Naziangriffe auf Holocaust-Gedenken in Gera

[AAG] 28.01.2005 07:17 Themen: Antifa
Im Vorfeld der Antifa-Demo am 29. Januar wurde eine Mahnwache anlässlich des Holocaust-Gedenkens von Nazis angegriffen. Der 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz wurde an diesem Tag zum Sinnbild einer reaktionären Mobilmachung im postfaschistischen Deutschland.
Am Morgen des 27. Januar beteiligten sich gerade mal zwanzig Menschen an der offiziellen Kranzniederlegung und Gedenkveranstaltung auf dem Ostfriedhof der 100.000-EinwohnerInnen-Stadt Gera. In einer kurzen und emotionslosen Rede hob Oberbürgermeister Ralf Rauch hervor, dass während dem Zweiten Weltkrieg vor allem auch die Deutschen Opfer gewesen seien. Der Pfarrer Andreas Schaller nannte das Vernichtungslager Auschwitz in einem Atemzug mit der Bombardierung Dresdens und trug somit seinen Teil zur schleichenden Relativierung der Shoah bei. Bis auf wenige Jugendliche schien sich niemand an den rechten Tönen zu stören. Doch es sollte noch schlimmer kommen...

Quasi als kritische Ergänzung der gruseligen Gedenkzeremonie der Stadt hatten AntifaschistInnen angekündigt, um 16.30 Uhr vor dem Einkaufszentrum Arcaden eine Mahnwache abzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich am Kundgebungsort eine Gruppe von 15 Nazis gesammelt, um Anti-Antifa-Fotos zu machen und im Vorfeld der Antifa-Demo am kommenden Samstag Präsenz zu zeigen.

Auf der Kundgebung wurden neben jiddischer Folklore mehrere Redebeiträge, sowie Gedichte und Zeitzeugenberichte, die sich dem Schicksal der Jüdinnen und Juden in Auschwitz annahmen, verlesen.
Plötzlich wurden mehrere KundgebungsteilnehmerInnen mit Eiern beworfen. Die Nazis warfen die Eier über einen fahrenden Bus, welcher eine direkte Sichtlinie zu den AntifaschistInnen verunmöglichte.

Wie nicht anders zu erwarten, wurde die Veranstaltung von Seiten der rechten Gazette "Ostthüringer Zeitung" weder im Vorfeld angekündigt noch darüber berichtet. Die einzige Mitteilung bestand in der Falschmeldung der dpa, welche sich auf den Polizeibericht als einzige Informationsquelle stützte. Laut diesem erteilte die Polizei zwölf Platzverweise an eine ominöse "Gruppe", da diese Eier "auf einen vorbeifahrenden Bus noch vor Beginn des Gedenkens der Geraer Antifa" geworfen hatte. Und weiter, "das Ei verfehlte sein Ziel, zu Schaden kam niemand." Abgesehen von der bodenlos-frechen Behauptung, irgendwer hätte die Eier auf einen Bus werfen wollen, wurden diese gegen 16.50 Uhr geworfen - also zwanzig Minuten nach Beginn der Veranstaltung.

Weiter wird behauptet, gegen einen Demonstranten sei "Anzeige wegen Beleidigung der Beamten" aufgenommen worden. Auch dabei handelt es sich um eine offensichtliche Lüge, da weder die BeamtInnen noch umstehende PassantInnen von Seiten der DemonstrantInnen beleidigt wurden. Selbst als sie mit Eier beworfen - und mehrfach getroffen - wurden, blieben die TeilnehmerInnen der Trauerkundgebung ruhig und besonnen.
Vielmehr fielen jedoch die Nazis auf, indem sie den Kameramann eines Fernsehteams verbal und körperlich belästigten und die AntifaschistInnen beschimpften. Ein Demonstrant stellte gegen den mehrfach wegen Körperverletzung verurteilten Nazischläger Stefan Wagner deshalb eine Anzeige wegen Beleidigung.
Als der Antifaschist zur Vernehmung in die Pi Gera-Nord ging, um einen schriftlichen Strafantrag zu stellen, wurde dieser von mehreren Beamten gedrängt, an einer dubiosen Beschuldigtenvernehmung auszusagen, da Stefan Wagner laut Aussage der Polizei angeblich eine Gegenanzeige wegen Beleidigung gestellt haben soll. Da jedoch Videoaufnahmen eine derartige Beleidigung vollkommen ausschließen und vielmehr die Straftat von Stefan Wagner dokumentieren, gehen wir davon aus, dass es sich bei der bemühten Beschuldigtenvernehmung um den Versuch handelt, dem Antifaschisten mit Repression zu drohen, um Informationen über linke Strukturen zu erpressen. In Gera werden so in Windeseile Opfer zu Tätern und umgekehrt.

