Antikriegsdemo Berlin

Ich stand ungefähr 500 m von der Siegessäule entfernt und habe ca. eineinhalb Stunden lang den Demonstrationszug an mir vorbeilaufen sehen.
Es waren schier unglaubliche Massen, die dort vorbeizogen, jedes Alter, von Vorschulkindern über Jugendliche bis zu Alten, die in Rollstühlen geschoben wurden, verschiedene Hautfarben und Aufmachungen. Transparente in verschiedenen Sprachen.

Nationalfahnen gab es kaum. Das erste was ich sah, gleich am Anfang, war eine Palästinenserfahne, von einem jungen Deutschen geschwenkt. Das war aber auch die einzige. Eine halbe Stunde später kam ein Block mit Kurden. Die hatten viele kurdische Nationalfahnen und auch solche mit dem Konterfei von Öscalan auf gelbem Grund. Dann habe ich später noch eine Europafahne gesehen . Das war alles. Keine Deutschlandfahne. Keine Irakfahne. Es war an vielen Stellen zu erkennen, dass der Demonstrationszug sich als Teil einer internationalen Bewegung versteht. Deutschtümelei kam nicht vor.

Die Gruppen, die dort vorbeizogen, gingen von den Quäkern und dem CVJM bis zu Linksradikalen, die sich zum Kommunismus (so um die 20 Gruppen) bekannten. Es waren auch Transparente der Frauenbewegung zu sehen. Stark vertreten waren Gewerkschafter der IGM und Verdi. PDS und Grüne hatten ziemlich viele Parteifahnen mitgebracht. MLPD war auffällig.

Die Transparente hatten wenig mit den Stereotypen wie „Kein Blut für ÖL“ usw. zu tun. Die meisten waren unabhängig formuliert. Viele prangerten Bush als Person an. In einigen Transparenten wurden Bush und Sadamm auf eine Stufe gestellt. Parolen zum deutschen Sonderweg fanden sich nicht. Nur ein Transpi: Weiter so Gerhard. Die meisten Transparente waren nach dem Tenor: Kein amerikanischer Angriff. Deutsche raus aus der Golfregion. Viele Transparente thematisierten Kultur, Umweltschutz, Bildung kontra Krieg. Kriegstreiber sind die größten Terroristen, war ebenfalls eine oft gebrauchte Redewendung. Einige wenige Transparente zur CDU, namentlich Merkel und Merz.

Ein Block hielt über Lautsprecher Ansprachen zu Ulrike Meinhof.

Die 8 oder 10-spurige Straße war mit mehreren Blocks, die parallel liefen gefüllt. Daneben liefen Leute noch auf den Bürgersteigen und im Park neben der Straße. So liefen Christen direkt neben Anarchisten neben Gewerkschaftern. Ging gut, sah aber manchmal lustig aus.

Unglaubliche Vielfalt der Personen und ihrer Botschaften. Nazis habe ich nicht gesehen. Deutschnationale Sprüche ebenfalls nicht. Viele Aufkleber: Ich bin ein alter Europäer, gerade bei Jungendlichen.

Über dem Ganzen schwebte die Atmosphäre von Genua. Die Linke tut gut daran, sich dieser Menschen anzunehmen und findet hier ein riesiges Betätigungsfeld. Die vielen garnicht so kriegszentrierten, sondern eher kapitalismuskritischen Transparente lassen erkennen, dass eine latente Bereitschaft besteht, den Rahmen des Antikriegswiderstandes schnell zu überschreiten.

Die alte Linke wurde aus dem Kampf gegen den Vietnamkrieg geboren.

Der Irak-Krieg geht schwanger mit einer neuen linken Massenbewegung. Sie muß dringend an den theoretischen Fortschritten und Auseinandersetzungen der letzten Jahre teilhaben, sonst könnte sie kaputtgehen und in Regression umschlagen.

Das Betätigungsfeld der Linken hat sich vorgestellt. Man spürt Offenheit, Aufnahmefähigkeit und Orientierungsbedarf. Die Masse erlebt etwas von ihrer Kraft.

Die Herrschenden können froh sein, dass der 1. Mai nicht heute war, auch im Hinblick auf das Wetter und die damit verbundene Lebensfreude.

Aber der 1. Mai kommt.