Venezuela: Proteste oder Oppositionsstrategie

Anna Krämer 10.04.2006 04:53 Themen: Medien Weltweit
Einige Ereignisse haben in den letzten Tagen in Caracas und anderen größeren Städten Venezuelas zu Protesten der Opposition geführt. Auslöser war die Nachricht über die Ermordung der vor einem Monat entführten Söhne des kanadisch-venezolanischen Geschäftsmannes Faddoul und deren Chauffeurs. Die drei Jungen und der Chauffeur waren vor circa einem Monat auf dem Weg von der Schule nach Hause bei einer vermeintlichen Polizeikontrolle entführt worden. Der Fall hat besonders deswegen für Aufsehen gesorgt, weil vermutet wird, dass Polizisten in die Entführung verwickelt sind. Die Nachricht vom Tod der Entführten war Auslöser für Proteste und Straßenblockaden von einigen hunderten von Menschen. Die Meldung von BBC und Reuters, dass gegen die Demonstranten Tränengas eingesetzt worden sei, wurde durch die venezolanischen Medien nicht bestätigt.
Im Rahmen einer Kundgebung an der Universität kam es allerdings zu einem weiteren Zwischenfall. Ein Photoreporter der Zeitung "El Mundo", welcher sich mit seinem Fahrer auf dem Weg zu besagter Kundgebung befand, wurde bei der Abfahrt von der Stadtautobahn von einem Motorradfahrer, der sich laut der Aussage des Fahrers als eine "Autorität" ausgab, angehalten und dazu aufgefordert an dieser Stelle nicht weiter zu fahren. Fahrer und Journalist wollten sich aber nicht hindern lassen und als der Journalist ausstieg, um mit dem Motorradfahrer zu sprechen, zog dieser einen Revolver und schoss ihm dreimal in die Brust. Der Journalist schaffte es noch ein Bild von dem fliehenden Schützen zu machen. Er erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Die Opposition versucht nun diese Vorfälle zu nutzen, um die Regierung zu destabilisieren und deren Unfähigkeit zu beweisen. So wurde im ersten Moment von "El Mundo" berichtet, dass es sich bei dem Motorradfahrer wie im Fall der Entführer der Faddoul-Brüder um einen Polizisten gehandelt habe, was im Nachhinein allerdings nicht zu beweisen war. Das Thema wird extrem emotionalisiert, womit die Angst der Mittelschicht vor der Gewalt und Unsicherheit künstlich angeheizt wird. Neben den Straßenprotesten reagierte die Opposition mit dem traditionellen lateinamerikanischen Trommeln auf Töpfen zur Essenszeit und in dem Reichenviertel "Altamira" gingen Jugendliche nachts auf die Straße, machten Feuer und schrieben das Wort "luto" - "Trauer" auf parkende Autos. Der Innenminister Jesse Chacón kündigte daraufhin in einer Fernsehansprache eine Polizeireform an, um Gewalttaten durch Angehörige der Polizei vorzubeugen.

Tatsächlich handelt es sich um ein problematisches Thema. Selbstverständlich sind die Morde zu verurteilen, um so mehr, wenn sich herausstellt, dass tatsächlich staatliche Institutionen darin verwickelt sind. Allerdings geschehen Morde in Caracas und in allen Metropolen der Welt täglich. Die beschriebenen Ereignisse werden von der Opposition für ihre Zwecke genutzt. Gleichzeitig geschehen in den Armenvierteln Morde von denen nie berichtet wird. Noch weniger berichten die privaten Medien von den Morden an Campesinos der Bauernbewegung durch die Großgrundbesitzer. Es scheint also durchaus berechtigt, wenn die Studenten an der bolivarischen Universität auf Plakaten fragen, warum man über die Morde in den Armenvierteln nicht klagt und ob diese Menschen mit einem anderen Maß gemessen würden als die Kinder des Geschäftsmannes Faddoul.

Die ausländischen Medien, wie BBC und Reuters folgen in ihrer Berichterstattung der der oppositionellen Medien, was dazu führt, dass das negative Bild der venezolanischen Staatsführung im Ausland verstärkt wird. Im Sinne eines kritischen Journalismus verlangt der Umgang mit solchen Pressemitteilungen demnach eine Reflexion der Berichte, um nicht in die Strategien der führenden oppositionellen Medien eingebunden zu werden.

Quellen: Ultimas Noticias vom 06.04.2006, El Universal vom 06.04.2006,  https://www.movimentor.net/articles/2006/04/06/eskalation-um-kriminalit%C3%A4t vom 06.04.2006 (Zugriff: 09.04.2006),  http://de.today.reuters.com/news/newsArticle.aspx?storyID=2006-04-06T113946Z_01_MAI641213_RTRDEOC_0_VENEZUELA-AUSSCHREITUNGEN.xml - Pressemeldung von Reuters am 06.04.2006 (Zugriff: 09.04.2006),  http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/4881848.stm - Artikel vom 06.04.2006 (Zugriff: 09.04.2006).
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Ergänzungen

andere Quelle

heidi 10.04.2006 - 20:58
Der Vorfrall wird auch auf venezuelanalysis gemeldet:
 http://www.venezuelanalysis.com/news.php?newsno=1936

Junge Welt

malegría 10.04.2006 - 21:48
Interesse an mehr Gewalt

Nach Entführung und Morden in Caracas mobilisiert venezolanische
Opposition gegen die Regierung. Parallelen zu Situation vor Putsch im
April 2002 [...]

Junge Welt, 10.04.2006
 http://www.jungewelt.de/2006/04-10/032.php