Schlimm genug, dass auf einer Gedenkkundgebung mit der deutschen Geschichte aufgeräumt und der Holocaust relativiert wird. Dass Nazis mit Rückendeckung der rechten Polizei aber diejenigen attackieren können, die den Opfern der Shoah gedenken, ist ebenso unbegreiflich, wie die Tatsache, dass 60 Jahre nach der Befreiung der Vernichtungsfabrik Auschwitz die symbolische Verhöhnung von Millionen Menschen, die Opfer der deutschen Barbarei wurden, ohne Strafverfolgung und gesellschaftliche Ausgrenzung vollzogen werden kann.
Das Verhalten der Polizei und die Berichterstattung der Lokalzeitung setzt den Ereignissen die Krone auf und bestätigt die Nazis in ihrem unmenschlichen Handeln.

Mit der morgigen Demonstration unter dem Motto "break the silence. Naziläden abreissen - Deutsche Zustände angreifen" findet ein vorläufiger Höhepunkt der gleichnamigen Aktions- und Veranstaltungsreihe statt. Mit dieser soll unserer Forderung nach Schließung der Naziläden in Gera Ausdruck verliehen und der Trauer und Wut über den vor einem Jahr begangenen Nazimord Raum gegeben werden.
Nazis mobilisieren seit Wochen im Internet unter dem Motto "linker Hetze entgegen treten" gegen die Demonstration.
Doch auch die OTZ veröffentlichte heute eine Warnung an die BürgerInnen der Stadt, laut der die "nicht verbotene Veranstaltung" zwar von der Polizei toleriert werden müsse, der Polizeidirektor Lothar Kissel aber "nicht gewillt sei, in Gera Rechtsbrüche zu dulden."
Kissel selbst schlug rauere Töne an: "Sollten Teilnehmer allerdings zeigen, dass sie nicht friedlich demonstrieren wollen, werden wir mit den uns rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln einschreiten".
Um den Sorgen der ach so verängstigten BürgerInnen Rechnung zu tragen, hat die Polizei ein Bürgertelefon eingerichtet.

Eine TV-Reportage über die Demo "break the silence" und den Naziangriff auf die Gedenkkundgebung zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz läuft am Freitag, den 28. Januar um 16 Uhr auf MDR in der Sendung "hier ab vier". Infos zur Demo unter www.breakthesilence.de.vu

Bundesweite Antifa-Demo
supported by Kampagne "Schöner Leben ohne Naziläden"
Samstag 29. Januar 2005.
Auftakt 15 Uhr Markt.
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Nazis werden gezielt aufgebaut

Martin 28.01.2005 - 09:20
Damals wie heute kommen Nazis und die stillschweigenden Claqueure nicht aus dem Nichts. Damals wie heute werden Nazis gezielt von der Wirtschaft und politischen Strömungen der "Mitte" aufgebaut. Momentan fällt auf: Vor jeder Landtagswahl bringen sämtliche Tageszeitungen die Nazis Protestoption auf die Titelseiten (auch Negativ-Publicity ist Publicity), in einigen Städten prügelte die Polizei Nazis regelrecht in die Montagsdemos (dabei wurde ogar den Veranstaltern mit Haft gedroht, falls sie sich gegen Nazis äußern sollten), der BDI sagt ganz deutlich, daß ihm Nazis lieber sind die Linken, der VS hat genügend V-Leute in der NPD-Führungsebene, um die Partei ausreichend lenken zu können. Wirtschaft und "Mitte" meinen, daß sie die Nazis als Werkzeug gegen soziale Bewegungen einsetzen und daß sie Nazis kontrollieren könnten. Diesen Fehlschluss haben sie schon einmal gemacht (auch damals haben nicht die Nazis die Grundrechte abgeschafft und den Boden bereitet! Die Präsidaldiktatur wurde 1930 eingeführt!) ...
Antifaschistische Praxis darf sich also nicht nur auf das Naziglatzen-Verdrängen und Rituale beschränken. Antifa muß gesamtgesellschaftlich agieren und muß humanistische und utopische Ideale der menschenverachtenden und reaktionären gesellschaftlichen Entwicklung entgegensetzen. Es ist ja nicht zu übersehen: wir steuern auf eine diktatorische Gesellschaft zu. Dazu muß Antifa allerdings sehr an sich arbeiten, momentan ist man zu sehr auf das erwähnte Naziglatzen-Verdrängen ausgerichtet und ist oft selbst nicht sonderlich humanistisch. Hinzu kommt der an Linken oft festzustellende weltfremde Autismus. Genauso wie man Ideologien nicht mit Gewalt zum Verschwinden bekommt, bekommt man progressive Ideale in die Köpfe der Leute nicht mit Parolen und Demos. Dazu muß man die Menschen erreichen.
Dachte mir, das hier an dieser Stelle mal loszuwerden :-)

Mit der Antifa nach Gera

Berliner Antifagruppen 28.01.2005 - 13:41
Gemeinsam zur Antifademo am 29.Januar nach Gera: break the silence. Naziläden abreissen - Deutsche Zustände angreifen.
Treffpunkt für Berliner Antifas zur gemeinsamen Fahrt ist um 9:30 Uhr Berlin-Ostbahnhof – Gleis 3 (Zugabfahrt ist 10:14 Uhr).

die OTZ

XHeldX 28.01.2005 - 13:56
Kränze und Blumen und das täglich nötige Handeln

Gera (J.K.). Nicht nur die winterliche Kälte auf dem Ostfriedhof machte gestern Vormittag frösteln. Frieren ließ die Teilnehmer am Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus auch die Vorstellung des Grauens, das sich den Soldaten der Roten Armee bei der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 bot. Über anderthalb Millionen Menschen - vor allem Juden - schickten die deutschen Faschisten dort in die Gaskammern oder auf andere Weise in einen schrecklichen Tod.

