15 Jahre Hoyerswerda: Demobericht + Pics
Einst über 70.000 Einwohner hatte die Stadt an der Grenze von Brandenburg und Sachsen. Jetzt 16 Jahre nach der Wende ist gerade wenig mehr als die Hälfte der Bewohner noch anwesend.
Hoyerswerda - Neustadt, ein Stadtteil mit realsozialistischer Musterarchitektur. Ein Wohnblock, ein Stück Rasen ein paar Bäume, dann wieder ein Wohnblock - 11 Etagen.Irgendwo dazwischen Parkplätze für die Anwohner. Es sieht nicht so aus als ob hier jemand nach einem freien Parkplatz lange suchen müsste.
Viel Bewegung ist an diesem Tag in der Stadt. Polizeifahrzeuge stehen dicht an dicht am Bahnhof Neustadt. Einsatzkräfte befürchten Auseinandersetzungen mit den örtlichen Neonazis, diese hatten "kreative Aktionen" angekündigt. So ist man etwas überpräsent. Die Teilnehmer der Demonstration bekommen dies zu spüren, jeder wird penibel kontrolliert. Auch nachdem der Zug der Demonstranten sich in Bewegung gesetzt hat, werden Leute gefilzt. Absurdität am Rande: Beschlagnahmungen gibt es bei einigen erst bei der 4. oder 5. Kontrolle. Stoffhandschuhe vielleicht ein schwarzes Tuch - passive Bewaffnung, Vermummung sagt die Polizei. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als solle hier nachträglich das hohe Polizeiaufkommen durch Beschlagnahmemeldungen gerechtfertig werden. Die für Punks nicht untypische Kluft von Nietenarm- und Halsbändern blieb bereits bei den Vorkontrollen in den Polizeireihen hängen.
Bevor man losläuft ein Redebeitrag. Er erklärt warum man hier ist, warum es nicht nur um eine reine Gedenkdemonstration handelt. Das es wichtig ist auch 15 Jahre nach den Pogromen etwas gegen Rassisten zu unternehmen. Es ist ein guter Redebeitrag, ausgewogen, schade nur dass man ihn am Bahnhof hält. Die Bürger kriegen von der Rede nichts mit.
Die Demonstration trifft auf großes Interesse. Neugierig drängeln sich vor allem Jugendliche an der Demonstrationsroute. "Ich fahre mal kurz nach vorne, da sind bestimmt die Rechten" - vielleicht 15 Jahre alt ist er, steigt auf sein Fahrrad und verschwindet für ein Weilchen. Jemand anderes telefoniert: "Nein wir sind gerade bei der Demo... Ganz schön viele bestimmt so 100, 200 Mann" Er legt auf und trinkt ein Schluck "Mixery". Das fällt auf, fast alle die Demo begleiten, es werden zum Schluss etwa 50 Menschen sein, haben eine "Mixeryflasche" in der Hand. Der Polizei scheint das nicht geheuer.Wer sagt er gehöre zur Demo ist seine Flasche los. Kurze Zeit später will sich niemand mehr einreihen. Dennoch es sind auch viele Leute aus Hoyerswerda dabei. Auch einige Bürger laufen mit. Die meisten Demonstranten kommen aber von außerhalb. Leipzig, Dresden, Berlin sogar aus Greifswald sind einige angereist. Man läuft ein Stück, hoch an Laternenpfeilern ein paar Plakate. Es geht gegen die selbsternannten Demokraten und Antifaschisten. Die Plakate haben einen offiziellen Stempel des Ordnungsamtes. Wirklich kreativer Widerstand sieht anders aus.
Die Demonstration ist ein gutes Stück vorangekommen. Auf einem größeren Platz brennt ein kleines Feuer - was im ersten Augenblick aus der Ferne danach aussieht als sei ein Papierkorb in Flammen geraten, erweist sich als "zivilgesellschaftliches Engagement" - gegen die extremistischen Ausschreitungen von 1991. Ein paar ältere Herren um die Stele. Der Demonstration die lautstark vorbeizieht würdigen sie keines Blickes.
