Konsum- und Wachstumskritik in Frankreich

ANTIPUB 17.12.2005 20:17 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
Es ist Weihnachtszeit. Die Einkaufs- und Konsum-tempeln haben sogar Sonntags geöffnet. Die Unternehmen machen innerhalb von wenigen Wochen einen wesentlichen Anteil ihres Jahresumsatzes. Ihr Motto lautet Profit Profit und die von der Werbung angelockten Verbraucher gehorchen ganz brav und gehen zum Konsumtempel, um den neuesten Unnütz einzukaufen.
Aber unbeugsame Konsum- und Kapitalismusgegner lassen sich dies doch nicht so einfach gefallen. Die „Antipub“ Bewegung (Werbungsgegner) übt durch direkten Aktionen (Adbusting, Kauf Nix Tag, ...) vielfältigen Widerstand gegen Wachstumideologie und Konsumwahn.
Konsumkritik und „Décroissance“ (1)

In so genannten entwickelten Gesellschaften wird viel Wert auf materiellen Gegenstände gelegt, ohne dass hinter gefragt wird, ob diese Gegenstände wirklich nützlich und unverzichtbar sind. Wer Geld hat und vieles besitzt ist guter Bürger. Die Wirtschaft profitiert davon. Die gesellschaftliche Ordnung basiert auf Wachstum und Anhäufung von Waren.
Aber der ewige Wachstum ist nicht möglich. Wir leben in einer endlichen Welt. Die Grundressourcen sind begrenzt. Wachstum- und Kapital-Sucht führen zur Ungerechtigkeit, zur Ausschöpfung der Ressourcen, zur Umweltzerstörung. Das sind die Grundgedanken, die Menschen dazu bewegen für die „Décroissance“ zu kämpfen. Es geht darum weniger zu konsumieren und anders zu leben. Die Menschen leben zum Beispiel in einer Kommune. Sie fliegen nicht ans andere Ende der Welt in den Ferien und verzichten auf das Auto im Alltag, u.a. aus ökologischen Gründen. Sie kaufen aus der Gegend stammenden Produkte. Menschliche Kontakte ersetzen materielle Sachen wie Fernseher. Sie basteln selbst (Mensch kann ja selbst gebackene Kuchen zu Weihnachten schenken, statt alles zu kaufen). Ihnen ist es auch wichtig miteinander auszutauschen und ihre Ideen nach Außen zu tragen. In Juni 2005 fand zum Beispiel eine 1-Monat lange Marche für die Décroissance durch Frankreich statt. Hunderte sind von Dorfen zu Dorfen gewandert und haben die Gelegenheit genutzt mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Es gibt auch zahlreiche Zeitschriften wie „Casseurs de pub“ (Werbungsbrecher), „La décroissance“, etc...

Direkte offene Aktionen des zivilen Ungehorsams auf der Strasse sind auch wichtig, um die Bevölkerung zu informieren und zum Nachdenken zu bringen. Es geht auch darum das System direkt anzugreifen. Aktionen gegen Werbung finden zum Beispiel in unterschiedlichen Formen oft statt. An den Aktionen beteiligt sich frankreichweit ein breites Spektrum von AktivistInnen : Studenten, Künstler, Arbeitslose, Erwerbstätige, Jugendliche und älteren Menschen.

Adbusting: Werbeplakatverändrung, Beschmieren, etc...

