Graffiti und Strafrecht

norbert siegl 22.04.2005 09:59 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
Stellungnahme des Instituts für Graffiti-Forschung zur geplanten Verschärfung des Strafrechts in Deutschland.
Mag. Norbert Siegl
Institut für Graffiti-Forschung
 http://graffitieuropa.org
 graffiti@web.de
0043 676 6462606


05.04.22 - Stellungnahme zu einer Anfrage der Deutschen Presseagentur, dpa:


1. In Deutschland soll die Gesetzeslage gegen Graffiti-Sprayer verschärft werden, in Berlin wird seit neuestem mit BGS-Hubschraubern Jagd auf nächtliche Sprayer gemacht, wird das die Täter vom Sprayen abhalten?

Die Erweiterung des Sachbeschädigungs-§ um den Tatbestand der Verunstaltung ist seit Jahren im Gespräch. Wurde aber bisher von der Mehrheit im Bundestag abgelehnt. Einer der Gründe ist sicher, dass damit ein Gesetz geschaffen würde, das nicht praktikabel durchgesetzt werden kann, das viele Unschärfen aufweist und nur zu neuerlicher Rechtsunsicherheit führen würde. Das einzige was damit erreichbar ist, ist die Kriminalisierung zehntausender jugendlicher Sprayer und Street-Art-Aktivisten, eine gewaltige Aufblähung des Justiz- und Polizeiapparates und die Überfüllung der deutschen Gefängnisse. Zahlen müssen das die Bürger und Wähler - und ob es denen gefällt, Kanonen für Spatzen anzuschaffen???

Der Einsatz von BSG-Hubschraubern in Berlin ist ein netter verspäteter April-Scherz - die jugendlichen Sprayer sind die Wendigeren und werden sich über die neuerliche Facette des "Räuber und Gendarm-Spieles" sicherlich sehr freuen. Was die Bewohner von Berlin dazu sagen, wenn sich nächtens tausend Hubschrauber in den Himmel erheben und mit höllischem Lärm und Scheinwerferkegeln die Stadt überfluten, erlaube ich mir nicht zu beurteilen... Erreicht wird damit - außer der Schlaflosigkeit von Millionen Berlinern - nichts werden, weil ja genau dieser Druck und diese Gefahr einen wesentlichen Anreiz für pubertierende Writer darstellt.


2. Werden solche angedrohten Strafverschärfungen von den Tätern überhaupt wahrgenommen?

Wie ich schon sagte, ein wesentlicher Teil des Reizes beim Sprayens (bei sehr jungen Leuten) ist die Provokation. Und niemand lässt sich in Deutschland offenbar schöner provozieren als die CDU, von der dieser Gesetzesentwurf ursprünglich stammt. Von machen Sprayern wird dies exzessiv genützt.

Um bei Berlin zu bleiben:
Grade dort gibt es eine jahrzehntelange Tradition der Graffiti-Kultur, einerseits in den vielfältigen Politparolen der Kreuzberger Alternativkultur, andererseits mit den unzähligen Graffiti an der ehemaligen Berliner Mauer... Beide Traditionen wirken nach. Und mit der Writer/Sprayer-Kultur kam ab 1980 eine völlig neue Graffiti-Variante mit tausenden jugendlichen Aktivisten hinzu.


3. Was reizt die Täter daran, nachts Häuser zu beschmieren?

"Beschmieren" scheint uns nicht der richtige Ausdruck. Wir forschen seit rd. drei Jahrzehnten auf diesem Gebiet, aber "Schmier-Graffiti" sind eine Rarität und kaum zu finden. Vielmehr werden Graffiti geschrieben, gesprayt, gekratzt - um die häufigsten Techniken zu nennen...
Und die Motivation ist äußerst unterschiedlich und reicht von der Teilnahme an der öffentlichen Diskussion - wie bei den Politgraffiti, über persönliches Mitteilungsbedürfnis (etwa bei Toilettengraffiti) bis hin zu künstlerisch motivierten Gestaltungen. Eine ganz eigene Tradition haben die Graffiti der Sprayer-Kultur mit ihren Styles und ihrem Namenskult: einerseits den künstlerischen Anspruch und anderseits Wunsch nach Wahrnehmung in der massenhaften Verbreitung der individuellen Logos - der Tags.


4. Die einen sagen, Graffiti sind pure Sachbeschädigung, andere halten es für Kunst - was ist für die Jugendlichen das entscheidende?

Graffiti sind grundsätzlich einmal Kommunikation! Und Kommunikation kann sich in vielen Formen äußern - in ästhetisch ansprechenden, wie an den walls of fame und auch in hässlicher wirkenden Formen wie bei den Bombings. Eine Frage die also nur mit "sowohl als auch" zu beantworten ist.


5. Wie könnte man denn das Graffiti-Problem wirklich dauerhaft lösen?

In erster Linie, indem der Informationsmangel bei den politisch Verantwortlichen behoben wird. Das Institut für Graffiti-Forschung hat mit 'www.graffitieuropa.org' eine Website mit vielfältigen Informationen zum Thema eingerichtet, die kostenlos abrufbar sind.

Das Berliner Graffiti-Konzept kostete die Steuerzahlern bisher riesige Summen und erwies sich als völlig nutzlos. In hunderten anderen Städten wird das Konzept eines friedlichen Miteinanders von Jugend- und Erwachsenenkultur erfolgreich praktiziert. Die Verantwortlichen sollten sich daran orientieren! Die Graffiti-Kultur sollte nicht ständig von politischen Parteien und Medien negativ "problematisiert" werden. Diese Problematisierung hat wesentlichen Anteil daran, dass heute hunderttausende Jugendliche mit Spraydosen und Markern unterwegs sind.

