15. Prozesstag im Magdeburger Verfahren – Jet

Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg 01.11.2005 20:31 Themen: Repression
Fast pünktlich um 09:30 Uhr begann heute der 15. Prozesstag gegen Daniel vor dem Staatsschutzsenat am OLG Naumburg.
Die Reihen waren bis auf den letzten Platz gefüllt mit ProzessbeobachterInnen und FreundInnen von Daniel, allerdings auch wieder mit 4 Beamten in Zivil und ein paar uniformierten BeamtInnen. Als erstes wurden einige ganz verwerfliche Asservate in Augenschein genommen, darunter ein Antifa-Taschenkalender von 2002 und einige Ausgaben des Magdeburger Szenemagazins „Sündenbock“. Danach wurden 2 Urkunden des BKA verlesen, die Schriftprobenvergleiche von beschlagnahmten handschriftlichen Aufzeichnungen dokumentierten, die bei diversen Hausdurchsuchungen sichergestellt wurden. Im Anschluss daran erklärte dann der Senat, das Bastie´s Opa nicht als Zeuge in diesem Verfahren berücksichtigt werden könnte, weil dies für ihn eine zu große gesundheitliche Belastung darstellen würde. Somit wurde er als unvereidigt entlassen. Auch auf Marco, der nach Absitzen seiner 6monatigen Beugehaft am 25. Oktober aus dem Knast entlassen wurde, wurde im allseitigen Einvernehmen als weiterer Zeuge in dem Verfahren verzichtet. Auch er wurde also endgültig als unvereidigt entlassen. Des weiteren gab der Senat bekannt, dass er nicht beabsichtigt, für den BKA-Beamten Brockmüller eine weitere Aussagegenehmigung beim Präsidenten des BKA anzufordern. Somit wird von ihm nicht weiter zu erfahren sein, gegen wen denn genau die nach wie vor bestehende Einsatzgruppe Magdeburg des BKA ermittelt und welche „Straftaten“ sie im einzelnen genau verfolgen. Als faktisch letzte Handlung an diesem Tag griff der Senat den von Daniels Verteidigern gestellten Antrag auf Befangenheit des Senats auf. Braun fragte daraufhin, ob Daniels Anwälte noch einmal eine Erklärung zu dem Antrag abgeben wollen, was diese verneinten. Daraufhin beschloss der Senat (und wen wird es überraschen...) , dass die beiden beisitzenden Richter natürlich nicht befangen seien und lehnte damit den Antrag ab. Die konstruierte Begründung dafür hier wiederzugeben, ersparen wir uns an dieser Stelle. Freundlicherweise gab Bundesanwalt Hornig dem Senat dann noch den rechtlichen Hinweis, dass es sich bei dem vermeintlichen „Anschlag“ auf das LKA-Gebäude nicht um eine versuchte Brandstiftung handele, sondern um eine versuchte schwere Brandstiftung. Sorgfältig wurde der rechtliche Hinweis daraufhin protokolliert und Richter Braun schloss die Beweisaufnahme damit ab.

