Agenturschluss – eine vorlaeufige Bilanz

eine von vielen 05.01.2005 15:55 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Die meisten Medien haben die Beteiligung an der Agenturschluss- Aktion am 3. Januar 2005 kleingeredet, und dem Lagezentrum der Bundesregierng mal wieder eine Freude gemacht. Dennoch war die Agenturschluss- Bilanz beachtlich: 83 Städte haben definitiv mitgemacht, insbesondere im Osten haben sich die Orte relativ kurzfristig entschieden, bei der bundesweiten Aktion dabei zu sein. Wenn auch vor Ort jeweils wenige Leute am ersten Werktag des Jahres montagsfrüh vor der Arbeistagentur standen, so gibt es (abgesehen von den Montagsdemonstrationen im vergangenen Sommer) wenige erfolgreiche Beispiele für bundesweite Proteste zur sozialen Frage.
Bei labournet wurden bisher Berichte aus 43 Städten gesammelt, es werden voraussichtlich in den nächsten Tagen weitere dazu kommen. Die Idee zur Aktion Agenturschluss begann 2004 beim Kongreß "Die Kosten rebellieren". Einer im Westen gestarteten Mobilisierung von Basisgruppen haben sich daraufhin auch Sozialforen und Bündnisse im Osten angeschlossen – das ist nicht selbstverständlich!

Eine solche flächendeckende Mobilisierung ohne große Organisationen (Gewerkschaften und NGOs wie Attac), Finanzierungsmöglichkeiten, Öffentlichkeitsarbeitsinfrastruktur und Pressebüros im Rücken ist ein positives Zeichen für eine gelungene dezentrale Koordinierung (wenn auch mit ein paar Mängeln die nächstes Mal vermieden werden können und müssen).

Allen Unkenrufen zumTrotz waren bei den Protesten am 3. Januar 2005 auch Betroffene anwesend. Klar, es hätten mehr sein können, aber es war schon immer schwierig für Erwerbslose, sich selbst zu organisieren, gerade weil die Behörden alles daran zu setzen, mit den ALG II- Bescheiden und Ein-Euro- Jobs die Betroffenen zu individualisieren und Solidarität untereinander zu erschweren. Als die ALG II- Bescheide versandt wurden, waren alle zunächst gleichermassen betroffen und erschrocken, und selbst die Noch- ArbeitsplatzbesitzerInnen erkannten die Fiesheit der Hartz-Gesetze, auch die Mittelschicht begann um ihre Mietwohnungen und Lebensversicherungen zu bangen. Die Gefahr in eine verarmte Bedarfsgemeinschaft zu rutschen drohte ganz vielen Menschen am Horizont.

An den Montagsdemonstrationen des vergangenen Sommers können die Agenturschlussaktionen nicht direkt gemessen werden. An einem Vormittag um 10 Uhr war es schon immer schwieriger Menschen auf der Straße zu versammeln als abends oder an einem Wochenende. Seit dem vergangenen Sommer hat eine massive Propagandamaschinerie gegen die Hartz-Proteste eingesetzt, Spaltungen wurden provoziert, und die Regierung setzte auf unerbittliches Aussitzen ohne Zugeständnisse. Dennoch zeigte die massive polizeiliche Abriegelung der SPD-Parteizentrale bei den Montagsdemonstrationen im August/ September 2004, wie sehr die Regierenden angesichts des spontan von unten entstandenen Protests in Panik verfielen.

In die Hände spielte den Regierenden die Unterschiedlichkeit der Ausgangslagen in Ost und West. Das Verhältnis der Anzahl BewerberInnen pro Arbeitsplatz ist im Osten ungleich viel höher, bei einer Arbeitslosigkeit von 18 bis 20 Prozent von einem "Vermittlungsproblem" zu sprechen ist blanker Zynismus. Die Entvölkerung der ostdeutschen Orte wird weiter zunehmen, weil es nun einmal gar nicht so viele Arbeitsplätze geben kann wie Menschen Arbeit suchen. Hier würde tatsächlich nur ein bedingungsloses Existenzgeld eine vernünftige Perspektive eröffnen.

