Agenturschluss Münster: Redebeitrag + Fotos

syndikalist 03.01.2005 18:09 Themen: Soziale Kämpfe
... des Bündnis: Besser Leben! vor der Arbeitsagentur Wolbecker Straße
Liebe Freundinnen und Freunde!

Das hässliche Gebäude, vor dem wir uns heute Morgen versammelt haben, trägt den Schriftzug "Arbeitsamt". Inzwischen hat die staatliche Repressionsinstanz, die hinter diesen Mauern residiert, sich den Namen "Agentur für Arbeit" zugelegt. Namenswechsel hin oder her: Das "Prinzip Arbeit" als zentrales Dogma einer Vergesellschaftungsform, die Menschen zu Charaktermasken des beständigen (sich) Verkaufens und Kaufens zurichtet - das ist das Lebenselexier dieser sich mit dem Namen "Agentur" schmückenden Behörde. Ihre Aufgabe als eine der Institutionen staatlicher Elendsverwaltung ist die Kontrolle und Überwachung, ist die Abstrafung und arbeits-therapeuthische Behandlung der ihr ausgelieferten erwerbslosen sog. "Kundinnen" und "Kunden".

Wie reagiert die staatliche Krisenverwaltung - und mit ihr die "Bundesagentur für Arbeit" - auf das Phänomen, dass das System der Arbeitsverwertung, das System von Erwerbsarbeit, die in welcher Form auch immer gegen Geld verrichtet wird, in die Krise gerät? Was ist die Reaktion der politischen Arbeits-Verwaltungsbürokratie darauf, dass die ökonomische Arbeits-Verwertungsmaschinerie für die Verwurstung des sog. "Humankapitals" immer weniger Verwendung findet? Nun, die Damen und Herren Elends-Bürokratinnen und Elends-Bürokraten - man nennt sie auch Politikerinnen und Politiker - haben die Teilhabe an der Armenabspeisung, die sie auf den Namen "Arbeitslosengeld II" getauft haben, an das Zelebrieren von Arbeitsersatzleistungen gekoppelt. Dem Arbeitsgötzen soll auch und gerade dann noch geopfert werden, wenn dieser Abgott den Fetischdienst seiner Anbetung nicht einmal mehr in den Zentren des Weltmarkts mit halbwegs erträglichen Knechtschaftsbedingungen zu belohnen vermag. Die marktwirtschaftlich "überflüssig" gemachten Menschen, die Unverwertbaren und Arbeitslosen sollen zur bürokratischen Treibjagd freigegeben und mit allerlei Instrumenten des Arbeitszwangs schikaniert werden. Ausweitung des Arbeitsdienstes auf alle Arbeitslosen - das haben die Krisenverwalter mit Einführung der Ein-Euro-Jobs sich für dieses Jahr auf ihre Agenda 2010 gesetzt.

Ja, bei der Durchsetzung der vielfältigsten Formen von Billiglohn und
Leiharbeit kommt der Arbeitsagentur eine Schlüsselrolle zu. Dabei sind es die Beschäftigten dieser Agentur, denen es obliegt, die Vorgaben der politischen Klasse in der Praxis auszuführen. Sicher: Unser Protest kann sich nicht gegen diejenigen Menschen in den Agenturen richten, die sich ebenfalls dagegen zu wehren versuchen, dass andere Menschen entwürdigend behandelt werden. So erniedrigend und entwürdigend, wie es beispielsweise die Hartz-Gesetze vorsehen. An alle kritischen Agentur-Angestellten appellieren wir, die verbliebenen Spielräume im Sinne ihrer sog. "Kundinnen" und "Kunden" zu nutzen und unsere Proteste zu unterstützen. Lassen Sie sich nicht verheizen für ein Verelendungsprogramm, dass schlussendlich auch Sie selbst und Ihre Freundinnen und Bekannten treffen kann! Allerdings gibt es unter Ihnen, den Beschäftigten dieser "Agentur des Grauens" - so titelte die Wochenzeitung "Jungle World" einmal über Ihre Arbeitsstätte - auch jene Spezies der Arbeitslosenwärterinnen und Arbeitslosenwärter, die durch Karrieredenken, die durch Kaltblütigkeit, die durch Lust an der Verfolgungs-Betreuung ihrer Klientel getrieben sind und die die herrschenden Gesetze nach Gutsherrenart glauben anwenden zu müssen. Viele von uns kennen einige davon. Sie, meine Damen und Herren von der Agentur, Sie kennen sie bestimmt auch. Nun, wir können Ihnen versichern, dass wir nicht vorhaben, solche Leute aus ihrer persönlichen Verantwortung zu entlassen ...

