Jetzt oder nie: Bundeswehr auflösen!

Leo Bauer 09.02.2003 14:22 Themen: Antifa Globalisierung Militarismus Weltweit
Wenn die Regierung auf militaristische Traditionen zurückfällt, muß auch die Friedensbewegung ihre Wurzeln wiederfinden.
Es ist geschehen. Gerhard Schröder hat, nur ein halbes Jahr nach Ausrufung des "deutschen Wegs", alles auf eine Karte gesetzt. Von außen wie von innen in die Enge gedrängt, agiert der Friedenskanzler unberechenbar. Er sieht den Grundstein seiner Karriere bedroht. Als 1998 die Preussag Stahl AG, der wichtigste deutsche Geschäftspartner des Hussein-Regimes, vom Mutterkonzern ins Ausland abgestoßen werden sollte, war es Gerhard Schröder, der den Mehrheitsaufkauf durch das Land Niedersachsen veranlaßte. Der damalige Ministerpräsident wahrte so nicht nur die Geheimhaltung. Mit dem Prestige des "Retters von 12.000 Arbeitsplätzen" sicherte er sich auch seine Wiederwahl und damit die Kanzlerkandidatur.

Jetzt sollen Blauhelmsoldaten unter irakischer Aufsicht verhindern, daß die Bagdader Giftgas-Akten in amerikanische Hände fallen. Die Maske des Friedenskanzlers ist gefallen. Der "deutsche Weg" wird in seinem vollen Zynismus kenntlich. Der Kanzler schrödert von "konkreten friedlichen Alternativen zu einer militärischen Lösung des Konflikts" und meint damit den Einsatz der Bundeswehr. Die Friedensbewegung kennt diesen Stil: "Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen," hatte es am 24. März 1999 in der Kriegserklärung gegen Jugoslawien geheißen. Der Kanzler will ein "robustes Abrüstungsregime" - ein abstruses Wortmonster Orwellscher Dimension. Die spektakulär inszenierte 180-Grad-Wende der Bundesregierung hinterläßt schon mit den ersten Schlagzeilen ihre Spuren im Wortschatz. Das Berliner Neusprech erlebt eine beispiellose Renaissance. Dies ist die Stunde der Demagogen.

Die Friedensbewegung steht vor einem Scherbenhaufen. Dabei ist die Überraschung ist gar keine. Hans-Christian Ströbele, der im Kosovokrieg die Fahne der Grünen Partei auf den Berliner Ostermarsch trug, hat es angekündigt. Der ergraute Reichstagsabgeordnete mit dem roten Schal hat schon am 27. Januar zur Unterstützung Joseph Fischers aufgerufen. "Denn wir brauchen auch Staaten, die unser Anliegen in den Vereinten Nationen vertreten." Die Umarmung durch eine Regierung, die unter Friedenspolitik immer nur "Bomben für Menschenrechte" verstanden hat, erweist sich jetzt, wo die Hüllen gefallen sind, als tödliche Gefahr für den Antimilitarismus. Die rot-grünen Amtsträger haben jahrzehntelange Erfahrungen damit, die Lufthoheit in der Linken zu halten. Mit der Blauhelm-Initiative ist Gerhard Schröder dazu übergangen, die Ziele der Friedensbewegung per Regierungserklärung zu definieren. Der Kanzler hat als Hintergrund für den Coup den Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers abgewartet. Der Friedensbewegung verschlägt es die Sprache. Den Rest erledigt die bayerische Polizei. Wenn sich der Staub gelegt hat, könnte es einen umfassenden gesellschaftlichen Blauhelmkonsens geben. Gerhard Schröders sogenannte Friedenspolitik ist das genaue Gegenteil von Antimilitarismus.

Wie in jeder großen Farce wiederholt sich auch in der gegenwärtigen Politik eine Tragödie. Es ist das Scheitern der Paulskirchenbewegung, die im Frühjahr 1955 gemeinsam mit den Sozialdemokraten Hunderttausende gegen die Wiederbewaffnung auf die Straße brachte. Doch als sich abzeichnete, daß Konrad Adenauer den Aufbau der Bundeswehr auch gegen die öffentliche Meinung durchsetzte, gab die SPD Erich Ollenhauers den Antimilitarismus zugunsten des Engagements für eine "parlamentarische Einbindung " auf. Damals brach nicht nur eine Protestbewegung zusammen: Mit der Wiederbewaffnung begann für die Bonner Republik eine Epoche ohne Opposition: Die SPD programmatisch neuorientiert, die KPD verboten, alle anderen Kritiker der Restauration marginalisiert und eingeschüchtert. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis eine neue außerparlamentarische Opposition entstand.

Heute steht die Friedensbewegung erneut am Scheideweg. Doch eines ist anders: Die Wiederbewaffnung war die letzte Etappe zum Sieg der Altnazis, denen der Marsch durch die Inistitutionen gelungen war. Die Regierung Schröder hingegen agiert aus einer Position der Schwäche heraus und versucht, die Wirren der Situation auszunutzen. Diesmal liegt die Entscheidung bei uns: Lassen wir uns zum Instrument eines zwischenstaatlichen Doppelspiels machen oder erinnern wir uns an unsere eigentlichen Ziele? Integration oder Widerstand? Antiamerikanismus oder Antimilitarismus? Mit Schröder gegen Bush oder oder zurück zu den Wurzeln? Für deutsche Blauhelme oder gegen die Bundeswehr? Für eine Politik der Auslandseinsätze oder für eine Gesellschaft ohne Armee?