2003 war der Aufbruch mit Massenaktionen in der Pariser U-Bahn – und die ersten Verfahren vor Gericht- ( Indy berichtete, siehe :  http://de.indymedia.org/2004/05/82463.shtml und  http://de.indymedia.org/2003/12/68757.shtml ), aber die AktivistInnen wehren sich schon seit Jahren gegen die eindringliche Werbung. Sie ist überall zu sehen: auf der Strasse, im Fernsehen, in Zeitschriften, etc... Frankreich ist noch stärker davon betroffen als Deutschland.
Die AktivistInnen verändern Werbeplakate, sie beschmieren sie oder entfernen das Plakat indem sie die Anlage öffnen (es gibt zahlreich Homepages, wo erklärt wird, wie es technisch geht, welche Werkzeuge gebraucht werden, etc...). Sie Schalten das Licht aus (und klauen die Sicherung, damit nicht gleich wider an gemacht wird!) um Strom zu sparen (manche Werbeanlage verbrauchen so viel Strom wie ein Haushalt von 4 Personen, etwa 5000 Kilowatt/ Stunde pro Jahr).
Viele Grüppchen sind nachts unterwegs. Am 8. Dezember 2005 wurden zum Beispiel 300 Plakate in der Pariser U-Bahn entfernt und durch etwa 150 selbst gemalte Plakate ersetzt. Die AktivistInnen haben Kunstwerke oder Botschaften gegen Konsum hinterlassen.(siehe  http://www.bap.propagande.org/modules.php?name=Forums&file=viewtopic&t=2172&start=0&postdays=0&postorder=asc&highlight=&sid=e4a0f29d88f47568d02d37876b8ae031 )
Aktionen mit offenem Gesicht werden regelmäßig durch Ortsgruppen durchgeführt, diese Aktionen sind nämlich öffentlich wirksamer. In Toulouse wurde die Presse eingeladen und AktivistInnen überdeckten die Werbungen mit beschrifteten Bettlaken. In Rouen wurde ende November 2005 sogar die Anlage öffentlich beschädigt (beschmiert). Ein Aktivist wurde festgenommen. Die Gruppe will das Problem auch vor Gericht Thematisieren. Eine ähnliche Aktion verlief in Paris, die Polizei griff jedoch nicht ein und guckte nur zu. Verlangt wird unter andrem eine Reduzierung der Werbefläche auf 50 mal 70 Zentimeter (statt meistens 4 mal 3 Meter!), was die Größe von amtlichen oder nicht kommerziellen Anschlagtafeln entspricht.

Öffentlich wirksame Aktionen gegen die im Briefkasten empfangene Werbung.

Die Werbung ist nicht nur auf der Strasse zu sehen, sie häuft sich in Briefkasten an. In Frankreich gibt es kein Gesetzt, dass die Menschen gegen unerwünschte Werbung im Briefkasten schützt. Alle sechs Monaten findet in etwa 20 Städten eine Initiative dagegen statt. Die Leute lagern die Werbung 6 Monate Lang zu Hause, sie bringen sie am Tag X mit und machen einen riesigen Müllberg daraus auf einem öffentlichen Platz. In einigen Städte wurden mehre Tonnen gesammelt ! Die unerwünschten Briefe werden auch oft zurück zum Absender geschickt. Eine Botschaft oder ein Blatt... Klopapier wird im Umschlag zugefügt...

Kauf nix Tag

Der internationale Kauf Nix Tag (jedes Jahr am Letzten Samstag in November) ist auch die Gelegenheit für Aktionen auf der Strasse. In Toulouse veranstaltete eine Gruppe von rund 30 AktivistInnen zum Kauf Nix Tag 2005 ein „Gottesdienst für das Heilige Kapital und für den ewigen Wachstum“. Straßentheater mit Subversion und Ironie ist eine wirksame Möglichkeit, Inhalte zu vermitteln.(Bericht auf Französisch mit Bildern unter:  http://chiche.ouvaton.org/toulouse/Actions/Sans_achat/Sans_achat2005/Sans_achat2005.htm )

Weitere Informationen

Der Widerstand ist vielfältig. Es gibt viele Homepages (auf Französisch) mit zahlreichen Informationen zum Hintergrund und zu der Technik (was für Werkzeug soll ich benutzen, wie baue ich eine Ortsgruppe auf), mit Diskussionsforums zum Thema...
Ein paar Beispiele:
 http://www.bap.propagande.org/
 http://antipub.net/

(1) „“Décroissance , eine treue übersetzung dieses Begriffes gibt es bislang nicht. Das Wort wird aus dem negativen Präfix „Dé“ (etwa „ab“) und aus croissance (Wachstum) abgeleitet. Man spricht von „Wachtumsgegner“, von „Wachstumsrücknahme“, von „negativem Wachstum“... Was aber nicht genau der französische Begriff entspricht. Der Begriff „Décoissance“ wurde erfunden nachdem Begriffe wie „Nachhaltige Entwicklung“ ihren Sinn verloren haben, indem sie von verschiedenen Lobbys übernommen wurden. (Der Stromkonzern EDF wirbt z.B für nachhaltige Entwicklung mit Atomkraft). Der Begriff „Décroissance“ ist viel weitgehender und stellt die Konsumgesellschaft richtig in Frage.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen