Blitzmädels vom Fernseh-Fließband

Malte Olschewski 16.06.2006 16:49 Themen: Medien
=Tessa= ist =Schluchz!= um rund hundert Folgen verkürzt worden. =Tessa=, =Julia= und andere deutsche Telenovelas dienen zur Stabilisierung der herrschenden Ordnung.In diesen Serien wird selten etwas in Frage gestellt. Die billigen Produktionskosten werden in der Dramaturgie deutlich sichtbar. Die Quote beginnt nun die Form und Länge dieser Serien zu bestimmen. Paßt die Quote nicht,wird neues Personal insertiert.Oder die Heldin muß =sterben=.
Produktion und Sprache deutscher Telenovelas am Beispiel =Julia= und =Tessa=

=Wir müssen reden!= Tatsächlich, wir müssen reden darüber, warum am Fernsehschirm so oft die Rede davon ist, daß man reden müsse. =Laß uns darüber reden...Ich muß mit Dir reden....Komm, wir reden mal...= Vor allem die endlosen Formatschlangen von =Julia: Wege zum Glück= und =Tessa: Leben für die Liebe= vulgo ZDF und ARD werden alle paar Minuten von einem starken Drang zu einer Aussprache heimgesucht. Aber worüber man reden kann, das braucht man nicht darzustellen. Das kommt billiger. Man redet soviel miteinander, um Produktionskosten zu sparen. =Tessa= und =Julia= sind Blitzmädels vom Fernseh-Fließband: Hübsch, groß, blond, deutsch, blaue Augen und verziert mit dem schönen Schmuck geringer Produktionkosten. =Julia= war etwa im ORF Anfang Juni 2006 in der Nähe der 150. Folge. Sie soll noch hundert Episoden schluchzen, leiden und bangen, bis dann das Happyend mit Daniel droht.

Die Vorgängerin Julias war =Bianca=, die es auf 224 Folgen brachte. =Tessa= war auf 230 Episoden geplant, ist aber wegen sinkender Quoten gekürzt worden. Die Konsumenten beginnen, über die Quote die Länge, das Personal und auch die Produktionsform dieser Serien zu bestimmen. Die Couch-Potatoes haben immer schon durchgesetzt, was sie sehen wollten. Das ganze Elend des Fernsehens ist bei fehlendem Widerstand der Politik und der Journalisten von diesem Stamm der Glotzoiden verursacht worden.

=Tessa= oder =Julia= sind in der Herstellung sehr billig, wobei man mit rund 100 000 Euro pro Folge auskommen dürfte. Ein intelligenter Beobachter kann, falls er einige Folgen aushält, die günstigen Produktionskosten leicht feststellen. =Julia= und =Tessa= sind beide gegen Special Effects gewappnet. Sie weichen in einem weiten Bogen jeder Menschenmenge aus, denn Massen sind teuer beim Filmen. Mehr als fünf Personen in einem Bild wird man bei Julia und Tessa wegen der hohen Kosten nicht sehen.

=Wir müssen reden!= Diese oft ausgegebene Parole führt zu prolongiertem Geschwätz. Es wird mehr dialogisiert, als es die Dramaturgie erfordern würde. Gesprächspositionen werden mehrfach wiederholt und ausgewalzt. Man kommt auch mit ein paar Schauplätzen aus. Jeweils ein Dutzend Interieurs könnten schon genügen. Julia wandert sehr oft aus verschiedenen Anlässen durch das gleiche Wäldchen. Sogar bei den Zwischenschnitten wird gespart. So kann man bei =Tessa= immer wieder die gleichen Pferde in der gleichen Koppel sehen. Ist ein Zwischenschnitt etwa fünfzig Mal verwurstet worden, wird das gleiches Setting aus einem anderen Winkel aufgenommen. Zur Trennung von Dialogen dient bei =Tessa= auch eine sich ständig wiederholende Außenaufnahme der Markland-Klinik. Mit einer Blende über Blümchen und Topfpflanzen wird weiterer Übergang besorgt. Bei =Julia= ist oft eine Außenansicht der Villa =Gravenberg= der wiederkehrende Zwischenschnitt. Es handelt sich hierbei um die Hakenburg in Kleinmachnow bei Berlin, einem Bau mit einiger Geschichte in der NS- und DDR-Zeit. Ab 1935 haben hier Techniker der Reichspost Funkexperimente unternommen. Nach 1945 wurde die Hakenburg eine SED-Parteischule.