In dieser Situation ist es die Aufgabe des antimilitaristischen Kerns der Friedensbewegung, eine Antwort zu geben. Sie kann nur lauten: Sofortige, unmittelbare Abschaffung der Bundeswehr. Allgemeine und endgültige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands. Ersatzlose Auflösung aller Land-, See- und Luftstreitkräfte mit allen ihren Organisationen, Stäben und Ämtern einschließlich des Generalstabes, des Offizierkorps, der Reservisten, der Kriegsschulen, der Kriegervereine und aller anderen militärischen und halbmilitärischen Organisationen zusammen mit ihren Vereinen und Unterorganisationen, die den Interessen der Erhaltung der militärischen Tradition dienen. Vollständige Einsparung des Verteidigungsressorts, Streichung der verfassungswidrigen Wehrpflicht und aller Ersatzdienste, Ausschaltung der gesamten deutschen Kriegsproduktion und Einstellung aller Rüstungsexporte. Bedingungslose Übergabe aller Daten- und Aktenbestände aus Einrichtungen des Militärs und der Rüstungsindustrie an eine unabhängige Entmilitarisierungskommission unter Kontrolle der Friedensbewegung nach dem Vorbild der Reformen der Regierung de Maiziere.

Die Initiative Bundesrepublik ohne Armee schrieb: "Mit der Abschaffung der Bundeswehr könnte ein wesentlicher Beitrag zum Frieden in der Welt geleistet werden. Die pazifistische Außenpolitik ist kein Sonderweg, sondern gerade ein entmilitarisiertes Land kann durch seine internationalen Beziehungen auch andere Staaten zur Abrüstung anregen ... Abrüstung muß von Basisbewegungen eingefordert und kontrolliert werden, weil bei bisherigen Abrüstungsverhandlungen die Waffensysteme zur Disposition gestellt wurden, auf die Staaten am ehesten verzichten konnten."

Es gibt eine Chance. Abrüstung ist ein klares politisches Signal an alle Beteiligten im Irak-Konflikt. Sie ist eine dauerhafte Lösung, die radikales Umdenken erfordert. Doch gerade das ist in der gegenwärtigen Weltlage die einzige realistische Perspektive. Die Entmilitarisierung Deutschlands muß jetzt zur Hauptforderung der Friedensbewegung werden.

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Ergänzungen

solidarität

peacenix 09.02.2003 - 15:46
wäre schön wenn "die friedensbewegung" die entmilitarisierung der brd (innen und aussen) fordern würde und erkämpfen wollte. angesichts des deutschen mobs und dem schulterschluss zwischen parteien, staat, kapital, gewerkschaften und kulturindustrie wie er sich dieses wochenende in münchen dargestellt hat, kann ich nur sagen, kein friede mit den fußtruppen des deutschen imperialismus.

nie wieder krieg
nie wieder faschismus
nie wieder deutschland

ach peacenix

demowatcher 09.02.2003 - 16:43
das war ja wohl eher die '20-02-02 no existe'-Demo, mit der sich Ude als Pazifist profilieren wollte. 12:00 Marienplatz sah es ganz anders aus; das hätte dir auch gefallen. Die Redebeiträge waren krass und von auf solchen Demos selten gehörter Klarheit; zudem wurde im Vorfeld und bei der Auftaktkundgebund sehr deutlich dazu aufgerufen, sich von nationalistischen 'Friedensfreunden' (mit Fahnen, sei es BRD, Irak oder Palästina) zu distanzieren und etwaige Nazis ohne Umstände von der Demo zu treiben, denn unser Protest richtete sich gegen die Heuchelei der Umarmungsstrategie.

Deshalb waren wir auch zweieinhalb- bis dreimal so viele wie dein 'deutscher Mob' auf dem Odeonsplatz!

Und daß Schröder jetzt auf Soldaten im Auftrag der UN setzt (die ja auch strikt humanitäre Organisationen hat, wie UNICEF und UNHCR), zeigt deutlich, wes Geistes Kind er ist. Zumal er selbst nicht sagen könnte, was ein Blauhelm-Mandat ändern soll (d.h., können würde er's, aber 'statt den USA allein auch uns Zugriff zu diesem geostategischen Standbein zu bieten' kommt wohl nicht so gut an...)

korrekturgelesene Fassung des Textes:

09.02.2003 - 20:32

@ demowatcher

ich 09.02.2003 - 20:37
ich glaube, peacenix weiss daß, er will halt ein wenig stänkern und da er keine argumente hat, behauptet er irgendwas.
hab auch was: also der peacenix, den hab ich vorhin gesehen, wie er einen hitlergruß gemacht hat. jaja, hab ich genau gesehen!

so

Sta2think 11.02.2003 - 18:44
Radikaler Antimilitarismus Ahoi - das bekommt meinen Segen. Wenn man vielleicht auch mit den USA beginnen sollte, steht doch D-land ganz weit oben auf der Liste. Nur den Anfang des Artikels checke ich nicht ganz: Was soll das mit den Akten in Baghdad? Ich dachte immer, daß man Akten ganz einfach shreddert, wenn man sie nicht mehr haben will ???
Ansonsten: Komisch daß die Altnazis beim Marsch durch die Institutionen am selben Plätzchen rauskamen wie die 68er (Fischer, Schröder, Schily, Mahler, Ströbele, etc.). Ist das die Machtposition, die einen formt, oder sind das die, die wirklich regieren, und die einen dann zurechtbiegen ?