Bericht vom X. Wuppertaler 1-Euro-Spaziergang

andrej 25.06.2006 16:02 Themen: Soziale Kämpfe
Sechs Wanderlustige machten sich Montag morgen auf, um u.a. die 1-€uro-Jobber auf der Hardt (einer Parkanlage zwischen Elberfeld und Barmen) zu ihren Arbeits(losen)bedingungen zu befragen. Vermittelt über die GESA räumen dort z.Zt. vierundzwanzig 1-€uro-Jobber (alles Männer) fünf Tage die Woche á sechs Stunden (7 Uhr bis 13:45) die Kippen und sonstigen Müll vom Boden auf.
Ganz oben auf der Hardt haben sie einen kleinen Bauwagen, wo sie Kaffee kochen können. Zwei Leute haben offenbar einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag von GESA bekommen – wohl weil sie besonders gut den Müll eingesammelt haben. Es gibt zwei Urlaubstage pro Monat. Die meisten von Ein-Euro-Jobber waren – im Gegensatz zu ihrem Vorarbeiter – recht offen und gesprächig und wohl auch nicht undankbar für die Abwechslung.

Sie erzählten uns, dass die Jobs so vergeben werden, dass sie über die ARGE zur GESA geschickt werden. Dort können sie sich entscheiden zwischen Jobs im Recycling-Bereich oder eben Parkpflege (Trockenbau wurde angeboten, gibt es aber wohl nicht mehr). Jetzt im Sommer, wo abends auf der Hardt immer Party gemacht wird, kriegen sie auch ein paar Säcke Müll zusammen. Aber im Winter müssen sie auch arbeiten – man fragt sich ein bisschen, was sie dann dort tun? wahrscheinlich frieren und im Schnee stochern.
Die Müllaufsammelarbeit auf der Hardt war wohl vor Hartz-IV von ASH-Stellen, ebenfalls über die GESA gemacht worden, erzählt ein älterer Ein-Euro-Jobber. Da war die Kohle noch besser und man war arbeitslosenversichert.
Die Chance, aus der Maßnahme heraus einen „echten“ Job zu finden, liegt, so einer der Kollegen, „eins zu tausend“. Einige sagten uns auch sehr deutlich, dass es eben darum geht, sie „beschäftigt zu halten“. „ Ich versteh auch nicht, hier sind ja manche über fuffzig, was die hier suchen – die kriegen doch nie ´n Job.“
Und natürlich gebe es Leute, die einfach abbrechen – die müssten dann sehen wo sie bleiben, weil sie natürlich erst mal die 30% Kürzung reingedrückt bekommen.
„Moderne Sklaverei – du wirst nur verarscht.“

Wer vier Tage oder länger krank ist, fliegt ebenfalls aus der Maßnahme raus – und kann u.U. anschließend dann die Maßnahme noch mal von vorne anfangen. Kohle im Krankheitsfall gibt es natürlich – wie üblich – nicht.
Dafür haben sie wohl durchgesetzt, dass sie jetzt – seit Mai – wieder Fahrgeld (58 Euro) bekommen. Und zwar ohne nachzuweisen, dass sie die Kohle auch tatsächlich dafür ausgeben. Kurz nach Einführung von Harz-IV gab es bei einem früheren Spaziergang ein Gespräch mit Ein-Euro-Jobberinnen, die vermittelt über die GESA bei anderen Trägern im sozialen Bereich und teils in ihren eigenen Ausbildungsberufen arbeiteten. Diese hatten uns damals schon davon erzählt, dass sie (als „Freiwillige“) noch Fahrgeld bekamen, dass es für die „Nicht-Freiwilligen“ aber kein Fahrgeld mehr geben soll. In der Zwischenzeit gab´s wohl zu viele, die sich beschwert haben – mit dem Ergebnis, dass sie jetzt eine „Lohn“aufbesserung bekommen.

Richtig krude waren die Geschichten über den schulischen Teil, den sie immer mittwochs absolvieren müssen: es gibt ständig wechselnde AnleiterInnen, und sie kriegen neben Bewerbungstraining auch Aufgabenstellungen, die selbst ein Grundschulkind albern finden würde: Malen Sie drei Kästchen auf ein Blatt Papier – dann malen Sie Kreuzchen in die Kästchen – jetzt durchlöchern Sie das Blatt Papier mit ihrem Bleistift – u.s.w.. Das ist anderes als demütigende Beschäftigungstherapie – einerseits wahrscheinlich aus Überforderung, wahrscheinlich aber auch mit dem Ziel, dass die Leute dort einfach nicht mehr aufkreuzen und dann eine Sperre reingedrückt bekommen können! Außerdem können sie dort im Internet nach den Jobs suchen, die es, wie sie selbst sagen, halt gar nicht gibt. Auf jeden Fall ist der Unterricht so langweilig, dass sie uns eingeladen haben, da mal vorbeizukommen. Immerhin gibt es wohl für ein paar Leute berufliche Schulungsanteile, d.h. die wirklich „berufsorientiert“ sind (Staplerfahrer oder Lagerarbeit).

