"Schon Vergessen?" - Gedenken an Eckard Rütz

Bündnis "Schon Vergessen?" 27.11.2006 21:56 Themen: Antifa Soziale Kämpfe
Manche Menschen scheinen schnell der Vergessenheit anheim zu fallen

... so auch der Obdachlose Eckard Rütz. Um das Vergessen und das Verschweigen zu durchbrechen, gründete sich vor einigen Wochen das Bündnis "Schon vergessen?", das aus verschiedenen politischen und kulturellen Gruppen Greifswalds besteht. Am Samstag, den 25.November 2006, führte das Bündnis eine öffentliche Gedenkkundgebung für den Obdachlosen Eckard Rütz durch, dieser wurde auf den Tag genau vor sechs Jahren in Greifswald von drei jungen Rechtsextremisten brutal ermordet worden.
Die Stadt Greifswald sowie die Universität Greifswald schweigen bis heute zu der Tat und verweigern ein würdiges Erinnern an den Ermordeten.

Während vor einigen Tagen in Greifswald am sog. "Volkstrauertag" in einem pompösen landesweiten Staatsakt mit viel landeseigener Politprominenz den gefallenen Soldaten der Nazi-Wehrmacht und den Soldaten der Bundeswehr gedacht wurde (siehe:  http://de.indymedia.org/2006/11/162481.shtml), werden die Opfer des Straßenterrors der extremen Rechten im städtischen Gedenken ausgeklammert und ignoriert. Auch auf der offiziellen Gedenkveranstaltung für die ermordeten Greifswalder Jüd_innen am 09.November (siehe:  http://de.indymedia.org/2006/11/161778.shtml) waren keine offiziellen Vertreter_innen der Stadt zugegen - es gab für Oberbürgermeister König (CDU) und die Seinen offenbar wichtigeres...


"Schon vergessen?" - Nichts und niemand ist vergessen!!!

Blicken wir noch einmal zurück zu den Umständen des grausamen Todes Eckard Rütz's: In der Nacht vom 24. auf den 25. November 2000 verbrachte der stadtbekannte Obdachlose die Nacht neben einer Telefonzelle an der Uni-Mensa - ein Ort nicht irgendwo abseits im Plattenbaughetto, sondern mitten in der Innenstadt Greifswalds. Dort schlief er in jener kalten Novembernacht ein und sollte nicht wieder erwachen. Drei Rechtsextremisten im Alter von 16 und 21 Jahren erblickten den Obdachlosen und machten sich über den Schlafenden her. Mit armdicken Baumstützpfählen griffen sie ihr Opfer an und schlugen auf seinen Kopf solange ein, bis Eckard Rütz sich nicht mehr bewegte. "Wir wollten ihm nur eine Lektion erteilen. Dabei haben wir ihn leider totgehauen", so Maik J., einer der Täter, während der Gerichtsverhandlung. Eckard Rütz musste sterben, weil er nach Meinung der Täter "dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche gelegen" habe.

Samstag, 25. November 2006:

Im Rahmen der Veranstaltung zum 6. Todestag wurden an der Todesstelle von Eckard Rütz durch das Bündnis "Schon Vergessen?" ein Kranz und Blumen niedergelegt. Anschließend verlas ein Vertreter des Bündnisses einige Gedichte. Der Dompfarrer der Greifswalder Evangelischen Kirchengemeinde St. Nikolai Matthias Gürtler hielt eine bewegende Ansprache, in der er auch an den rassistischen Mordangriff auf Amadeu Antonio Kiowa in Eberswalde erinnerte. Amadeu Antonio Kiowa wurde 1990, ebenfalls am 25. November, von etwa 60 Nazis verprügelt, fiel ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte und 11 Tage später verstarb. Er war eines der ersten Opfer der mordenden Neonazibanden im vereinigten Deutschland. In Greifswald nahm auch der Straßenterror der Rechtsextremen weiter zu, wo es seit Ende der 1990er zu vermehrten Nazi-Übergriffen kam. (Eine Übersicht der rechtsextremen Aktivitäten seit 2001 in M-V ist zu finden unter:  http://www.lobbi-mv.de/chrono/index.php).

Im Anschluss wurde der Bündnisaufruf (s.u.) verlesen und noch einmal dazu aufgefordert, "die Mauer des Schweigens und Vergessens zu brechen" und endlich einen Gedenkstein für Eckard Rütz neben der Mensa aufzustellen.

Außerdem wurden die Namen der 131 rechtsextremen Mordopfer zwischen 1990 und 2004 ( http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/chronologie.pdf) verlesen, darunter auch die Namen der beiden Greifswalder Obdachlosen Eckard Rütz (von Nazis zu Tode geprügelt am 25.11.2000) und Klaus Gerecke (am 24.06.2000 von Nazis erschlagen), stellvertretend für die hunderte von Opfern rechtsextremer Gewalt in Deutschland.

Fast genauso erschreckend wie die Neonazi-Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern und die hohen Wahlerfolge der NPD bei den letzten Wahlen, ist übrigens auch die Apathie und das weitgehende Fehlen zivilgesellschaftlicher Strukturen in der Greifswalder Bevölkerung.


Die Arbeit des Bündnisses geht weiter!


