Gründung des Landes NRW

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Die Gründung des Landes NRW war eng mit der internationalen Politik des Jahres 1946 verbunden. Das Bundesland Preußen sollte nicht wieder entstehen und so wurde das Bindestrichland NRW gegrundet.

 

Wiederaufbau und Reeducation: Die Frühphase des Landes Nordrhein-Westfalen

 

 

 

In den letzten Monaten vor der Befreiung vom Nationalsozialismus versuchten Träger des NS-Regimes in Form von „Werwolf-Gruppen“, eine Art terroristische „Widerstandsbewegung“ aufzubauen. Die Losung dieser Terrorkommandos lautete: „Haß ist unser Gebot, Rache ist unser Kampfruf!“[1] Bereits im Herbst 1944 hatte der damalige stellvertretende Reichspressechef der NSDAP, Helmut Sündermann, gefordert: „Kein deutscher Halm soll den Feind nähren, kein deutscher Mund ihm Auskunft geben, keine deutsche Hand ihm Hilfe bringen, jeden Steg soll er zerstört, jede Straße gesprengt vorfinden – nichts als Tod, Vernichtung und Haß wird ihm entgegentreten. Schaudernd soll er verbluten auf jedem Meter deutschen Bodens, der uns gehört und den er rauben will.“[2] Am 25.03.1945 ermordeten Mitglieder einer dieser „Werwolf-Gruppen“ den von den US-amerikanischen Befreiern im Aachener Raum eingesetzten Bürgermeister Oppenhoff.[3] Die Mitglieder dieser „Werwolf-Gruppe“ versuchten nach der Tat über den Rhein zu fliehen; dabei kam der angebliche Mörder Oppenhoffs, der Österreicher Sepp Leitgeb, in der Eifel durch eine Mine ums Leben. Alle anderen Mitglieder wurden vom britischen Geheimdienst festgenommen und später vor ein deutsches Gericht gestellt. Dabei wurden Haftstrafen von einem bis zu vier Jahren verhängt, zwei Jugendliche unter 16 Jahren wurden freigesprochen. In zwei Nachfolgeverfahren wurden die Haftstrafen abgemildert und schließlich nach dem Straffreiheitsgesetz von 1954 „wegen Befehlsnotstands“ ganz erlassen.

 

Die britische Regierung betrachtete die Reeducation als wichtigen Teil ihres Konzeptes der Neugliederung Nachkriegsdeutschlands. In einer Erklärung des Foreign Office vom 08.08.1943 hieß es, dass Deutschland im Interesse seiner Nachbarn vor dem Bankrott gerettet werden müsste. Deshalb müsse Nachdruck auf die demokratische Umerziehung des nationalsozialistischen Deutschlands gelegt werden, was als Aufgabe von Jahrzehnten gesehen wurde.[4] Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 berieten der US-amerikanische Präsident Roosevelt, der britische Premierminister Churchill und Stalin über zu ergreifende Maßnahmen, um Militarismus, Rassismus und Nationalsozialismus in Deutschland auszulöschen. Sowohl die NSDAP und ihre Gliederungen als auch alle nationalsozialistischen und militärischen Einflüsse sollten aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben ausgeschaltet werden.

 

Nach der deutschen Kapitulation am 08.05.1945 übernahmen die alliierten Streitkräfte der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion gemeinsam die Regierungsgewalt in Deutschland. Es wurden vier Besatzungszonen eingerichtet, die unter der Aufsicht des in Berlin residierenden Alliierten Kontrollrates standen. Aufgrund der Tatsache, dass der Kontrollrat lediglich legislative Befugnis besaß und schon bald durch den Konflikt um die französische Deutschlandpolitik handlungsunfähig wurde, bildete sich eine praktisch souveräne Politik der jeweiligen Militärregierungen in den einzelnen Besatzungszonen heraus. Bei der Zonenaufteilung hatten die Briten das Land Lippe und die preußische Provinz Westfalen zugesprochen bekommen. Von der Rheinprovinz fiel der südliche Teil an Frankreich, während die Regierungsbezirke Aachen, Köln und Düsseldorf in die britische Zone integriert wurden. Die britische Militärregierung hielt an dem alten preußischen Verwaltungsprinzip der Aufteilung in Kommunen, Kreisen, Regierungsbezirken und Provinzen fest und organisierte ihre eigene Verwaltung parallel dazu.[5] Im Zuge der Eroberung der Provinzen Rheinland und Westfalen setzten die Briten vom Nationalsozialismus (scheinbar) unbelastete Personen in der Spitze der Verwaltung ein, die mit der Rekonstruktion der jeweiligen Behörden beauftragt wurden. Diese neu bestimmten Amtsträger waren den Weisungen der britischen Besatzungsmacht unterworfen und besaßen nur in wenigen Fällen Raum für selbständige Entscheidungen. So wurde zum Beispiel Konrad Adenauer, der 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängt wurde, wieder Oberbürgermeister von Köln. Nachdem er einige Monate lang sein Amt ausgeübt hatte, wurde Adenauer am 06.10.1945 vom britischen Brigadegeneral John Barraclough wegen „Unfähigkeit“ fristlos entlassen. Außerdem verfügte Barraclough eine Auflage, dass Adenauer „weder direkt noch indirekt irgendeiner wie auch immer gearteten politischen Tätigkeit“ nachgehen solle.[6] Über die Gründe dieser Entlassung kann nur spekuliert werden. Barraclough selbst behauptete, Adenauer habe „die Politik der Militärregierung nicht mit genügend Energie und Weitblick verfolgt.“[7] Adenauer selbst nahm an, dass es sich um eine politische Intrige von deutschen Sozialdemokraten und Labour-Politikern in London handelte.[8]

 

In der britischen Zone lag der Oberbefehl bei der Control Commission for Germany, British Element (CCG BE), die von Militärgouverneur Bernhard L. Montgomery geleitet wurde.[9] Dem auf mehrere Kleinstädte in Ostwestfalen verteilten Zonenhauptquartier unterstanden die Provinzial-, Länder-, Bezirks- und Kreismilitärregierungen. Die britische Verwaltung beschäftigte bis zu 20.000 Personen. Im Laufe der Zeit berief die britische Militärregierung neben den „unbelasteten“ Personen auch NS-treue Verwaltungsbeamte, um „die Funktionsfähigkeit der Verwaltungen zu sichern“.[10] Damit wurde in der Verwaltung eine personelle Kontinuitätslinie von NS-Beamten in der postfaschistischen Ära geschaffen. Ehemalige Nationalsozialisten gelangten so wieder in wichtige Positionen; die von den britischen Befreiern proklamierte Maxime der demokratischen Umgestaltung wurde durch diese Maßnahme geschwächt.

 

Für die britische Militärregierung gab es drei Gründe, sich für einen Wiederaufbau im Rheinland und in Westfalen einzusetzen.[11] Erstens wurde schnell deutlich, dass sich ein wirtschaftlicher Niedergang zur ökonomischen Belastung entwickeln würde. Zweitens sollte aus humanitären Gründen und auch aus Angst vor einer Bolschewisierung Deutschlands der deutschen Bevölkerung geholfen werden. Drittens machte es sich die britische Militärregierung zur Aufgabe, ihr politisches und gesellschaftliches System der kapitalistischen Demokratie auf Deutschland zu übertragen, um es im beginnenden „Kalten Krieg“ enger an die westlichen Staaten zu binden.