Am Rand immer wieder vereinzelte Nazis. Sie werden von der Polizei weggeschickt, niemand scheint sich von ihnen bedroht zu fühlen. Es ist die Polizei die immer wieder nervt. Leute die kurz aus Demo ausgeschert sind um sich vielleicht etwas zu trinken zu besorgen, will die Polizei am liebsten gar nicht mehr in die Demo reinlassen. Es wird nachkontrolliert. Vereinzelt Personalien festgestellt. Es gibt wohl auch ein paar Anzeigen. Die Demonstranten reagieren gelassen. Geduldig wartet die Demonstration bis die Polizei ihre "Arbeit" verrichtet hatund die Demonstration wieder vollständig ist.
Es gibt eine Zwischenkundgebung. Redebeiträge werden verlesen. Einer kommt aus Dresden, die Leute scheinen zufrieden er ist gut angekommen. Es wird der Versuch gemacht den Zusammenhang aufzuzeigenzwischen den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda oder etwa Rostock und der praktischen Abschaffung des Asylrechtes. Es ist die Rede davon, dass dies nur die zweiten der gleichen Medaille sind - dem rassistischen Konsens.
Ein anderer Redebeitrag kommt aus Leipzig. Er hält sich ein zwei Sätze bei Hoyerswerda auf, danach wird begründet warum die Solidarität mit Israel so wichtig und richtig ist. Er ist eher theorielastig. Der Pulk der die Demo begleitete hört gelangweilt weg. Auch innerhalb der Demonstration reagieren Leute mit Kopfschütteln. Manche fragen sich ob eine Demonstration der richtige Ort, ein Redebeitrag das richtige Medium ist für solch theoretische Diskurse.
Man näherte sich dem damaligen Tatort. Viele Leute setzten sich auf den verwaisten Parkplatz, die Sonne und die sehr lange Marschroute hatten wohl so manchen erschöpft. Es folgte ein weiterer Redebeitrag. Im Gegensatz zu den Vorrangegangenen standen antifaschistische und linke Ideen oder Meinungen nicht im Mittelpunkt. Die Rede erinnerte an die mehr als 100 Menschen die seit der Wende von Neonazis ermordet worden. Es wurden aus den Leben derjenigen erzählt die in Hoyerswerda und Umgebung den Tod fanden. Auch die näheren Umstände erläutert. Gerade weil ohne großen Pathos vorgetragen, eine der wohl eindrucksvollsten Reden. Die Erschütterung über die Brutalität der Taten, die banalen Vorwände die einen Menschen so aus dem Leben reißen können, sie war so manchen anzusehen.
Man erreichte schließlich wieder den Ausgangspunkt. Der Lauti wurde abgebaut. Größere Gruppen gingen zum nicht weit entfernten Hauptbahnhof. Die Polizei im Schlepptau. Unterwegs fliegen Blumentöpfe und allerlei Hausrat aus einem des 7. oder 8. Stockes. Passanten schauen nach oben. Eine ältere Frau vom Alkoholkonsum der vergangenen Jahre gezeichnet wankt auf ihrem Balkon. Sie blubbert unverständlich. Ein Pärchen vielleicht 50 Jahre alt, schüttelt den Kopf geht weiter und dreht sich dennoch voller Neugier immer wieder um. Das Zetern auf dem Balkon wird leiser. Man beschließt vor der Heimfahrt sich im Supermarkt mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Polizei folgt den Gruppen vornehmlich schwarz gekleideter Jugendlicher hektisch. Sie entblödet sich nicht einmal mit in den Supermarkt zu gehen. 3 Beamte schauen skeptisch ob nicht eine Tasche zu stark ausgebeult ist.
Kurze Zeit später sitzt man im Zug. Man hofft etwas erreicht zu haben.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
Ergänzungen
Pressemitteilung
24.09.06, 16.30 Uhr: Pressemitteilung des Organisationsbündnisses „Hoyerswerda - 15 Jahre später“
Am 23. September fand in Hoyerswerda eine antirassistische Demonstration unter dem Motto "Hoyerswerda 15 Jahre später – gegen rechte Strukturen und kollektive Verdrängung" mit knapp 400 TeilnehmerInnen statt. Organisiert wurde die Demonstration von antifaschistischen Gruppen aus Sachsen und Brandenburg.
Die Demonstration führte durch die Hoyerswerdaer Neustadt über den Lausitzer Platz, um den Wohnkomplex III über die Schweitzer Straße. An diesem Brennpunkt der Pogrome von 1991, sowie in der Niederkirchner Straße, wurde in Redebeiträgen der beteiligten Bündnisgruppen Kritik an der Verdrängung und dem Vergessen der rassistischen Pogrome von 1991 und dem Umgang mit (Alltags-) Rassismus geäußert. Thematisiert wurden außerdem aktuelle rechte Strukturen und Tendenzen in Hoyerswerda. In einem Wohnheim der Schweitzer Straße lebten einige der MigrantInnen, die von Neonazis und BürgerInnen im September 1991 tagelang terrorisiert wurden, bis sie schließlich zwangsevakuiert werden mussten. Beim Stillen Gedenken am Lausitzer Platz, zu dem OB Horst Dieter Brähmig (PDS) aufgerufen hatte, war nach Aussagen von BesucherInnen der Veranstaltung nicht die Rede von rassistischen Pogromen, sondern von extremistischen Auseinandersetzungen. Auf Plakaten von Neonazis, mit denen für eine Demonstration am 30.09 in Hoyerswerda geworben und die Pogrome von 1991 glorifiziert werden, wurden Genehmigungsplaketten der Stadtverwaltung gesichtet. Von dem vom Kameradschaftszusammenschluss "Lausitzer Aktionsbündniss" und dem JN Stützpunkt Hoyerswerda angekündigten "kreativen Störaktionen" bemerkten DemonstrantInnen nichts. Mehrmals verwies die Polizei dennoch, auch auf Forderungen von DemonstrantInnen, Neonazis des Platzes, die sich am Rand der Veranstaltung versammelten.
Pressesprecher Marius Buchner schildert Eindrücke zur Demonstration: „Wir sind mit dem Demoverlauf sehr zufrieden. Trotz unnötig vieler Polizeikontrollen gegenüber TeilnehmerInnen, verlief alles friedlich, aber dennoch entschlossen. Trotzdem unsere Demonstration von vielen mit Misstrauen betrachtet wurde, schlossen sich auch einige BürgerInnen zeitweise dem Demozug an. Aus dem Wohnhaus in der Schweitzer Straße applaudierten dann sogar einige Menschen von ihren Balkonen."
Mit freundlichen Grüßen
Presseteam des Organisationsbündnisses „Hoyerswerda – 15 Jahre später“
Eindrücke zum 23. September in Hoyerswerda
Ein Punkt, der leider immernoch zu wenig beachtet wird, ist der Konsens mit den Bürgern. Es darf nicht sein, das zu jeder Demo mehrheitlich nur das übliche Kontingent an umliegenden Antifas teilnimmt. Dazu muss mehr auf die Bürger zugegangen werden. Und dies kann nicht durch abschrenkende Parolen geschiehen. Wer "Opa, Oma und Hans-Peter" als Nazi beschimpft, bezeichnet damit eine ganze Generation als Kriegsverbrecher. Und das sollte eigentlich nicht Sinn und Zweck sein. Ausserdem ist nicht jeder mit kurzen Haar Mitglied im JN-Stützpunkt HoyWoy. Schliesslich waren ja auch alle Nazis im Sonnenstudio *gg*
Naja meine 2 Cents zur Sonntag Nacht.
Rechtschreibfehler Uhrzeitbedingt.
Einige Kritikpunkte
Warum wurde immer so plötzlich und ohne lautes Runterzählen losgerannt ? Das ganze geschah mehrmals und nicht selten stürzten dabei Leute und wurde eventuell sogar noch überrannt. Nichts gegen eine kurze Sprinteinlage. Aber wenn das nur Wenige mitbekommen, weil das Runterzählen zu leise ist oder ganz weggelassen wird, dann passieren solche Dinge nunmal. Außerdem waren die Sprinteinlagen auch immer ziemlich kurz und somit kaum sinnvoll, da wir ja sowieso in einem Wanderkessel liefen.
