Weiterhin für sexuelle Selbstbestimmung

queerberlin Bündniss 30.09.2006 12:56
[aktuelle] Einschätzungen des Queerberlin-Bündnisses gegen die Kriminalisierung der Teilnehmer_Innen der Parada Równości
Am 12.08.2006 konnten wir unseren Freund und Genossen René wieder in Berlin begrüßen. Er war unter wechselnden Vorwürfen am 10.06. in Warszawa als Teilnehmer der dortigen Parada Równości für die Rechte der LesBiSchwulTransgender festgenommen worden. Seitdem hatten wir als Soligruppe Queerberlin seine Festnahme und Haftbedingungen kritisch thematisiert, in einen politischen Zusammenhang gestellt und auf seine Freilassung gedrängt.

René wurde für eine Kaution von 7.500 € aus dem Gefängnis entlassen und wartet nun mit uns auf einen Prozess wegen eines angeblichen Angriffs auf Polizisten und dem Besitz einer geringen, nicht konsumierbaren, Menge an Drogen. Wann dieser beginnen wird, ist noch nicht abzusehen.

Nachdem nun eines unserer wichtigsten Ziele, die Freilassung von René, erreicht und damit ein Teil unserer Aktivitäten beendet ist, wollen wir im folgenden Text über unsere bisherige Arbeit, deren Erfolge und Misserfolge berichten, die aktuelle Situation reflektieren, die nächsten Schritte umreißen sowie auf die Erfahrungen, die wir im Rahmen dieser Arbeit machten, eingehen. Der Text steht am Ende einer Phase, in welcher wir uns auf die Haftbedingungen und die Freilassung konzentrierten und steht gleichzeitig am Beginn der Phase, welche diese Verhaftung weiterhin als politischen Angriff thematisieren und auf einen Freispruch hin orientiert sein soll.

Da ein Großteil der Unterstützungsarbeit für René öffentlich erfolgte, wollen wir diese Überlegungen ebenfalls öffentlich zur Verfügung und Diskussion stellen.

Was ist gelaufen?
Kurz nach der Verhaftung begannen wir mit unterschiedlichen Aktivitäten. Wir versuchten die Öffentlichkeit, die antifaschistische und linksradikale Szene und die LesBiSchwulTrans Community zu informieren und zu mobilisieren. Des Weiteren organisierten wir direkte Unterstützung für René und versuchten Zeug_Innen und Beweise für seine Unschuld zu suchen, um die Arbeit der Anwälte zu unterstützen.

Die Mobilisierung der Öffentlichkeit erfolgte anhand zweier Themenfelder. Zum einen ließen wir in unseren Interviews, Veröffentlichungen und Aktionen keine Zweifel daran, dass wir diese Verhaftung als politischen Angriff bewerteten. René wurde nicht festgenommen, weil er etwas getan hatte – obwohl ebenso eine aktive Verteidigung der Parada gegen homophobe Faschistinnen und Faschisten, die ihm zeitweise vorgeworfen wurde, vollkommen berechtigt gewesen wäre. Nach den Erfahrungen aus den letzten Jahren, in denen die Parada Verboten und starken Angriffen ausgesetzt war, gingen die meisten Teilnehmer_Innen auch mit entsprechenden Ängsten und Erwartungen hin. René wurde festgenommen, weil er Teilnehmer einer Parade für sexuelle Selbstbestimmung war. Er wurde eher zufällig aus der Masse herausgegriffen, um ein Exempel zu statuieren, um sich in gewisser Weise für die erfolgreiche Durchführung der Parada zu rächen. Unter Umständen wurde gerade er als einziger angeklagt und für längere Zeit festgehalten, um die internationalen Unterstützer_Innen einzuschüchtern. Diese Position haben wir in der Öffentlichkeit beständig vertreten. Dies hat unseres Erachtens dazu beigetragen, dass wir weder als antipolnische, noch als rein moralisch orientierte Gruppe wahrgenommen werden.

Zudem haben wir auf die unhaltbaren Haftbedingungen – welche übrigens für alle anderen Insassen zumindest in Renés Knast weiterhin gelten – und den Fakt, dass jemand für die Wahrnehmung seines Grundrechtes auf Demonstrationsteilnahme verhaftet wurde, hingewiesen.

