Leipzig: Keine Spielchen mit uns!

giromat 12.12.2003 02:47 Themen: Freiräume
Dieser Winter kommt dicke für alternative politische und kulturelle Projekte in Leipzig. Die Regierenden träumen von einer strahlend sauberen Olympiastadt 2012 und da passt ihnen einiges nicht ins Konzept. Aus politischen oder finanziellen Gründen von der Schließung bedroht sind das Conne Island, das Wohnprojekt b12, das Geyserhaus, das Jugend- und Kulturprojekt Halle 5 e.V. und andere. Bereits vernichtet ist die 250 Meter lange "Wall of Fame", eine europaweit bekannte Freifläche für Graffitikunst. Dieser "größte Schandfleck Leipzigs" (O-Ton Bürgermeister Holger Tschense) wurde weiß übermalt und wird jetzt rund um die Uhr von der Polizei überwacht, damit niemand auf bunte Gedanken kommt. Höhepunkt war bis jetzt die Auseinandersetzung um das Conne Island, das wichtigste autonome kulturelle Zentrum der Stadt. Weil hier politisch oppositionelle Politik gefördert wird, wird versucht, dem Conne Island die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Das würde das sofortige finanzielle Aus bedeuten. Um das zu verhindern gehen wöchentlich mehrere hundert Leute auf die Straße.

Berichte:
Vorerst letzte Soli-Demo am 14.7
Adventsdemo am 7.12 | Fotos
Adventsdemo am 30.11
Kampagne zur Erhaltung des Conne Island
Meine Wand?

Der kulturelle Wintereinbruch kam am 20. Oktober. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde 250 Meter lange „Wall of Fame“ am Leipziger Karl-Heine-Kanal übergetüncht. Initiator dieser Aktion war Bürgermeister Holger Tschense in Zusammenarbeit mit der Anti-Sprayer-Kampagne „STATTbild e.V.“ sowie dem OPEL-Autohaus, an dessen Rückwand sich die „Wall of Fame“ befindet. Durch die Schließung wurde den Leipziger GraffitikünstlerInnen die letzte Möglichkeit genommen, sich außerhalb von Aufträgen künstlerisch zu entfalten. Deshalb versammelten sich am 16. November 200 SprayerInnen zu einem Trauerzug und legten Kränze vor der vernichteten „Wall of Fame“ nieder. Zur Zeit laufen Verhandlungen mit der Stadt um eine neue Fläche. Die Szene lehnt ein Integrationsprojekt wie die „Galerie Reinweiß“ der Polizei ab. Hier sollten die SprayerInnen „von der Straße“ geholt werden und auf Leinwände harmlose Bildchen malen, um sie sich dann in der Küche aufzuhängen. Doch Graffiti ist eine öffentliche Kunst, eine Kunst der Straße, eine subversive Umdefinierung der grauen Wände der Stadt. Wenn es keine legalen Flächen gibt, dann werden GraffitikünstlerInnen zwangsläufig in der Illegalität agieren. Offenbar als Gegenreaktion auf die Schließung entstanden an vielen empfindlichen Stellen der Innenstadt große „Meine Wand?“-Graffitis. Etwas Positives hat die ganze Geschichte jedoch: Aufgrund der zunehmenden Repression gegen SprayerInnen und weil die Stadt nicht mehr mit Jugendarbeit, sondern ausschließlich mit Polizei und Ordnungsamt reagiert, hat sich die Szene immer mehr politisiert und wehrt sich weitgehend geschlossen gegen die Bedrohung ihrer Jugenkultur.

Die Anti-SprayerInnen-Hetze aus dem bürgerlichen Lager überschlägt sich. Bestes Beispiel ist die Aussage des Hallenser Theaterintendanten und MDR-Kommissars Peter Sodann. In einem Interview mit der „Mitteldeutschen Zeitung“ verhetzt er die Graffitikultur als „ganz normalen Faschismus“. Im Verbund mit den Ladenbesitzern, die sich im „STATTbild e.V.“ organisiert haben soll hier die neue ästhetische Linie für ein olympiareifes Strahleimage festgelegt werden. Subversive Gegenkultur wird übertüncht, die einzigen Farbtupfer sind dann die bunten „Lipsi-Löwen“ aus Plastik, banale Konsenskunst, aus privatem Kultursponsoring finanziert, mit dem nötigen Werbeeffekt für die Stadt. So sieht die neue „Leipziger Freiheit“ aus, für die Peter Sodann auf Großplakaten in der ganzen Stadt wirbt.




