Biermeile in Berlin-Friedrichshain

f-hain-antifa 02.08.2003 01:21
Seit Heute ist wieder Biermeile in Berlin-Friedrichshain. In den letzten Jahren konnten dort auch Nazis fast völlig ungestört ihr Germanen-Bier trinken und sich rumprügeln.
Schaut Euch um und passt auf Euch auf, vor allem abends. Letztes jahr versammelten sich die Nazis am Stand des "Germanenzug Schwaßmann" aus Neubrandenburg. Dort wurde ein Gesöff namens »Odin-Trunk« ausgeschenkt. Auch die Kameradschaft Tor war anwesend. Hier unten noch ein Artikel aus der JUNGLE WORLD vom letzten Jahr, damit mensch einen Eindruck bekommt, was hier grade im schönen Friedrichshain los ist! Und auch wenn sich das lustig liest, es ist wirklich arg!



Alle auf einem Haufen

Auf der Biermeile in Berlin-Friedrichshain trifft man jedes Jahr die Leute, die man nicht leiden kann. Nur sind sie diesmal besonders aggressiv. von Ivo Bozic

Wenn Sie wissen wollen, wie es auf der Biermeile in Friedrichshain war, dann lesen Sie diese Reportage nicht. Ich habe mich bemüht, wirklich. Aber mir fehlen die Worte, um das auszudrücken, was ich dort erleben musste. Auch die Fotos sagen gar nichts aus. Die schlimmsten Szenen spielten sich in der Nacht ab, als die Fototechnik versagte. Und die menschliche Sprache reicht nicht aus, um das zu beschreiben, was ich dort sah.

Versuchen wir es. Stellen Sie sich die Love Parade vor, aber ohne Musik und Wagen, und alle sind total blau und aggressiv. Nein, nein, stellen Sie sich ein Fußballstadion vor, aber es spielt niemand Fußball, überall stehen komplett besoffene Männer herum und pissen auf den Rasen. Nein, das ist es auch nicht. Stellen Sie sich das Oktoberfest vor, aber ohne Fest. Oder das Pogrom von Rostock, aber ohne Pogrom. Chaostage, aber mit Spießbürgern. Karneval, aber ohne Kostüme und Witzchen. Ach, es geht nicht. Sie müssen mir einfach glauben: Es war die Hölle. Es war der Angriff der Ballermänner. Eine sich geschwürartig ausbreitende IQ-freie Zone. Es war: die Biermeile in Berlin-Friedrichshain.

Zum sechsten Mal schon fielen hundertausende Alkoholiker über den unschuldigen kleinen Arbeiterbezirk im Herzen Berlins her und feierten ausgerechnet hier den Abgesang auf die Aufklärung, das Ende der Zivilisation, den Untergang des Abendlandes. Wänste, wie sie normalerweise von Sumo-Ringern zur Nahkampfwaffe herangezüchtet werden, wurden wie auf einem Laufsteg zur Schau getragen. Der Grünstreifen auf der Karl-Marx-Allee verwandelte sich in eine einzige Pissrinne. Wer - speziell am Abend - aus Versehen einen der x-tausend komplett mit Bier abgefüllten kampfhundähnlichen Männer anrempelte, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Das Mindeste war: »Willssu Ärger oder wat!«

Die Biermeile haben sich vor Jahren ein paar ganz schlaue Bezirksheinis ausgedacht, um dem beständig dahinsiechenden Geschäftsleben an der ehemaligen Stalinallee ein wenig Leben einzuhauchen und um etwas Betriebsamkeit in die sonst nur von Autos befahrene Straße zu bringen.

Doch was hier etabliert wurde, lässt die berüchtigte Allee wie schon 1957 zum Ausgangspunkt für Kummer und Verdruss, für dauerhafte Depressionen werden. Auf fast zwei Kilometer reiht sich Bierstand an Bierstand und Dixi-Klo an Dixi-Klo. Über 180 Brauereien aus über 75 Ländern präsentieren rund 1 600 verschiedene Biere, die alle getrunken werden wollen, damit man sich ein Bild machen kann. Dazwischen finden sich ein paar Imbissstände und 16 Bühnen, mit einem typischen MDR-Nachmittags-Nachwuchsmusiker-Programm. Und ein Stand zum Armbrustschießen. Werbespruch an der Bude: »Vom Kindergeburtstag bis zur Großveranstaltung!« Warum nicht auch auf dem Bierfest? Trinken, schießen, Freunde treffen. Deutsche Leitkultur, fünf Schuss für zwei Euro.

Als ich am ersten Abend, dem Freitag, gegen zehn Uhr abends auf der Höhe des Kosmos-Kinos ins Getümmel eindringe, werde ich bereits Zeuge einer Prügelei unter Besoffenen. Die angerückte Polizei beschränkt sich darauf, die kurz vor der emotionalen Explosion stehenden Schläger an ihre primitive Angst vor der Obrigkeit zu erinnern. Dann zieht sie sich wieder zurück.

Als ich eine gute Stunde später, völlig fertig mit den Nerven, wieder gehe, schlagen beim Hasseröder-Stand ein paar muskelbepackte Männertiere aufeinander ein. Nach ein paar Minuten zeigt sich die Polizei kurz. Das reicht offenbar, um die Situation erst einmal zu beruhigen. Wie die Beamten trotz dieser für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich defensiven Taktik auf insgesamt 22 Festnahmen an diesem Wochenende kommen, ist mir schleierhaft.

Die meisten Festnahmen ereignen sich am Samstag, als ein paar Nazis sich untereinander auf die Glatzen schlagen. Gerade komme ich an dem Stand mit dem »Odin-Trunk« vorbei und denke noch, Odin-Trunk, na so was, als es auch schon losgeht. Hinter dem Stand einer Imkerei aus Neubrandenburg, die sich »Germanenzug Schwaßmann« nennt, begeben sich über hundert hartgesottene Nazis, darunter auch stadtbekannte Berliner Kader, in eine bierselige Massenschlägerei. Die Anbieter des Germanentrunks lassen seelenruhig die Läden herunter und schließen ihren Stand. Nebenan geht ein Biertisch nach dem anderen zu Bruch.

Und was tut die Polizei? Zunächst einmal nichts. Schließlich rückt sie doch an und räumt ein paar Quadratmeter Bürgersteig. Ein vergleichsweise kleiner Nazi, die meisten sind echte Brocken, wird im Zangengriff an mir vorbei zur Wanne geführt. Die ganze Aktion dauert höchstens zehn Minuten, dann hat sich die Lage wieder beruhigt.

Ich rede mit einem jungen Bäcker an einem Mittelalter-Backwaren-Stand nebenan. Er hat eine Bäckermütze auf dem Kopf und weiße Klamotten an. Er flüstert mir zu: »Hoffentlich nehmen die Bullen alle mit! Die Glatzen haben schon gestern Abend hier Stress gemacht!« Hinten am Backofen steht eine junge Kollegin von ihm und weint vor Angst, weil gerade wieder Flaschen durch die Luft fliegen. Der Stand mit dem Germanenbier öffnet am nächsten Tag wieder, als ob nichts gewesen sei. Und auch die Nazis prosten sich dort am Sonntag wieder zu.

Nach Auffassung der Veranstalter des Bierfestivals, der Firma Präsenta, ist eigentlich gar nichts passiert. Das werde alles mächtig übertrieben, erklärt mir am Tag danach eine Frau am Telefon. Es hätten sich halt »ein paar Glatzköpfe untereinander geschlagen, ganz normal, wie jeden Tag im Simon-Dach-Kiez«. Ach so. Nur dass dort normalerweise Studenten und Start-Up-Yuppies ihre Weizenbiere schlürfen. Jedenfalls hat die Schlägerei nichts mit der Biermeile zu tun, bekräftigt die Dame. Alles in allem wertet Präsenta das Fest als riesigen Erfolg. Die Besucherzahl habe bei 500 000 gelegen.