Hierbei befanden wir uns – im Gegensatz zu anderen Solidaritätsbündnissen für verhaftete Genoss_Innen in den letzten Jahren – in einer guten Position im Hinblick auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit, da wir mit unseren Kritikpunkten in großen Teilen Zustimmung fanden. Zumindest zu Beginn, als es uns hauptsächlich um die Freilassung Renés ging, verzichteten wir darauf, die selbstverständlich vorhandenen Differenzen zwischen uns und dieser breiten Öffentlichkeit herauszustellen.

Unsere Taktik für diese Mobilisierung war einfach, aber arbeitsreich: wir versuchten beständig im Gespräch zu bleiben. Konstant veröffentlichten wir Informationen und versuchten Artikel über Renés Fall zu initiieren. Zudem brachten wir den Fall bei größeren Veranstaltungen wie dem schwul-lesbischen Straßenfest, dem politischen (transgenialen) und dem offiziellen CSD in Berlin durch offensive Teilnahme in Erinnerung. Wichtig waren unsere beständigen direkten Ansprachen von Prominenten, relevanten Vereinen und Institutionen. All diese Formen der Öffentlichkeitsarbeit sind nicht neu, aber in ihrer massiven Anwendung äußerst erfolgreich gewesen. Dazu hat auch beigetragen, dass verschiedene Gruppen und Einzelpersonen uns dabei unterstützten oder selbstständig Aktionen auch außerhalb Berlins durchführten oder Informationen verbreiteten.

Unser Hauptaugenmerk lag allerdings in der Mobilisierung der zwei benannten Szenen. Wir selber sind zum großen Teil linksradikal aktiv, während der Angriff auf René vor allem ein Angriff auf die eher bürgerlich geprägte Parada darstellte. Obwohl wir ohne Frage die Ziele der Parada teilen, haben unsere politischen Aktivitäten daheim doch einen etwas anderen Focus. Letztlich schafften wir es vorrangig die linksradikale Szene zu mobilisieren, aus der sich ferner ein Grossteil der Aktiven bei unseren Kundgebungen vor den polnischen Vertretungen in diversen Städten rekrutierte.

Die bürgerliche schwul-lesbische Szene haben wir nur zum Teil direkt oder als Teil der größeren Öffentlichkeit ansprechen können. Obwohl es solidarische Aktionen und Bekundungen aus dieser Community gab, scheint sich in ihr doch ein von unserer Arbeit teilweise entkoppelter Diskurs um den “Fall René” etabliert zu haben. In der Zeit bis zum Prozess werden wir versuchen, hier weiter Anschluss zu finden.

Eine wichtige Arbeit, die wir erst einmal wieder lernen mussten, war die Unterstützung eines Genossen in Haft. Im Normalfall gehen heutzutage Auseinandersetzungen zum Glück glimpflicher ab. Wir versuchten zuerst Geld zu besorgen und mit René in Kontakt zu kommen. Gerade der Kontakt war schwierig herzustellen. Erst nach neun Tagen hatte er überhaupt ein Treffen mit seinem Anwalt. Außerdem musste der Kontakt durch diesen und Renés Verlobte aufrechterhalten werden. Von den zahllosen Briefen und Karten, die wir initiierten, erhielt er leider nur eine kleine Zahl ausgehändigt. Allerdings hätte er noch weniger bekommen, wären der Druck durch die vielen Einsendungen nicht so groß gewesen. Das Geld benötigten wir in der ersten Zeit dafür, seine Situation im Knast zu verbessern, vorrangig seine Stellung unter den Mitgefangenen. Er hatte als Linker, der den Grund für seine Verhaftung wegen der offensiven Homophobie geheim hielt, keinen Anschluss an soziale und andere Netzwerke. Diese Situation wurde zusätzlich erschwert, da er in Deutsch und Englisch nur mit einem kleinen Teil der Mitgefangenen kommunizieren konnte. Das Geld auf seinem Knastkonto, der Fernseher, den wir ihm besorgten und andere kleine Dinge halfen in diesem Fall immens.