Die Wall of Fame - vorher...



...und nachher


Hände weg vom Conne Island

Diese „Leipziger Freiheit“ bekommt auch das selbstverwaltete soziokulturelle Zentrum Conne Island zu spüren. Zwar gab es immer viel Lob für das antifaschistische Engagement der BetreiberInnen, von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung bis zu Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Aber dann flatterte dem Finanzamt ein Brief vom Verfassungsschutz des Freistaats Sachsen ins Haus: verfassungsfeindliche Gruppen würden die Infrastruktur des Conne Island nutzen, deshalb solle man doch die Gemeinnützigkeit des Vereins „prüfen“. Das ließ sich das Finanzamt nicht zweimal sagen und kündigte prompt die Gemeinnützigkeit auf. Da damit auch alle Förderungen, Mietvertrag und steuerrechtliche Begünstigungen wegfallen, bedeutet eine aberkannte Gemeinnützigkeit die Schließung des Conne Island. Begründung für die Aberkennung: u.a. der Infoladen und die „Antifa-Mark“, ein Solidaritätszuschlag auf Konzerte im Conne Island, mit dem antifaschistische und antirassistische Gruppen unterstützt werden. Dass die BetreiberInnen eingelenkt haben, und z.B. die „Antifa-Mark“ seit Oktober nicht mehr erheben, traf auf taube Ohren. Ins Bild passt auch, dass das Finanzamt Leipzig gleichzeitig dem linken Fussballverein „Roter Stern Leipzig“ und anderen Projekten Steine in den Weg gerollt hat.

Um das schon seit Anfang der 90er Jahre bestehende linke Kulturzentrum zu erhalten, gehen zur Zeit jede Woche mehrere hundert Menschen auf die Straße – einige darunter, die schon seit langem nicht mehr dabei waren, die aber die Schließung dieses integralen Bestandteils der Leipziger alternativen Kultur nicht hinnehmen wollen. Dabei wurden auch inner-szenische Animositäten beiseite gelegt (besonders das ewige unsolidarische Gedisse aus antideutscher Ecke im Conne Island Newsflyer „Cee Ieh“ ging in letzter Zeit vielen auf die Ketten). Der Druck der Straße und ein öffentlicher Besuch mit 150 Leuten beim Finanzamt hat erste Wirkung gezeigt: dem Conne Island wurde in dieser Woche eine vorläufige Gemeinnützigkeit in Aussicht gestellt. Dabei kann durchaus spekuliert werden, dass da z.B. die angekündigte Sylvesterdemo nicht ganz unbeteiligt war. Schließlich mussten die Regierenden befürchten, dass ihnen aus diesem Anlass die gesammelte Wut der Betroffenen auf die Füße fällt. Und wenn man sich als cleane Olympia-City präsentieren möchte, dann sind kaputte Scheiben und Großeinsätze der Polizei bestimmt nicht das, was man sich am sehnlichsten wünscht. Die Sylvesterdemo ist jetzt vorerst ausgesetzt, aber die Sache ist noch nicht ausgestanden und bei der Solidemo am Sonntag sind bestimmt wieder einige hundert Leute unterwegs um das Conne Island und die anderen bedrohten Projekte zu unterstützen.
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Ergänzungen

Solidarität mit dem Conne Island...

Peter S. 12.12.2003 - 21:41
checkt auch die hallesche seite "hallefuergraffiti.tk"!
"Meine Wand" ist überall!

xtra support

see also 15.12.2003 - 14:23
bundesweite bambule demo
sa. 20.12.2003 15 uhr mönckebergstraße / Ida-Ehre-Platz

info:  http://www.nadir.org/regierung-stuerzen

olympia zerhacken!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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l.t.i. — MiG 28

naja — hmm

Wunderbar — Ich