Wo das Geld bleibt

Martin Bayer 22.06.2006 14:14 Themen: Medien
Sowohl Großindustrie als auch Mittelstand in Deutschland sind offensichtlich reich. Sogar unsagbar reich. So reich, dass sie immer mehr Werbemaßnahmen finanzieren können, die immer fragwürdiger sind: Eine immense Vergeudung von Ressourcen und eine extreme Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger.
Ein Blick auf eine einzelne Region und ein überschaubares Medium - die Anzeigenzeitung - mag einen Eindruck vom kompletten Wahnsinn vermitteln, der durch redaktionelle Beiträge manchmal noch bis hin zur neoliberalen Lobhudelei oder gar zum Antisemitismus gesteigert wird.

Der bayerische Untermain, also das Gebiet der Stadt und des Landkreises Aschaffenburg und des angrenzenden Landkreises Miltenberg, zählt nach Einschätzung der dort Wohnenden zum lebenswertesten Teil Deutschlands. So ergaben es zumindest Umfragen der letzten Jahre. An einer besonderen intellektuellen oder kulturellen Situation kann dies nicht liegen, denn die ist nicht gegeben. Eher herrscht süddeutsche kleinstädtische oder dörfliche Selbstzufriedenheit vor, die eben auch den Weihnachtsmarkt oder das jährliche Volksfest als kulturell ausreichende Attraktionen durchgehen lässt.


Anzeigen siegen über Inhalt – fast kein Gebrauchswert

In dieser Umgebung leben mehr als zehn Zeitungen und Zeitschriften ausschließlich von Werbeeinnahmen, die zu einem geringen Teil durch Kleinanzeigen, in der Hauptsache durch den gewerbetreibenden Mittelstand finanziert werden und weniger den jeweiligen Redakteuren oder Anzeigenverkäufern, mit Sicherheit aber den Verlegern zu Einkommen, Anlagebesitz, Immobilien und Fernurlaub verhelfen.

Sie heißen PRIMA SONNTAG, WOCHENBLATT, MITTENDRIN, STADTZEITUNG, FRIZZ, STADTMAGAZIN, MAMI PAPI UND ICH, TOP SHOP, MUTMACHER und so weiter. Und sie haben zwischen eher bescheidenen gut 5.000 Exemplaren und deutlich über 140.000 Stück Auflage, erscheinen teils wöchentlich, teils monatlich und in Einzelfällen auch mal nur jährlich. In ihnen tummeln sich werbetreibend mit teils ganz- oder gar mehrseitigen Anzeigen Elektroläden, Bäckereien, Autohäuser, Saunaclubs, Möbelhändler, Sexshops, Pizzabäcker, Fitnesscenter und viele mehr.

Der Anzeigenanteil ist – wie vermutet – der Hauptteil aller dieser Publikationen. Stellenweise macht er vier Fünftel des bedruckten Raumes aus. Mitarbeiter berichten offen, dass jeder redaktionelle Beitrag hinter den Belangen der Anzeigenabteilung zurückstehen muss. Einige der Blätter sehen so aus, als ob sie überhaupt keine Redaktion hätten und bestenfalls nichtssagende angekaufte Beiträge zwischen die Anzeigen gestreut sind. Hier ist der kapitalistische Endzweck des Zeitungmachens aufs Wunderbarste erfüllt! Eine Ware fast ohne echten Gebrauchswert. Das hat selbst Marx kaum erwarten können.


Antisemitismus oder Neoliberalismus

PRIMA SONNTAG (PS) aber hat eine Redaktion, was für eine! Mit wöchentlich über 140.000 Exemplaren gehört das Blatt mit seinem Ableger STADTZEITUNG und dem TOP SHOP aus dem Main-Echo-Verlag zu den Branchenführern am bayerischen Untermain. Ziel der redaktionellen Arbeit scheint es zu sein, die BILD-Zeitung locker an Niveau zu unterbieten.

Vor zwei Jahren brachte PS den absoluten Höhepunkt jener pseudojournalistischen Recherche, die in diesem Blatt die Leser faszinieren soll. Damals veröffentlichte PS einen Bericht über ein angebliches Glaubens-Wirrwarr und die vorgeblich geheimsten Gebetsstätten der Region. Die haben zwar alle Anschrift und Telefon, aber das störte die sich selbst wohl als Enthüllungsjournalisten verstehenden PS-Redakteuren nicht. Da wurde dann lieber eine große Moschee gegen eine kleine Kirche ins Bild gesetzt und damit Bedrohung visualisiert; da wurden Buddhisten, Juden und Muslime mit Scientologen und Universellem Leben in einen Topf geworfen; da wurden als besonderer Service für Neonazis die Anschriften von muslimischen Gebetsstätten in der Zeitung veröffentlicht; da wurde festgehalten, die Stiftskirche sei von Moscheen umzingelt (!); da wurde von angeblich versteckten Glaubensgemeinschaften berichtet; und da wurde schließlich beim Bericht über die Gründung einer jüdischen Gruppe getitelt: Juden erobern Aschaffenburg!

Geheim, bedrohen, umzingeln, verstecken, erobern – mehr Klischees aus dem Gerümpelkasten des Antisemitismus und Rassismus sind in einem Zeitungsbeitrag kaum möglich. Die Hatz auf vorgebliche Faulenzer und Drückeberger oder Arbeitslose, die es sich so unheimlich gut gehen lassen, gehört dagegen schon zur Normalität solcher Blätter mit den ganz dicken Überschriften. Dass die linke Kommunale Initiative Aschaffenburg den Presserat wegen der Glaubens-Wirrwarr-Geschichte einschaltete, war zwar lobenswert, aber sinnlos. Er sei für Anzeigenblätter nicht zuständig.