Wenig Geld kosten auch die inneren Monologe, zu denen sich Julia und Tessa immer wieder verpflichtet fühlen. Sie sitzen oder stehen irgendwo, um bei geschlossenem Mund jede Menge von Gemeinplätzen abzusondern: =Durch daaaine Lüübe habe ich die Krankhaaait besüücht. Das Künd ist die Frucht daaainer Lüübe.= Als Kinder der billigen Produktionskosten sind auch die vielen Rückblenden zu betrachten. Als optisch umgesetzte Erinnerung sieht man Szenen vergangener Episoden, die mit einem Farbfilter leicht verändert worden sind.

Alle deutschen Telenovelas spielen in einem bestimmten Milieu. =Tessa= ist Masseurin in einer Privatklinik. Bei =Verliebt in Berlin= als Konkurrenzprodukt von SAT 1 ist die Heldin in der Modebranche tätig. PRO 7 hat =Lotta in Love= bei der Musikproduktion angesiedelt. =Julia= ist eine Designerin in der Porzellan-Manufaktur Gravenberg. Daß sie ungeheuer begabt ist, wird dialogisch mehrmals erwähnt, indes bekommt man nie genau Tessas Entwürfe zu sehen. Viele in den Dialogen angesprochene Detials werden nicht gezeigt, denn das wäre mit Kosten verbunden.

Diese Serien sind verfilmte Groschenromane. Sie sind Kitsch in Reinform. Sie haben nichts mit der Realität zu tun, obwohl immer wieder gefordert wird: =Du mußt das auf die Reihe bringen bzw. kriegen= Am besten kriegt man dies oder das auf die Reihe, indem man sich =einkriegt= und zwar in dem Sinn, daß man sich wieder beruhigt und normal verhält. Ein jeder Dissident muß sich schleunigst =einkriegen=. Am besten kriegt man sich ein, wenn man mit den herrschenden Verhältnissen zufrieden ist. Es ist tatsächlich schwer, das alles =auf die Reihe zu bringen=. Es ist dies eine Reihe des Schreckens: Eine Reihe des Faselns und Quaselns. Eine Reihe, die aus Trashtalk, Reality-TV, Big Brother, Suche nach dem Superstar, Gericht-Shows und auas deutschen Telenovelas besteht. Die Verantwortlichen im Fernsehen sind nach Aufgabe jedes intellektuellen Anspruchs für immer damit bestraft, in einer leergefegten Landschaft neue Formate zu entdecken. Sie müssen aus der Tristesse Zucker saugen. Eifersüchtig beobachten sie den Rivalen. Sie imitieren seine Erfolge. Mit dem einen Auge schielen sie auf Vergleichsformate, mit dem anderen auf die Quote. Es ist kein Wunder, daß sie nicht mehr richtig sehen können.

Bei einem Sparprogramm für mehr als 200 Episoden kann man keine schauspielerischen Leistungen erwarten. Es gelingt keinem einzigen Darsteller, typische Gesten zu setzen oder mit unverkennbarer Mimik zu agieren. Sie alle sprechen das Einheits-Deutsch ihrer Schauspiel-schulen, denen sie gerade erst entsprungen zu sein scheinen: =Nüch wah! Du lüübst mich?= In manchen Sequenzen wirkt ihr Unvermögen nahezu peinlich. Julia, Patricia, Tessa und Nadine bis hin zu Tim, Kolja und die restlichen Völkerschaften, sie spielen ihre Rollen herunter, ohne den Hauch einer Individualität =einzubringen=. Dabei heißt es oft genug im Text: =Du mußt Düch mehhaa ainbrüngen!=

Schlichtheit darf auch von der Handlung erwartet werden. Dabei sind eigene =Scriptschulen= am Werk, um das einmal definierte Setting in Prinzip bis ins Unendliche zu dehnen und zu verlängern. Mehrere Drehteams stehen auf Abruf bereit. Es werden auch ständig die Regisseure gewechselt, die wie Ärzte den unvermeidlichen Tod des Patienten ein wenig aufschieben sollen. Anfangs treffen sich Bubi und Mädi, um sich auf immer zu verlieben. Dann kommt es wie schon in Millionen Romanen und nicht erst seit Hedwig Courts-Mahler zu diesen oder jenen Schwierigkeiten: Böse Menschen schleichen sich ein... Verwechslungen kommen vor... Falsch verstandene Worte... Irrungen und Wirrungen... Neue Partner... Doch am Ende fallen sich =Schluchz!= die anfänglich Liebenden wieder in die Arme. Das kann wie bei =Bianca= durchaus seine 224 Folgen zu 47 Minuten oder rund 10 530 Stunden dauern.