Auch fällt mir gerade ein, das mitunter die Parolen total durcheinander gerufen wurden. So kam bei Außenstehenden der Wortlaut natürlich nur schwer an. Parolen wie "Kühe, Schweine, Ostdeutschland" und Anspielungen auf Überschwemmungen in Folge von Hochwasser wurden zwar auch gerufen, aber nur sehr selten und wenig laut. Nichts gegen ein bisschen Provokation, aber vielleicht sollte man auch mal darüber nachdenken, dass es Demonstationen weniger um die Bespaßung der TeilnehmerInnen geht, als um die Außenwirkung.
schön geschrieben
nurso´
Hoyerswerda 2006
Hallo liebe Antifaschisten/innen,
am letzten samstag, der 23.09.06 fand eine erfolgreiche Demo unter dem Motto "Hoyerswerda, 15jahre danach" statt.
die demo verlief weitgehend freidlich. Die Polizei war mal wieder anwesend und machte ihrem ruf alle ehre. Sie traten extrem aggressiv auf: z.B.: einige polizeibeamte trugen von anfang an tränengasgewehre an sich!
Der demozug umfasste ungefähr 500 mann.
gesäumt wurde der zug von einigen interessierten bürgen, nazis und fotographen der anti-antifa...
Die demo lief durch die neustadt, in der die meisten nazis wohnen.
über den lauti liefen durchgehend informative vorträge und revolutionäre musik. z.B: dritte wahl mit dem stück "greif ein"! (nur zu empfehlen)
An dem haus, in dem und vor dem 1991 die rechtsradikalen übergriffe stattfanden hielt der demozug um einige gedenkminuten abzuhalten und der opfer folgender rechtsradikaler übergriffe in ganz deutschland zu gedenken.
Am Bahnhof wieder angekommen marschierten wir nochmal alle spontan zum hauptbahnhof (unter massiver polizeibeobachtung). selbst zum supermarkt verfolgte die polizei einige teilnehmerinnen um dort die bezahlung zu überwachen!
Nun denkt man gelungene aktion--- naklar
aber am nächsten wochenende findet dort ein naziaufmarsch statt.
diesen gilt es zu verhindern
also wir sehen uns alle nächstets wochenende
link:
(viel spaß bei google; solltet ihr schnell finden!)
mfg
Antifa-CMF-Nerlin
ACB
Wirkung der Demo in Hoyerswerda
Nun zur Demo in Hoy: Natürlich haben Parolen wie "Wir kriegen euch alle" nach "Ein und neunzig Hoyerswerda - damals wie heute die gleichen Mörder", die meisten BürgerInnen eher abgeschreckt. Der Aktionsmarathon zum 15. Jahrestag der Pogrome auch von bürgerlicher Seite (Ausstellung "Braune Falle" zu rechten Aussteigern, Theaterstück "Der Kick" zu Nazimord,...) und ganz entscheidend auch unsere, wenn auch eher mit etwas Schock aufgenommene, Demo, bewirkte jedoch ganz eindeutig, dass sich am 15. Jahrestag der Pogrome von Seiten der Stadt nicht so still und leise um den September herumgeschlichen werden konnte, wie es in den vergangenen Jahren geschah! Und dies sollte sich auch am 16. Jahrestag der Progrome so fortsetzen!
Die Behauptung BürgerInnen/Nichtlinke seien in Hoyerswerda mit der Demo nicht erreicht worden, hätte mit einem Blick über die Menge der DemonstrantInnen schnell entkräftet werden können. Unter den Demo - TeilnehmerInnen befanden sich nicht nur Punkx und Antifas, sondern überraschend viele Jugendliche aus eher unpolitischen Spektren der Jugendkulturen (z.B. indy - rock), die sich der Demo von Anfang bis Ende angeschlossen hatten, was doch durch aus positiv zu werten ist.
Am 30.09. wieder nach Hoyerswerda! Platzverweis für LAB, NPD und JN! Neonaziaufmarsch stoppen!
weitere pix
AntifaAg Hoyerswerda
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
aber bitte... — jibba
Einwandfrei — Lothar
"antifa ist sexy" — egal