Redebeitrag: Besonderer Bedarf bei der Unterbringung von geflüchteten LGBT*IQ's / Speech: particular needs for accommodation of LGBT*IQ-Refugees

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Redebeitrag zur Demonstration 'Wohnraum statt Leerstand' 12.12.2015 in Kassel / Speech for demonstration 'Living space, not empty houses!' 12.12.2015 in Kassel

 

 

(english below)

 

Redebeitrag zur Demonstration 'Wohnraum statt Leerstand' 12.12.2015 in Kassel

Die Ursachen, die Menschen dazu bewegen zu flüchten, sind genauso unterschiedlich, wie die Erfahrungen, die eben jene während ihrer persönlichen Flucht machen. Uns ist es wichtig, dass wir uns mit allen Geflüchteten solidarisieren. Sei es aufgrund von ökonomischer Perspektivlosigkeit, politischer Verfolgung oder aus Angst vor dem sich ausbreitenden Terror.

 

Mit diesem Redebeitrag wollen wir auf die besondere Situation von LGBT*IQ-Personen bei Flucht und Vertreibung aufmerksam machen. Mit LGBT*IQ-Personen meinen wir lesbische und schwule Menschen, sowie Bi's, Queers, Trans*- und Inter*-Personen also Menschen, deren sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität von der heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Norm abweicht. Im Folgenden werden wir sie unter dem Begriff Queers zusammenfassen.

Der Anlass der heutige Demo „Wohnraum statt Leerstand“ ist auf das verfehlte Handeln der Politik in Bezug auf die Unterbringung von geflüchteten Menschen zurück zu führen. Dem geht ein jahrelanges Versagen der Politik bezüglich der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum voraus, so wie das politische Kalkül die Situation der Geflüchteten möglichst unkomfortabel zu gestalten. Die zynische Idee ist es, dadurch die Attraktivität einer Flucht zu verringern. Eine politische Situation, die beispielsweise von dem Verein ProAsyl schon seit Jahren kritisiert wird. Statt einen menschenwürdigen Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen und zu stellen, werden Geflüchtete in der Regel in sogenannte Sammelunterkünfte am Stadtrand oder in Dörfer ohne jegliche Infrastruktur untergebracht. Privatsphäre und ein selbstbestimmtes Leben ist in diesen Sammelunterkünften, in denen verschiedenste Menschen auf engstem Raum untergebracht sind, nur selten möglich.

 

Unter dieser inakzeptablen Unterbringung leiden Frauen* und 'Queers' im Besonderen. Waren sie häufig in ihren Herkunftsländern von Verfolgung, Misshandlung und Diskriminierung, aufgrund ihrer sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität, ausgesetzt nehmen sie diese Form der Verfolgung mit nach Europa. Nicht selten war eben jene bedrohliche Lebensrealität der Grund zur Flucht. In Deutschland angekommen führt sich jedoch diese von Gewalt geprägte Realität fort. Während es für Frauen* zumindest Ansätze einer Schutzraumidee auch bei der Unterbringung geben mag, fallen queere Personen bei den Debatten zur Unterbringung vollends unter den Tisch.

Schon allein das Asylverfahren selbst ist häufig von Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen überlagert. So stellt beispielsweise Homosexualität nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Asylgrund dar. Die Antragssteller*innen müssen ihre Homosexualität und die Verfolgung auf Grund dessen beweisen. Immer wieder wird hierbei auf normative Annahmen zurückgegriffen, welche die betreffenden Personen erneut in homo-, trans*feindliche und grenzüberschreitende Situationen bringen. Häufig müssen sich die Betroffenen von Gutachtern auf die »Qualität ihrer homosexuellen Neigungen« überprüfen lassen. Ist nach Ansicht der_des Gutachter_in ein »Ausweichen auf eine heterosexuelle Lebensweise« möglich, wird kein Asyl gewährt.

Hinzu kommt, dass es für betroffene Personen oft schwer ist, einen „Beweis“ für ihre Verfolgung vorzubringen, wenn in ihren Herkunftsländern queeres Begehren und queere Identitäten sowie der offene Umgang damit tabuisiert sind.

 

Doch auch die direkte Situation in den Sammelunterkünften ist oft unerträglich. So kommt es vor Ort immer wieder zu körperlichen und verbalen Anfeindungen und Übergriffen an queeren Personen durch andere Bewohner*innen, aber auch durch freiwillige Helfer*innen oder Mitarbeiter*innen der Einrichtungen.

So hat zum Beispiel in Dresden vor kurzem der CSD-Verein auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Hier waren homosexuelle Männer in einer Sammelunterkunft massiver homofeindlicher Gewalt ausgesetzt. Der Verein konnte, dank einem großen bürgerlichen Unterstützer*innenumfeld, vier der betreffenden Männer in private Unterkünfte vermitteln.

Für Trans* und Inter* Personen sind hier noch größere Schwierigkeiten zu beobachten. Sei es durch die fehlende Privatsphäre für die Beschaffung und Einnahme von Medikamenten, durch das Benutzenmüssen von Gemeinschaftsduschen und Toiletten, aber auch durch die Einteilung in die Schlafsäle, die Klamottenausgabe und vieles mehr.

