Antisemitismus

06.06.2002

Vorweg, um Moshe Zuckermann, Professor für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, bei der Podiumsdiskussion "Wege aus der Sackgasse - Der Nahostkonflikt und die Solidaritätsbewegung" Anfang Mai beim BuKo sinngemäss zu zitieren (auf die Aufforderung, sich doch endlich mal zum Antisemitismus zu äußern, nachdem den ganzen Abend ueber die konkrete Situation vor Ort gesprochen worden war):

Wir sind gegen Antisemitismus.

Antisemitische Angriffe gegen JüdInnen überall auf der Welt verurteilen wir ausnahmslos. Aus dem Interesse heraus, dass die Sicherheit aller im Nahen Osten lebenden Menschen nur mit dauerhaftem Frieden gewährleistet werden kann, sind wir der Meinung, dass alle Agressionshandlungen eingestellt werden müssen. Selbstverständlich stellen wir das Existenzrecht Israels nicht in Frage. Wir verurteilen die Selbstmordattentate. Weiter sind wir der Meinung, dass Kritik am israelischen Militär bzw. der israelischen Regierung sich weder auf alle Israelis noch auf JüdInnen per se bezieht - im Gegenteil halten wir diesen gedanklichen Kurzschluss für antisemitisch.

Eine denkbare Basis für einen Umgang mit diesem Thema könnte etwa eine Auseinandersetzung mit Positionen der israelischen Friedensbewegung - also etwa von "Peace Now und "Gush Shalom" - sein, die auch von palästinensischen Verhandlungsdelegationen und internationalen DiplomatInnen als mögliche Grundlage einer Friedensregelung gesehen werden: Den Rückzug des israelischen Militärs hinter die Grenzen von 1967, den Abbau von israelischen Siedlungen in den besetzten Territorien, eine Regelung zum zukünftigen Status von Jerusalem und eine Wahrnehmung der Situation der Flüchtlinge.

Indymedia wird als offene Medienplattform von einer Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und Einzelpersonen getragen, die in Fragen dieses Konfliktes verschiedene Meinungen vertreten. Wir sehen uns als ModeratorInnen nicht in der Position, darüber hinaus Stellung zu diesem Thema zu beziehen. Wir sehen es vielmehr als unsere Aufgabe an, emanzipatorische Medienarbeit zu fördern, wo dies möglich ist.

Was die Situation hier angeht, sind wir allerdings der Meinung, dass es einen erheblichen Unterschied gibt zwischen Berichten und Diskussionen über die Situation im Nahen Osten, und der Diskussion zwischen sog. "Antideutschen" und in Deutschland lebenden Linken über Antisemitismus hier.

Mit der letzten Interim (linksradikale Zeitschrift aus Berlin, deren letzte Ausgabe (Nr. 550) von einer "antideutschen" Gruppe gestaltet wurde) und dem Versuch, Teile davon bei indymedia zu posten, hat sich dieser Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe bewegt. Seit dem 11.9. 2001 gibt es in der BRD eine Neuauflage des Versuchs seitens sog. "Antideutscher", linke Politik zu verhindern, indem jegliche politische Aktion als 'antisemitisch' gebrandmarkt und aktiv versucht wird, Linke zu diffamieren. Mit erstaunlicher Energie versuchen einzelne Teile der "Antideutschen" - insgesamt sehr wenige Personen - alles ihnen nicht Genehme anzugreifen und zu zerstören.

Es handelt sich hier nicht um paranoide Wahnvorstellungen, sondern um belegbare Vorwürfe. Indymedia Schweiz sah sich z.B. gezwungen, nach Strafanzeigen, die durch die FEPA ausgelöst wurden, ihre Seite monatelang zu schliessen. Indymedia Deutschland hat unzählige Postings, Kommentare und Mails bekommen, die sehr explizit dazu aufrufen, das Projekt zu boykottieren und zu zerstören. "Antideutsche" scheuen sich nicht, ihre Attacken in deutscher Sprache auf der Website von Indymedia Jerusalem (Palästina) auszutragen.

Wir befürchten im übrigen, dass der inflationäre Gebrauch des Begriffs "antisemitisch" eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema unmöglich macht. Weder der pauschalisierte Antisemitismusvorwurf noch die andauernden Faschismus- und Nazivergleiche taugen als Kampfbegriffe für eine Auseinandersetzung unter Linken. Beides führt daneben auch zu einer Relativierung der Singularität des Holocaust.

Um nicht falsch verstanden zu werden: wir sind der Ansicht, dass über Antisemitismus diskutiert werden muß. Wir haben nicht umsonst ein Moderationskriterium, das besagt, dass antisemitische Äußerungen auf Indymedia Deutschland keinen Platz haben und gelöscht werden. Wir haben uns mit dieser Haltung und den resultierenden Entscheidungen im internationalen Indymedia-Netzwerk wie auch in Deutschland vielen Vorwürfen wegen zu strikter Zensur ausgesetzt.

Wir sind aber nicht bereit, einer "antideutschen" Kampage, linke politische Strukturen - inkl. unseres eigenen Projektes - zu zerstören, Aktionsmöglichkeiten zu bieten. Das beinhaltet auch das permanente, systematische Kritisieren von Allem als antisemitisch, was versucht, dem alltäglichen Wahnsinn linke Politik entgegenzusetzen. Die letzte Ausgabe der Interim und den Versuch, Teile davon bei Indymedia zu posten, betrachten wir als Teil dieser Kampagne.

Aus diesem Grund haben wir uns entschieden,

  • weiterhin so gut wie möglich eine Plattform für Berichterstattung und Diskussion über den andauernden Konflikt im Nahen Osten zu bieten.
  • soweit es uns möglich ist, die Arbeit von Indymedia Israel und Indymedia Jerusalem (Palästina) zu unterstützen
  • der innerdeutschen Szene-Pseudodebatte über Antisemitismus solange kein Forum zu bieten, wie sie kein Interesse an konstruktiver Auseinandersetzung zeigt.

Wir betrachten entsprechende Beiträge als vorsätzliches, systematisches, wiederholtes Missachten der Zielsetzung von indymedia und des Konsens' darüber, wie es genutzt werden soll/kann und löschen sie entsprechend unseres Kriteriums gegen Spam. Dies geschieht unabhängig von ihrer Form (als (wieder-) veröffentlichtes Pamphlet oder immer wiederkehrende systematisch vorgenommene Ergänzung) und unabhängig von ihrer Autorenschaft. Dass das nicht einfach ist, ist uns bewußt.

An konstruktiver Kritik sind wir immer interessiert und machen es uns bestimmt nicht leicht. Wir werden uns aber auch nicht in unserer Arbeit blockieren lassen.

Dazu wollen wir auch nochmal darauf hinweisen, dass Indymedia ein Projekt ist, das versucht, Berichterstattung jenseits kommerzieller Medien zu leisten und zu ermöglichen. Deswegen sind uns selbstverfasste Berichte über Antisemitismus in Deutschland und den Kampf dagegen genauso wichtig wie selbstgeschriebene Reportagen zum Thema. Das Veröffentlichen vorgefasster Gruppenstatements und die strategische Zweitveröffentlichung von Artikeln aus anderen Medien (unabhängig von ihrem Inhalt) zählen wir dagegen nicht zu den Zielen von Indymedia.

Indymedia ist kein Diskussionsforum, aus vielfach genannten Gründen - wer daran Interesse hat, kann und sollte entsprechende Websites und Diskussionsforen nutzen.

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