 

Auf der Potsdamer Konferenz vom 17.07. bis 02.08.1945 wurden von den Alliierten verschiedene politische Grundsätze für die Entnazifizierung beschlossen. Dabei ging es um die vollständige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands, zu dessen Zweck nicht nur alle Land-, See- und Luftstreitkräfte, sondern auch SS, SA, SD, Gestapo und alle anderen „militärischen und halbmilitärischen Organisationen, zusammen mit ihren Vereinen und Unterorganisationen, die den Interessen der Erhaltung der militärischen Tradition dienen“, völlig und endgültig aufgelöst werden sollten, „um damit für immer der Wiedergeburt oder Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus und Nazismus vorzubeugen.“[12]

 

Dass die Abkehr vom Nationalsozialismus und den politischen und ökonomischen Strukturen, die dessen Aufstieg und Herrschaft ermöglicht hatten, auch eine Demokratisierung der Wirtschaft beinhalten sollte, war bei den politischen Entscheidungsträgern weit verbreitet. Es ging darum, die Großindustrie als „Kriegstreiber“ und „Helfershelfer“ des Nationalsozialismus zu entmachten. Das Ruhrgebiet, das während des 2. Weltkrieges als Waffenschmiede galt, nahm eine besondere Stellung ein, als es darum ging, das Wirtschaftspotential des postfaschistischen Deutschlands zu begrenzen, die kapitalistischen Eliten zu entmachten und die Großkonzerne zu zerschlagen, die eine Mitverantwortung für die NS-Schreckensherrschaft trugen. Ende des Jahres 1945 kam es zu Absetzungen und Verhaftungen von kapitalistischen Eliten; die größten Stahlkonzerne im Ruhrgebiet wurden aufgelöst und mehrere kleinere Hüttenwerke gegründet.[13]

 

Die Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen war eng mit der internationalen Politik des Jahres 1945/46 verbunden; sie sollte den französischen Vorschlag einer Internationalisierung des Ruhrgebietes abwehren und eine angeblich bevorstehende kommunistische Expansion verhindern.[14] Die französische Regierung war daran interessiert, das Rheinland und das Ruhrgebiet vom übrigen Deutschland abzutrennen. Auf dem linken Rheinufer sollten zwei oder drei unabhängige Staaten entstehen und das Ruhrgebiet unter der Oberhoheit der Siegermächte zu einem eigenen internationalisierten, weitgehend deindustrialisierten Territorium gemacht werden.[15] Die britische Militärregierung befürchtete im Frühjahr 1946 eine sowjetische Expansionspolitik im Hinblick auf das Ruhrgebiet. Der britische Außenminister sprach davon, dass „die russische Gefahr möglicherweise größer sei als die Gefahr, die von einem wiedererstarkten Deutschland ausgehe“.[16] Weiterhin wurde befürchtet, dass ein wirtschaftlich erstarktes Deutschland sich mit der Sowjetunion verbünden würde.[17] Nach der Abwägung verschiedener Alternativen fällte die britische Regierung am 21.06.1946 die Entscheidung, die Provinzen Nordrhein und Westfalen zu einem eigenen westlichen Bundesland, das bereits über eingespielte Verwaltungsstrukturen verfügte, zusammenzufassen.

 

In den ersten Jahren nach dem Ende des 2. Weltkrieges war die materielle und seelische Not in der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens sehr groß. Briesen stellte fest: „Die gewaltige Mobilität, die gewaltsame Vermischung von einander völlig fremden Menschen hatte tief greifende soziale Folgen. So gut wie jede Familie hatte den Tod von Angehörigen zu beklagen, war durch die Gefangenschaft der Männer, durch Evakuierung und Flucht auseinandergerissen. Aus dem gewohnten lokalen Umfeld waren Vereine und Verbände verschwunden. In den überbelegten Wohnungen der Städte und auch auf dem Lande wuchsen die sozialen Spannungen, die noch zusätzlich dadurch angeheizt wurden, dass Einheimische, Evakuierte und Flüchtlinge, deren bisherige Lebenswelten kaum etwas miteinander gemein gehabt hatten, die unterschiedliche Mentalitäten mitbrachten, tagtäglich auf engstem Raum miteinander auskommen mussten. Der moralische Zusammenbruch, die völlige Diskreditierung der für zwölf Jahre maßgebenden politischen, geistigen und sozialen Ordnung, die Erschütterung alles Gewohnten, die soziale Not, zu der sich die materielle gesellte, führte zu tiefen Depressionen. Halt suchten die bürgerlichen Eliten im Humanismus der deutschen Klassik, noch stärker im Christentum.“[18] Ein weiteres Problem in den Nachkriegsjahren war das schlechte Gesundheitssystem. Die Befürchtung der britischen Militärregierung, dass Seuchen ausbrechen könnten, erfüllte sich zwar nicht. Das Ansteigen der an Tuberkulose Erkrankten stellte aber eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Im Zeitraum von 1945 bis 1947 nahm die Zahl der Erkrankungen von 24 auf 48 pro 10.000 Einwohner zu. In den Regierungsbezirken Aachen und Detmold, wo viele Flüchtlinge lebten, lagen die Erkrankungen deutlich über dem Durchschnitt.[19]

 

Unter der Kontrolle der britischen Militärregierung organisierten sich ab der zweiten Jahreshälfte 1945 Parteien und Verbände in Nordrhein-Westfalen.[20] Die SPD, die KPD und das Zentrum knüpften dabei an Weimarer Traditionen an, während sich mit der CDU und der FDP völlig neue Parteien gründeten. Die CDU wollte davon profitieren, dass der politische Katholizismus in der Weimarer Republik im Rheinland und in Westfalen die dominierende politische Strömung gewesen war.[21] In den ersten Jahren nach der Befreiung vom Nationalsozialismus besaßen die Parteien im publizistischen Bereich große Einflussmöglichkeiten, da die britische Militärregierung nur Zeitungen oder Zeitschriften zuließen, die einer Partei zugeordnet werden konnten.[22] Sie unterlagen der Zensur der britischen Militärregierung, die die Auflagenstärke, Verbreitung und den Umfang mitbestimmten.

 

Die britische Militärregierung verfügte mit der Verordnung vom 23.08.1946 die Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußens. Dies war die Voraussetzung für die Gründung des neuen Landes Nordrhein-Westfalen aus den nördlichen Teilen der ehemaligen Rheinprovinz und der ehemaligen Provinz Westfalen. Laut Wehling waren zwei Gründe für die Entscheidung der britischen Militärregierung ausschlaggebend.[23] Dies waren erstens die Bestrebungen der Sowjetunion und Frankreichs zur Internationalisierung des Ruhrgebietes. Zweitens sollte das bevölkerungsreiche Ruhrgebiet mit ländlichen strukturschwachen Gebieten zu einem Bundesland zusammengeschlossen werden.

 

Innerhalb der SPD gab es Bedenken zahlreicher Politiker gegen die Gründung eines Bundeslandes Nordrhein-Westfalens. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher erblickte die Gefahr eines neuen Preußens, das die anderen Bundesländer dominieren könnte.[24] Fritz Henßler, der Vorsitzende des SPD-Bezirks Westliches Westfalen, bemerkte zu der Gründung des neuen Landes Nordrhein-Westfalen: „Ich sehe in dem neuen Staat ein uns aufgezwungenes Gebilde, das ich nicht als endgültig hinzunehmen bereit bin. Es passt nicht zu dem staatlichen Neubau Deutschlands, wie wir ihn wünschen.“[25]

 

Die britische Militärregierung ernannte den aus Westfalen stammenden parteilosen Rudolf Amelunxen zum ersten Ministerpräsidenten. Amelunxen galt als erfahrener Verwaltungsfachmann, der eine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eingenommen hatte. Als keiner Partei angehörender Katholik wurde es ihm zugetraut, eine ausgleichende Linie im Parteienspektrum zu vertreten.[26] Außerdem war ein Ministerpräsident aus Westfalen ein Ausgleich zur Entscheidung, das rheinische Düsseldorf zur neuen Landeshauptstadt zu machen.[27] Konrad Adenauer hatte der britischen Militärregierung die Ernennung Amelunxens empfohlen. Dies war gleichzeitig auch ein Misstrauensvotum gegen seinen innerparteilichen Gegner Karl Arnold.[28] Am 24.07.1946 nahm Amelunxen den Auftrag zur Regierungsbildung an, bei dem er jedoch an enge Vorgaben der britischen Militärregierung gebunden war. Der Posten des Ministerpräsidenten war von vornherein mit einer starken Machtfülle verbunden.[29] Der Ministerpräsident besaß das Recht, die übrigen Regierungsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Er leitete die Sitzungen des Kabinetts und führte die Geschäfte der Landesregierung. Weiterhin bestimmte er die Zahl der Ministerien und legte deren Zuständigkeitsbereiche fest. Darüber hinaus übte der Ministerpräsident noch einige präsidiale Funktionen wie das Gnadenrecht, Ordensverleihung und repräsentative Aufgaben aus.

