Die Armut sichtbar machen

Peter Nowak 15.03.2006 13:41 Themen: Soziale Kämpfe
In 6 deutschen Städten organisieren Erwerbsloseninitiativen Tribunale gegen Armut und Elend. Das nächste findet am kommenden Donnerstag ab 17.30 Uhr im Rathaus Neukölln in Berlin statt.
Die Armut sichtbar machen



Armut in Deutschland? Viele Menschen - auch Linke - werden ungläubig den Kopf schütteln, wenn sie darauf angesprochen werden. Doch Betroffenenverbände wie Erwerbslosen- und Sozialhilfegruppen wissen es besser. Armut ist auch in Deutschland für viele Menschen Realität. Mit Tribunalen in 6 deutschen Städten soll diese Armut sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig sollen die Verantwortlichen für die schlechten Lebensbedingungen vieler Menschen angeprangert werden. Angeklagt sind die Bundesrepublik Deutschland und die verantwortlichen PolitikerInnen der letzten Jahre. Mit den Tribunalen knüpft die Erwerbslosenbewegung an die Tradition der Russel- und Foucault-Tribunale. Damit hatten VietnamkriegsgegnerInnen und Psychiatriebetroffene auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht. Ob es gelingt, auch die Armut mitten einer reichen Gesellschaft zu ächten, wird sich zeigen.


Das erste Tribunal gegen Armut und Elend wurde bereits am vergangenen Wochenende in Erfurt veranstaltet. Am kommenden Donnerstag findet im Rathaus des Berliner Stadtteils Neukölln das zweite Tribunal statt. Der Stadtteil ist mit Bedacht gewählt. Die Arbeitslosigkeit ist dort besonders hoch. Schwerpunkt dieses Tribunals wird die schlechte finanzielle Situation älterer Menschen sein. Weitere Tribunale sind in Offenburg am 17.3., in Marburg am 21.3., in Nürnberg am 24./25.3. organisiert. In Frankfurt/Main ist ebenfalls ein solches Tribunal in Vorbereitung.

Die Bandbereite der OrganisatorInnen in den einzelnen Städten zeigt schon, dass die Armut heute alle Schichten der Bevölkerung erreicht hat.
Betroffen sind sowohl junge Menschen, die von der Schule direkt in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, wie auch RentnerInnen, die zum Monatsende nicht wissen, wovon sie sich die nötigsten Lebensmittel kaufen sollen. Für Erwerbslose hat sich mit Hartz IV die Situation noch mal verschärft. Kritiker sprechen von Armut per Gesetz.


Arbeit schützt vor Armut nicht

Aber auch eine regelmäßige Arbeit schützt längst nicht mehr vor Armut. Mittlerweile kennt das Lohndumping keine Grenzen. Doch erste Gegenkräfte gibt es. So war am Erfurter Tribunal die BürgerInneninitiative gegen Billiglohn federführend beteiligt. Sie setzt sich aktiv für einen gesetzlichen Mindestlohn ein und sammelt dafür auch im Internet Unterstützungsunterschriften.
Zur Zeit beobachten die Interessenverbände der Betroffenen die gegenteilige Entwicklung. Im Zusammenhang mit Hartz IV entsteht ein "Arbeitszwangsmarkt zum Minitarif“, erklärt Anne Allex vom Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen.
Die Tribunale wollen auch der Öffentlichkeit vermitteln, was ein Leben in Armut hierzulande bedeutet. Ein Zeitungsabonnement ist oft ebenso unerschwinglich wie ein Internetanschluss. Wenn man mal eine Veranstaltung besuchen will, muss sie zu Fuß zu erreichen sein. Denn ein Ticket für den Nahverkehr zehrt am schmalen Budget,“ erklärte ein Betroffener in Berlin.


Die Arbeit soll nach den Willen der Betroffenen weiter geführt werden. So sollen die Ergebnisse der sechs Tribunale ausgewertet werden. Danach ist ein zentrales Tribunal geplant, auf dem die Resultate der Öffentlichkeit vorgestellt werden und Gegenkonzepte formuliert werden sollen. Denn den Initiativen geht es nicht nur um die Anprangerung der schlechten Verhältnisse sondern um die Veränderung. Doch dafür ist eine interessierte Öffentlichkeit nötig. Hier ist auch der größte Schwachpunkt der Initiativen. Die Öffentlichkeit ist zur Zeit wenig an dem Thema interessiert. Pressekonferenzen waren schlecht besucht. In den Schlagzeilen der Boulevardzeitungen ist die Armut kein Thema. Dafür wird lang und ausdauernd über angebliche SozialbetrügerInnen berichtet. „Das Problem, das Armut längst normal geworden ist und nicht mehr skandalisiert wird“, meint eine Tribunalteilnehmerin.

