In Nürnberg liegt so einiges im ARGEn

Tom_ 17.04.2006 22:11 Themen: Soziale Kämpfe
Es ist ja keine neue Erfahrung, daß ARGEn ihre "Kunden" gerne in den billigsten Wohnungen sehen wollen, aber die ARGEn in Nürnberg schießen im Moment wieder den Vogel ab.
Noch im März vergangenen Jahres meldeten die Nürnberger Nachrichten zum Thema "Umzugsaufforderungen der ARGEn" beruhigend folgendes:

Sozialreferent Prölß sagt „auf jeden Fall eine Einzelfallprüfung“ zu.
 http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=319083&kat=10&man=3

Finden diese nun statt? Nein, wie die Praxis zeigt. Immer noch werden fotokopierte Schreiben verschickt mit ein paar handschriftlichen Ergänzungen. Immer noch werden die Betroffenen nicht über ihre Rechte aufgeklärt und auf mögliche Ausnahmetatbestände aufmerksam gemacht. Auf Anfrage verweist man lediglich an die Widerspruchsstelle.

Nehmen wir uns zwei Beispielfälle von vielen vor:

1.) Als ob der Schicksalsschlag nicht aussreichte, daß der Ehemann von einer Autofahrt nicht mehr zurückkam, nein die ARGE mußte noch eins draufsetzen. Die gebeutelte Frau. Der Ehemann war bei einem Autounfall ums Leben gekommen und hinterlies seine Frau und drei kleine Kinder. Als Folge dieses Schocks erkrankte die Witwe und kämpfte sich unter anderem durch eine Lungenentzündung. Daraufhin genehmigte man ihr eine Kur.

Als sie von der Kur zurückkehrte, da erwartete sie dann der nächste Schock: Ein Brief der ARGE Nürnberg. Die Wohnung sei nun zu groß, weil ja schließlich ein Bewohner weggefallen sei und auch zu teuer. Sie solle in einem halben Jahr spätestens umgezogen sein. Davon abgesehen, daß es auch für die Kinder nicht sinnnvoll ist, sie in dieser Situation auch noch zusätzlich aus der gewohnten Umgebung zu reißen.

Es begann ein harter Kampf mit den herzlosen Mitarbeitern der ARGE. Nicht nur wollte man sich keineswegs erweichen lassen, sondern man setzt noch ein weiteres drauf. Man versuchte der geschockten Frau auch noch klarzumachen, daß sie selbst für alle Umzugskosten aufzukommen habe. Schließlich müsse sie ja Freunde und Bekannte haben, die seien verpflichtet ihr zu helfen. Von der ARGE würde es jedenfalls kein Geld geben. Man tat letztlich alles um die Verzweiflung der Witwe noch zu erhöhen. Es kam wie es kommen mußte: Die Folge, eine schwere Depression.

Die Frau hatte Glück, ein Nachbar hatte durch Zufall von den Problemen erfahren und sich kundig gemacht. Er besorge ihr alle nötigen Informationen, Gesetztestexte usw. und so konnte letztlich die ARGE doch noch zum Einlenken bewegt werden.

Hat die ARGE daraus gelernt? Nein, wie Fall Nummer zwei vom April diesen Jahres zeigt:
Die Ausgangssituation. Die Wohnung ca. 80 Quadratmeter. Bewohnt von einer 78jährigen Frau und ihrem Sohn. Dieser kümmert sich seit langem um die gehbehinderte und an Altersdemenz erkrankte Mutter. Die Wohnung ist aufgeteilt in zwei Bereiche von dem die Mutter einen bewohnt und er den anderen. Zwischen den beiden gibt es einen vom Vermieter genehmigten Untermietvertrag. Danach nutzt er von der Wohnung rund die Hälfte, wofür die ARGE die hälftige Miete übernimmt...bisher. Die andere Hälfte wird aus der Rente der Mutter finanziert.

Nun kam es zu einer Mieterhöhung von rund 23 Euro und die ARGE teilt mit:
Die Wohnung ist zu teuer. Sie haben eine Frist von 6 Monaten die Miete zu senken oder sich eine billigere Wohnung zu suchen. Die ARGE mutet also einen Umzug zu, wegen nicht einmal 12 Euro im Monat die sie zu zahlen hätte. Denn sie zahlt ja von der Miete nur exakt die Hälfte!