Wir haben es geschafft, René zumindest zwei Sorgen abzunehmen und wir denken, dass dies in ähnlichen Fällen ebenfalls notwendig ist. Wir konnten ihm, nachdem wir den Kontakt hergestellt hatten, versichern, dass er nicht allein gelassen wird und wir konnten seine materiellen Sorgen im Knast und für den Prozess zumindest mindern.

Die andere direkte Unterstützung, die wir zu organisieren versuchten, nämlich offizielle Stellen – vorrangig wegen der Haftbedingungen – auf seinen Fall aufmerksam zu machen und über deren Intervention diese Bedingungen zu verbessern, führten zwar zu einigen Anfangserfolgen, welche primär dem spezifischen Fall gedankt waren. Wie weit diese allerdings René halfen, können wir nicht einschätzen.

Weiterhin haben wir zusammen mit Genoss_Innen aus Polen daran gearbeitet Zeug_Innen und andere Beweise aufzuspüren. Diese sollten Renés Freilassung beschleunigen und nun zu seinem Freispruch herbeiführen. Dass diese Arbeit notwendig war und weiterhin ist, zeigt die Tatsache, dass die polnische Polizei die Ermittlungen schon nach kurzer Zeit abgeschlossen hatte und die betroffene Staatsanwaltschaft erst von Renés Anwalt davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass es auch Beweise für seine Unschuld gibt.

Zur aktuellen Lage
Zurzeit warten wir darauf zu erfahren, was die polnische Staatsanwaltschaft und das Gericht machen werden. Wir diskutieren sowohl die juristische Strategie, als auch die Frage, wie wir uns politisch verhalten werden. Als Manko sehen wir immer noch, dass wir kaum eine Verbindung zwischen der bürgerlichen schwul-lesbischen und der linksradikalen Szene herstellen konnten. Wir sehen, wie schon gesagt, den Angriff auf René als Angriff auf die Parada Równości, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und dem Willen sich selbstständig gegen Faschistinnen, Faschisten und christlichen Fundamentalismus zu verteidigen. Wir versuchen noch herauszufinden, ob dies die bürgerliche schwul-lesbische Szene auch so sieht und was ihre Konsequenzen aus diesem Vorfall sind – zumindest in den Teilen der Community, welche die Parada in verschiedenen Formen unterstützte.

Weiterhin ist Geld nötig. Der Prozess wird von uns politisch geführt werden, da wir ihn als Versuch werten, einen Präzedenzfall gegen die Parada und ihrer internationalen Unterstützer_Innen zu schaffen. Deshalb wollen wir einen Freispruch nicht nur erreichen, weil wir von Renés Unschuld überzeugt sind, sondern um der Kriminalisierung der Parada entgegenzutreten. Doch dieses Vorhaben wird einige Kosten verursachen: Anwaltskosten, Prozessbeobachtungen in Warszawa, Vernetzungsarbeit mit polnischen Aktiven, ständige Öffentlichkeitsarbeit. Darum werden wir uns kümmern müssen.

Letztlich ist die Situation für René gut. Gesamtpolitisch ist aber natürlich noch Einiges zu tun.

Forderungen
Wir haben neben der Forderung nach Renés Freilassung immer auch weitergehende erhoben, darunter die Entkriminalisierung und Gleichstellung aller sexueller Identitäten und Aktivitäten, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, ein Vorgehen gegen Homophobie, Faschismus und radikalen Katholizismus. Außerdem den juristischen und politischen Freispruch für alle, die für diese Forderungen kämpfen. All dies halten wir selbstverständlich aufrecht und wollen dies noch einmal betonen.

Spezifisch für René fordern wir nach seiner Freilassung auch seinen Freispruch, selbstredend eine Entschädigung für die zwei Monate, die er im Knast verbringen musste und im Mindesten eine Entschuldigung für diese Vorgänge. Nicht zuletzt fordern wir so scheinbar banale Dinge, wie die Aushändigung aller an ihn gerichteten Post, welche jetzt noch im Gefängnis in Białołęka liegt. Wir sehen die Praxis des Zurückhaltens als politischen Akt, welcher die Gefangenen zu Abhängigen degradieren soll – und dies auch über ihre Zeit im Knast hinaus.