Peter Nowak
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Ergänzungen

Armut!

@superman 15.03.2006 - 20:38
die frage ist nicht, wieviel jemand zum überleben oder besser vegetieren brauch. die frage ist, was alles zum leben dazu gehört. zum beispiel ist ein internet-anschluss lebenswichtig? muss eine jeder ins kino gehen dürfen oder ins theater? sind konzerte lebenswichtig? muss ein ALGII-empfänger überhaupt seine wohnung verlassen um am sozialen leben teilnehmen? das sind natürlich alles rhetorische fragen.

jedoch ein viel größeres problem ist die kriminalisierung und demonisierung der armut. sie wird in der unseren konsumorientierten, arbeitsdominierten kreisen zur strafe, wenn nicht GOTTES dann wenigstens des eigenen schicksals. nach dem motto, wer nicht funktioniert, wird mit (arbeits-) liebsentzug bestraft. denn jeder kann in unserem ach so schönen deutschland überleben und fressen ohne ende, und wenn nicht ist er selbst schuld...

Ergänzung

Roland Ionas Bialke 15.03.2006 - 22:34
Unterschiedliche Menschen haben auch unterschiedliche Bedürfnisse. Menschen sind nicht gleich. Die Gesetzgeber und die ausführenden Kräfte haben das nicht so gut wie nötig durchdacht. So werden Menschen mit einem monatlichen Einkommenmindestbedürfnis von 800 Euro und Menschen mit einem monatlichen Einkommenmindestbedürfnis von 2000 Euro genau die gleichen 345 Euro Sozialhilfe + Miete gezahlt. Manch ein Mensch braucht eben nur einen warmen Platz zum schlafen, eine Dusche, einen Fernseher und ein Bier und eine Pizza am Abend, ein anderer braucht aber eine grosse Wohnung, einen Internetanschluss mit gutem Computer, Restaurantbesuche, Geld zum Ausgehen (weil er eine Familie gründen will, eine Frau kennenlernen will), eine Monatskarte, mehrere Vereinsmitgliedschaften, hochwertige Nahrung, Schwimmbadbesuche, eine gute ärztliche Versorgung...

Die Gleichmacherei diskriminiert nicht, was normalerweise auch gut wäre, allerdings nicht im Fall des Sozialwesens. Durch diese Gleichmacherei wird x zu y gepackt. Was passiert wenn Du die Giftpilze zu den geniessbaren legst?

So werden z.B. "psychisch-andere" Menschen entweder eingesperrt und sediert, oder nach zu kurzer Behandlung (mangels sozialem Interesse und mangels Geld) wieder auf die Strasse gelassen. Durch solche Aktionen werden andere unbeteiligte Menschen regelrecht vergiftet, ihre Strukturen angefressen.

Auch darum, hat sich in Deutschland eine Kaltherzigkeit eingestellt, durch die "Psychische Stabiltät" zum Synonym für "asozial" geworden ist.

Unsere Geschichte hat Uns gezeigt, dass man in Deutschland nicht zur Beantwortung der Sozialen Frage fähig ist. Das liegt wohl auch daran, dass hier kaum eine/r bereit ist mal einem Monat vom eigenen Ego abzulassen.

Ich sehe bei der Durchführung meiner Aufgabe fast täglich Verwahrlosung und Armut. Und daneben stehen Menschen die nur labern. Und was ist wohl das schlimmste daran? Ich gehöre dazu.

Dieser natürliche Faschismus* muss unbedingt bekämpft werden. Und Wir müssen bei Uns selbst anfangen.

Momentan will kaum jemand die Verhältnisse ändern, ansonsten wären die Strassen wohl überflutet mit Menschen, die Politiker müssten um ihr Leben fürchten. Was daraus zu Schlussfolgern ist, ist das die Mehrheit sich sauwohl fühlt. Lassen Wir sie doch in diesem Schweinestall. Es wird schon bemerkt, wenn es Zeit zum ausmisten ist.