Das alles wäre schon schlimm genug, wenn der betroffene Erwerbslose nicht zusätzlich auch noch selbst erkrankt wäre. Der ARGE bekannt war zum Zeitpunkt der Aufforderung, daß der Betroffene gerade wenige Tage vor einer Operation stand, die seine achte in den letzten Jahren sein würde. Der Betroffene ist seit längerem selbst krankgeschrieben, leidet unter anderem an behandlungsbedürftigen chronischen Schmerzen. Dazu kommen noch weitere Probleme, wie zum Beispiel die Notwendigkeit einer nächtlichen Beatmung mittels eines sogenannten Überdruckbeatmungsgeräte. Seine Mutter steht ebenfalls vor einer Operation in wenigen Wochen.

Ist das Schamgefühl der Behörden inzwischen so tief gesunken, daß man selbst in solchen Fällen nicht mehr davor zurückschreckt, die Leute zu schikanieren?

Inzwischen hat der Betroffene übrigens seine Operation gut hinter sich gebracht und befindet sich auf dem Weg der Besserung, wird aber noch lange Zeit krankgeschrieben sein. Noch ist nicht klar, wie er den Kampf gegen die Willkür und Herzlosigkeit der Behörde führen wird, denn wie soll er, wenn er die Hände derzeit nur wenig benutzen kann?

Die Betroffenen brauchen Solidarität in der Gesellschaft. Die beiden Fälle sind nur zwei Beispiele von vielen tausend ähnlichen oder noch schlimmeren. Wir dürfen nicht aufgeben die Medien auf diese Mißstände eines kranken Systems aufmerksam zu machen, das seine Schwachen schlichtweg mies und menschenverachtend behandelt.

Bei den ARGEn liegt wirklich vieles im ARGEn.
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Ergänzungen

So eine Schweinerei!

MAIer 17.04.2006 - 23:44
Sollte auf der folgenden Veranstaltung eingebracht werden und auf der 1.Mai-Demo in Nürnberg!

Schwarzbuch Hartz IV. Sozialer Angriff und Widerstand - Eine Zwischenbilanz

Fr., 21.4.06, Metroproletan Archiv+Bibliothek, Eberhardshofstr.11 HH, Gostenhof, 19.30 Uhr.


Die Agenda 2010 und die verschiedenen Hartz-Gesetze stellen eine neue Dimension des sozialen Angriffs in der BRD dar, die zukünftig zu verschärften sozialen Konfrontationen führen wird. Hartz IV ist nicht für sich allein zu begreifen. Die darin angesetzten Strategien sind nicht einmal spezifisch für den "Sozialsektor". Sie betten sich ein in eine umfassende Offensive, die arbeitstechnische, sozialtechnische, informations- und telekommunikationstechnische Seiten, Kontrolltechniken des öffentlichen Raums, Zugangsgrenzen etc. miteinander vereint.

Mag Wompel von Labournet und ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Nürnberger Arbeitsloser werden auf der Veranstaltung eine umfassende theoretische und praktische Einordnung und Bewertung des fortschreitenden sozialpolitischen Angriffs vornehmen.

Ein wichtiger Aspekt ist die Auswertung einer bis Ende 2005 durchgeführten bundesweiten Befragung von Arbeitslosen zu ihrer Situation in den Arbeitsagenturen und bei den externen Trägern von Zwangsmaßnahmen.

Es wird auch eine Reihe konkreter Tipps und Tricks für Arbeitslose geben, die von den beteiligten Beratungsinitiativen zusammengestellt wurden - unter anderem bei verschärfter Verfolgungsbetreuung durch den sozialschnüffelnden Prüfdienst. Ein Aktivist der Kampagne "Agenturschluß" wird neue Möglichkeiten des individuellen und des kollektiven Widerstandes Verfolgungsbetreung und Sozialraub aufzeigen.

Ergänzung

Tom_ 18.04.2006 - 11:08
Besonders interessant in diesem Zusammenhang: Nürnberg sieht sich als die Stadt der Menschenrechte und hat extra um dies zu demonstrieren eine Reihe von Objekten errichtet auf denen die entsprechenden Texte auch zu lesen sind. Ein reines Lippenbekenntnis, denn in der Realität werden hier die Rechte der Leute genauso mit Füssen getreten, wie anderswo auch. Es schützt dagegen nur ein dickes Finanzpolster.

 http://www.br-online.de/land-und-leute/thema/ns-doku-zentrum/stadt_der_menschenrechte.xml
"...Das neue Dokumentationszentrum ist ein weiterer Mosaikstein im Bestreben, sich für Menschenrechte und gegen Unterdrückung einzusetzen. Seit 1995 vergibt die Stadt einen Preis für Menschenrechte. Damit soll das andere, moderne und weltoffene Bild der Frankenmetropole dokumentiert werden..."