 

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, welche Besonderheiten und Komplikationen sich für Queers in Bezug auf Flucht und Unterbringung aufzeigen lassen. Viele kommen mit der Hoffnung nach Deutschland, hier endlich sicher und offen ihre geschlechtliche und/oder sexuelle Identität leben zu können. Eine Hoffnung, die in den Sammelunterkünften oft im Keim erstickt wird. Durch ihre besonderen Bedarfe sind sie zudem schwerer in Privatunterkünfte zu vermitteln. Die psychische Situation der Menschen wird dadurch extrem verschärft, auch deshalb, weil sie so den häufig auftretenden Anfeindungen in den Sammelunterkünften für eine lange Zeit ausgesetzt sind. Hier bedarf es einer größeren Aufmerksamkeit und Sensibilität seitens der Politik, der Angestellten in den Lagern sowie den ehrenamtlichen Helfer*innen. Die Praxis, dass Queers, pathologisiert und ihre dramatische Situation bagatellisiert wird, muss ein Ende haben.

 

Deshalb fordern wir eine dezentrale Unterbringung für ALLE Geflüchteten, sowie einen sensiblen Umgang in der Unterbringung für die besonderen Bedarfe von Queers. Des Weiteren fordern wir eine ausreichende soziale, psychologische und medizinische Betreuung in den jeweiligen Herkunftssprachen der_des Einzelnen, sowie rechtliche Unterstützung bei queeren Themen. Wir fordern eine Sensibilisierung ALLER Helfer*innen und Mitarbeiter*innen der Unterbringungen in Bezug auf queere Lebensrealitäten sowie die Änderung der Asylgesetze und Verfahren, die Folter, Angst und Tot in seiner Konsequenz zur Folge haben!

 

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Speech for demonstration 'Living space, not empty houses!' 12.12.2015 in Kassel

The reasons that force people to leave their home country are as diverse and varied as the experiences that those people will make during their escape. Our main concern is to show our solidarity with all refugees, regardless of whether the reasons for their escape are due to economic neglect, political persecution or the advance of terrorist regimes.

This speech however particularly aims at highlighting the precarious situation of LGBT*IQ refugees, namely lesbian, gay, bisexual, trans, inter and queer people; in short everyone whose sexuality and/or gender identity does not fit within the heteronormative framework of two distinct genders and sexual orientations. In the following we will address those people as Queers.

 

Todays demonstation is a response to the inabillity of politicians so far to provide refugees with adequate shelter; a situation that has been emphasized by years of political neglect in the housing sector that led to overpriced rents and shortage of housing. Furthermore, the political idea of discouraging people from seeking refuge in Europe by putting refugees in the most demanding, uncomfortable positions increases their precarious living conditions. Instead of being accommodated with suitable living spaces, refugees are forced to stay in crowded, uncentralised refugee camps which lack any opportunity for privacy or self-determined life-styles. It is a political practise that has been criticised by many organisations, such as ProAsyl.

 

Those who are particularly affected by the strains of inadequate shelter are women and queers, who have often been subjected to discrimination based on their sexual and/or gender identity in their native country, and are now being forced to submit to a discriminatory procedure for granting the right to asylum. While there are, at least for women, rudimentary precautions to put them in a safe space, queer people have no right to such considerations.

Furthermore, homosexuality for instance is only considered to be a plausible reason for granting the right to asylum if the affected person can first of prove the so-called quality of their homosexuality ,which is assessed by a consultant, and secondly that homosexuality was the actual reason for their persecution. If the so-called quality of homosexuality of the asylum seeking person is not sufficient and the consultant concludes that "a heterosexual life-style" is possible, asylum will not be granted.

To make matters worse, in most cases "proving" ones queerness is near to impossible as a queer life-style would have had to have been kept secret in countries where people face persecution based on their sexual identity.

 

But the situation of queer refugees who live in refugee camps remains precarious. A list of documented cases of verbal and physical abuse by fellow refugees, voluntary workers and staff members of refugee camps draw a clear picture of the alarming situation of queer refugees.

A recent case from Dresden where homosexual men were subject to fierce homophobic abuse and which was made public by the local CSD-organisation shows how urgent the need for adequate living conditions is. People who identify as Trans or Intersex are even more vulnerable due to the permanent bureaucratic necessary to divide refugees in two distinct gender categories.

 

These veryspecific problems and issues that relate to the situation of queer refugees should have been sufficiantly sketched out through the aforementioned examples. Many of those who seek refuge in Germany, come here hoping to find a safe and egalitarian surrounding that enables them to live out their sexual and/or gender identity. This is a hope which is often put an end to as soon as they move into refugee camps, where they are subjected to abuse. We appeal to politicians, voluntary workers and staff members alike, to raise awareness of this situation concerning queer refugees instead of trivialising it.

 

Hence we demand decentralised accommodation for all refugees and the consideration of the particular needs of queer people. Furthermore we claim sufficiant social, psychological, medical and juridical support that takes individual language skills into account. Last but not least, we urge politicians to change the current asylum law and asylum procedures that perpetuate torture, fear and death.

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