*[verkürzte Def. vom Faschismus, 1. Bedeutung - natürlich darf man in diesem Zusammenhang auch nicht den ital./dt. Faschismus vergessen]

ergaenzung II

vide`sam 16.03.2006 - 10:37
armut per gesetz-hmm-wo fang ich da an-

armut ist doch ein sehr auslegbares wort- mir persoenlich gefaellen die woerter beschneidung und isolationshaft besser...isolationshaft mag sich ein wenig ueberspitzt anhoeren, trifft es jedoch meines erachtens recht gut-

viele menschen, werden durch die bestehenden verhaeltnisse zur eigenen isolation gezwungen und in ihrem leben beschnitten-freiraeume zum ausleben der eigenen persoenlichkeiten sind fuer die meisten menschen, nur mit den dafuer noetigen finanziellen mitteln erschwinglich-
es gibt kaum freiraeume fuer jeden-und vorallem nicht fuer die, die kein geld uebrig haben.

sicher, kann mensch behaupten das es nicht jedem -durch staatliche gelder gegoennt sein muss- ein theater oder aehnliches...das fuer "die bessere gesellschaft" ausgelegt- besuchen zu koennen.

jedoch, ist ein staat/ein land meiner meinung nach -dafuer verantwortlich-
bestehende und gewollte kulturelle projekte zu unterstuetzen/zu foerdern in denen sich auch "arme menschen" eingliedern koennen- bekannter maßen unterdrueckt die brd und auch andere staaten jegliche formen und machenschaften die fuer eine solche alternative einstehen und sie bilden...

-alles was nicht genug steuern und sonstige gelder einbringt- wird im keim erstickt bzw -denen wird der gar ausgemacht- ihnen wird es nicht ermoeglicht, sich zu entfalten und eine weiterentwicklung der struckturen wird mit allen mitteln bekaempft- es gibt null toleranz gegenueber menschen -die nicht fuer die marktwirtschaft sondern gegen isolation und unterdrueckeung arbeiten- das arbeiten mit der gesellschaft und die integration der -"buerger einer "demokratie""- in diese, ist nicht gewollt und der einfache mensch hat nix zu kamellen, sondern er steht einmal im jahr am strassenrand und bruellt und bettelt nach "suessigkeiten" vielmehr
-er schreit nach anerkennung.

-der kleine mensch- er wird tag fuer tag in die knie gezwungen, anstatt aufgenommen zu werden-

ich denke, durch mehr raeume- der freien meinung und der freien entfaltung aller gutgesonnenen menschen ist es moeglich- genau diese verhaeltnisse ins schwanken oder gar zum entern zu bringen.

steht auf fuer eure freiraeume- steht auf, fuer min. 1 funktionierendes und unabhaengiges "haus" in jedem block...-fight for your right-kill the killing system from the inside...and stop isolation!

vide`sam

zusatz

vide`sam 16.03.2006 - 11:03
...kappt die deligierten vertreter des staates-diese scheinheilige demokratie kotz an und ermuedet von tag zu tag mehr...

-den demokratischen staat bilden wir- und das heisst wirklich jeder - steht ein, fuer ein insgesamtes meisterwerk von lebensmoeglichkeit-

wenn es schon staaten geben muss, dann lasst sie uns gemeinsam bilden!

Weg mit Hartz 4!

Punxatan 17.03.2006 - 14:25
Hartz 4 ist letztlich auch das Eingeständniss, das man gar nicht mehr vorhat, die 5 Millionen Arbeitslosen irgendwann mal in Brot und Arbeit zu bringen; man will sie nur noch auf dem sogenannten Existenzminimum dahinvegetieren lassen, wie kleine, unmündige Kinder, bei denen Papa Staat dann schon am besten weiss, was gut für sie ist; etwa "grundsätzlich ist jede Arbeit zumutbar". Eine neuzeitlichere Variante der Sklaverei. Jeder neubeamtetete Politiker erzählt erstmal, die Kernaufgabe wäre die Abschaffung der Arbeitslosigkeit, um dann zur Alltagsrealität überzugehen, die immer mehr und mehr neue Arbeitslose produziert.
Nur die Jugendlichen sind davon ausgenommen, die kriegen dann mal 100 Euro weniger als das Existenzminimum, damit sie sich selber Gedanken machen können, wie sie das ändern wollen...

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Grmpf! — Punxatan