In den Medien wird uns unterdessen mitgeteilt, daß trotz aller Mini-Jobs, Ein-Euro-Jobs, Ich-AGs und Weiterbildungsmaßnahmen die Erwerbslosenzahlen weiter zunehmen. Die “Arbeitsmarktreform” wird nicht funktionieren, auch wenn sich die Bundesagentur um massive Pressearbeit zum Thema “Hartz IV startete ohne größere Pannen” bemühte. Hartz IV ist kein Rezept zur Schaffung von Arbeitsplätzen, egal was die da oben behaupten. Die Löhne werden nach unten gedrückt, rechtlose Ein-Euro-Jobs werden reguläre Arbeitsplätze verdrängen und die Armut wird zunehmen. Genau hier sollte die Diskussion für die nächste bundesweite Aktion ansetzen, und nicht bei abstrakten Formeln wie "Kapitalismus abschaffen" und "alles für alle - und zwar umsonst" stehen bleiben. Verknüpft werden sollten Proteste gegen Hartz mit dem Alltag der Menschen und Ideen für Alternativen jenseits von langweiliger Erwerbsarbeit. Schön wäre es, Aktionsformen anzubieten die nicht allzu sehr erschreckend auf Betroffene wirken. Sekt in der Arbeitsagentur Berlin (Storkower Str.) und offene Diskussionsveranstaltungen die Spaß machen und Interesse wecken sind schon mal ein guter Anfang. Her mit dem schönen Leben!

Vorläufige Übersicht Agenturschluss aus 40 Städten:  http://de.indymedia.org/2005/01/103267.shtml
Agenturschluss 2005:  http://de.indymedia.org/2004/12/101757.shtml
labournet:  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/agenturschluss_berichte.html
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Ergänzungen

Update-Informationen

Mr.X 05.01.2005 - 16:05
Der Überblick bei Indymedia zum Aktionstag wurde vor einer Stunde geupdated. Nun sind dort Aktionen in 56 Städten mit den jeweiligen Links und Zahlen zusammengetragen. Sinnvoll wäre es nun, die Informationen aus dem Feature, dem Überblick und diesem Auswerungsartikel zusammenzufassen und ins englische zu übersetzen. So könnte bei Indymedia-Global (täglich hunderttausende Besucher) ein Mittelspaltenfeature geschaltet werden.

wie es weitergehen kann

Elfriede 05.01.2005 - 16:59
Stiftung Hartz IV Test. Wuppertaler Sozialforum startet neue Umfrage zu den Auswirkungen von Hartz IV in Wuppertal!!!



Das Wuppertaler Sozialforum will es genau wissen: Wie wird HARTZ IV konkret in Wuppertal umgesetzt?
Dafür brauchen wir Eure und Ihre Mithilfe!


Anonyme Umfrage zum Wuppertaler
Arbeitsamt / Arge und zu Ein-Euro-Jobs!
Hartz IV auf die Finger geschaut-- www.az-wuppertal.de/sozialforum/fragebogen3.html



Durch die Einführung von Hartz IV werden die FallmanagerInnen des Arbeitsamtes bzw. der ARGE zum Dreh- und Angelpunkt der kommenden Auseinandersetzungen. Sie alleine können entscheiden, ob sie die Erwerbslosen mit ungerechten Eingliederungsvereinbarungen drangsalieren, sie alleine werden über Kürzungen bis zur Vollsperrung des ALG II zu entscheiden haben. Die FallmanagerInnen können Erwerbslose zwangsweise in Euro Jobs schicken oder zum Wohnungsumzug zwingen.
Wir wollen die Praxis von Hartz IV hier in Wuppertal kritisch begleiten. Wir wollen wissen, was auf den Ämtern läuft, wie die Leute bei den Ein Euro Jobs behandelt werden. Wir wollen alles wissen! Willkür, Schikanen und Ungerechtigkeiten wollen wir in einem regelmäßigen Bericht der Öffentlichkeit präsentieren. Alle FallmanagerInnen und Ein Euro Job Einsatzstellen werden wir einem kritischen Kundencheck unterziehen. Denn wie heißt es so schön: der Kunde ist König. Bitte helfen Sie mit!!




