München: Montagsdemo nie mehr unplugged ?

bernd* 07.04.2006 03:55 Themen: Soziale Kämpfe
Erfolgssträhne der Münchner Montagsdemo:
Mehr Teilnehmer und weniger Verbote.
Der konsequente Kampf um das offene Mikro scheint sich gelohnt zu haben.
Trotz chronischem Ärger und Repression haben die Verantwortlichen der
Montagsdemo immer auf das klare Kontra gegen eine Regelung gesetzt, die
ihnen bei (angeblich) weniger als 50 Teilnehmern verbot, eine
Verstärkeranlage zu benutzen.
Das Kreisverwaltungsreferat München "verzichtet" ab sofort auf diese
willkürliche Einschränkung! - die Montagsdemonstranten reiben sich ungläubig
die Augen.
Dabei sah alles nach immer weiteren Runden in diesem Gezerre um einen Rest an
Demonstrationsfreiheit für die Gegner des Sozialkahlschlags aus.

Immer wieder mussten sich die ausharrenden Eiszapfen auf dem Marienplatz
in diesem Winter das Mikro abdrehen lassen. Sowohl der Protest dagegen als auch
die plumpe Repression von Seiten einiger Polizeibeamter schienen sich zuzuspitzen.

Die Vorgeschichte ist auch spätestens seit dem versuchten gewaltsamen Vorgehen
einiger Uniformierter gegen das offene Mikro am 14.11.2005 spannend zu lesen.
Widersprüche gegen die Auflagenbescheide des Kreisverwaltungsreferates München,
das Beharren der Staatsschützer auf die Auflagen, Zählstreit und ständige Belehrungen,
Androhungen von Demonstrationsverboten, dann Dienstaufsichtsbeschwerden der
Demonstranten gegen die Polizei, dann Strafanzeige gegen die Versammlungsleiterin
und Anzweiflung ihrer Eignung durch die Polizei, Nichtannahme eines vereinfachten
Verfahrens mit "Abstandszahlung" von Seiten der Montagsdemo wechselten in
bunter Abfolge.
Gerichtliche Erfolgsmeldungen anderer Montagsdemos (Dortmund und Stuttgart) in
parallelen Fällen wurden von KVR und Polizei genausowenig anerkannt wie
Vorwürfe, dass bei neonazistischen Gruppen in München die "50er-Regelung" wohl
nicht gilt. Die gerichtlichen Stellungnahmen der Polizisten und der Zivilen
strotzen vor Verdrehungen und nepotistischer Absprache, keine Überraschung.

Die Reaktion der Montagsdemo-Organisatoren war aber glücklicherweise immer
selbstbewusst und offensiv. Die ständigen Proteste gegen die "Mikro-Zensur" führten
zur verstärkten Solidarität und selbst die Medien (Bayerischer Rundfunk mit
Reportage vor Ort bei Mikro-Abschaltung, Radio Lora-Interview) brachten etwas
Öffentlichkeitswirkung, was bei den totgeschwiegenen Montagsdemos ja schon in
homöopathischer Konzentration sehr motivierend wirkt.

Der Durchbruch für das neue Interesse an der Montagsdemo und auch für die
Repressionsabwehr kam ungefähr seit Fasching.
Die Montagsdemo München setzt seit ihren typisch bayerischen Erfahrungen bei
einer "Neurosenmontagsaktion"  http://de.indymedia.org//2006/02/140150.shtml
und der Teilnahme z.B. an Anti-Bolkestein-Demos vermehrt auf Aktionen in der
Öffentlichkeit und die Verbreiterung des Basis. Hier bringen die europaweiten
Proteste und die kämpferische Stimmung der inländischen Streikenden viele Leute
dazu, selbst aktiv zu werden - und die Montagsdemo bietet sich immer wieder
als "Kristallisationskern" an. Auffallend und positiv ist, dass unter den neuen
Gesichtern bei der Montagsdemo ein grosser Anteil Jugendlicher ist, gegen die ja nun
auch in einer ersten Attacke (Auszugsverbot etc.) besonders hart vorgegangen wird.
Vielleicht erkennen sie ja schneller als mancher Rentner:
"wer einen von uns angreift, greift uns alle an!"

Der positive Trend bei harten Minustemperaturen bestätigte sich sofort bei milderem
Wetter. Die Infotafeln waren umlagert, die Teilnehmerzahlen fast verdoppelt und ein
aufmerksames und lange zuhörendes Publikum - sogar als vor 3 Wochen die Verstärker-
anlage ohne Mitschuld der Staatshüter aus technischen Gründen ausfiel.
Offensichtlich haben doch viele Betroffene aus dem positiven kämpferischen Vorbild der
Gewerkschaftsstreiks und der neuen Proletarisierung im französischen Widersatand
Schwung geholt und stehen nun neben denen, die nach über 15 Monaten Hartz IV nicht
mehr können oder nicht mehr wollen.