Liebe Freundinnen und Freunde, wir stehen hier und heute an der Stern-Straße vor einem von zwei Gebäuden der "Agentur für Arbeit" in Münster. Für nicht wenige von uns bedeutet das eine Rückkehr an eine Stätte der Angst, an einen Ort der erlebten Demütigungen, der erfahrenen Schikanen, der Entwürdigung, der Erniedrigung und auch der Resignation. Was bleibt einem schon anderes als Resignation, wenn man den marktwirtschaftlichen Konkurrenz-Krieg aller gegen alle, das allgegenwärtige Fressen und Gefressen-Werden um sich herum erlebt. Irgendwann wird man doch selbst gefressen, wenn man nicht das zweifelhafte Glück hat, zu den Fressenden zu gehören, oder?

Ich will Euch eine Geschichte erzählen.

Ein Löwe ging einst zu drei Kühen und sagte zu ihnen: "Liefert mir eine von euch aus, dann lass ich euch anderen in Ruhe." Zwei der Kühe sind sich bald einig und gehen auf den Handel ein. Eine Woche später kommt der Löwe zu einer der beiden Kühe und sagt: "Überlass mir deine Kollegin, dann verschone ich dich." Die Kuh ist einverstanden. Es vergeht eine weitere Woche, dann kommt der Löwe wieder. Die letzte Kuh erinnert ihn an das gegebene Versprechen, doch der Löwe lacht nur und fragt: "Warum sollte ich dich verschonen?" Und er frisst sie auf.

Der Löwe in dieser kleinen Fabel - der steht für den Terror der Ökonomie. Die Marktwirtschaft schickt sich an, ihre Kinder zu fressen. Und wenn wir nicht aufpassen, dann ergeht es uns nicht anders als den dummen Kühen in dieser Geschichte. Denn die Ökonomie braucht die Menschen kaum mehr. Computergestützte Maschinenparks, die im Interesse beschleunigter Kapitalverwertung entwickelt worden sind, sorgen dafür, dass der Warenreichtum dieser Gesellschaft mit immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden kann. Durch Konkurrenzdruck und Rentabilitätsanforderungen sind die Unternehmen im Sinne systemischer Logik zu betriebswirtschaftlichen Rationalisierungen gezwungen. Betriebe, die dabei nicht mitmachen, verschwinden auf Dauer vom Markt. Aus dieser Entwicklung werden nun aber keinesfalls die überfälligen Konsequenzen gezogen. Nämlich nach Wegen zu suchen, die endlich aus dem Zwangssystem der Arbeit, die gegen Geld verrichtet wird, hinausführen. Nein, die Ökonomie und ihr staatlicher Maschinist reagieren vielmehr dahingehend, dass alle Menschen - ob nun (noch) mit Erwerbsarbeit oder (schon) arbeitslos - einer sich stetig verschärfenden Arbeitshetze und Arbeitspropaganda ausgesetzt werden. Wenn wir besser leben, wenn wir ein gutes Leben für alle Menschen erreichen wollen, dann müssen wir die Arbeitsgesellschaft loswerden. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir lassen uns von der Arbeitsgesellschaft abschaffen. Oder wir nehmen das Gesetz des Handelns selbst in die Hand und wir schaffen die Arbeitsgesellschaft ab.

Ja! Das klingt "utopisch" und so gar nicht "realistisch". Jedoch:
"Utopistinnen" und "weltfremde Spinner" - das sind heutzutage diejenigen, die dem kapitalistischen System noch Zukunftschancen einräumen. Sie meinen, es gäbe irgendwann wieder mehr reguläre Arbeitsplätze ... Realistisch ist das nicht. Der Kapitalismus kann sich nicht wie der Baron von Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Hören wir darum auf, vor uns selbst die Lügenbarone zu spielen. Die Perspektive muss sein, mit den immer schmerzhafteren kapitalistischen Experimenten und mit der gesamten Markt-Miss-Wirtschaft, mit dem System von Arbeit und Geld, endlich Schluss zu machen. Das heißt nicht, dass wir zunächst nicht weiterhin Forderungen stellen müssen, die auch innerhalb des bestehenden Systems umsetzbar sind. "Hartz IV stoppen!" ist eine davon. Aber wir dürfen nicht die weitergehende Perspektive aus den Augen verlieren. Seien wir realistisch und fordern wir das Notwendige und Mögliche! In diesem Sinne schliesse ich mit einer Losung, die heute auch auf einem Transparent zu lesen ist: "Kapitalismus abschaffen.
Mit Hartz IV anfangen!"

Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Ergänzungen

Bilder dazu

syndikalist 04.01.2005 - 16:37
Bilder zum Agenturschluß in Münster:
 http://www.de.indymedia.org/2005/01/103040.shtml

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noch mal liebe mods — syndikalist

@syndikalist — mod