Am Donnerstag, den 30. November 2006, findet um 20:00 Uhr eine weitere Veranstaltung des Bündnisses statt, in der noch einmal der Mord an Eckard Rütz, sowie das damalige und heutige gesellschaftliche Klima beleuchtet werden sollen. Die Veranstaltung findet im IkuWo - Goethestraße 1 - in Greifswald statt.

Das Bündnis "Schon vergessen?" wird auch zukünftig für eine nachhaltige, antifaschistische Gedenkkultur eintreten. Es fordert weiterhin von der Hansestadt Greifswald die Aufstellung eines Gedenksteines an der Mensa für Eckard Rütz.



Aufruf des Bündnisses "Schon vergessen?":


Schon vergessen?

Ein dunkler Platz in einer kalten Novembernacht in Greifswald. Das Leben des Obdachlosen Eckard Rütz wird auf brutale Weise beendet. Heute, sechs Jahre später, erinnert dort nichts mehr an die Tat.

Eckard Rütz musste sterben, weil er nach Meinung eines Täters "dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche gelegen habe." Im Gerichtssaal berichteten die drei jungen Erwachsenen völlig gefühllos und kalt von den Geschehnissen in der Nacht vom 24. auf den 25. November 2000. „Wir wollten ihm nur eine Lektion erteilen. Dabei haben wir ihn leider tot gehauen.“, so Maik J. Nachdem sie Eckard Rütz bei der Mensa erblickten, schlugen sie mit armdicken Baumstützpfählen mehrmals auf seinen Kopf ein, bis er sich nicht mehr bewegte. Wenig später kehrten sie zurück. Sie hatten Angst bekommen, dass er eine Anzeige machen könnte. Also traten sie erneut zu. Eckard Rütz starb an seinen schweren Kopfverletzungen. Selbst erfahrene Richter und Gerichtsmediziner waren von der Brutalität der Tat zutiefst schockiert. Der Schädel des Opfers war so zertrümmert, dass er während der Obduktion auseinander fiel.Die Urteile fielen dennoch relativ mild aus. Die beiden 16-jährigen Maik J. und Marcel L. wurden zu Strafen von sieben bzw. siebeneinhalb Jahren verurteilt. Maik D. (21) musste eine 10- jährige Haftstrafe antreten.

Die Reaktionen in Greifswald auf diesen nunmehr zweiten Obdachlosenmord innerhalb eines Jahres waren erschreckend zurückhaltend. Hatte Klaus Gereckes gewaltsamer Tod am 24. Juni 2000 noch die ganze Stadt in Aufruhe versetzt, geriet der Mord an Eckard Rütz schnell in Vergessenheit. Kein offizielles Begräbnis, keine Gedenkkundgebung, kein Gedenkstein ... Man schien von vornherein, wohl auch im Hinblick auf das schon angekratzte Image, kein großes Interesse an einer nachhaltigen Aufarbeitung der Morde zu haben. Der ausgerufene „Aufstand der Anständigen“, der in Greifswald zeitweilig bis zu 7000 Menschen gegen rechtsextreme Demonstrationen auf die Straße brachte, ebbte nach kurzer Zeit genauso schnell wieder ab, wie er aufgekommen war.

Seit dem 24. November 2000 sind nun fast sechs Jahre vergangen, die Morde mittlerweile so gut wie vergessen und das gesellschaftliche Klima, aus dem heraus diese Taten begangen wurden, hat sich wenig verändert. Die Täter, keine organisierten Rechtsextremen, bedienten sich zur Begründung ihrer Tat jener diskriminierenden und menschenverachtenden Rhetorik, die leider auch in Teilen der Bevölkerung fest verankert ist. Gerade im Hinblick auf die Ergebnisse der Landtagswahl, wäre eine intensive Auseinandersetzung mit dem Geschehenen und eine vielfältige Erinnerungskultur mehr als nötig. Stattdessen trampeln über 60.000 NPD-Wähler auf den Gräbern der zahlreichen Opfer rechter Gewalt umher.

Deshalb ist es unser Ziel, einen dauerhaften Ort des Gedenkens für den, vor sechs Jahren ermordeten, Eckhard Rütz zu schaffen und sich für eine nachhaltige Gedenkkultur einzusetzen. Wir rufen Euch auf, mit uns die Erinnerung an Eckard Rütz wach zu halten und die Mauer des Schweigens und Vergessens zu brechen.

Bündnispartner_innen:
Antifaschistische Aktion Greifswald, Infoladen Zeitraffer, Solid Greifswald, IkuWo, Studierendenclub Kiste, Junge Gemeinde St. Nikolai und Einzelpersonen
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Ergänzungen

Kranz wurde zerstört

AAG 28.11.2006 - 12:25
In der Nacht von Samstag zu Sonntag, wurde der Kranz zum Gedenken an Eckard Rütz von Unbekannten an der Mensa zerstört.

Ein rechtsextremistischer Hintergrund ist nicht auszuschließen, da sich in letzter Zeit häufiger Neonazis als Gäste in dem nahe gelegenden Mensaclub (Disco) aufhalten.

Der Kranz wurde jedoch schon am Sonntag von einer Bürgerin der Stadt wieder hergestellt und befindet sich immer noch an der Mensa.


Kein Vergeben - Kein Vergessen!

mesa

a 29.11.2006 - 10:25
die mensa is ganz sicher kein naziclub, es passiert natürlich, dass da ma spacken unteerwegs sind, aber es ist nicht die regel, dass da nur sowas rumläuft.

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