Dieser und aller Opfer wurde gestern mit Kränzen und Blumen gedacht. Oberbürgermeister Ralf Rauch (parteilos) und Pfarrer Andreas Schaller schritten gemeinsam zum Holzkreuz auf dem Ostfriedhof, nach ihnen Vertreter der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten sowie von Stadtverband und Stadtratsfraktion der PDS, Sozialdemokraten und weitere Bürger. Darunter junge Leute mit einer Flagge Israels, die ein brennendes Licht abstellten.

In der Feierhalle setzten dann der Posaunenchor unter Kantor Helmut Müller sowie Pfarrer Schaller mit Psalm und Gebet die Opferehrung fort. Der OB schlug den Bogen vom schrecklichen Geschehen vor über sechs Jahrzehnten in die Gegenwart. Denn Deutschland, heute gleichberechtigtes Mitglied der Weltgemeinschaft, habe sich jahrzehntelang schwer getan im richtigem Umgang mit dem Holocaust. Andauernde Diskussionen um das Stelenfeld in Berlin, mit dem der ermordeten Juden Europas gedacht werden soll, mache deutlich: Jeder müsse seinen Weg des Erinnerns finden, das nicht zum hohlen Ritual verkommen dürfe.

Daran knüpfte der stellvertretende PDS-Vorsitzende Andreas Schubert an: Im Bewusstsein der Verpflichtung, so etwas nie wieder zuzulassen, müsse tagtäglich widerstanden werden, wenn Neonazis das Morden leugnen oder relativieren, an der Demokratie zündeln. Das erfordere Mut und Zivilcourage. Und heiße für Gera: Es ist wichtig, dass die Panndorfhalle weiter den Namen eines Antifaschisten trägt. Und dass das OdF-Denkmal im Küchengarten eine Zukunft hat.Gedenken für Opfer des Nationalsozialismus

OHNE ISRAEL FAHNEN...

Ladendiebin 28.01.2005 - 19:48
am selben Tag die NPD Demo in Schleusingen verhindern!

Ein Bündnis hat zur Gegendemonstration aufgerufen: Samstag, 29.01.05, 15 bis 16 Uhr, Marktplatz Schleusingen/Südthüringen
danach soll an gleicher Stelle 17 Uhr der NPD Fackelzug beginnen, der eine Kampagne "Schleusingen zur Frontstadt des Nationalen Widerstandes" eröffnen soll.

Mit der Antifa nach Gera

Berliner Antifagruppen 29.01.2005 - 22:36
Gemeinsam zur Antifademo am 29.Januar nach Gera: break the silence. Naziläden abreissen - Deutsche Zustände angreifen.
Treffpunkt für Berliner Antifas zur gemeinsamen Fahrt ist um 9:30 Uhr Berlin-Ostbahnhof – Gleis 3 (Zugabfahrt ist 10:14 Uhr).

MDR: Die netten Antifas von nebenan.

Fernsehzuschauer 30.01.2005 - 19:59
Der MDR berichtete äußerst positiv über die Aktion.
Tenor des Berichts war: Es gibt noch engagierte junge Menschen in Gera, die an die Vergangenheit erinnern wollen und sich gegen Nazis stellen, während die Stadt die Augen vor dem Problem verschließt.
Gezeigt wurden Interviews mit einem Antifa, der durchweg als engagierter nachdenklicher junger Mann dargestellt wurde, und den das Kamerateam zum von der Antifa eingeweihten Gedenkstein an das Mordopfer der Nazis begleitete. Die Interviews mit Bürgern und Politikern wurden eingesetzt, um zu zeigen, dass die Bürger die Augen vor den Nazis verschließen.
So zeigte der MDR (der nach wie vor Nachrichten aus "Mitteldeutschland" ankündigt und nach wie vor so heißt) das Bild der netten, engagierten Antifas von nebenan. In diesem Bild zeigte sich auch die hier oft kritisierte Israelfahne als schönes Detail, denn diese Fahne wurde schließlich auch auf den offiziellen Gedenkveranstaltungen getragen. Damit gab gerade die Israelfahne den Antifas den nötigen Touch Seriösität und war ein klares Statement.
Obendrein wurde in dem Bericht auch noch die Demonstration am Samstag angekündigt

Der Bericht zeigt, dass die Presse eben nicht eine politische Tendenz verfolgt, sondern auf der Suche ist nach Geschichten, die sich verkaufen lassen: Und hier war es die Geschichte von den guten Antifaschisten, die von Nazis angegriffen werden. In Kiel war es die Geschichte von den bösen Autonomen, die Krawall machen wollen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@ uiuiui — ich

Israel-Fahne — *Seufz*

@seufz — nn

@seufz & andere — Befürworter

an Befürworter — tutnichtszursache

nicht böswillige Kritik — Antideutscher