 

Am 02.10.1946 trat der nordrhein-westfälische Landtag zu seiner ersten Sitzung im Düsseldorfer Opernhaus zusammen.[30] Als Gäste waren der Militärgouverneur der britischen Zone, Sholto Douglas, und der Regional Commissioner für Nordrhein-Westfalen, William Ashbury, anwesend. Dem Landtag gehörten je 100 Vertreter aus dem Norden des Rheinlandes und aus Westfalen sowie die 11 von Amelunxen ernannten Minister der Landesregierung an. Die parteipolitischen Mandate wurden auf der Basis der letzten freien Wahlen vor dem Beginn der NS-Herrschaft verteilt. Somit erhielt die SPD 71 Mandate, die CDU 66, die KPD 34, das Zentrum und die FDP jeweils neun Sitze; zwei Landtagsabgeordnete waren parteilos. In seiner Eröffnungsrede bezeichnete Amelunxen die nationalsozialistische Herrschaft als „Tyrannis, in der die Grundwerte ziviler Gesellschaften beseitigt waren und Geistesfreiheit und Menschenwürde mit Füßen“ getreten wurden. Auf die Shoa und die Millionen anderer Opfer des NS-Regimes ging er nicht ein. Dagegen versuchte er, den bürgerlichen Widerstand auf dem Gebiete des heutigen Nordrhein-Westfalens zu glorifizieren. Laut Amelunxen gab es „zahllose kernige Charakterköpfe, Männer und Frauen aus allen Berufen und Ständen“, die „vor dem Tyrannen keinen Kotau“ gemacht hätten und wegen ihrer Geisteshaltung verfolgt, eingekerkert und oft auch ermordet worden seien.[31] Namentlich nannte er den Theologen Martin Niemöller, den Sozialdemokraten Carl Severing aus Bielefeld sowie den Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Dass der bürgerliche Widerstand gegen das NS-Regime nur einen bestimmten Ausschnitt der Widerstandshandlungen ausmachte, wurde verschwiegen. Der jüdische Widerstand wurde mit keinem Wort erwähnt. Der beginnende Kalte Krieg verhinderte, dass auch kommunistische oder anarchistische Widerstandskämpfer angesprochen wurden.

 

Da die CDU bei den ersten Kommunalwahlen im September/Oktober 1946 mit 49,1% die mit Abstand meisten Stimmen erhielt, musste Amelunxen im November und Dezember sein Kabinett umbilden. Die SPD kam lediglich auf 30,2%, die KPD auf 6,7%, das Zentrum auf 5,3% und die FDP auf 2,3% der Stimmen. Die CDU wurde in die Regierung aufgenommen und erhielt gleich das Ernährungs-, Kultus- und Justizministerium; ihr Vorsitzender Karl Arnold wurde stellvertretender Ministerpräsident.

 

Seine endgültige Gestalt erhielt das Land Nordrhein-Westfalen durch die Verordnung Nr. 77 der britischen Militärregierung vom 21.01.1947. Das Land Lippe, das eigentlich Niedersachsen zugeschlagen werden sollte, wurde eingegliedert.[32] Der lippische Landespräsident Heinrich Drake erreichte in den Verhandlungen mit Nordrhein-Westfalen die Zusage, dass die Bezirksregierung von Minden nach Detmold verlegt werden sollte und damit das Landesvermögen selbständig verwaltet werden konnte. Den Lippern wurde außerdem gestattet, ihre Gemeinschaftsschulen beizubehalten, wohingegen in Westfalen und im Rheinland die Bekenntnisschule bis in die 1960er Jahre die Regelschule war.[33]

 

 

 

 

Entnazifizierung

 

 

Die in weiten Teilen verfehlte Entnazifizierungspolitik begünstigte das Wiederaufleben des Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen. Zahlreiche nationalsozialistische Täter wurden nicht bestraft und wirkten bei der Neugründung rechtsextremer Strukturen in Nordrhein-Westfalen mit.

 

Der Begriff „Entnazifizierung“ hat in der Forschungsliteratur eine doppelte Bedeutung.[34] Er steht einerseits synonym für „politische Säuberung“, und anderseits bezeichnet der Begriff das Verfahren der Überprüfung mit Hilfe von Fragebögen und die Entscheidung, ob die jeweiligen Personen „entweder aus ihren Ämtern und Stellungen entfernt, davon ausgeschlossen oder darin belassen werden sollen.“[35] In diesem Kapitel wird ausschließlich auf den Aspekt der „politischen Säuberung“ eingegangen. Dabei steht die Entfernung belasteter Personen aus dem gesellschaftlichen und ökonomischen Tätigkeitsbereich durch die Verfahren vor den Entnazifizierungsausschüssen im Vordergrund.

 

Die Entnazifizierung trug in sich einen politisch-öffentlichkeitswirksamen, einen juristischen und einen moralisierenden Antrieb. Das Programm der Entnazifizierung folgte keiner einheitlichen Richtlinie; durch immer wieder neue Verordnungen und Gesetze wurde es den sich neu entwickelnden politischen Verhältnissen angepasst. Bis zum Abschluss der „politischen Säuberung“ in Nordrhein-Westfalen im Februar 1952 lässt sich die Entwicklung in vier Phasen einteilen:[36]

 

 

 

1. die Zeit von der Besatzung bis zum 11.01.1946,

 

2. die Zeit vom 12.01.1946 bis zum 13.04.1947,

 

3. die Zeit vom 14.04.1947 bis zum 17.12.1947,

 

4. die Zeit vom 18.12.1947 bis zum 12.02.1952.

 

 

 

Die erste Phase der Entnazifizierung in der britischen Besatzungszone wurde geprägt von der Übernahme der US-amerikanischen Praxis. Diese ging von einer Kollektivschuldthese aus und bestand aus einer Vielzahl von repressiven Maßnahmen. Der Oberbefehlshaber der US-Armee in Deutschland, Joseph T. Mc Narney, erklärte: „(…) Wenn jemand behauptet, daß die Leistungsfähigkeit mancher Industrien und Ämter durch die Entfernung der Nazis und Nazimitläufer leiden würde, dann erkläre ich: Kein Mensch ist unentbehrlich!“[37]

 

Die ersten Schritte waren Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und im wirtschaftlichen Bereich. Wegen der katastrophalen Versorgungslage nahmen der Steinkohlebergbau und die Landwirtschaft eine Sonderstellung ein. Die britische Besatzungsmacht untersagte die Weiterbeschäftigung von Nationalsozialisten, dieses Prinzip wurde jedoch schnell wieder aufgeweicht.[38] Sie verhaftete Personen, die in den NS-Organisationen auf der mittleren und höheren Ebene gearbeitet hatten, und diejenigen, denen persönlich „Kriegsverbrechen“ vorgeworfen wurden, und setzte diese in Internierungslagern fest.

 

Schon in der ersten Phase kam es zu Auseinandersetzungen über den Zweck und die Auswirkungen der Maßnahmen. Am 20.07.1945 verfassten die Kirchenbehörden der beiden christlichen Konfessionen in Bayern, vertreten durch Erzbischof Kardinal Faulhaber und Landesbischof Meiser, ein Schreiben an die US-Militärregierung in Frankfurt/Main. Darin versuchten sie, die Folgen der Entnazifizierung für die „Betroffenen“ abzumildern: „Entlassungen in Bausch und Bogen werden nicht bloß ungezählte Familien in Not und Verzweiflung treiben, sondern auch den ganzen Wirtschaftsapparat und Staatsapparat auf das äußerste gefährden, und die Ausgestoßenen, die zur Mitarbeit am Aufbau einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, auch der Friedensordnung, fähig und willig wären, dem Nihilismus zu Haufen zuwenden, wie es bereits Tatsache zu werden beginnt. (…)  Auch bei der Feststellung der Schuld der einzelnen SS-Männer müsse der gerechte Richter unterscheiden zwischen solchen, die aus freiem Willen, unter voller Billigung der SS-Weltanschauung und Kampfesweise, sich zu dieser Waffe gemeldet hätten und solchen, die auf Kommando, ohne richtig zu wissen, was sie taten, also mehr oder minder unfreiwillig, in SS-Einheiten überschrieben worden seien.“[39]

 

Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein organisiertes Überprüfungsverfahren, mit dessen Hilfe die personelle Säuberung von Wirtschaft und Verwaltung möglich war. Mit Hilfe eines Fragebogens zur Mitgliedschaft in der NSDAP und ihren Gliederungen wurde der Versuch gestartet, die Hauptschuldigen von Mitläufern und Entlasteten zu trennen. Die angeblich dadurch entstehende Ineffizienz der Ökonomie und der öffentlichen Verwaltung schränkten sehr schnell diese Säuberungen ein und wirtschaftliche sowie ordnungspolitische Aspekte besaßen Priorität vor der Entnazifizierung.