Das ist durchaus vorstellbar. Nachdem das Interesse an der Love Parade abnimmt und Punk schon lange tot ist, kommt offenbar nun die Ära der Besuffkis, Heehoohee-Vizeweltweister und aggressiven Fleischmöpse. Wunderbar! Als nächstes Beerparade, Germanenzug, dann noch Stoiber als Kanzler und ich bin weg, Leute! Südsee!

Apropos Love Parade. Während auf jedem größeren Rave eine Drogenberatung präsent ist, mit Sanitätszelt und Vitaminpräparaten, hält man es beim Bierfest gerade mal für nötig, zwei Johanniter-Unfallwagen an den Straßenrand zu stellen. Und das bei der wohl größten offiziellen Werbeveranstaltung für Drogen in Europa. Wenigstens ein paar »Keine Macht den Drogen«-Plakate hätte man doch aufhängen können. Oder einen Alkoholtestautomaten aufstellen, wie es in jeder Dorfdisko üblich ist. Nichts. Noch nicht einmal Alkoholkontrollen hat die Polizei an diesem Wochenende rund um die Biermeile durchgeführt, wie mir eine Sprecherin der Polizei versichert.

Statt dessen wird der Alkoholmissbrauch in der ehemaligen sozialistischen Vorzeigeallee ohne jede Scham gefeiert. »Bier formte diesen wunderschönen Körper«, steht auf manchem T-Shirts, die sich über gewaltige Bäuche spannen. »Hopfen und Malz, Gott erhalt's« und so weiter. Es gibt viel zu sehen und zu probieren: Kirschbier, Bananenbier, Stark- und Schwachbier, Pils, Alt, Schwarz- und Weißbier, deutsches, tschechisches, irisches, vietnamesisches und afrikanisches Bier.

Eines heißt »Mastur Bier« und wirbt mit der Parole: »Mastur Bier - besorgt's dir!« Ich will es mal testen, traue mich dann aber doch nicht. Wer weiß, was die da in ihre Flaschen füllen? Ich kaufe lieber für 2,50 Euro ein kleines Fläschchen mit dem viel versprechenden Namen »Snow Koks«. Es enthält 87 Prozent Starkbier und ansonsten kräftig mit Koffein versetzte Zitronenlimonade. Es schmeckt ganz okay, so eine Mischung aus Lemon-Cocktail und Mate-Tee. Mit Bier hat es allerdings geschmacklich gar nichts zu tun. Das gilt auch für das Kirschbier, von dem mich jemand kosten lässt.

»Hauptsache, es wirkt«, ruft mir ein lachender Amateurmusiker mit grobporiger Haut aus einem kleinen weißen Plastikzelt zu, das eine Bühne darstellen soll. Ja, auch die Musiker und Bands saufen und singen und tragen so komische Namen wie »Bluejeans & Lollipop« und »Ageless«. Ein Duo, das Countrysongs und Oldies zu spielen versucht, nennt sich »Anne & Frank«. Nun ist aber Schluss mit lustig.

Als ich schließlich noch einen blinden Sänger hinter einem Keyboard sitzen sehe, der schräg wie Pisas Turm und ohne jedes Publikum weit und breit »Das ist Wahnsinn« von Wolfgang Petry singt, sind meine Nerven am Ende. Ich fange an zu zittern, ich will nach Hause. Hölle, Hölle, Hölle, dröhnt es mir in den Ohren, den ganzen Abend noch.