Der MUTMACHER ist ein etwas anderes Kaliber. In einer Mischung aus fränkisch-hessischer Schlaumeierei und neoliberalem Sendungsbewußtsein wird hier zu Werke gegangen. Das heißt: Das pekuniäre wird mit dem ideologischen Interesse auf das Schönste verquickt.

Schon der Titel verrät es uns: Dem Gemeckere über zu wenig Arbeitsplätze und eine schlechte Konjunktur, über zu geringes Einkommen und ungerechte Sozialpolitik soll etwas entgegengesetzt werden. Und dieses Etwas ist der pure ideologische Wille, der auch schon mal die schlichte Existenz eines Betriebes zum mutvollen Beweis nimmt, dass man etwas tun könne. Da darf dann auch Bundespräsident Köhler mit seiner Antrittsrede nicht fehlen, die prompt in Auszügen abgedruckt wird. Die Agenda 2010 weist darin laut Köhler in die richtige Richtung - und so weiter. Gepaart wird das Ganze mit bezahlten Anzeigen. Der Mittelstand wirbt offensichtlich gerne in diesem Blatt, kann er doch so die eigene Ideologie vom Glück, dessen Schmied jeder selbst ist, mit einer Anzeige unterstützen und das Ganze von der Steuer absetzen.

Die Sache ist so erfolgreich, dass nun auch – nach dem Kreis Miltenberg – Stadt und Landkreis Aschaffenburg mit dem Blatt beglückt werden. Das Einzige, was hier wirklich Mut macht: MUTMACHER beweist, dass es der mittelständischen Konjunktur erbarmungslos gut geht. Sonst könnte niemand die Expansion in den Nachbarlandkreis per bezahlter Anzeigen finanzieren!

Aus dem Verlag des Mutmachers kommt auch MITTENDRIN, ein Blatt für die Zielgruppe der über 55jährigen. Hier ist es den beiden cleveren Verlagsinhabern sogar gelungen, eine unbezahlte Redaktion zu gewinnen! Schließlich ist Seniorenarbeit ja ein ehrenamtliches Geschäft. Dass auch die MITTENDRIN-Beiträge nur die Füllsel für die zielgruppenorientierte Werbung sind, geht den ehrenamtlichen Journalisten scheinbar nicht auf. Soziales Ehrenamt als Konkurrenz für bezahlten Journalismus, - das wäre vor kurzer Zeit noch nicht denkbar gewesen. Hut ab vor so viel Cleverness!


Eine gigantische Verschwendung

Halbe Wälder gehen in die Papierproduktion, um diesen Wahnsinn zu ermöglichen. Durchschnittlich deutlich über 2.000.000 Zeitungen und Zeitschriften werden monatlich in dem kleinen Gebiet der Region bayerischer Untermain kostenlos verteilt. Das heißt: Jeder Bürger und jede Bürgerin – von der Neugeborenen bis zum Pflegeheiminsassen – erhält rund sechs kostenlose Blätter jeden Monat unter die Nase geklatscht. Vorausgesetzt, diese werden nicht gleich ins Altpapier entsorgt.

Auch andere Ressourcen fallen der Printwerbung anheim: Hektoliterweise Farbe, modernste Technik, vor allem aber menschliche Intelligenz, Kreativität und ganz allgemein jede Menge Arbeitskraft, die woanders erheblich besser gebraucht werden könnte, wenn es denn darum ginge, wirklich das Sinnvolle zu produzieren oder benötigte Dienstleistungen anzubieten. Aber statt guter Heimpflege oder gesunder Nahrung bekommen wir halt Millionen von unbrauchbaren oder schändlichen Publikationen.

Zwischen 165 Euro für eine A5-Seite bis hin zu mehr als 12.000 Euro für die Seite im Zeitungsformat (alles ohne Mehrwertsteuer) liegt der Satz, der aufzubringen ist, will jemand in diesen Blättern seine Produktwerbung unterbringen. Gerne wird zusätzlich bei guten Kunden auch ein redaktioneller Beitrag nach Kundenwunsch gestaltet und kann als ergänzende Leistung kostenlos oder auch gegen einen geringeren Preis ins Blatt gebracht werden.

Das Geld hierfür zahlen zuerst Industrie und vor allem Mittelstand und beweisen damit, dass bei ihm noch etwas zu holen ist. Dann aber versuchen sie, die Kosten durch überteuerte Produktpreise und Dienstleistungen wieder an die Endverbraucher weiterzugeben. Die haben diese Blätter nie bestellt, sollen aber den Preis dafür indirekt zahlen. Wo anders könnte man so etwas Betrug nennen.

Noch nicht berücksichtigt sind hier die Praktiken, die bei so genannten seriösen Blättern – in der besagten Gehend wäre dies das MAIN-ECHO Aschaffenburg mit seinen Lokalausgaben – üblich sind. Dies ist, ich gebe es zu, ein Thema, das ich mangels Einblick nicht bearbeiten kann.

Wer jetzt über die Dödel am Untermain lacht, die sich so eine Ausgeburt an verlegerischem Schwachsinn aufs Auge drücken lachen, dem oder der sei gesagt: Mach mal halblang! Diesen ganzen Unsinn gibt es grundsätzlich in jeder anderen bundesdeutschen Region auch! Und hier wie dort wird es kaum möglich sein, sinnvolle Inhalte in diese zu Papier gepressten ehemaligen Bäume zu bringen.




Anmerkungen:
Auf die Hinweise zu den Internetadressen all der erwähnten Werbezeitungen wird hier aus nahe liegenden Gründen verzichtet.
Wer sich dennoch Erhellendes durch die Lektüre dieser Seiten verspricht, sei an Google, Altavista etc. verwiesen.
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