Spezielle Freude macht die verstärkte Zusammenarbeit mit (linken) Gewerkschaftsgruppen
und den Leuten von den streikenden Staatstheatern. Beim Publikum kam sowohl die
Verbreiterung des Widerstandes als auch die brennenden sozialen Bedrohungen (Zwangs-
umzüge, 1-Euro-Jobs, Diffamierung der Arbeitslosen, Lügen der Wirtschaft) thematisch
sehr gut an. "Es liegt etwas in der Luft." Das grosse Plus ist hier das offene Mikro
-die Zuhörer werden emotional gut erreicht und kulturelle Beiträge bringen Erleichterung
von den "dunklen" Themen.

-- -- --
Also ist der Kampf um das Mikro dreifach wichtig:
-Menschen erreichen
-zeigen dass wir zusammen etwas erkämpfen können
-Verteidigung der Meinungsfreiheit
-- -- --

Praktische Auswirkungen des neuen Schwunges:
Zusammenarbeit der Montagsdemo mit linken Gewerkschaftlern und Sozialinitiativen zur
Mobilisierung für die Grossdemo am 3. Juni in Berlin. Hierzu regelmässige Koordinierungs-
treffen und Planen von Aktionen. Teilnahme von Montagsdemonstranten auf Streikkundgebungen
(Hannover, München Staatskanzlei, Fackelzug etc.).
Mitmachen bei Ostermärschen, 1.-Mai-Veranstaltungen -die Themen der Montagsdemo sind
überall aktueller denn je.

Dass nun das Mikro-Verbot noch vor der 80. Montagsdemo gefallen ist und zwar ohne dass ein
Wort französisch gesprochen werden musste, ist besonders zu diesem Zeitpunkt sehr erfreulich.
Denn seit Wochen sind die Teilnehmerzahlen ohnehin nicht unter 50 zu diskutieren (also
hätten Polizei und KVR die Regelung wohl verschärfen müssen).
Unmittelbarer Anlass war der von der Koordinierungsgruppe beschlossene und von unserer
Anwältin eingebrachte Eilantrag bei einem Münchner Gericht, das Mikrofonverbot als unzulässig
und unbegründet abzulehnen.


Wir hoffen, dass das Nachgeben des KVR auch auf der Einsicht beruht, dass ein solches Verbot
undiskutabel für eine Demokratie ist und dass sie nun den Finger auf sich gerichtet sehen:
Das war der primitive Versuch, eine unliebsame Bewegung mundtot zu machen.

Wir danken den Stuttgarter Montagsdemonstranten, die diesen Kampf mit noch härteren Bandagen
ausfechten mussten und uns so richtig Mut gemacht haben.

-- -- --
Auf der nächsten Montagsdemo wird mit 50 Flaschen Champagner und 50 Kilo Kaviar gefeiert.
Sofern die Auflagen das erlauben.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Echt wahr?

lanzelot 08.04.2006 - 04:00
seid ihr sicher, daß der Rückzug des KVR mit Eurem Eilantrag
zusammenhängt? Wurde der Auflagenbescheid geändert oder nur
in Aussicht gestellt? Wem gegenüber hat das KVR die neue
"Freizügigkeit" bestätigt.
Ich habe meine Zweifel, ob nun plötzlich alles so glatt gehen kann...
Vielleicht wird alles an weitere Auflagen geknüpft, oder die
verwanzen Euer Mikro ;-)

Aber Ihr seid ja wachsam und habt offensichtlich eine fähige
Rechtsabteilung.

Hut ab!

Ein Schritt weiter

Roberta Reidel 09.04.2006 - 06:48
Auch wenn's teuer werden droht - aber immer wieder stolpern wir über die Blockade der Medien, der Termin 18:00 Uhr Montags scheint nur schwer bekannt zu machen zu sein. Das Mikro hilft da ein Stück weiter.
Mehr am Montag...

eilantrag - wie es gelang

bernd* 11.04.2006 - 20:37
da es nun für viele mundgetötete interessant ist, wie wir das
mikro-verbot weggekriegt haben, hier das prozedere:

unsere rechtanwältin (die verdiente angelika lex) hat am montag 3.4.
einen eilantrag beim verwaltungsgericht münchen gestellt mit dem
ziel, die auflagen des kvr bezüglich des verbotes einer verstärkeranlage
bei weniger als 50 teilnehmern aufzuheben.

es muss dann umgehend einen kontakt zwischen kvr und dem verwaltungsgericht
gegeben haben, in dem letzteres dem kvr die ungünstigen aussichten des
mikroverbotes kommuniziert hat.
denn bereits am 6.4. erging der -kommentarlos- geänderte bescheid des kvr
an unsere versammlungsleiterin andrea dumberger.

in diesem bescheid war einfach der umstrittene passus herausgenommen.
unsere anwältin wurde zwischenzeitlich vom leiter des kvr gebeten, den eilantrag zurückzuziehen, weil diesem ja nun abgeholfen wurde. und so
wurde der eilantrag von ihr zückgezogen. die erkämpfte neue regelung ist bereits in kraft.

p.s. auch die stuttgarter montagsdemo hat per eilantrag erfolg gehabt.
unter  http://www.montagsdemo-stuttgart.de/ gibt es eine eigene rubrik
zum "lautsprecher-spektakel".

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

Weiter so! — k

Applaus — brigitte

münchner mo-demo — robin