Im Bereich der Sprayer- und Writer-Kultur sollte auf die Forderung nach legalen Plätzen - sogenannten walls of fame - eingegangen werden. Erst an legalen Flächen ist es den Sprayern möglich, ihre "Kunst" zu entwickeln. Ergebnis sind schöne und künstlerisch wertvolle Werke und eine deutliche Reduktion "illegaler" Graffiti-Varianten.



05, Mag. Norbert Siegl, ifg
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

guter überblick

über 22.04.2005 - 12:46
artikel und actions zum anti-graffiti-kongress in berlin und viel viel mehr:

soviele hubschrauber wie möglich, am besten b

ach ja... 22.04.2005 - 17:59
schön, dass auf indymedia in letzter zeit (wenn auch aus traurigem anlass...) viele beiträge zu graffiti gepostet werden.
schlimm, dass man dabei oftmals die immer gleiche mit vorurteilen und absolutem unwissen produzierte scheisse lesen muss.
gut, dass menschen, die ahnung haben - in diesem falle norbert siegl - auf die scheisse reagieren können.

auf manche fragen der dpa fällt es schwer eine antwort zu gebn, weil sie schlichtweg falsch gestellt sind. genau diese art von fragen kann nur eine bestimmte art von antworten nach sich ziehen - frei, ohne vorurteile oder klug könnne die aber nicht sein!

was heisst denn hier "beschmieren"? es ist furchtbar, dass sich dieses wort in zusammenhang mit graffiti durchgesetzt hat, nur weil nicht jeder dödel lesen kann, was da an der wand steht. muss er ja auch nicht, so ist es nicht mal gedacht... sehr gut, dass norbert siegl an diesem punkt widerspricht!

die ewig wiederkehrende frage, ob kunst oder straftat kann in der gleichen richtung verortet werden. prinzipiell ist das doch total egal. auch bei writern ist nicht alles was sie an die wand , den zug etc. malen mit kunstanspruch. manchmal muss es eben eine fette rotzige schlangenlinie über eine frisch gestrichene graue wand an der bahnstrecke sein, wenn darunter wunderschöne bunte pieces waren...

graffiti ist kein "problem" und deshalb lann man es auch nicht "lösen"!
graffiti ist ein künstlerisches und freies ausdrucksmedium, was wahrscheinlich bei jedem writer aus den unterschiedlichsten motiven heraus
gelebt wird. es stellt aber eine der wenigen wenn nicht einzigen möglichkeiten dar, in dieser welt optisch die orte mitzugestalten, in denen wir leben und uns bewegen, ohne dass man über einen haufen geld verfügen muss.

allein deshalb ist graffiti eine großartige sache!






Bildergänzung.

saul 24.04.2005 - 19:29
Mit Sticker konterkariertes Plakat.

Bezeichnung"Beschmieren"

Knut 01.09.2005 - 09:37
Hi,

sorry aber der Vorredner scheint die Bezeichnung "Beschmieren" fehl zu interpretieren.

Will er doch allen ernstes behaupten, dass dieses unmotivierte Taggen an sämtlichen Untergründen, sogar an Denkmälern und Kirchengebäuden, nicht als Beschmierung bezeichnet werden kann....

Halloooo...
Wo sind den die ansehnlichen Pieces die eine Botschaft enthalten?
Wo ist der grafische Wert, der das Auge "beglücken" sollte?
Wo sind den die Schmerzgrenzen für die Öffentlichkeit, wenn sogar Kirchen zugebombt werden?
Wo sind die Erben der good Oldschooler die mit dieser Art Graffiti oder deren Verursachern nichts zu tun haben wollen?

Wo....sags halt. Graffiti und die einhergehende Überzeugung dazu sind doch im Laufe der letzen Jahre derart in den Schmutz gezogen worden. Und warum?

Die ganzen Kiddies die Ihr Geltungsbedürfnis laut kundtun müssen aber null, absolut null Stil besitzen.

Graffiti ist erst dann Graffiti wenn der Verursacher sich damit identifiziert und dafür lebt. Das sind nunmal Grundvorausetzungen dafür.

Alles andere scheint einer gewissen Modeerscheinung zu entspringen und muss einfach verurteilt werden.

Wenn man den Schrott heutzutage sieht muss man Gefahr laufen "Augenkrebs" zu bekommen.
Oldschooler...kümmert Euch um dieses Thema und bringt mal paar anständige
Nachkommen auf die Beine... Ich kann mir vorstellen das die Toleranz zu dieser Thematik wieder steigt. Grau empfinden nunmal die meisten Menschen als bedrückend. Schmierereien verstärkt das ganze.
Ansprechende Bilder werden als angenehm beurteilt und lockert die Stimmungen wieder auf.

Und nun kann sich jeder darauf einen Reim machen.


Niemand mag Norbert Siegl

wer? 11.04.2013 - 18:19
So richtig und wichtig die Aussagen von Siegl auch sind, so bleibt er doch ein Kotzbrocken. Dazu eine kurze Zusammenstellung seiner Welt:
 http://ilovegraffiti.de/blog/2008/12/25/n-siegl-vs-taps-vs-moses/
 http://ilovegraffiti.de/blog/2009/01/04/der-brief-an-herrn-siegl/
 http://ilovegraffiti.de/blog/2010/01/25/norbert-siegl-droht/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

@Sprayer — ...

schwarz? prima! — paint the city black!

ahahahaha! — Ja hab ich!

schwarz rulez — Rolling Stones