Die Umsetzung von Hartz IV bedeutendet einschneidende Verschlechterungen für die Rechte von ALG II-EmpfängerInnen. Die wichtigsten Veränderngen sind:
§ alle Erwerbslosen ALG II EmpfängerInnen und u.U. auch Personen, die mit ihnen zusammenleben, müssen eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben.

§ den Inhalt der Eingliederungsvereinbarung legt der/die FallmanagerIn (früher: SachbearbeiterIn) fest, der/die damit praktisch eine Allmachtsverfügung über das Schicksal des/der Erwerbslosen bekommt. Denn:

§ wenn sich der/die Erwerbslose weigert, die Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, oder wenn er/sie sich im nachheinein gegen Vereinbarungen wehrt (z.B. einen Ein-Euro-Job oder eine sog. zumutbare Tätigkeit zurückweist), verhängt der/die


§ FallmanagerIn eine Kürzung um 30 Prozent der Gesamtbezüge für drei Monate. Bei der nächsten „Verweigerung“ weitere 30 Prozent, u.s.w.

§ Jugendlichen und jungen Erwachsene unter 25 können die Bezüge auch komplett gestrichen werden, sie bekommen dann nur noch die Miete und Lebensmittelgutscheine.

§ Erwerbslose mit einer Wohnung, die als zu groß oder zu teuer angesehen wird, können zum Umzug oder zu Untervermietung gezwungen werden.

Trotz der deutlichen Härten des Hartz-Gesetzes haben die Verwaltungen und die einzelnen MitarbeiterInnen immer noch einen großen Handlungsspielraum. Sie entscheiden vor Ort, ob Menschen systematisch aus den Bezügen – und aus den Statistiken – herausgedrängt werden, oder ob sie mit ihren Anliegen gut beraten und respektvoll behandelt werden.



Wir brauchen Ihre und Eure Erfahrungsberichte über die Praxis des Arbeitsamtes und die Ein-Euro-Jobs:

Welche Einsatzstellen bieten 1-Euro-Jobs an? Und zu welchen Bedingungen?
Welche „Fall-ManagerInnen“ unterstützen, welche schikanieren die Erwerbslosen? In welcher Form?
Gibt es „Zwangs-Umzüge“, wenn jemand in einer angeblich zu großen oder zu teuren Wohnung wohnt?
Gibt es bestimmte Strategien gegenüber der Arbeitsverwaltung, die sich als nützlich erweisen?
Was ist sonst noch wichtig?

Die Informationen sollen zunächst dokumentiert werden. Es geht zuallererst darum, wirklich herauszufinden, wie die neue Rechtspraxis sich für die Einzelnen auswirkt. Dann müssen wir über die Folgen nicht mehr nur mutmaßen, sondern können unsere Kritik belegen. Diese Informationen sind wichtig für die Öffentlichkeitsarbeit über HARTZ IV. Sie können aber auch wichtig sein, um konkret gegen bestimmte entwürdigende Maßnahmen politisch vorgehen zu können.

Bitte helfen Sie / helft uns dabei! Erfahrungsdokumentationen können anonymisiert werden, am besten wäre es aber, eine Kontaktadresse (Email, Telefonnummer) anzugeben.