 

Die zweite Phase der Entnazifizierung war gekennzeichnet durch den Versuch, die Entnazifizierung durch die Kontrollratsverordnung Nr. 24 auf eine gesetzliche Basis zu stellen.[40] Die Beschuldigten wurden in fünf Kategorien eingeteilt: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Abhängig von der Einstufung in diese Kategorien mussten die überprüften Personen mit beruflichen oder strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Die Durchführung der Entnazifizierung löste Auseinandersetzungen zwischen den inzwischen in Nordrhein-Westfalen installierten deutschen Behörden und der britischen Besatzungsmacht aus.[41] Es wurde kritisiert, dass die Entnazifizierung von Ärzten, Beschäftigten in der Landwirtschaft und Bergleuten, die angeblich für das gesellschaftliche Leben unentbehrlich waren, bevorzugt behandelt wurden, während Lehrer, Polizisten und Angehörige der Verwaltung einer anspruchsvolleren Prüfung unterzogen wurden.

 

Die dritte Phase der Entnazifizierung wurde geprägt durch die Politik des Alliierten Kontrollrates und die Vorstellung der US-Amerikaner von einer „Selbstreinigung“ der deutschen Gesellschaft vom Nationalsozialismus.[42] Nach der Verabschiedung der Kontrollratsverordnung Nr. 38 und der Zonen-Exekutiv-Anweisungen Nr. 54 und Nr. 3 wurde eine Arbeitsteilung zwischen den deutschen Behörden und der britischen Besatzungsmacht deutlich. Die Briten waren für die Entwicklung und Durchführung des Überprüfungsverfahrens verantwortlich, während die deutschen Entnazifizierungsausschüsse die Kategorisierung der überprüften Personen übernahmen. Die Entscheidungsbefugnis, NS-Belastete aus ihren Funktionen zu entlassen, blieb der britischen Besatzungsmacht vorbehalten.

 

Die vierte Phase war durch die schrittweise Übernahme der Entnazifizierung der deutschen Behörden gekennzeichnet, die immer wieder von Gerangel um Entscheidungskompetenzen zwischen deutschen und britischen Stellen bestimmt war.[43] Ab dem 18.12.1947 hatten die Beschuldigten die Möglichkeit, sich einen Anwalt zu nehmen. An den Verfahren konnte von nun an die Öffentlichkeit teilnehmen. Es entzündete sich ein Streit zwischen britischen und deutschen Stellen, als die Briten die Forderung stellten, dass die Entlassungen aus dem Beruf bis zum 31.12.1947 beendet sein mussten. Da dies in der kurzen Zeit nicht möglich war, erreichten die deutschen Stellen nach Verhandlungen mit den britischen Verantwortlichen eine Ausnahmeregelung, wonach auch diejenigen Personen entlassen werden konnten, deren Verfahren erst im Jahre 1947 eingeleitet worden war. Die britische Besatzungsmacht behielt sich die Einteilung in die Kategorien I und II vor, ebenso die Einteilung der Angehörigen der früheren Wehrmacht und der Internierten, was als Misstrauensbeweis der Briten gedeutet werden kann. Im Mai 1948 verhinderten die britischen Stellen weitere Entlassungen, woraufhin die kommunistischen Ausschussmitglieder ihre weitere Beteiligung aufkündigten. Im weiteren Verlauf kristallisierte sich immer mehr heraus, dass es den nordrhein-westfälischen Behörden nicht gelang, die Entnazifizierung auf eine sichere gesetzliche Basis zu stellen. Zwischen den Parteien in Nordrhein-Westfalen entwickelte sich ein rechtspolitischer Streit, der im Grunde ein ideologischer Richtungsstreit war. Das linke Spektrum wollte die mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzte bürgerliche Gesellschaft von Grund auf reformieren, während die bürgerlichen Parteien dies ablehnten und sich lediglich auf die Verfolgung der im Nationalsozialismus begangenen Straftaten konzentrieren wollten.[44] Dabei spielte der Faktor eine Rolle, dass die Masse der ehemaligen Nationalsozialisten ein großes Wählerpotential darstellte. Aus diesem Grunde schwangen sich die bürgerlichen Parteien zu Interessenvertretern von „Beschuldigten“ oder „Entnazifizierungsgeschädigten“ auf.[45]

 

Im Jahre 1951 deutete sich schon eine schnelle Beendigung der Entnazifizierung an. Die deutschen Ausschüsse machten es sich zur Aufgabe, die „gröbsten Ungerechtigkeiten“ zu beseitigen und die rechtlich Entnazifizierten zu „rehabilitieren“. Die Entnazifizierung wurde schließlich offiziell am 12. Februar 1952 eingestellt. Bei insgesamt 817.819 untersuchten Personen wurden 90 von ihnen in Kategorie I und II eingeteilt. 33.531 Personen befanden sich in Kategorie III, 159.630 in Kategorie IV und 624.568 in Kategorie V.[46] Von der Entnazifizierung wurden lediglich 13% der Erwachsenen in Nordrhein-Westfalen erfasst. Für die allermeisten stellte die Entnazifizierung keine persönlichen Nachteile dar, da sie höchstens als „Mitläufer“ eingestuft wurden.[47] Die Gerichte und die Entnazifizierungsausschüsse gingen nicht mit aller Konsequenz gegen die Hauptbelasteten vor. Die verhängten Schuldsprüche fielen sehr milde aus, auch bei ehemaligen „Gauleitern“ wie Josef Grohé. Die Entnazifizierung verhinderte auch nicht, dass die nationalsozialistischen Verbrechen in großem Maßstab ungesühnt blieben. Der Titel eines ostdeutschen Filmes „Die Mörder sind unter uns“ nahm die Versäumnisse der folgenden Jahre und Jahrzehnte vorweg.

 

Die Entnazifizierung führte nicht zu einer Aufarbeitung der Verstrickung der einzelnen Personen in das NS-Regime, sondern förderte Verdrängungsprozesse und die Verharmlosung der eigenen Verantwortung. Der größte Teil derjenigen Personen, die das NS-Regime aktiv unterstützt hatten, fragte nicht nach ihrem Schuldanteil. Der Hauptgeschäftsführer der Kölner Industrie- und Handelskammer, Bernhard Hilgermann, bemerkte in der Retrospektive: „Die meisten Deutschen glaubten, mit der Einstellung der Feindseligkeit ist alles Vergangene vergeben und vergessen: wie nach einem Boxkampf reicht man sich zu einem Freundschaftsakt die Hände; (…) Auch die Unternehmer fühlten sich völlig unbelastet, da sie nur Mitglied einer Partei gewesen waren, die zufällig NSDAP hieß.“ [48]

 

Zur Entlastung von überprüften Personen wurden „Persilscheine“ ausgestellt, d.h. Leumundszeugnisse von unbelasteten Personen. Diese auffallend oft von der katholischen Kirche ausgestellten Zeugnisse schufen viele „Mitläufer“ oder „Unbelastete“. Die „Rheinische Zeitung“ definierte im September 1948 den Begriff „entnazifizieren“: „(…) in der Textilbranche ein Verfahren aus einem braunen Hemd eine weiße Weste zu machen.“[49] Das Ergebnis war die Rehabilitierung zahlreicher ehemaliger Nationalsozialisten: viele der im Frühjahr von den Alliierten entlassenen Personen bekamen ihre frühere Stellung zurück.[50]

 

Eine der schwerwiegenden Schwächen der Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen war eine fehlende Melde- und Entnazifizierungspflicht wie in der US-amerikanischen Zone. Krüger plädierte in diesem Zusammenhang für eine Anordnung, die Entnazifizierung an dem Ort stattfinden zu lassen, wo die überprüfte Person während des NS-Regimes gelebt hatte. So hätte durch Zeugenaussagen das Verhalten der Person angemessen beurteilt werden können.[51] Ein weiteres Defizit bestand in der fehlenden Öffentlichkeit des Verfahrens in den ersten drei Phasen der Entnazifizierung. Das Verbot der britischen Militärregierung, dass deutsche Ausschüsse eigene Nachforschungen über die überprüften Personen anstellen durften, war ebenfalls ein Versäumnis.