Jedes Drama braucht Bösewichter. Der Einzelne als genialer Schuft hat Auftrittsverbot, denn doppelt hält besser. Bei Julia und Tessa sind zur Sicherheit immer zwei Bösewichter am Werk. Tamara und Marcel haben sich gegen Tessa verschworen. Annabel und Jörg intrigieren gegen Julia. Mehrfach aufgefächerte Neben-handlungen schieben mit ihren Problemen das Ende hinaus. Auf den Unterschauplätzen tummelt sich das Jungvolk mit seinen Problemen. Das ist natürlich auch die =Lüüübe=, die durch den bevorstehenden, ersten GV verschärft wird. Das Ringen um die Maus geht extrem sauber und mit vollen Klamotten vor sich. Mia oder Jenny sind nur ein- oder zweimal im BH zu sehen. Obwohl sie so sehr und innig lieben, dürfen sich auch Tessa und Julia nur ganz ein kleines bißchen entkleiden. Nackheit samt Sex hätte wohl das treue Publikum ab 60 Jahren sehr verstört. Auf das ältere Publikum zielt auch die Abwesenheit von Ausländern oder Nichteuropäern.

Während sich in der =Pilcherisierung= (Rosamunde Pilcher als Chefautorin von Kitsch) des Abendprogramms und in den Kriminalserien positiv besetzte Schwarzafrikaner, Türken und Asiaten tummeln, weisen Julia und Tessa diese Gruppen weit von sich. Mit einiger Mühe kann gerade noch ein Homosexueller als Kumpeltyp der Silke gegen den bösen Jörg zur Seite stehen.

=Julia= und =Tessa= sind Steigbügelhalterinnen der gesellschaftlichen Ordnung. =Wenn Du mich brauchst, bin üch ümmer für Dich da!= In keiner Minute der ungezählten Stunden will die Realität Deutschlands sichtbar werden. Alles wird bejaht und abgenickt. =Üch kann die Hoffnung auf unsere Lüübe nüch auf den Tod aines Kündes gründen.= Dann und wann gibt es Probleme, die aber aus eigener Schuld oder aus der gesellschaftlicher Rangordnung resultieren. In der Porzellanmanufaktur regiert der Kapitalismus ebenso unangefochten wie in der Markland-Klinik. Die Manufaktur möchte mit neuen Mustern auf Porzellan den inter-nationalen Durchbruch schaffen. Marcel und Tamara arbeiten ohne Skrupel an gefährlichen Anti-Aging-Medikamenten. Ein Todesopfer genügt ihnen nicht. Sie suchen nach neuen Versuchskaninchen. Patriarch Werner Gravenberg hat im Rahmen seiner Darstellungskunst nahezu manisch die Werte der =Famiilje= beschworen. Er muß sterben. Die Familie zerfällt. Julia will einen Vaterschaftstest machen lassen, um Mitglied einer Familie zu werden. Daniels Beilager mit der Millionärserbin Marie war umsonst. Das =Künd= bleibt ungeboren. Die Gründung einer eigenen =Famiilje= will ihm nicht gelingen. Der böse Jörg macht Silke auch ein =Künd= und will nun ebenfalls Chef einer =Famiilje= sein. Die auffällige Betonung der Familie kann als ein Reflex darauf angesehen werden, daß es Deutschland immer weniger funktionierende Familien gibt. =Üch wüll es am liebsten hinausrufen und hinausschraien! Jötzt kommt das Glühhhüück! Ich hab aine Famiilje!=