Nun kam die Jugendgerichthilfe zu Wort. Zusammenfassend stellte sie fest, dass bei Daniel Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen müsse. Aus ihrer Sicht habe er seine Sozialisation noch nicht vollständig abgeschlossen, habe nach wie vor eine enge Bindung an das Elternhaus und vor allen Dingen zu seiner Mutter. Des weiteren sei eine mögliche Strafe zur Bewährung auszusetzen. Ein Grund hierfür ist, dass er gerade begonnen habe seine Zukunft zu planen und er mittlerweile im 3 Semester sein Studium verfolgen würde. Ein Herausreißen aus dieser Lebensplanung würde die Unterbrechung der weiteren Sozialisation bedeuten, was unter diesen Umständen nur schädlich für Daniel sei. Eine weitere Ausführung zu den sprachlichen Finessen der Jugendgerichtshilfe und Geschichten, wer Daniels Wäsche wäscht und bügelt, oder was sein bisheriger Lebenslauf mit einer Lätta-Werbung zu tun hat, ersparen wir uns auch hier.
Dann kam der große Showauftritt: Die Bundesanwaltschaft hielt ihr Plädoyer:
(Wir sagen an dieser Stelle gleich vorweg: wir werden den Inhalt des Plädoyer hier nur Schlagwortartig zusammenfassen. Eine konkrete politische (Aus-)Wertung des Inhalts folgt in den nächsten Tagen!)
Um irgendwelche Missverständnisse auszuschließen wiederholte die Bundesstaatsanwaltschaft fast routinemäßig, dass in diesem Verfahren keine politischen Ansichten verfolgt werden würden, sondern nur konkrete Straftaten. Der Vorwurf, die Bundesanwaltschaft sei auf dem rechten Auge blind ist falsch. Für sie wären, Rechtsradikale, Linke und IslamistInnen gleich. Das müsse an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont werden! (Und wir bedanken uns auch dafür!) Unverständlich sei für die Bundesanwaltschaft aber, weshalb Daniel und seine „SympathisantInnen“ in diesem Verfahren mit so einer Aggressivität auftreten würden. Allein Daniels Prozesserklärung sei durchzogen mit Sympathiebekundungen für Terroristen, u.a. für die RAF, die RZ und die Bewegung 2. Juni. Nun ergoss sich die Bundesanwaltschaft 80 Minuten lang darin zu schildern, wie Daniel aus ihrer Sicht an der Vorbereitung und der Durchführung der vermeintlichen Anschläge mitgewirkt haben soll und wie er beabsichtig hätte ins Ausland zu flüchten. Insgesamt drei Mal wiederholte die Bundesanwaltschaft die Schilderung auf unterschiedlichste Weise, so als wolle sie es dem vorsitzenden Senat geradezu einbläuen, dass Daniel schuldig zu sprechen sei. Immer wieder ergingen dabei auch Drohungen gegen die Soligruppe und die Solibewegung. Letztlich mahnte die Bundesanwaltschaft davor, sich mit Terroristen einzulassen. Auch wenn die Anschläge nicht aus Gründen der persönlichen Bereicherung geführt worden seien und Daniels persönlicher Einsatz gegen soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen auch zu loben wäre, so warne die Bundesanwaltschaft dennoch vor solcherlei „schädlichen Neigungen“ (orig. Zitat) wie sie Daniel aufweise. Des weiteren sei unerklärbar weshalb Marco und Carsten freiwillig in Beugehaft gehen würden, denn gerade sie könnten ja Daniel mit einer Aussage entlasten! (na wer´s glaubt...!) Einen weiteren zentralen Punkt des Plädoyers bildete die angeblich gefundene Auflösungserklärung der „terroristischen Vereinigung“. Hierzu stellte die Bundesanwaltschaft fest, dass diese gar keine Auflösungserklärung sei. Der Text sei unterschrieben mit dem Kürzel „R.E.“ als Gruppenname. Die vorangegangenen 3 verwendeten Aktionsnamen der angeblichen Terrorgruppe ließen sich aber mit dem Kürzel „R.E.“ nicht abkürzen, weshalb davon auszugehen sei, dass weitere Aktionen unter anderen Bezeichnungen geplant waren. Aus diesem Grund könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die „Terrorgruppe“ aufgelöst habe, sie sei vielmehr durch die Inhaftierungen und das folgende Verfahren gescheitert. Dennoch habe es sie zum Zeitpunkt der Anklageschriftverfassung im ersten Hauptverfahren noch gegeben und Daniel sei aus diesem Grund zu diesem Zeitpunkt auch noch Mitglied dieser Gruppe gewesen.
Deshalb beantrage die Bundesstaatsanwaltschaft, Daniel wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinung nach §129a, wegen 2 Brandstiftungen in Vollendung, einer versuchten schweren Brandstiftung und einer versuchten Brandstiftung zu 3 Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu verurteilen. Da eine Erhöhung des Strafmaßes in der Revisionsverhandlung nicht möglicht sei, beantrage sie eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren ohne Bewährung. Die Strafe sei nicht zur Bewährung auszusetzen, weil bei Daniel weiterhin keine Abkehr von seinen „schädlichen Neigungen“ zu beobachten sei, weil er weiterhin mit „Terroristen“ sympathisiere und weil die Haftstrafe aus diesem Grund bei ihm einen erzieherischen Charakter haben soll.
Damit war das Plädoyer der Bundesstaatsanwaltschaft geschlossen. Als Braun danach das Verfahren auf den 15. November vertagen wollte, hackten Daniels Anwälte noch einmal nach wie es denn mit Carsten weitergehen soll, der ja nach wie vor in Beugehaft sitzt. Schließlich sei die Beweisaufnahme abgeschlossen und sowohl Verteidigung, auch als Bundesanwaltschaft hätte auf ihn als weiteren Zeugen verzichtet. Die Bundesstaatsanwaltschaft versuchte daraufhin eilig zu korrigieren, dass ja die Beweisaufnahme noch einmal aufgenommen werden könne, wenn sich Carsten doch noch entscheiden sollte eine Aussage zu machen (was unter uns natürlich unheimlich wahrscheinlich ist nach mehr als 3 Jahren des Schweigens!) und außerdem hätte die Bundesstaatsanwaltschaft ja nur auf die Ladung zum heutigen Prozesstag verzichtet. Carstens Anwalt hatte im Vorfeld des heutigen Prozesstages auf die Unsinnigkeit einer Vorladung verwiesen, woraufhin Verteidiger und Bundesstaatsanwaltschaft auf ihn als Zeugen verzichtet hatten. Dennoch würde die sie sich natürlich weiterhin gern seine Aussage hören wollen. Braun kündigt an sich in den nächsten 14 Tagen, zum nächsten Prozesstag also, Gedanken über den Verbleib von Carsten zu machen.

Für uns ist ganz deutlich, dass der Senat am letzten Prozesstag nur deshalb angekündigt hat Carsten aus der Beugehaft zu entlassen, weil MdB Ströbele als Prozessbeobachter erschienen war. Da beim heutigen Verhandlungstag kein Promi im Saal saß, war all dies wieder vergessen! Außerdem wird deutlich das auch zukünftig versucht werden soll, die Linke in Magdeburg und die Solibewegung zu kriminalisieren, weil jetzt erstmalig in der gesamten Revisionsverhandlung wieder der §129a ins Spiel kommt, der, sollte Daniel nach §129a verurteilt werden, der Einsatzgruppe Magdeburg des BKA erneut Ermittlungsbefugnisse zusprechen könnte. Damit besteht also auch potentiell die Gefahr, dass gegen andere ehemaligen Angeklagte des 1. Hauptverfahrens nun doch neu ermittelt werden könnte!

Aus diesem Grund fordern wir:

-> Ein Ende mit der Kriminalisierung der Magdeburger Linken,
-> Die Abschaffung des Paragraphen 129/a/b
-> Die Abschaffung der Beugehaft und die Freilassung Carstens
-> Und nicht zuletzt Freispruch für Daniel!
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Vergessen

Soligruppe MD/QLB 01.11.2005 - 20:46
Es wurde noch ein zentrale Forderung vergessen, nämlich die Auflösung der BKA "Einsatzgruppe Magdeburg" und die Offenlegung aller laufenden Ermittlungsverfahren!

QuickInfo

--- 02.11.2005 - 22:18
Carsten wurde heute Freigelassen.