Stadt der Unmenschlichkeit

Anarchist 18.04.2006 - 17:09
Den Titel "Stadt der Menschenrechte" hat Nürnberg von der UN kaufen müssen: etwas für den offiziellen briefkopf der Stadt usw. Hat natürlich in der Realität nix zu bedeuten.

Ebenso das sog. Doku-Zentrum.Diese Sache dient u.a. zur Musealisierung der Nazi-Verbrechen.D.h. zur Relativierung dieser Verbrechen,als Pöstchen für Alt-Rote,die man so herrlich damit korrumpieren konnte und desweiteren zur Legitimierung der neoimperialistischen Rolle der BRD.

bitte richtig berichten

besserwisser 18.04.2006 - 18:59
das einiges im argen ist in den argen ist zwischenzeitl auch dem letzten klar. bitte berichtet dann aber richtig. nicht die mutter wurde zum umzug aufgefordert sondern der sohn. die mutter erhält nämlich mit 78 kein leistungen mehr nach dem sgb 2.
in wieweit der sohn a) mehreinkommen und oder b) in einer wohnung wohnt die evtl auch zu gross ist oder c) er nicht mit der arge gesprochen hat, ist aus dem text nicht zu erkennen. manchmal reicht auch aus darzulegen weshalb kein umzug erfolgen kann.
was hatte eigentlich die frau getan, wenn der ehemann verstorben wäre und sie nur noch witwenrente bekommt mit der sie die wohnung nicht halten kann? und wann ist eigentlich die pietätsfrist um? 20 jahre oder nach der kur die ja offensichtlich erfolgreich abgeschlóssen wurde?
mann kann das sgb2 ja als schrott usw bezeichnen und entsprechende beispiele finden, dann aber doch richtige und schlagkräftige und keine auf BLÖD niveau.

Hintergrund

Gerd 19.04.2006 - 00:41
Das Beispiel ist kein Einzelfall. Hintergrund ist, dass oft gerade solche Leute den Posten in den ARGEN gern ausführen, die sich immer schon durch das Quälen Andere abreagieren wollten. Wer irgendein Gewissen hat, versucht diesen Job nicht mehr zu machen. Schließlich geht es hier nur noch um möglichst weitgehende Kostenersparnis, egal ob dabei Leute existenziell draufgehen. Abweichende Betreuung ist kaum noch möglich. Die internen BA-Anweisungen sind rigide ausgelegt, wer davon abweicht läuft Gefahr gemobbt zu werden.
Wesentlich sind jedoch die gesetzlichen Vorgaben. Sie entrechten die Betroffene nahezu, kalkulieren ein, dass sie aus Angst vor Kürzungen, ihre Rechte nicht wahrnehmen bzw. psychisch nicht wahrnehmen können. Genau genommen wird hier der rassistische Geist mobilisiert und erhält durch den Gesetzgeber die nötigen Rahmenbedingungen.
Söder will ja laut Handelsblatt vom 13.04. noch schjärfer zusdchlagen. Was hier läuft ist reine Existenzvernichtung der Schwächeren zugunsten der wirtschaftlich Starken. Man ist nur bemüht dies möglichst "legal" über die Bühne zu bringen. Na ja. Hitler kam ja auch "legal" an die Macht....

Ergänzungen zu Gerds Hintergründen

Tom_ 19.04.2006 - 01:29
Gerd spricht auf die Forderung der CSU an die wie folgt lautet: "...Hartnäckigen Jobverweigerern müssen bis zu 50 Prozent der Unterstützungsleistungen gekürzt werden können", sagte CSU-Generalsekretär Markus Söder dem «Handelsblatt». Im Zweifelsfall müsse dies auch für den Mietzuschuss gelten. Mit entsprechenden Änderungen befasse sich derzeit die Arbeitsgruppe der CDU/CSU, die bis zum Frühsommer ein Kombilohn-Konzept vorlegen soll.

Fraglich ob Leute die dank eines solchen Konzeptes obdachlos geworden sind, dann mit mehr Begeisterung ihre Arbeitspflicht erfüllen.

Die Forderung dürfte in einer Reihe mit jener zu sehen sein, die schon zur Zeit der Schröder Regierung aus Reihen der Union auftauchte, nämlich jener, daß man darüber nachdenke Langzeitarbeitslosen letztendlich eine Massenunterkunft zuzumuten.

Bald regiert die Gewalt !

Jonathan 19.04.2006 - 14:54
Es ist doch bloß noch eine Frage der Zeit,irgendwann wird einen (mehreren)
Arbeitslosen/Geringverdienern/Armen der Geduldsfaden reißen-sprich die Sicherungen rausfliegen,dann haben wir "Steinhäuser" nicht nur in der Gutenberg-Schule
sondern vielleicht auch auf der nächsten ARGE-Sozialamt-Behörde/Gericht etc.oder Söder passiert das was mit Lafontain/Schäuble vor 16 Jahren passiert ist.
Dann werden alle,insbesondere einige Medien ach,her je schreien,und Politiker weitere Einschnitte in bürgerliche Freiheiten (von denen es jetzt schon nur zu wenige gibt)fordern.
Vermutlich will man ja gerade das,daß Jahrhundert ist noch jung,auch wenn man immer
wieder behauptet Geschichte wiederholt sich nicht-ich wäre mir da in 20-30 ig Jhren oder sogar schon eher nicht so sicher.
Es ist ein Witz wenn gerade Leute wie Merz (in der eigenen Partei wird er als Merz-Spezialdragee gehandelt) die 32!!! Nebenverdienste haben,ausgerechnet das HartzIV-Almosen als zu hoch werten.
Wie lange dürfen diese Herren sich noch ungestraft als Christen bezeichnen?!
Wenn wir nicht die gleichen Fehler wie unsere Großeltern machen wollen,müssen wir jetzt handeln auch wenn es schon fünf vor zwölf ist!

bitte richtig2

besserwisser 19.04.2006 - 23:24
Betrifft hintergrund v. Gerd:
Gerd nur zur info: es gibt hinsichtlich der wohnungskosten keine weisungen der bundesagentur für arbeit. dieser bereich wird nur durch weisungen der kommunen geregelt, da die geldmittel aus diesem bereich kommunales geld sind.
für fachliche weisungen, welche wohnungsgrössen angemessen sind, wann ein umzug zu verlangen ist, ist immer nur die kommune zuständig, darum unterscheidet sich das verfahren auch in vielen städten und landkreisen.
im übrigen ist das verfahren zur aufforderung der senkung der wohnungskosten noch kein verwaltungsakt der mit widerspruch/klage angefochten werden kann sondern die ankündigung eines belastenden verwaltungsaktes (anhoerung).
erst die konkrete entscheidung, dass ein umzug erfolgen ´muss ist anfechtbar.

Klare Ausrichtung

eina 20.04.2006 - 13:21
Dem Druck den die Arge ausübt, der Einschüchterung, Entrechtung und Entwürdigung liegt eine starke, kaum zu Übersehende profitoriertierte, den Interessen des Kapitals dienenden Logik zugrunde.

Gerade auch gegen diese konzeptionelle Ausrichtung ist die Kampagne Agenturschluss schon 2004 in die Öffentlichkeit gegangen.
Einer ihrer Kernaussagen bezieht sie sich dabei genau auf diese Zielrichtung der Kontrolle und Ausübung von Zwang gegenüber den erwerbslosen »KundInnen«. Dieses strukturell repressive Vorgehen der lokalen Arge-Standorte ist ein Angriff auf uns alle, gleichermaßen für Erwerbslose wie für Lohnarbeitende.

Für diejenigen, die lohnarbeiten, als Erpressung zu Mehrarbeit und Lohnverzicht. Für diejenigen, die erwerbslos sind, als Leistungskürzung und Zwang in Billigjobs.
In der Auseiandersetzung darum, gibt es immer mehr Menschen, die sich dagegen wehren. Immer wieder sind Erwerbsloseninitiativen im Entstehen und auch im Wachsen und treten kontinuierlich auf den Plan. Sich konkret mit den Verhältnissen vor Ort auseinanderzusetzen
und diese auch konkret zu verändern, ist die Perspektive unseres Widerstandes.

zu den angesprochenen Verwaltungsakten wäre noch folgendes anzumerken:
Da ist von einem „verfahren zur aufforderung der senkung der wohnungskosten“ die Rede, doch die Arge versendet auch einfach Kürzungsbescheide bei angeblich zu hohen Mietkosten. Diese Bescheide besitzen sehrwohl eine gewisse Rechtsgültigkeit und stellen auf jeden Fall zunächst einmal eine reale Bedrohung dar.

Neues zum Artikel

Tom_ 20.04.2006 - 22:54
Inzwischen ist gelungen, was lange unmöglich schien, ein Team des ZDF wird nächste Woche in Nürnberg beiden Fällen nachgehen. Wollen wir hoffen, dass damit eine Wende in der öffentlichen Berichterstattung erreicht ist.