 

Die Entnazifizierung hatte mit der langjährigen apolitischen Einstellung breiter Bevölkerungsschichten zu kämpfen. Diese politisch apathische Grundstimmung im postfaschistischen Deutschland leistete einer weitgehenden Verdrängung der NS-Vergangenheit Vorschub.[52] Nicht nur ehemalige Nationalsozialisten, sondern auch Teile der Bevölkerung sahen in der Entnazifizierung eine „Gesinnungsbe- und verurteilung“ und weigerten sich, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen.[53]

 

Die Verfahren erwiesen sich im Nachhinein als zu langatmig, ihre Abwicklung war zu kompliziert, so dass sich Korruption rasch entfaltete.

 

Insgesamt muss festgehalten werden, dass die Entnazifizierung nicht die aktive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erreichte. In vielen Fällen wurden verantwortliche NS-Täter oder rassistische und antisemitische Normalbürger nicht bestraft, selbst die Strafen der verurteilten Personen erwiesen sich als außerordentlich milde. Die Phase des Wiederaufbaus und des „Wirtschaftswunders“ rückte die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit in den Hintergrund.[54] Die Aussage von Först, dass „trotz des häufigen Wechsels der Verfahrensweisen und der Fragwürdigkeit einer gesellschaftlichen Neuordnung“ die Entnazifizierung erreicht habe, dass „der Aufbau von Staat und Verwaltung von reaktionären Einflüssen weitgehend freigehalten werden konnte“[55], muss mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.

 

Die SPD-Landtagsfraktion sah die Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen als gescheitert an, weil sie „als politische und demokratische Maßnahme ihr Ziel nicht erreicht“ habe. Während eine große Zahl von Mitläufern mit dem Verlust von Amt und Stellung bestraft wurde, seien „die wirklich Schuldigen nicht angemessen zur Rechenschaft gezogen worden.“[56] Der Abgeordnete Wilhelm Pawlik erklärte in seiner Rede vom 29.04.1948: „Wir haben SS-Generäle, die in V. kategorisiert sind, wir haben Regierungspräsidenten, die im nationalsozialistischen Regime hohe Stellen einnahmen und ebenfalls in die Kategorie V. eingestuft sind. Wir haben dagegen kleine Stadtsekretäre, die in die Gruppe III kategorisiert worden sind.“[57] Er führte diese Entwicklungen auf „Verbindungen“ zurück, über die der „kleine Mann“ nicht verfüge, wohingegen alle, die aufgrund von höheren Stellungen auf der „Klaviatur der Verbindungen“ sehr gut zu spielen vermöchten, diese „rücksichtslos für sich und ihre näheren Freunde“ ausgenutzt hätten.[58] Pawlik resümierte: „Es stimme schon, wie die Bevölkerung meine, daß man die Kleinen gehängt hat und die Großen laufen ließ.“[59]

 

Die CDU sah die Entnazifizierung als notwendiges Übel an, das die britische Besatzungsmacht angeordnet hatte.[60] Schon in seiner Regierungserklärung 1949 sprach sich der damalige Bundeskanzler Adenauer für ein schnelles Ende der Entnazifizierung aus: „Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und Unheil angerichtet worden. Die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Krieg begangen worden sind, sollen mit aller Strenge bestraft werden. Aber im übrigen dürfen wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen unterscheiden: die politisch Einwandfreien und die Nichteinwandfreien. Diese Unterscheidung muß baldigst verschwinden. Der Krieg und auch die Wirren der Nachkriegszeit haben eine so harte Prüfung für viele gebracht und solche Versuchungen, daß man für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis (sic, M.L.) aufbringen muß. Es wird daher die Frage einer Amnestie von der Bundesregierung geprüft werden.“[61]

 

Der nordrhein-westfälische CDU-Abgeordnete Herbert Scholtissek äußerte, dass es „in der Bevölkerung nur eine Meinung gibt, nämlich die, daß die bisherige Entnazifizierung ein absoluter Fehlschlag gewesen ist.“ Deshalb sprach er sich für ein Ende der Entnazifizierung aus: „Wir müssen endlich zu Ende kommen mit dieser unglückseligen Entnazifizierung. (…) Man mag sich konzentrieren auf die gefährlichen Nazis, (…) den anderen aber soll man endlich Ruhe gönnen. (…) Es ist vielen Leuten Unrecht getan worden, jawohl, ich betone es, auch Mitgliedern der NSDAP ist Unrecht getan worden.“[62]

 

 

 

 

 

Fortschreitende Etablierung einer demokratischen Kultur: Von der Ära Arnold bis zur Landtagswahl 1958

 

 

 

Bei den ersten Landtagswahlen in der britischen Zone am 20.04.1947 lag die Wahlbeteiligung nur bei ca. 66%.[63] Ein Grund dafür könnte die anhaltende materielle Notlage gewesen sein, die zu größeren Demonstrationen und Streiks im Ruhrgebiet und den großen rheinischen Städten geführt hatte. Die CDU holte bei der Landtagswahl mit 37,5% die meisten Stimmen, sie verlor aber gegenüber den Kommunalwahlen im Herbst 1946 9% der Stimmen. Danach folgten die SPD mit 32%, die KPD mit 14%, das Zentrum mit 9,8% und die FDP mit 5,9%. Am 21.05.1947 wurde Karl Arnold zum neuen Ministerpräsidenten gewählt, der eine Regierung aus CDU, SPD, Zentrum und der KPD anführte.[64] Die KPD verließ allerdings wegen inhaltlicher Differenzen die Regierung ein Jahr später. Spätestens seit seiner Berufung zum Ministerpräsidenten entwickelte sich Arnold zum Gegenspieler Adenauers innerhalb der CDU. Aufgrund seiner Tätigkeit als Leiter der Sozialausschüsse der CDU hatte er keine Berührungsängste gegenüber der SPD, die er gegen den Willen Adenauers in seine Regierungskoalition integrierte.[65] Am 07.09.1949 wurde er zum ersten Bundesratspräsidenten bestimmt und war somit bis zum Amtsantritt von Theodor Heuss am 13. 09.1949 kommissarisches Staatsoberhaupt.

 

Die Internationalisierung des Ruhrgebietes war die dringendste Frage, die auf der politischen Tagesordnung stand.[66] Auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz von Februar bis Juli 1948 wurde ein Ruhrkontrollsystem beschlossen. Dafür gab Frankreich seine Zustimmung für die spätere Gründung der BRD in den drei Westzonen. Das „Ruhrstatut“ vom 28.12.1948 begründete eine internationale Ruhrbehörde zur Kontrolle und zur Verteilung der Kohle- und Stahlproduktion im Ruhrgebiet zwischen dem deutschen Bedarf und den für das Ausland bestimmte Mengen. Dieses Statut löste in der deutschen Politik Empörung aus; Demonstrationen vor allem im Ruhrgebiet waren die Folge. Das „Ruhrstatut“ hielt sich bis 1951, als sich die westeuropäischen Länder in der Montanunion zusammenschlossen, wo die BRD gleichberechtigtes Mitglied wurde.

 

Im Landtag Nordrhein-Westfalens wurde in der ersten Hälfte des Jahres 1948 über den Text der Landesverfassung gestritten. Bis zum Abschluss der Verfassungsberatungen konnten nicht alle Gegensätze überwunden werden. Es ging um die Frage der Gemeinschafts- oder Konfessionsschule sowie um die Grundrechte, die schon im Grundgesetz standen. Am 06.06.1948 wurde die Landesverfassung mit den 110 Stimmen von CDU und Zentrum verabschiedet; SPD und FDP stimmten aufgrund der Schulpolitik dagegen. Es wurde weiterhin beschlossen, einen Volksentscheid herbeizuführen. Am 18.06.1948 stimmten 3,6 Millionen Menschen für die Annahme der Verfassung; 2,3 Millionen lehnten diese ab. Somit wurde die Landesverfassung rechtskräftig.[67]

 

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus siedelten sich ein Viertel aller „Vertriebenen“ und ein Drittel aller „Flüchtlinge“ aus der SBZ in Nordrhein-Westfalen an.[68] Sie stellten insgesamt 23% der Gesamtbevölkerung. Die stärksten regionalen Anteile hatten dabei die Regierungsbezirke Düsseldorf (33,1%), Arnsberg (23,9%) und Münster (13,6%). Vor allem der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), dessen Landesverband in Nordrhein-Westfalen extrem rechte Strömungen in seinen Reihen duldete, sah in diesen Personen ein großes Wählerpotential. Der BHE setzte sich für eine materielle und soziale Eingliederung der Neuankömmlinge ein und gewann dadurch neue Anhänger. Entscheidend für die Ansiedlung in Nordrhein-Westfalen war die Wirtschafts- und Finanzkraft des Bundeslandes, wo die Aussicht auf einen Arbeitsplatz und eine Wohnung am günstigsten erschien. Die Ankunft der Flüchtlinge auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens erzeugte soziale Spannungen zwischen ihnen und der autochthonen Bevölkerung.[69] In den ländlichen Aufnahmegebieten galten die Flüchtlinge häufig als unerwünschte Personen, die mit den Einheimischen um notwendige materielle Ressourcen konkurrierten. Nur durch staatliche Zwangsmaßnahmen bekamen die Flüchtlinge Unterkünfte und gesundheitliche Hilfe. In den großstädtisch-industriellen Regionen an Rhein und Ruhr, wo ein großer Teil der Bevölkerung früher selbst als Zuwanderer in die Region kam, war die Aufnahmebereitschaft und Integrationsfähigkeit dagegen höher; sie wurde hier allerdings auch von einem expandierenden Arbeitsmarkt begünstigt.[70] Die meisten dieser neu angesiedelten Personen waren Arbeiter (59,6%) und Angestellte (23%). Viele fanden Arbeitsmöglichkeiten im Bergbau, in der Eisen- und Stahlindustrie, bei der Bundesbahn sowie bei der Bundespost. 1961 war ihr Anteil an der Zahl der Arbeitslosen weit geringer als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung, was auch auf ihre Mobilitätsbereitschaft zurückzuführen war. Am 02.06.1948 verabschiedete der Landtag ein „Flüchtlingsgesetz“, das die rasche Integration der „Vertriebenen“ und „Flüchtlinge“ erleichtern sollte.[71] Eine Ende November 1949 von der Bundesregierung eingeleitete Verordnung sah vor, dass bis Ende 1950 45.000 „Vertriebene“ aus Schleswig-Holstein sowie je 22.500 aus Niedersachsen und Bayern nach Nordrhein-Westfalen umsiedeln sollten. Diese Ansiedlung verzögerte sich bis 1953, da die Ziele der Eingliederung am neuen Wohnort durch Arbeitsvermittlung, Familienzusammenführung und Wohnungsbau nicht so schnell zu realisieren waren. Bis Ende 1954 nahm Nordrhein-Westfalen im Rahmen dieser Umsiedelung ca. 270.000 Personen auf, die zum größten Teil aus Schleswig-Holstein kamen.

 

Nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 bildete das Land Nordrhein-Westfalen im Vergleich aller Bundesländer die Spitze der wirtschaftlichen Leistungs- und Ertragsskala. Die Arbeitslosenquote war mit 3,8% im Jahre 1950 niedriger als im gesamten Bundesgebiet, wo durchschnittlich 10% erreicht wurde. Das Steuereinkommen pro Kopf der Bevölkerung lag höher als in den anderen Bundesländern. Daraus ergab sich, dass Nordrhein-Westfalen bei der wirtschaftlichen Stärke und im Lebensstandard der Bewohner an der Spitze stand. Der weitere wirtschaftliche Aufschwung in den frühen 1950er Jahren erhöhte noch einmal den materiellen Lebensstandard der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens. Forschungen zeigten einen Kontrast zwischen der zunehmenden ökonomischen Entwicklung und dem gesellschaftlichen Wunsch nach Privatheit. Der familiären Kleingruppe kam dabei eine entscheidende Funktion zu.[72] Nach den Wirren und der Not während und nach Beendigung des 2. Weltkrieges suchte man Geborgenheit und Sicherheit im privaten Kreis der Familie. Der Rückzug ins Private wurde begleitet von einer hohen Leistungs- und Aufstiegsbereitschaft vieler Menschen in Nordrhein-Westfalen. Erfolg wurde mit dem Erwerb von materiellen Gütern gleichgesetzt: „Die soziale Welt in NRW war nach Kriterien von Mehr und Weniger, Oben und Unten aufgeteilt. Die Wirklichkeit war, so wie sie war und wie sie erlebt wurde, im Wesentlichen hierarchisch aufgebaut. Die soziale Wahrnehmung, das Verhältnis zu sich selbst und zu anderen, ruhte deshalb auf einer Vielzahl von vergleichenden Kategorien: Einkommen, Weisungsbefugnisse, Qualifikationen, Prestige, Ausstattung mit Gütern usw.“[73]

 

Bei der Landtagswahl am 18.06.1950 bekam die CDU 36,9% der Stimmen, die SPD ebenfalls 36,9%, die FDP 12,1%, das Zentrum 7,5% und die KPD 5,5%. Der Erfolg der FDP ist teilweise durch örtliche Wahlbündnisse mit der CDU zu erklären, die der FDP fünf Direktmandate im Bergischen Land und in Ostwestfalen einbrachten. Wichtige Themen der Landtagswahl waren die Vorschläge der SPD zur Einführung der Gemeinschaftsschulen und die Montanmitbestimmung, die zwar vor allem in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fiel, aber für die Industrie Nordrhein-Westfalens besondere Bedeutung hatte. Die CDU stellte nach der Landtagswahl zunächst alle Landesminister und formte nach einer kurzen Übergangsphase eine Regierungskoalition mit dem Zentrum, die dann Karl Arnold erneut zum Ministerpräsidenten wählte. Arnold bildete ein Kabinett mit zwei Ministerposten für das Zentrum, das trotz der äußerst knappen Mehrheit von 109 zu 106 Mandaten diese Legislaturperiode überstand.[74] Ende 1951 trat Arnold mit dem Plan einer Regierungsbeteiligung an die SPD heran, der jedoch abgelehnt wurde. Arnold stand als katholischer Sozialpolitiker den Forderungen nach einer Mitbestimmung der Arbeiter und nach Einführung konfessionsloser Schulen nicht ablehnend gegenüber. Der zum Bundeskanzler aufgestiegene Konrad Adenauer stellte sich gegen Arnold und wirkte massiv auf die Bildung einer Regierungskoalition ohne Beteiligung der SPD hin.

 

1952 beschloss der Landtag eine von den Briten bereits 1945 per Beschluss in Grundzügen eingeführte Gemeindeordnung.[75] Die neue Gemeindeordnung wies dem Gemeinderat, das als einziges Organ direkt gewählt wurde, eine überragende Stellung zu. Nordrhein-Westfalen entsprach mit diesem Gesetz der Garantie der Selbstverwaltung des Grundgesetzes, wonach den Gemeinden das Recht eingeräumt wurde, alle Angelegenheiten der lokalen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Bei den dritten Kommunalwahlen am 09.02.1952 erreichte die SPD 36% der Stimmen, die CDU 35%, die kleineren Parteien Zentrum, FDP und KPD verloren zahlreiche Stimmen und blieben deutlich hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Der Einführung der Gemeindeordnung folgte am 21.07.1953 die neue Landkreisordnung. 1953 wurden vom Düsseldorfer Landtag die Landesflagge mit den Farben grün-weiß-rot und das Landeswappen festgelegt. Das Wappen zeigte die Symbole der drei Landesteile Lippe, Westfalen und Rheinland. Die Kommunen im Landesteil Rheinland sowie in Westfalen-Lippe erhielten 1953 zur besseren Erfüllung ihrer kommunalen Aufgaben Landschaftsverbände, die den kulturellen Eigenheiten der Rheinländer und der Westfalen gerecht werden sollten. Am 12.05.1953 wurden die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe gegründet. Im Frühjahr 1954 wurde eine gesetzliche Basis für die Landesrundfunkanstalt WDR geschaffen, die am Neujahrstag 1956 ihr Programm erstmals ausstrahlen konnte.

 

Bei den Landtagswahlen am 27.06.1954 erhielt die CDU 41,25% der Stimmen, die SPD 34,49%, die FDP 11,47%, der BHE 4,63%, das Zentrum 4,03% und die KPD lediglich 3,81%. Der Einzug des Zentrums in den Landtag trotz Scheiterns an der 5%-Hürde wurde durch eine Gesetzesänderung von März 1954 ermöglicht. Dadurch wurden nicht nur Parteien, die 5% der gültigen Stimmen im Land erzielten, bei der Verteilung der Sitze nach Landesliste berücksichtigt, sondern auch die Parteien, die in einem Wahlkreis entweder ein Direktmandat oder mindestens ein Drittel der gültigen Stimmen errangen. Die CDU verzichtete im Wahlkreis 62 (Essen-Borbeck-Karnap) auf einen eigenen Bewerber, um dem Zentrum das Überspringen der Sperrklausel auch mit weniger als 5% landesweit zu ermöglichen. Im neuen Landtag hatten CDU und Zentrum keine Mehrheit mehr, konnten also die bisherige gemeinsame Regierung nicht weiterführen. Trotz seiner Antipathien gegen die FDP, der er vorwarf, in ihren Spitzengremien ehemalige Nationalsozialisten als Mitglieder zu dulden, musste Arnold auf die FDP als Koalitionspartner zurückgreifen. Die FDP ließ sich auch auf diese Koalition ein, um eine Große Koalition zwischen CDU und SPD zu verhindern. Diese Koalition arbeitete dann ohne besondere Vorkommnisse; nichts deutete bis Ende 1955 auf ihr Auseinanderbrechen hin.[76]

 

Um die Jahreswende 1955/56 gelang es der FDP durch den „Jungtürkenaufstand“[77] der Politiker Mende, Döring, Scheel und Weyer Geschichte zu schreiben, mit dem die Landesregierung unter Karl Arnold gestürzt und durch eine neue Koalitionsregierung bestehend aus der SPD, der FDP und dem Zentrum mit dem Sozialdemokraten Fritz Steinhoff an der Spitze ersetzt wurde. Als die FDP im Januar 1956 die Koalition aufkündigte, war im politischen Deutschland die Überraschung groß. Die FDP handelte als Fraktion zwar geschlossen, aber gegen den Willen ihres Vorsitzenden Middelhauve. In der Bundespartei gab es auch Einwände gegen die Aufkündigung der Koalition mit der CDU in Nordrhein-Westfalen. Anfang März stellte Fritz Steinhoff sein Kabinett vor, das aus fünf sozialdemokratischen, vier liberalen und dem Zentrumsminister Amelunxen bestand.[78] Ein Grund für das Vorgehen der FDP in Nordrhein-Westfalen lag in der Bundespolitik. Die CDU – Fraktion des Bundestages plante, die FDP mit Hilfe eines neuen Wahlrechts aus dem Bundestag herauszuhalten. Das 1955 von der CDU diskutierte „Grabenwahlrecht“ sah vor, 60 Prozent der Abgeordneten nach dem Mehrheitsprinzip direkt und 40 Prozent über die Listen zu wählen, ohne die Direktmandate in die Vergabe der restlichen Listenmandate einzurechnen. Diese Regelung hätte für die FDP das Ende bedeuten können, Existenzängste machten sich breit. Der Koalitionswechsel in Düsseldorf verfolgte also auch den Zweck, das „Grabenwahlrecht“ über eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag zu Fall zu bringen. Hinter dem Sturz der Regierung Arnold stand weiterhin auch eine strategische Konzeption jener jungen Abgeordneten, die 1954 für die FDP in den Landtag eingerückt waren. Sie verfolgten sozialliberale Ziele und distanzierten sich von der engen Bindung an die CDU. Sie dachten auch daran, Nordrhein-Westfalen als Testfeld für eine mögliche SPD/FDP-Koalition auf Bundesebene zu nutzen.[79] Die FDP und die SPD wiesen nur Gemeinsamkeiten in der Schul- und Kulturpolitik auf. In wirtschaftspolitischen Fragen gab es enorme Unterschiede. Während die FDP einen marktwirtschaftlichen Kurs mit rudimentärer sozialer Absicherung verfolgte, wollte die SPD die Sozialisierung der Schlüsselindustrien nicht aufgeben. Die Aussichten auf den Machtgewinn und die Konzentrierung auf die Gemeinsamkeiten ließen jedoch alle möglichen Vorbehalte der SPD schwinden. Lösche und Walter bemerkten: „Der Coup der Jungtürken bedeutete mehr als nur eine Reaktion auf die Wahlrechtspläne der CDU. Der Düsseldorfer Koalitionswechsel sollte die Stellung der FDP im Parteiensystem verändern, den Liberalen Bewegungsfreiheit und zusätzliche Einflussmöglichkeiten verschaffen. Es war reine Machtpolitik, was die Düsseldorfer betrieben.“ [80] Am 20.02.1956 stimmten die SPD und die FDP geschlossen für Fritz Steinhoff, den Ministerpräsidentenkandidaten der SPD.[81] Dies glückte mit einer Mehrheit von 102 gegen 96 Stimmen. Damit wurde zum ersten Mal das konstruktive Misstrauensvotum angewandt, das die Abwahl einer Regierung an die Neuwahl einer anderen koppelte. Die CDU wurde erstmals in der kurzen Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalens in die Opposition verwiesen und ihr Ministerpräsident Arnold nach fast neun Jahren Amtszeit abgewählt. Die Installierung der neuen Regierung unter Steinhoff erregte nicht nur in der Bundesregierung sondern auch im Ausland großes Aufsehen, wo dieser Koalitionswechsel als Zeichen der Instabilität vor allem für die Außenpolitik gewertet wurde.[82] Steinhoff nannte die Koalition in seiner Regierungserklärung eine „im Staatsinteresse eingegangene Arbeitsgemeinschaft, deren Mitglieder neben übereinstimmenden Auffassungen auch voneinander abweichende besitzen“.[83] Dies zeigt, dass die Koalition nichts mit einer „Liebesheirat“ zu tun hatte, sondern vielmehr eine pragmatische Beziehung darstellte.

 

Die Regierung Steinhoff intensivierte die Wissenschaftsförderung, was auch der Eigenständigkeit des Landes zugute kommen sollte. In den „Kirchenverträgen“ wurde das Verhältnis des Landes zur evangelischen und katholischen Kirche geregelt.[84] Durch den deutsch-belgischen Grenzvertrag wurden 1956 die Grenzen zwischen Nordrhein-Westfalen und Belgien endgültig festgelegt. Die meisten von Belgien nach dem Weltkrieg besetzten Gebiete wurden in das Bundesland Nordrhein-Westfalen eingegliedert.

 

 

 




[1] Zitiert aus Hirsch, K.: Rechts von der Union: Personen, Organisationen, Parteien seit 1945: ein Lexikon, München 1989, S. 66

[2] Ebd.