Kontakt:

eMail:  wuppertaler_sozialforum@yahoo.de

Post:
Beschwerdestelle Hartz IV
AG Erwerbslosenratschlag
c/o AZ
Markomannenstr.3
42105 Wuppertal

telefon: 0202 - 49609698 (AB)
Umfrage zu Fallmanagern und Ein Euro Jobs

www.az-wuppertal.de/sozialforum/fragebogen3.html

weitere Infos für Arbeitslose:

Anonymes Forum  http://labournet.de/phpbb/viewforum.php?f=4 oder
www.labournet.de/agenturschluss

Wichtig ist auch, die Bescheide des Arbeitsamtes von unabhängigen Stellen überprüfen zu lassen und gegebenenfalls Widerspruch einzulegen oder den Klageweg zu beschreiten.

Rechtsberatung
bietet u.a. TACHELES e.V.
Luisenstr. 100 (W-Elberfeld)

 info@tacheles-sozialhilfe.de
www.tacheles-sozialhilfe.de

Ein Diskussions- und Austauschforum für Hartz IV-Betroffene im Internet unter www.labournet.de/agenturschluss (rechte Spalte)

Für eine Vernetzung Betroffener in Wuppertal gibt es einen Austausch-Stammtisch:

Erstes Treffen ist am Mi. 12.Januar 19:00 Uhr in AZ, Markomannenstr. 3 (W-Elberfeld)
weitere Treffen demnächst unter
www.w-forum.org

englische Uebersetzung

irgendwer 05.01.2005 - 18:26

ein Anfang ist schon mal hier, vielleicht hat jemand Lust daran weiter zu basteln und es an indymedia.org weiter zu leiten:

 http://de.indymedia.org/2005/01/103300.shtml

wir haben einen fehler gemacht.

wir alle 05.01.2005 - 20:03

wir, das heisst alle "politischen" die an der aktion beteiligt waren, haben einen fehler gemacht.

wir sind die ganze zeit davon ausgegangen, dass viele betroffene richtig wütend sind, und deshalb die agenturschlussaktion quasi ein selbstläufer wird.

wir, die "politischen", haben diese wut bei uns selbst gespürt, weil wir uns viel mit der materie beschäftigt haben, und an der vorbereitung der aktion mitgeholfen haben.

eines haben wir dabei glatt übersehen: die wut der betroffenen konnte überhaupt nicht zum ausbruch kommen, denn diese manschen haben vor allem zunächst einmal ANGST - existenzangst, die sie über die weihnachtsfeiertage völlig gelähmt hat, und sie kaum über ihre wut nachdenken liess.

ziehen wir die richtigen konsequenzen - und machen weiter - aber anders.

konkrete hilfsangebote z.b. können durchaus etwas sehr politisches sein, und einen bewegung stärken. humor und satire war gut gegen die kälte, aber jemandem dem man gerade seine arbeitslosenhilfe von 900 euro höchstsatz auf 330 euro sozialhilfesatz wegreformiert hat, hatte keine chance unsere strassentheater lustig zu finden.


wir sehen uns beim agenturschluss am ersten montag im februar.

München City

XYZ 05.01.2005 - 23:13
In München fahren seit einigen Tagen routiniert immer und immer wieder polizeiwägen um das Arbeitsagenturgebäude !

Bitte etwas genauer!

Muck 06.01.2005 - 00:18
In dem Artikel heisst es "83 Städte haben beim Agenturschluss mitgemacht". Richtig müsste es heissen: "IN 83 Städten haben jeweils eine Handvoll bis ein paar Dutzend Leute mitgemacht."

wie es weiter gehen kann:

Frank Bsirske 06.01.2005 - 10:42
Bundesweit die LIDL-Filialen lahmlegen. Für mehr Lohn und gegen Profite.

Mahnwache vor dem LIDL-Supermärkten, solidarische Gespräche mit den Beschäftigten, Chaos stiften oder kostenlos einkaufen. An einem Tag bundesweit den Umsatz von LIDL gegen Null sinken lassen.

Die Polizei kann nicht vor allen LIDL-, Schlecker- und ALDI-Märkten stehen.

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