Hartzer Käse - Die Arbeitslosenindustrie I

alionsonny 09.06.2006 23:41 Themen: Soziale Kämpfe
In Zeiten, in denen der SPD Parteivorsitzende Kurt Beck mehr Anstand bei Beziehern von Leistungen nach dem SGB II einfordert und Politiker von CDU/CSU offen fordern die Leistungen nach SGB II noch mehr zu beschneiden, ist es an der Zeit nach den wahren Verantwortlichen für die hohen Kosten der sozialen Sicherungssysteme zu fragen.
Der Sozialstaat ist teuer. Viel zu teuer, wie viele meinen. Und tatsächlich sind die Ausgaben für Soziales gigantisch. Was viele allerdings nicht wissen, und was noch wenigere interessiert ist, wieviel Geld denn tatsächlich für die Menschen ausgegeben wird. Wer nämlich glaubt, daß allein die Bezieher von Sozialleistungen für die hohen Aufwendungen verantwortlich sind irrt ungemein.Ich möchte in diesem zweiten Teil meiner Artikelserie "Hartzer Käse" auf eine oft und gern übersehene Gruppe von Organisationen aufmerksam machen, die einen gigantischen Anteil vom Sozialkuchen abbeisst und sich meist auch noch als Wohltäter feiert: Die Arbeitslosenindustrie. Unternehmen, die allein aufgrund des Umstandes existieren, daß eine hohe Zahl Arbeitsloser existiert. Ein schon als pervers zu bezeichnendes Detail ist, daß diese Unternehmen sehr viel Geld aus dem steuersäckel erhalten, um Arbeitslose für den Arbeitsmarkt fit zu machen oder in Arbeit zu vermitteln. Daraus entsteht ein Interessenkonflikt, denn ein Unternehmen, das nur aufgrund einer hohen Arbeitslosenquote existiert, kann per Definition kein Interesse daran haben die Arbeitslosenquote zu senken.Alle Unternehmen werden in diesem Artikel aus rechtlichen Gründen mit einem Aliasnamen genannt. Bei begründetem Interesse bin ich bereit die wahren Namen zu nennen (bitte Mail schreiben). Ich bitte um Verständnis für diese Massnahme, aber ich möchte kein Risiko eingehen. Bei einigen der im Folgenden genannten Fälle handelt es sich um Erfahrungen, die ich selbst machen durfte. Andere Fälle wurden mir von Freunden berichtet.

