Kundgebung "Freiheit für Ruslan Kotsaba" vor der ukrainischen Botschaft in Berlin

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Seit zehn Monaten sitzt Ruslan Kotsaba in der Ukraine in U-Haft - wegen Landesverrat und Behinderung der Tätigkeit der Streitkräfte. Sein "Delikt": Er hat öffentlich zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen und fordert Verhandlungen mit den Separatisten statt weiteres Blutvergießen. In Berlin fand heute eine Kundgebung für seine Freilassung statt.

Die Kundgebung war zwar klein, aber sie soll Auftakt für eine längerfristige Kampage für die Freilassung von Ruslan Kotsaba sein. Diese wird vor allem vom Verein connection-ev.de in Darmstadt und der DFG-VK NRW getragen.

Die Botschafts-MitarbeiterInnen haben sich geweigert, ein Schreiben mit der Forderung nach Freilassung Ruslan Kotsabas entgegenzunehmen, und ihren Briefkasten verwiesen.

 

Aus der Ansprache des DFG-VK-Landesgeschäftsführers:

 

(Manuskript)

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Freiheit für Ruslan Kotsaba!

Ansprache auf der Kundgebung vor der ukrainischen Botschaft, Berlin, 10. 12. 2015

 

 

Liebe Leute,

 

 

Ruslan Kotsaba ist Journalist und Blogger.

 

Seit Jahren gehört er der zivilgesellschaftlichen Organisation „chesno“ an, die u. a. im vergangenen Jahr vor den Parlamentswahlen dazu aufrief, nicht seine Stimmen zu verkaufen.

Anfang 2014 unterstützte er die Maidan-Proteste, im Frühjahr 2014 wählte er Poroschenko.

 

Er hatte die Hoffnung, der Euromaidan könne einen demokratischen Fortschritt ermöglichen.

 

Ich sage das nicht, weil ich diese Hoffnung für berechtigt halte, aber weil es klarmacht, dass Ruslan alles andere als ein „Agent Putins“ ist, als den ihn seine Gegner darstellen möchten.

 

Rund ein Jahr nach Beginn der Maidan-Proteste sah sich Ruslan im Gefängnis wieder.

 

 

Seit Anfang Februar sitzt er in U-Haft, wegen Landesverrat und Behinderung der Tätigkeit der Streitkräfte.

Letzter Anstoß: ein Video, in dem er auf youtube erklärt,

er werde sich der Einberufung verweigern und würde eher fünf Jahre Gefängnis auf sich nehmen als auf seine "im Osten lebenden Mitbürger" zu schießen. Er rief seine Landsleute auf, ebenfalls den Kriegsdienst zu verweigern.

 

 

Das heißt, Ruslan hat nicht nur selbst seine Kriegsdienstverweigerung erklärt, es ging ihm nicht nur darum, sich selbst nicht am Töten zu beteiligen, sondern er versteht sich als politisch Handelnder, der andere auffordert, es ihm gleichzutun. Er ist nicht nur Kriegsdienstverweigerer, er ist Kriegsdienstgegner.

 

Das deckt sich mit unseren Ansichten: Jeder muss ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben, und jeder muss das Recht haben, andere zum Verweigern aufzurufen. Recht auf KDV und Recht auf Meinungsfreiheit gehören zusammen.

 

 

Das ukrainische Recht sieht das anders. Laut Verfassung gibt es KDV  ausschließlich für Angehörige von zehn einzeln aufgezählten religiösen Minderheiten, wie etwa Zeugen Jehovas, Hare Krishnas und ein paar evangelikalen Sekten.. Anhänger der großen Kirchen und Atheisten haben dieses Recht nicht, also ungefähr 99 Prozent der ukrainischen Bevölkerung. Das ist schon an sich ein Skandal.

 

Das Strafmaß für Verweigerung beträgt zwischen drei und fünf Jahren.

 

Inwiefern Ruslan auch noch „Landesverrat“ begangen haben soll, bleibt bislang im Dunkeln. Vorgehalten wird ihm etwa, dass er zu einer TV-Show in Moskau war, dass er sich bei den Separatisten als Journalist hat registrieren lassen, offenbar als einziger ukrainischer Journalist

 

Politisch unbeliebt gemacht hat er sich durch den Tenor seiner Berichterstattung. Er ergreift nicht Partei für die Separatisten, aber auch nicht für die Kiewer Seite. Er ergreift Partei für die Kriegsdienstverweigerung.

Er fordert Verhandlungen zwischen Kiewer Regierung und Separatisten, weil alles andere nur noch mehr das Land zerreißen würde.

 

Dass er nicht von russischer Invasion spricht, sondern von  Bürgerkrieg, mag aus Sicht der ukrainischen Regierung wie Landesverrat erscheinen.

 

 

Kotsaba hat sich weiter „schuldig“ gemacht, weil er die herrschenden Eliten attackiert – weil sie wirkliche politische Reformen verweigern, weil sie nach wie vor nur daran denken, wie sie ihre Gewinne auf Kosten der Bevölkerung mehren können. Auch diejenigen, die am Krieg gewinnen, hat er angeprangert.

 

 

Es dürfte der ukrainischen Justiz schwer fallen, das alles als Landesverrat zu verurteilen, und der ukrainischen Regierung dürfte es schwer fallen, im Falle einer Verurteilung den Rest ihrer Glaubwürdigkeit als demokratiebefürwortende Kraft zu behalten.

 

Ich denke, aus genau diesem Grund wird der Prozess verschleppt. In einem normalen Rechtsstaat wäre nach 10 Monaten entweder der Prozess eröffnet oder der Beschuldigte käme auf freien Fuß, evtl. mit Auflagen usw.

Aber in der Ukraine ist nach dem Gesetz bei einer Anklage wegen Landesverrat die U-Haft zwingend. Sie dauert solange, bis der Prozess zu Ende ist , mit Freispruch oder Verurteilung.

 

Aber dieser Prozess beginnt eben gar nicht erst. Der Trick geht so:

Das Gericht hat 58 Zeugen benannt, die es VOR Prozessbeginn anhören will. Jeden Monat gibt es eine Anhörung, bei der drei bis vier Zeugen vernommen werden. Manchmal fällt sie auch aus.

Man kann sich ausrechnen, was das heißt: Die Prozess-Eröffnung würde es bei diesem Tempo frühestens Anfang 2017 geben. Und wie lange dann der eigentliche Prozess noch dauert, steht in den Sternen.

 

Es ist ziemlich klar: Hier wird ein Exempel statuiert. In der Ukraine gibt es derzeit 7500 Strafverfahren wegen Kriegsdienstverweigerung oder vergleichbarer Akte der Wehrkraftzersetzung. Da wird jeder eingeschüchtert, der offensiv andere zum Verweigern aufruft, weil die Behörden wissen, dass solche Aufrufe auf fruchtbaren Boden fallen.

 

Worauf es uns ankommt:

 

Man muss die Dinge gar nicht so sehen wie Kotsaba – man muss sie aber als zulässigen Gebrauch der Meinungsfreiheit ansehen.

Dass jemand für die Forderung nach Verhandlungen statt nach weiterer Kriegführung ins Gefängnis muss, darf einfach nicht sein.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung muss anerkannt werden,

und das umfasst das Recht, auch offensiv für die Wahrnehmung dieses Rechts zu werben!

Freiheit für Ruslan Kotsaba!

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