An die antifaschistische Szene richten wir die Forderung, sich eingehender mit Homophobie und Heteronormativität zu beschäftigen. Damit meinen wir vor allem, sich wieder darüber klar zu werden, welche Rolle diese Ideologeme in extrem rechten Bewegungen und Ideologien und auch in der eigenen Szene spielen. Auch wenn niemand in Frage stellte, dass die Unterstützung der Parada und der Kampf gegen Homophobie notwendig sind und waren, so fiel uns doch auf, wie relativ oberflächlich begründet diese Überzeugung war. Dabei ist der Ausschluss nicht-normierter Sexualität und Identitäten konstitutives Element der meisten Bewegungen, gegen die die Antifa ansonsten vorgeht und auch der gesamten Gesellschaft allgemein.

Nicht zuletzt fordern wir die LesBiSchwulTrans Community und die antifaschistische Szene – zumindest die daran interessierten Teile – zu einem politischen Dialog über Schnittfelder der beiden Engagements auf. Es ist wahrscheinlich, dass eine partielle Zusammenarbeit auch in Zukunft nötig sein wird. Das diese Debatte vor der Parada nicht ausreichend geführt wurde, hat unseres Erachtens zu einigen Verstimmungen beigetragen.

Durch unsere Arbeit für einen Genossen im Knast begründet, würden wir gerne eine Diskussion über internationale Repression und Solidarität geführt wissen. Wir hatten das Glück mit dem polnischen Anarchist Black Cross, Aktivist_Innen der Kampagne gegen Homophobie und Anderen schnell in einen guten Kontakt zu kommen und zusammenarbeiten zu können. Aber dies ist nicht immer gegeben. Die sozialen Auseinandersetzungen werden internationaler, die Kooperation der Polizeien, selbst die Zusammenarbeit faschistischer und anderer rechter Gruppen. Insoweit auch die Repression. Es wäre von Vorteil, wenn schon vor weiteren Aktionen klar ist, wie damit umgegangen werden soll, wenn Freund_Innen anderswo einsitzen oder wenn in Deutschland Genoss_Innen aus anderen Ländern für ihr Engagement repressiert werden.

Auffällig war für uns, dass eine Kritik des Knastsystems nicht mehr stattfindet und der Umgang mit dieser Form der Repression nur noch in Umrissen bekannt ist. Vielleicht wäre es notwendig, dies wieder zu ändern.


Was noch zu sagen ist
Die Unterstützung für René war ungewöhnlich groß und breit. Das hat nicht nur dazu geführt, dass sein Fall öffentlich wurde, er den Knast gut überstand und wir die bisher anfallenden Kosten begleichen konnten, sondern hat ebenso uns bestärkt, da unsere Arbeit wahrgenommen wurde. Uns hat das motiviert. Wir bedanken uns bei all den Menschen, die sich engagierten. Es sind zu viele, um sie aufzuzählen.

Wir wissen noch nicht, wie das Thema weiter behandelt werden wird, wir wissen auch nicht, ob sich der kurze Kontakt zwischen antifaschistischer und LesBiSchwulTrans Szene über diesen Fall hinaus erhalten wird. Wir wollen den Prozess verbreiten und an diesem Thema weiterarbeiten.

Eine wirklich große Frage ist, ob durch diesen Vorfall, die trotzdem erfolgreiche Parada und unsere Arbeit sich etwas an der Situation der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in Polen geändert hat. Aktuell scheint der Skandal, den Renés Verhaftung auslöste, vorüber zu sein. Doch die längerfristigen Auswirkungen werden sich wohl erst bei der nächsten Parada oder frühestens beim anstehenden Prozess zeigen.

Wir hoffen ihr unterstützt sowohl uns als auch das Anliegen der Parada weiter.

Queerberlin,  http://www.queerberlin.tk

September 2006
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Ergänzungen

queerberlin-soli-konzert_party!

. 30.09.2006 - 20:35
queerberlin-soli-konzert_party:

07.Oktober | 21 Uhr | Festsaal Kreuzberg
Skalitzerstr. 130 (U-Bhf Kottbusser Tor), Berlin

LIVE ACTS:
-minipli 225
http://www.megapeng.net/minipli.html)
-Rhythm King & Her Friends
http://www.powerline-agency.com/artists/rhythmking_d.html)

und danach:
-Sportbrigade Sparwasser - DJ-Set
-DJane nanday (BiM)

check: www.queerberlin.tk

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