Episode I: Die Wiedergänger

Im Jahre 1990 war ich arbeitslos und das Arbeitsamt vermittelte mir eine ABM-Stelle bei einem "Bildungsträger", nennen wir ihn "Berufshilfe e.V." in Hamburg. Die Massnahme hatte eine sogenannte Renaturalisierung eines Bachlaufs zum Ziel. Dieser Bachlauf wurde in der Vergangenheit begradigt, was der Natur wohl nicht gut tat. Unsere ABM-Truppe, bestehend aus ca. 12 männlichen und 2 weiblichen Teilnehmern und einem ständig betrunkenen Bauleiter hatte den Auftrag den Bach wieder schön krumm zu machen. Eigentlich kein schlechtes Projekt, wenn es denn funktioniert hätte. Die Projektdauer war auf 2 Jahre angesetzt, eigentlich mehr als genug um diese Aufgabe zu bewältigen. Nur funktionierte das Ganze überhaupt nicht. Der Bildungsträger hatte besagten ständig betrunkenen Bauleiter und 3 Sozialarbeiterinnen am Start um das Projekt zu beaufsichtigen und für dessen geordnete Durchführung zu sorgen. Stattdessen entwickelte sich das Projekt zum Säufer- und Nazitreff. Ein beträchtlicher Anteil der ABM-Kräfte war nämlich mit Fug und Recht als rechtsradikal zu bezeichnen und terrorisierte den nicht rechten Teil der ABM-Kräfte nach bestem Vermögen. Der Auftrag wurde nicht erledigt. Nach 1 1/2 Jahren wurde das Projekt offiziell als gescheitert erklärt. Die ABM-Kräfte saßen im Winter in den Baucontainern, tranken Bier und rauchten Grass. Im Sommer wurden Schubkarren zu Liegestühlen umfunktioniert und das "Baugelände" verwandelte sich in eine Liegewiese auf der ebenfalls bis zur Bewustlosigkeit gesoffen und gekifft wurde. Der Bauleiter machte sowieso bei jedem Gelage mit und die 3 Sozialarbeiterinnen hielten es nur äusserst selten für nötig etwas zu unternehmen. Wie gesagt, nach 1 1/2 Jahren wurde das Projekt als gescheitert anerkannt und fürs letzte halbe Jahr der Umbau einer alten Fabrik in Angriff genommen. Die Projektleitung blieb trotz erwiesener Unfähigkeit auch jetzt in "Amt und Würden". Lediglich der ewig alkoholisierte Bauleiter verschwandt. Wer nun denkt, daß solch ein Bildungsträger, der sich als unfähig erwiesen hat solche Projekte ordentlich durchzuziehen, nie wieder vom Arbeitsamt als Bildungsträger anerkannt würde, wird sich sehr wundern, denn:Zeitsprung ins Frühjahr 2005: Ich war wieder Arbeitslos und nun im gerade frisch eingeführten ALG II gelandet. Während arbeislose Bekannte längst Bekanntschaft mit ihrer Fallberaterin bei der zuständigen ARGE gemacht hatten, einige sogar schon in 1 Euro Jobs vermittelt waren, fragte ich mich, wann es für mich losgehen würde. Anfang Mai 2005 erhielt ich dann einen Brief meiner zuständigen ARGE. Ich solle mich melden. Nun dachte ich, ich würde einen 1 Euro Job machen müssen, und ging mit dieser Erwartung zur ARGE. Wie erstaunt war ich, als man mir eröffnete, man habe einen Vertrag mit einer Firma, die sich ein halbes Jahr intensiv darum bemühen sollte mich in eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Ich war baff und schöpfte gleichzeitig ein wenig Hoffnung. Man forderte mich auf, mich binnen einer Woche mit eben jener Firma, nennen wir sie "Werkzeit" in Verbindung zu setzen. Ansonsten gäbe es eine Leistungskürzung, so wurde mir auch gleich mitgeteilt.Also fuhr ich, da ich mir die Kosten für die Bahnfahrt sparen wollte per Fahrrad in die Innenstadt, ca. 30 Kilometer. Dort angekommen, durfte ich gleich wieder zurückfahren. Man nahm meinen Namen am Tresen auf, und sagte mir, ich würde Bescheid bekommen. 3 Wochen später trudelte per Post ein Schreiben ein, in dem mir mitgeteilt wurde, daß ich mich zu einem persönlichen Gespräch 2 Wochen später bei "Werkzeit" einzufinden hätte. Also setzte ich mich zwei Wochen später wieder aufs Fahrrad und fuhr in die Innenstadt. Dort angekommen absolvierte ich ca. eine Dreiviertelstunde Wartezeit in einem Warteraum, bis ich von einer sehr korpulenten Dame in ein Büro gebeten wurde. Diese Dame eröffnete mir nun, daß meine eigentliche Gesprächspartnerin, nennen wir sie "Frau Maus" leider heute nicht im Hause wäre. Meine mitgebrachten Bewerbungsunterlagen solle ich auch nächstes Mal wieder mitbringen. Ich bekam einen Termin für eine Woche