[3] Madloch, N.: Rechtsextremismus in Deutschland nach dem Ende des Hitlerfaschismus, in: Kinner, K./Richter, R. (Hrsg.): Rechtsextremismus und Antifaschismus, Berlin 2000, S. 57-214, hier S. 107

[4] Köhler, W.: Das Land aus dem Schmelztiegel. Die Entstehungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, Düsseldorf 1961, S. 156

[5] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 185f

[6] Osterheld, H.: Konrad Adenauer – ein Charakterbild, Bonn 1973, S. 87

[7] Weymar, P.: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie, München 1955, S. 283

[8] Prittie, T.: Konrad Adenauer 1876-1967, London 1972, S. 145f

[9] Strathmann, D.: Jüdisches Leben in Düsseldorf und Nordrhein 1945-1949. Die Politik von britischer Militär- und nordrhein-westfälischer Landesregierung -Hilfe oder Hindernis beim Wiederaufbau?, in: Grübel, M./Mölich, G. (Hrsg.): Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 238-262, hier S. 239

[10] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 186

[11] Von Alemann, U./Brandenburg, P.: Nordrhein-Westfalen: ein Land entdeckt sich neu, Köln/Stuttgart/Berlin 2000, S. 27

[12] Auswärtiges Amt (Hrsg.): Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland – Dokumente von 1945–1989,  München 1990, S. 128

[13] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 189f

[14] Ebd., S. 187

[15] Steininger, R.: Die Rhein-Ruhr-Frage im Kontext britischer Deutschlandpolitik 1945/46, in: Winkler, H. A. (Hrsg.): Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, S. 111-166, hier S. 134

[16] Zitiert aus Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 187

[17] Zuhorn, K.: Zur Vorgeschichte der Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Erörterungen und Pläne in Westfalen über den Zusammenschluss von Westfalen und Nordrhein im ersten Halbjahr 1946, in: Westfälische Forschungen, Bd. 8/1955, S: 102-133, hier S. 123

[18] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 180

[19] Hüttenberger, P.: Grundprobleme der Geschichte Nordrhein-Westfalens zwischen 1945 und 1970, in: Von Alemann, U. (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Köln 1985, S. 48-68, hier S. 52

[20] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 189

[21] Ruppert, K.: Der politische Katholizismus im Rheinland und in Westfalen zur Zeit der Weimarer Republik, in: Düwell, K./Köllmann, W. (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter: Beitrag zur Landesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 3, Wuppertal 1984, S. 76-97, hier S. 76

[22] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens. a.a.O., S. 182

[23] Wehling, H.-G. (Hrsg.): Die deutschen Länder. Geschichte, Politik, Wirtschaft, 3. Auflage, Wiesbaden 2004, S. 201

[24] Von Alemann, Nordrhein-Westfalen: ein Land entdeckt sich neu, a.a.O., S.29

[25] Brief Henßlers an Kurt Schumacher. Zitiert nach Hölscher, W.: Von den Provinzen zum neuen Land: Bestrebungen nordrheinischer und westfälischer Verwaltungsspitzen im Kontext der britischen Deutschland- und Besatzungspolitik, in: Brunn, G. (Hrsg.): Neuland. Nordrhein-Westfalen und seine Anfänge nach 1945/46, Essen 1986, S. 39

[26] Von Alemann, Nordrhein-Westfalen: ein Land entdeckt sich neu, a.a.O., S. 35

[27] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 30

[28] Rombeck-Jaschinski, U.: Nordrhein-Westfalen im Nachkriegsdeutschland (1945-1958), in: Boldt, H. (Hrsg.): Nordrhein-Westfalen und der Bund, Köln 1989, S. 40-54, hier S. 43

[29] Landeszentrale für politische Bildung NRW (Hrsg.): NRW-Lexikon: Politik. Gesellschaft. Wirtschaft. Recht. Kultur, Opladen 2000, S. 207f

[30] Paul, Debatten über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus im Landtag Nordrhein-Westfalen von 1946 bis 2000, a.a.O., S. 17

[31] Ebd., S. 19

[32] Rombeck-Jaschinski, U.: Heinrich Drake und Lippe, Düsseldorf 1984, S. 26

[33] Von Alemann/Brandenburg, Nordrhein-Westfalen. Ein Land entdeckt sich neu, a.a.O., S. 28

[34] Füstenau, J.: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik, Neuwied/Berlin 1969, S. 104ff, Dotterweich, V.: Die „Entnazifizierung“, in: Becker, J./Stammen, T./Waldmann, P. (Hrsg.): Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1979, S. 123-161, hier S. 127

[35] Allgemeine Anweisung der Militärregierung Land Nordrhein-Westfalen vom April 1947: Durchführung der Zonen-Exekutiv-Anweisung Nr. 54 und Nr.3 abgedruckt in Lange, I.: Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen, Siegburg 1976, S. 353

[36] Krüger, W.: Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1982, S. 153

[37] Zitiert aus Jenke, M.: Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961, S. 29

[38] Brunn, G.: Die Zeit der Krisen 1914-1955, in: Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 129-201, hier S. 191f

[39] Zitiert aus Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 27

[40] Krüger, Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., S. 153

[41] Hüttenberger, P.: Grundprobleme der Geschichte Nordrhein-Westfalens zwischen 1945 und 1970, in: Von Alemann, U. (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Köln 1985, S. 48-68, hier S. 53f

[42] Dotterweich, Die „Entnazifizierung“, in: Becker/Stammen/Waldmann, Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 144f

[43] Krüger, Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., S. 154f

[44] Hüttenberger, Grundprobleme der Geschichte Nordrhein-Westfalens zwischen 1945 und 1970, in: Von Alemann, Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., S. 54

[45] Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik: Entwicklung-Ursachen-Gegenmaßnahmen, a.a.O., S. 67

[46] Lange, Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., S. 59

[47] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 192f

[48] Hilgermann, B.: Der große Wandel. Erinnerungen aus den ersten Nachkriegsjahren. Kölner Wirtschaft unter der amerikanischen und britischen Militärverwaltung, Köln 1961, S. 29

[49] Zitiert aus Dietmar, K./Jung, W.: Kleine illustrierte Geschichte der Stadt Köln, Köln 2002, S. 283

[50] Peukert, D.J.K./Bajohr, F.: Rechtsradikalismus in Deutschland: 2 historische Beiträge, Hamburg 1990, S: 33

[51] Krüger, Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., S. 156f

[52] Peukert/Bajohr, Rechtsradikalismus in Deutschland, a.a.O., S. 33

[53] Krüger, Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., S. 157

[54] Dietmar/Jung, Kleine illustrierte Geschichte der Stadt Köln, a.a.O., S. 283

[55] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 54

[56] Düding, D.: Zwischen Tradition und Innovation. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen 1946-1966; Bonn 1998, S. 74

[57] Zitiert aus Ebd.

[58] Ebd.

[59] Zitiert aus Ebd.

[60] Dudek,/Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik: zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, a.a.O., S. 37

[61] Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Sitzung vom 20.09.1949, S. 27

[62] Zitiert aus Paul, Debatten über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus im Landtag Nordrhein-Westfalen von 1946 bis 2000, a.a.O., S. 73

[63] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 41

[64] Hüwel, D.: Karl Arnold. Eine politische Biographie, Wuppertal 1980, S. 12

[65] Von Alemann/Brandenburg, Nordrhein-Westfalen. Ein Land entdeckt sich neu, a.a.O., S. 36

[66] Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 188

[67] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 81

[68] Wiesemann, F./Kleinert, U.: Flüchtlinge und wirtschaftlicher Aufbau in der britischen Zone, in: Petzina, D./Euchner, W. (Hrsg.): Wirtschaftspolitik im britischen Besatzungsgebiet 1945-1949, Düsseldorf 1984, S. 297-326, hier S. 299

[69] Kleinert, U.: Flüchtlinge und Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen 1945-1961, Düsseldorf 1988, S. 15

[70] Bade, K. (Hrsg.): Neue Heimat im Westen. Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler, Münster 1990, S. 14

[71] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 95

[72] Först, W.: Die Ära Arnold, in: Politik und Landschaft, Band 3 (1969), S. 217-257, hier S. 233

[73] Zitiert nach Briesen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, a.a.O., S. 209

[74] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 84

[75] Ebd., S. 103

[76] Brunn, G/Reulecke, J.: Kleine Geschichtevon Nordrhein-Westfalen. 1946 - 1996. Stuttgart 1996, S. 101

[77] In Anlehnung an die gleichnamige türkische Reformbewegung wurde diese Gruppe von Politikern als „Jungtürken“ bezeichnet.

[78] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 131

[79]Brunn/Reulecke, Kleine Geschichte von Nordrhein-Westfalen. 1946–1996, a.a.O., S. 102

[80] Lösche, P./Walter, F.: Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel, Darmstadt 1996, S. 42

[81] Keinemann, F.: Von Arnold zu Steinhoff und Meyers. Politische Bewegungen und Koalitionsbildungen in Nordrhein-Westfalen 1950-1962, Münster 1973, S. 103

[82] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 131f

[83] Bick, W.: Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen von 1947 bis 1985: Trends und Wendepunkte in der politischen Landschaft, in: Von Alemann, U. (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Köln 1985, S: 190-210, hier S. 198

[84] Först, Kleine Geschichte Nordrhein-Westfalens, a.a.O., S. 135

 

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