnach nun völlig irrelevant. Denn nichts davon wurde den Jugendlichen nachgewiesen, wie selbst die Richter zugeben.

Am Sonntag haben sich 18 betroffene Jugendliche auf einem Ballspielplatz versammelt und sich geschützt von Hunderten Menschen von ihren Freunden, Genossen und Angehörigen verabschiedet. Vier waren nach dem Urteil sofort verhaftet worden und eine Person ist weiter unauffindbar. Nach ihrer Erklärung an ausgewählte Vertreter der Kommunikationsmedien, die im Vorfeld informiert wurden, führten sie einen Sitzstreik durch und warteten darauf, dass die Polizei sie verhaften würde. Ihr Sprecher Ibon Menika forderte alle auf, dagegen passiven Widerstand zu leisten. Er forderte ebenfalls, dass es endlich zu einem Dialog und einem Friedensprozess kommt, um der Gewalt ein Ende zu machen und an deren Ende das Recht der Basken, über sich selbst zu entscheiden, respektiert wird.

Dass sich ETA-Mitglieder, denn das sollen sie ja nun sein, der Polizei in einem Sitzstreik ausliefern, wäre neu. So machten die Jugendlichen mit der Aktion noch einmal deutlich, dass es sich hier nur um ein juristisches Konstrukt zur Kriminalisierung von politischen Gesinnungen handelt. Sie traten den Einschätzungen der selbst ernannten "Spezialisten" kollektiv entgegen, welche sie schon im Untergrund in Frankreich sahen, von wo aus sie demnächst in Kommandos der ETA auftauchen würden. Angesichts der anhaltenden Repression und eines blockierten Friedensprozesses dürfte sicher der eine oder die andere dies angesichts von bis zu sechs Jahren bevorstehender Knaststrafe auch überlegt haben.

Sie hätten die Möglichkeit dazu gehabt, doch ihre Form für ein unabhängiges und sozialistisches Baskenland einzutreten ist nicht der bewaffnete Kampf. Sie haben kollektiv die Verantwortung für die Geschichte und den Kampf ihrer Jungendorganisationen übernommen. Sie haben in den zwei Wochen, in denen sie unauffindbar waren, gezeigt, dass es im Baskenland auch für 20 Personen leicht ist, sich der Verhaftung zu entziehen. Sie haben ihren trotz der dauernden Repression und der Verbote ihren Organisationsgrad unter Beweis gestellt. Denn es war für sie sogar leicht möglich, in der Zone mit der höchsten Polizeidichte in Europa, den Kontakt untereinander zu halten, um eine derartige Aktion zu diskutieren und vorzubereiten ohne dass dies von den zahlreichen Polizeieinheiten verhindert werden konnte.

Sie haben alle diese Einheiten so vorgeführt, wie es kaum besser geschehen kann und konnten nicht einzeln und isoliert verhaftet werden. Das hätte es den Desinformanten leichter gemacht, so zu tun, als habe man wieder einmal gefährlichste ETA-Mitglieder verhaftet. Dass dies einige Medien trotz allem tun, zeigen entweder deren Dummheit oder ihre Absichten. Sie haben auch gezeigt, dass trotz massiver Repression sich Hunderte nicht in die Defensive drängen lassen und sich den kollektiven öffentlichen Abschied nicht nehmen zu lassen. Die 18 gehen mit der Gewissheit in den Knast, dass viele andere die Arbeit fortsetzen und sie nicht allein gelassen werden.

Dieser emotionale und kämpferische Abschied, wird allen Beteiligten lange im Gedächtnis bleiben. Anstatt die "Verhaftungen" in aller Ruhe durchzuführen, musste die Polizei eine Art Antiterroreinsatz zelebrieren. Dass die erneut bereit war auch erhebliche Gewalt gegen Jugendliche auszuüben, die nur mit Rucksäcken bewaffnet waren, in denen sie einige Habseeligkeiten für den kommenden Knastaufenthalt verstaut hatten, zeigte sich daran, dass man alle Pressevertreter und Gewalt aus der Zone verfrachtete, aus der eine Gewaltanwendung noch dokumentiert hätte werden können.

Es war den Führern der Partei Batasuna ( http://de.indymedia.org/2007/01/165708.shtml) zu verdanken, die sich in nervenaufreibenden Verhandlungen mühten, die Polizeikräfte von ihren Gewalttätigkeiten abzuhalten, die sich ebenfalls schützend vor die Jugendlichen stellten. Nach und nach wurden sie dann abgeführt und in außerhalb des Ballspielplatzes bereitstehende Gefängnistransporter verfrachtet. Hier wurden sie erneut von zahllosen Personen verabschiedet, die noch herbeigeeilt kamen.

Vereinbart worden war in den Verhandlungen auch, dass Hunderte menschliche Schutzschilder einen freien Abzug erhielten. In der Logik der Repression, die nun wieder in der ganzen Schärfe angewandt wird, hätte man alle Anwesenden zu Unterstützern einer terroristischen Organisation deklarieren können. Doch auch so wurde die lange Liste der politischen Gefangenen wurde nun um weiter 18 Personen angefüllt, womit man mit großen Schritten auf die Zahl 800 zuschreitet.

Kommende Woche wird der Oberste Gerichtshof nun über den Widerspruch des seit 90 Tagen Hungerstreikenden Gefangenen Juana de Chaos entscheiden. Nach dem Urteil gegen die Jugendlichen kann nur extremer politischer Druck die konservativen Richter davon abbringen, das Urteil des nationalen Gerichtshofs wieder zu kippen. Er habe sich mit zwei Artikeln in einer Tageszeitung der Mitgliedschaft in der ETA schuldig gemacht, wofür er nach dem Absitzen der 19jährigen Haftstrafe nun erneut zu 12 Jahren Haft verurteilt wurde. Zum Vergleich, ein Mann, der ein Taxifahrer ermordet hat, erhielt kürzlich 11 Jahre Haft.

Der Druck wird international immer stärker und der Fall entwickelt sich für die sozialistische Regierung zum Alptraum. Der Alptraum wird noch heftiger, nachdem heute die geachtete britische Tageszeitung The Times ein Interview mit ihm abgedruckt hat und auch erschütternde Bilder veröffentlichte, die den völlig abgemagerten zeigen, wie er ans Bett gefesselt ist und zwangsernährt wird. Erst kürzlich war die Kommission des Europarats zur Folterprävention zum Besuch in dem Madrider Krankenhaus und hat einen Bericht erstellt, in dem die Misshandlungen der Zwangsernährung wohl deutlich angegriffen werden. Einen anderen Grund gibt es wohl nicht dafür, dass der Bericht von Spanien bisher nicht veröffentlicht wird. Es ist die Aufgabe des jeweiligen Landes die Berichte zu veröffentlichen. Berichte über Folter werden von der Türkei und Spanien nicht veröffentlicht.

Hier der Bericht der Times:  http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/europe/article1329302.ece

© Ralf Streck, den 05.02.2007

Shackled and emaciated, Eta killer pleads for peace from his deathbed

Thomas Catan in Madrid

A convicted key member of Eta, the Basque separatist group, who is close to death after three months without eating, has called on the Spanish Government to resume talks to reach a peace deal.

In his first interview since embarking on a hunger strike 91 days ago, Iñaki de Juana Chaos said that he strongly backed the peace process, which stalled after Eta detonated a huge bomb at Barajas air-port, Madrid, on December 30. The blast destroyed a multi-storey car park, killed two people and shattered a nine-month ceasefire that the group had described as permanent.

Now the emaciated prisoner, a renowned hardliner viewed as a key figure in the peace process, has urged a fresh effort to solve the conflict. Even as he did so, 200,000 supporters of Eta victims marched in Madrid at the weekend, calling on José Luis RodrÍguez Zapatero, the Prime Minister, to resign for having entered into talks with Eta during its ceasefire.

“I am completely in agreement with the democratic process of dialogue and negotiation . . . to resolve the political conflict between the Basque region and the French and Spanish states,” de Juana told The Times from his secure hospital room in Madrid, where he is being force-fed by authorities. “After the event at Barajas . . . resolution of the conflict is more necessary than ever,” he said in written answers.

For the Spanish Government, de Juana’s protest over his continued detention, two years after completing his sentence, is a growing political nightmare. With doctors cautioning that de Juana could die in days or weeks, Mr Zapatero’s Government is braced for what could be its deepest crisis since it took power in 2004.

The case, which recalls Bobby Sands’s fatal IRA hunger strike in 1981, has faced the Spanish Socialist Government with a dilemma. If he dies, de Juana will become a martyr to the Basque independence movement. Some fear that Eta could use his death to justify a renewed bombing campaign, and there are reports that the group has already been eyeing tourist spots for future attacks. But if the Government allows him to serve out a reduced sentence at home, as some judges advocate, it will provoke an outcry on the Right, only three months away from important local elections. Even if he were allowed home, it is far from certain that de Juana would survive. He said in his interview that he would not abandon his protest for anything short of unconditional freedom.

“I would not have abandoned the hunger strike in exchange for a reduced sentence. The only acceptable alternative is complete liberty and an end to the brutal attacks on freedom of expression that this legal process implies,” he said.

De Juana was sentenced in 1987 to 3,000 years in jail for his part in 25 deaths, including machinegunning a car containing three soldiers, murdering a rear-admiral and planting a car bomb that killed 12 military policemen. Under sentencing guidelines then in force he had to serve only 18 years and was due to be freed in 2004. The Government, fearing a public outcry, unearthed two opinion articles that he had published in a Basque newspaper and charged him with making terrorist threats. Juan Fernando López Aguilar, the Justice Minister, promised to do “whatever is in our power to prevent these releases”, adding that the Government was working to “construct new charges” against Eta prisoners “like we did with de Juana Chaos”.

De Juana began a hunger strike last year but dropped it after 63 days when it looked as though the Government would seek a much-reduced sentence. Then a court gave him another 12 years and 7 months in jail, prompting him to restart his hunger strike. Legal experts have questioned the ruling. On Saturday the Association of European Democratic Lawyers said that the sentence was “an exceptional resolution of extraordinary harshness”.

Some fear that de Juana’s death could persuade others who remain in jail after their sentences have ended to follow suit, giving the 40-year conflict a new lease of life. Nine republican prisoners followed Bobby Sands in 1981; their deaths triggered a surge in IRA activity, fundraising and recruitment.

Despite his deteriorating condition, de Juana is in uncompromising mood. He expressed no remorse for his killings and said that he felt no responsibility for the tumult that his death could cause. “Can you blame the repressed for the actions of the repressor? Can you blame the violated for the actions of the violator?” he asked, rhetorically. Faced with the prospect of his own demise, he was contemplative. His mother died a week ago and doctors say that he could experience “sudden death” any day.

“Not being able to live a normal life is very hard. Only those of us who have experienced it can understand it,” he said. “So that it is not repeated, the roots of the conflict must be addressed.”

De Juana Chaos

Age 51

Height 5ft 8in (173cm)

Normal weight 14st 8lb (80kg)

Current weight 8st 3lb

Hunger strike 91 days

Previous strike 63 days

Arrested 1987

Convicted of 25 deaths

Sentenced to 3,000 years in prison, but was to serve only 18 years. Completed officially in October 2004

New sentence (November 2006) 12 years, 7 months, for publishing two opinion articles in a newspaper

Also known for trying to orchestrate a James Bond-style escape from a top-security prison using a helicopter. Said to have ordered prawns and champagne from his jailers to celebrate the killing of a politician and his wife
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Ergänzungen