später.Schon einmal in der Stadt gedachte ich mein Glück bei einigen der reichlich vorhandenen Zeitarbeitsfirmen zu versuchen. War da nicht direkt um die Ecke ein Laden, der nach Zeitarbeit aussah ? Ja, und als ich mir den Laden näher betrachtete, fiel mir sofort der Name "Berufshilfe e.V" ins Auge. WIE ??? Das machte mich neugierig und ich erfuhr, daß in diesen Geschäftsräumen keine Zeitarbeitsfirma im herkömmlichen Sinne saß, sondern, daß hier 1 Euro Jobs vermittelt würden. Na, das passte ja: Früher schrottige ABM-Projekte in den Sand setzen und heute 1-Euro-Sklaventreiber. Ich machte mich, entsetzt und etwas nachdenklich, schnellstens vom Acker.Also, gleiches Spiel eine Woche später: Rauf aufs Rad und ab in die Innenstadt. Hält ja fit sowas. Am Tresen teilte man mir zu meiner großen Erleichterung mit, daß "Frau Maus" im Hause sei, aber noch einen anderen Kunden im Zimmer habe. Ich solle mich gedulden. Nach einer guten halben Stunde kam "Frau Maus" eine gutaussehende sehr sportliche junge Dame mit sportlich jung dynamischem Äusseren in den Warteraum um mich in ihr Büro zu bitten."Frau Maus" war sichtlich desinteressiert an meinem beruflichen Werdegang, meinen Zielen und eigentlich allem was mit meinem Berufsleben zu tun hatte. Viel interessanter fand sie meine Musikertätigkeit und sie genoss es sichtlich mit mir herumzuwitzeln und über belanglosen Blödsinn zu lachen. Eine wirklich nette Frau und bei anderer Gelegenheit hätte ich ihre Gesellschaft sicherlich sehr genossen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich "Frau Maus" allerdings entlocken, was "Werkzeit" denn für ihre Bemühungen an Geld für jeden "behandelten Fall" erhielt. "So um die 5000 Euro", sagte sie. Ich dachte zu diesem Zeitpunkt "Na ja, wenn die sich ein halbes Jahr voll ins Zeug legen Dir nen Job zu vermitteln ist das ok". Frau Maus verabchiedete sich nach Austausch unserer Mailadressen überschwänglich freundlich und fragte mich gar noch, wo sie denn meine Musik runterladen könne. Sie würde sich melden, sobald sie was für mich hätte. "Das dürfte leicht sein, eine Person mit Ihren Qualifikationen zu vermitteln", so machte sie mir Hoffnung.Eine lange Zeit geschah nichts und ich hatte meine Helfer bei "Werkzeit" schon fast vergessen. Und auf einmal rief "Frau Maus" an, voller Überschwang. Eine "Top-Firma" sei an mir interessiert, und sie wolle mich informieren, "daß sich was tut". Wow, das war ein Hammer. Monatelang, ja jahrelang hatte ich versucht eine Arbeitsstelle in einem Softwareunternehmen, egal welcher Gattung zu finden, und nun hatten die Leute von "Werkzeit" es binnen verhältnismässig kurzer Zeit geschafft, ein "Top-Unternehmen" für mich zu interessieren. Schön wäre es gewesen, aber danach hörte ich weder von "Frau Maus", noch der Firma "Werkzeit" nichts. Ich vergass das ganze, bis dann eines Tages das Telefon erneut klingelte und "Frau Maus" mir mitteilte, daß meine 6 Monate Vermittlungszeit vorüber wären. Es täte ihr unglaublich leid, daß es mit der "Top-Firma" nix geworden wäre, aber wie ich ja schon selbst gesagt hätte, wäre mein fehlendes Informatikstudium ein echtes Einstellungshemmnis. Jetzt kommt der Hammer: "Frau Maus" wollte nun tatsächlich für die Statistik wissen, ob ich mit dem "Service" von "Werkzeit" zufrieden wäre. Das war zuviel. Ich sagte ihr offen, daß es einen solchen Service meines Erachtens nie gegeben habe, und sie war sichtlich enttäuscht. Was hatte sie erwartet. Nun wollte ich wissen, wer "Werkzeit" wirklich ist, und recherchierte ein wenig. Ein Blick ins Impressum der Website genügte: Gesellschafter ??? "Berufshilfe e.V" !!! Das haut rein. Ein sogenannter Bildungsträger, der seit mindestens 16, in Buchstaben SECHZEHN Jahren für vermurkste Projekte im Bereich Erwachsenenbildung, Wiedereingliederung, Aktivierung bekannt ist hatte in diesem Laden ebenfalls die Finger drin. Na, Halleluja, Gott seis getrommelt und gepfiffen.Wer denkt, daß dies die Höhe an Frechheit der Arbeitslosenindustrie ist, wird sich über Teil 2 wundern. Es geht weiter, schonungslos. Stay tuned...
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Ergänzungen