In einer neuen Entwicklung bestimmen nun die Quote und die begleitende Publicity via Fanzine und Internet den Fortgang der Handlung. =Tessa= war ursprünglich auf 230 Kapitel konzipiert, hat aber die Quote nicht erfüllt. Daher wird =Tessa= ihrem Felix gute hundert Episoden früher endgültig in die Arme sinken. Diese Dramaturgie nach Quote ist auch in anderen Serien zu beobachten. =Verliebt in Berlin= wird ohne die Haupt-darstellerin Lisa Plenske fortgesetzt. =Lotta in Love= schleppte sich so sehr dahin, daß man den Schweizer Popsänger Patrick Nuo als neue Figur insertieren mußte. Es wird also unter Beobachtung der Quote produziert und dirigiert. Ist die Quote schwach, so wird sie durch den Eintritt neuer und möglichst markanter Schauspieler reanimiert. =Julia= hat im Gegensatz zu =Tessa= aus völlig ungeklärten Gründen die Quote gehalten, scheint sie auf Dauer zu keusch zu sein. Man will nun aus der beendeten Serie =Bianca= die böse Kathi zu =Julia= rüberholen, um sie dort ein wenig bumsen zu lassen. Das ist schließlich der einzige Weg zu ='ner Famiilje=.
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Ergänzungen

Hervorragend...

Maik 17.06.2006 - 11:03
Bravo!
Sehr schön pointiert.
Dazu: Maurizio Lazzerato. "Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus."
Wir brauchen eine aktuelle Medienkritik,
sonst gehen wir im Quotendreck unter.

M.

Kannitverstan

Malte Olschewski 17.06.2006 - 13:29
Ich kann als Autor von zwei Analysen über deutsche Telenovelas und die Fußball-WM die Gründe nicht verstehen, warum einige in ihrer Reaktionen das so heruntermachen. Das sei nicht würdig, das sei Bildzeitung-Niveau. Das sei Sommerloch. Das sei Spam usw. Sie reiten offenbar alle auf einem hohen Roß weit über den Massen. Die Telenovelas und die Fußball-WM sind Massenphänomene, die nach Analyse schreien. In den Jahren nach 1968 hätte man Bücher darüber geschrieben. Soll man das alles ohne jede kritische Notiz vorbeiziehen lassen, damit das Dumpftier Mensch überhaupt keine Chance mehr hat. Ich bitte um Zuschriften an meine Email =malte  olschewski@chello.at=. Was hätte denn =Würde= genug,um analysiert und kritisiert zu werden. Malte Olschewski

Thema etwas verfehlt

Peter Lustig 17.06.2006 - 14:34
Was ich sehr interessant fand war, daß die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" in diesen Serien Dialoge gekauft hatte und somit verkünden konnte, wenn der Arbeitslohn schön niedrig ist, geht es allen besser. Das ist Propaganda der besten Sorte. Das ist kritikwürdig, aber nicht der Artikel. Man könnte fast meinen, da ist jemand sauer, weil er oder sie nicht genommen wurde für solch Telenovela. Übrigens hat die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" nicht nur Dialoge gekauft, sondern auch Politiker (Grüne Metzler oder Metzger oder so ähnlich) und Pseudowissenschaftler. Die verkünden auch permanet, daß der Lohn niedrig, die Arbeitszeit verlängert und der Urlaub abgeschafft gehört. Dies allerdings nur für Arbeitnehmer, den Parias.

Also:
gekaufte Politiker und Pseudowissenschaftler nicht mehr zu Wort kommen lassen!

Übrigens ist das Fernsehen technisch sowieso bald out und Internetfernsehen in. Vielleicht sollte man sich nicht beschweren über die Staatsmedien, sondern selber Sache produzieren. Und wenn die dann realitätsnäher sind, haben die auch viel bessere Chancen. Also, ans Werk!

Aber Peter

Warhead 17.06.2006 - 19:09
Der Pöbel will doch gar nicht realitätsnah glotzen,er will bedudelt werden als Ablenkung von der Realität.Wie anders kann man sich die jahrzehntelange Misserfolgsstory von Bürgerkanalprogrammen wie offener Kanal erklären??
Das Programm das dort gemacht wird ist von Bürgern für Bürger,und dieses Vorgartenzwergprogramm ist so realistisch das sich die Einschaltquoten im Promillebereich bewegen.Also wenn wir schon Programm machen,dann Tollschock total,so obskur und an den Haaren herbeigezogen das es nur real sein kann.Nichts finde ich ja widerwärtiger als Volksaufklärung,eine anständige Rückverdummung muss her,bar jeden Wissens und Gewissens,frei von jedem Fachidiotentum.Schluss mit Erwachsenenbildung,ab jetzt gibts nur noch Bilderterror ohne ablenkende Texte.
Der Geschmack des Pöbels hat entschieden,also soll ers kriegen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Prädikat wertvoll — Peter G.

hossa — popossa

Sommerloch — Urlauber

kein Zwang — Physikus

ohne TV... — Nic