Doch wie kommt man hier raus? Es ist so voll, man kann kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Überall breitschultrige Hools und grölende Meuten, rotnasige Hausfrauen, bäuchige Proleten, Olééé, olé, olé, oléé! Das ganze Pack aus den Nachmittagstalkshows ist versammelt. »Hilfe, meine Mutter ist eine Schlampe.« Ich verliere fast das Gleichgewicht, weil die ganze träge Masse von Menschen kollektiv torkelt und taumelt und ich mir vorkomme wie auf einem Meer mit hohem Wellengang. Einem Meer aus Bier und Pisse, einem Meer der Barbarei, und ich auf einem kleinen Floß der Verzweiflung. Irgendwann kotzt mich dieser Moloch an einem U-Bahnhof aus. Yeah! I survived the Biermeile!

Am Sonntag muss ich noch einmal tagsüber hin, um Fotos zu machen. Da ist etwas weniger los, die Leute sind noch nicht so besoffen. Die Idioten von gestern liegen vermutlich mit fettem Brummschädel vor der Glotze: »Hilfe, diese Schlampe ist meine Mutter!« Der Uringestank aus den Büschen wird jetzt vom Bratwurstgeruch überlagert. Ich sehe zwei Polizisten, wie sie an einem Stand ein paar Flaschen Roter-Oktober-Bier kaufen. Später sehe ich sie noch einmal an einem anderen Stand, ebenfalls beim Bierkauf. Ist ja nicht verboten. Warum eigentlich nicht?

Übrigens: Im letzten Jahr starben 42 000 Menschen an den Folgen von Alkohol, 899 von ihnen kamen im Straßenverkehr ums Leben. 34 392 weitere Menschen wurden bei diesen Unfällen teils schwer verletzt. Bei einem Viertel aller Gewalttaten in dieser Gesellschaft ist Alkohol im Spiel, bei Totschlagdelikten lag die Zahl im Jahr 2001 sogar bei 41,3 Prozent.

An Cannabis ist noch nie ein Mensch gestorben. Am 31. August findet in Berlin wieder die Hanfparade statt, bei der es noch nie zu irgendeinem Gewaltdelikt gekommen ist. Sie muss wie in jedem Jahr mit starker staatlicher Repression rechnen. Polizisten werden wie immer einige Kiffer und Händler festnehmen.

Entschuldigen Sie diesen arg moralischen Schluss meines Berichts. Aber wenn Sie gesehen hätten, was ich sah, dann würden Sie mich verstehen.
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Ergänzungen

Szenedurchsagen / Crosspostings

tina aus München 02.08.2003 - 12:54
Hast Du Dir mal überlegt, wie groß der Prozentsatz der BerlinerInnen unter den IndyleserInnen ist? Aber trotzdem Danke für die Warnng, ich werd auf mich aufpassen.

Könntest Du im Gegenzug fürderhin darauf verzichten hier alte Zeitungsartikel wiederzuveröffentliche.

aktionen gegen den naziterror

muhmäh 02.08.2003 - 12:54
kommt heute zum x-beliebig.das ist als sammel und infopunkt ab 18.00 geöffnet.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 4 Kommentare

prozentsatz und so

hm 02.08.2003 - 17:17
der prozentsatz der berliner liegt bei geschätzen 50%.
und wenn hier zum protest gegen eine naziveranstaltung aufgerufen wird, was ja sowieso nur berliner bei indymedia machen, und sich dann leude beschweren, hört sich das doch sehr nach hauptstadtneid an...
ansonsten hast du recht; der artikel wurde hier schon gepostet und crosspostings nerven eigentlich.

stimmt doch gar nicht

wild 02.08.2003 - 17:39
das stimmt doch gar nicht, wir waren nicht da. ich weiss ja nicht wen ihr da gesehen habt. dafür sind wir heute da (im xb) wir sehen uns.

CeeYa

an tina

terminator 02.08.2003 - 19:08
ich fand den "alten" zeitungsbericht sehr lustig. danke fürs posten.

Berliner Antifa

Paule 04.08.2003 - 01:33
Tschja! Das einzig erwähnenswerte war wohl die Fahrrad-Demo...
Wiedermal ein klarer und deutlicher Schlag gegen die Braune Maße - weiter so, Genossen...