Yep!

anarc 10.06.2006 - 12:35
Vor einigen Jahren habe ich eine zwejährige Umschulung zum "IT-Systemkaufmann" gemacht - ich hatte von Computern null Ahnung und war extrem daran interessiert, mich für Büro-Jobs fit zu machen. Über 120.000 DM hat das gekostet - zusätzlich zum Arbeitslosengeld.

In dem namhaften "Berufsbildungsinstitut" wimmelte es nur so von Pfeifen, die sich dort nur hielten, weil sie Amigos des ebenfalls alkoholkranken Leiters unserer Filiale waren. Beispiele:
Eine ehemalige Sekretärin und absolute geistige Tieffliegerin hätte uns in 10 Wochenstunden beibringen sollen, wie man ein NT-Netzwerk aufbaut. Als sie es am dritten Tag immer noch nicht geschafft hatte, setzte sie sich einfach hin, löste Kreuzworträtsel und ließ die Leute "Unreal Tournament" spielen - immerhin ließ sich mit der Spiele-Software ein funktionierendes Netzwerk aufbauen.
Ein ehemaliger "Top-Manager" eines Keramikbetriebes - er haute sich stündlich irgendeine Psycho-Pille ein - erzählte uns stundenlang Geschichten, wie er in Arabien Fließen verkauft hat, um uns Marketing beizubringen. Die Geschichte beispielsweise, wie er die bereits montierte Riesen-Fliese mit dem Namenszug eines Hotels hat auswechseln lassen, weil ein kleines Loch darin war, hat er uns mindestens 10 Mal erzählt. Als mal ein fitter Typ mit Ahnung kam, der uns einige Stunden in Markenrecht gegeben hat, kollidierten die zwei und der junge Mann wurde weggemobbt.
Lediglich ein Dozent in dem Betrieb konnte Festplatte und Grafikkarte auseinanderhalten und uns wenigstens Grundkenntnisse beibringen.

So gings die ganze Zeit. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, von morgens um Acht bis mittags um Vier meine Zeit zu verschwenden und blieb meistens zuhause. Mit Internet-Tutorials und Büchern konnte ich mich wesentlich besser kundig machen, wie in dieser Schule - dort mußte man nämlich bis zu 10 Minuten warten, bis mal eine Seite im Browser endlich fertig geladen war - so schlecht war die Verbindung. Und "Unreal Tournament" war mir schnell zu langweilig geworden. Am Schluß war ich deswegen wohl unter den 5 Besten von 24 Leuten - die anderen vier waren ebenfalls nur phasenweise da.

Da ich allerdings die krassesten Fehlzeiten hatte - unter 50% Anwesenheit in der Umschulungszeit insgesamt - gab's am Schluß totalen Streß mit dem Arbeitsamt. *Ich* sollte doch tatsächlich die 120.000 DM für die Maßnahme bezahlen. Ich legte schriftlich und mündlich sehr fundiert und ausführlich dar, warum dieser Betrieb ein Skandal ist und eine öffentliche Untersuchung notwendig wäre und siehe da: das Problem war erledigt. Ich bekam meinen Abschluß (der völlig wertlos ist) und gut war's. Als ich den Leiter von der für mich zuständigen Abteilung des Arbeitsamtes und den Leiter des Umschulungswerkes mal zusammen beim Plausch beobachtet habe, war mir klar warum: die beiden kennen sich seit langem und sind äußerst gut miteinander befreundet.

Die selbsterlernten Inhalte haben mir allerdings viel gebracht. Ich ergatterte einen Super-Job in einer Konzert-Agentur auf der Basis einer Ich-AG, machte ein schlüssiges Konzept für eine eigene Firma im Bereich Kulturwerbung im Internet, schaffte mir einen nett großen Kundenstamm und war gerade beim Absprung (ohne dabei als Konkurrent meiner Firma aufzutreten), als ich plötzlich durch die Übernahme der Gesamtverantwortung für mein Kind nicht mehr in der Lage war, durchschnittlich 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Zuerst hieß es "wir brauchen einen ganzen Mann und keinen halben" und dann strauchelte ich noch ein Vierteljahr von Job zu Job bis ich erstmal erbost aufgab. Die eigene Firma habe ich bereits zu Anfang gekickt, weil ich kein verwahrlostes Schlüsselkind großziehen will, das unter der beruflichen Belastung seiner einzigen Bezugsperson zum Neurotiker wird. Jetzt bin ich wieder arbeitslos, denn so einen wie mich kann keiner brauchen. Und beim Einkaufen treffe ich immer auf Bekannte, die über das Übermaß an Arbeit stöhnen, das ihnen ihre Firmen abverlangen (und im Jugendzentrum laufen leuter Neurotiker rum).

Ach ja: diese sehr persönliche Schilderung kollidiert sicher mit dem Sicherheitsbedürfnis einiger linker GenossInnen wegs Web 2.0 und dem Geschnüffel der Sicherheitsorgane (  http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,420514,00.html ). Doch dies ist mir völlig egal - ich bin im Gesamtzusammenhang viel zu unwichtig, als daß ihnen ihr Stasi-Scheiß irgendwas bringen würde. Wir sollten uns von Propaganda-Organen wie dem Spiegel und einigen Netz-Paranoikern nicht kirre machen lassen. Eine freie Kommunikation ist die Grundlage dafür, daß wir dieses System knacken können. Und das Maß der Repression richtet sich nach dem Maß der Instabilität dieses Systems und wird so oder so (hoffentlich, sic!) steigen.



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