Interessante Diskussionen gab´s noch um das „Lohnabstandsgebot“ – also dass Leute die arbeiten gehen, genauso viel oder sogar weniger haben also Leute im ALG II-Bezug. Ein paar von den Leuten waren auch der Meinung, dass das nicht geht – gleichzeitig fanden sie natürlich auch, dass die Kohle verdammt knapp ist, die sie bekommen. Es entspann sich also eine kleine Diskussion, ob nun die Stütze zu hoch oder die Löhne zu mager sind. Aber immerhin, meint einer: wenn man beim ALGII alles zusammenzählt, die 345 plus 180 Euro für den Jon plus Miete, kommt man auch auf 750 €uro. „Dafür kann man schon mal früh aufstehen“, meint der Kollege. Na ja, etwas seltsam ist es schon, dass der ALGII- Regelsatz im Alltagsbewusstsein schon zum Lohn „geadelt“ wird. De facto wird er natürlich von den Behörden so behandelt als ob.
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Ergänzungen

Nochmal, erst gehirn einschalten, dann reden

Stefan V. 25.06.2006 - 23:02
OK, ich finde es auch ein wenig ungerecht, wenn man unverschuldet krank ist und dafür seinen Lohn nicht bekommt. Aber das war es auch schon. Aber von sittenwidriger Ausbeutung kann wohl keine Rede sein. Die 1 bis 2 Euro sind zusätzlich zum ALG II und nicht der alleinige Lohn. Also ich bekomme insgesamt 608 ALG II und 230 Euro für diese Maßnahme bei 120 Stunden. Und das sind 840 Euro getelt durch 120 Stunden, also 7 Euro nette. So muss man nämlich rechnen. Und ich finde, dass 7 Euro ein angemessener Lohn für diese relativ einfache Arbeit ist. Bei Leihfirmen hat man mitunter nur 3 bis 4 Euro brutto die Stunde, also selbst bei Vollzeit weniger als in der Maßnahme. Das ist in meinen Augen kriminell. Aber zum Teil kann ich das auch verstehen. Mit welchem Recht fordert jemand, der noch nie gearbeitet hat, einen Stundenlohn von bis zu 15 Euro brutto die Stunde. Werdet doch mal entlich wach uns sehr der Realität ins Auge. Gute Geld oder Anspruch auf gutes Geld habe ich nur dann, wenn ich die nötigen Qualifikationen nachweisen kann. Selbst ich kann diese, trotz abgeschlossener Schul- und Berufsausbildung nicht nachweisen, zumindest nich im sozialen Bereich. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich sogar ab 1200 brutto Vollzeit im sozialen Bereich arbeiten gehen. Höchstgrenze wären 1500 brutto, mehr kann und will ich am Anfang nicht fordern, weil das ungerecht gegenüber meinen Kollegen ist, die gelernte Fachkräfte mit zum Teil jahrzehntelanger Berufserfahrung ist.

DER KAMPF GEHT WEITER !

überflüssig 26.06.2006 - 15:15
Am Montag, dem 26.06.2006, werden parallel zum WM-Spiel im Achtelfinale in Köln VIELE "Überflüssige", Erwerbslose und Erwerbstätige, Studierende und Nicht-Studierende GEMEINSAM auf die Straße gehen, um gegen die zunehmende Entrechtung in diesem Land zu demonstrieren, gegen das HartzIV-Repressionsgesetz, gegen Studiengebühren, zunehmende Verarmung und gegen die Kriminalisierung unseres Widerstandes.

Ich möchte der Gewalt nicht das Wort reden, aber wer sich Mal ernsthaft mit der aktuellen Entwicklung und vor allem diesem HartzIV-Optimierungsgesetz beschäftigt, muss feststellen, dass dies nichts anderes ist, als die (vorerst einseitige) AUFKÜNDIGUNG des sozialen Friedens. Hier - wo am 07.07.2006 mit der Mehrheit von Union und Spezialdemokraten ein Gesetz beschlossen werden wird, das es legitimiert, erwerbslosen Menschen jegliche Leistungen zu entziehen (Regelleistung plus Miete, auf NULL setzen !!!), ohne Wissen, ohne Nachweis, ohne INTERESSE daran, ob sie derart überleben können - fängt die Gewalt an ! Und zwar die Staatsgewalt !

Erst in der heutigen Presse ist wieder zu lesen, dass der Spezialdemokrat Struck sein Menschbild korrigiert, indem er gegen Menschen hetzt, die nichts weiter "verbrochen" haben, als die ihnen zustehende Sozialleistung zu beanspruchen. "Wahrscheinlich sind wir damals von einem falschen Menschenbild ausgegangen.", beklagt sich Struck.

Lasst uns am 26.06. in Köln ein Zeichen setzen. 18.00 Uhr vor dem Dom !

Im Rahmen der WM sind von der Stadt schön gelegene "wilde" Zeltplätze am Rheinufer genehmigt und mit Toiletten ausgestattet wurden, falls jemand auch der Demo am 27.06. in Bonn beiwohnen will. Sie ist Bestandteil des bundesweiten Aktionstages gegen jenes HartzIV-Pamphlet und auch hier wollen sich Studierende, Erwerbslose und Erwerbstätige demonstrativ neben einander stellen. Treffpunkt in Bonn ist 10.00 Uhr die ARGE in der Rochusstr. 6, die pikanter Weise gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales liegt.

Der konkrete Aufruf ist nachzulesen unter



Homepage::  http://www.protest2006.de

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Irgendwie seltsam — Hartzer

Bauwagen in Wuppertal...war da nicht was? — Deutschland has gotta die

Mehr als seltsam — Stefan V.

@ Hartzer — Rote Zora

Lohnabstandsgebot etc. — ÜberflüssigerBG0815

@ Stefan — ÜberflüssigerBG0815

Thema verfehlt — snowblind

@ Stefan V. — Rote Zora