Der Prozess gegen den Mörder der Muslimin Marwa E.:

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In Dresden forderte der alltägliche antimuslimische Rassismus ein Todesopfer. Marwa E. wurde von einem NPD-Sympathisanten  2009 erstochen.

Der Prozess gegen den Mörder der Muslimin Marwa E.:

 

Vorgeschichte

Der 28jährige Alexander W. tötete die Muslimin Marwa E. am 1.7.2009 in einem Dresdener Gerichtssaal aus rassistischen und islamophoben Motiven. Ein Jahr vor der Tat beschimpfte Alexander W. die Dresdener Apothekerin auf einem Spielplatz als „Islamistin“ und „Terroristin“.[1] Das Opfer nahm die diskriminierenden Äußerungen nicht hin und erstattete Anzeige wegen Beleidigung. Daraufhin wurde Alexander W. zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt. In der Verhandlung, wo es um die Berufung des Täters ging, giftete er zunächst: Haben Sie überhaupt ein Recht, in Deutschland zu sein? Sie haben hier nichts zu suchen.“ Dann brüllte und drohte, „wenn die NPD an die Macht kommt, ist damit Schluss. Ich habe NPD gewählt.“ Daraufhin stach er mit einem extra mitgebrachten Messer 18mal auf die Klägerin ein, die sofort im Gerichtssaal verstarb. Ihr Ehemann überlebte nur knapp mit lebensgefährlichen Verletzungen.

 

Prozess

Während des Prozesses in Dresden, der sowohl in der BRD als auch international eine große Resonanz erfuhr, zeigte der Täter keinerlei Anzeichen von Reue oder Unrechtsbewusstsein für seine Tat.[2] Zu den meisten Prozesstagen erschien er vermummt im Gerichtssaal. Mit dem Hinweis auf seine besonderen biographischen Umstände versuchte der Angeklagte und sein Verteidiger in bekannter Manier, den Mord und seine Umstände zu sozialpädagogisieren und damit zu entpolitisieren. Mit unaufhörlichen Selbstmitleidsphrasen, die für die Angehörigen von Marwa E. schwer zu ertragen waren, störte er mehrfach die Aufarbeitung der Geschehnisse. Im weiteren Verlaufe des Prozesses versuchte er, den Mord mit „Wahnvorstellungen“ und anderen „psychischen Erkrankungen“ zu rechtfertigen.

In ihrer Urteilsverkündung verurteilte das Dresdener Gericht Alexander W. am 11.11.2009 wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Die Richterin Birgit Wiegand sah die Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe als erfüllt an. Das Tatmotiv sei Hass auf AusländerInnen gewesen, insbesondere auf Muslime. Zudem stellte die Schwurgerichtskammer die besondere Schwere der Schuld fest, so dass eine Entlassung nach 15 Jahren unmöglich gemacht wurde.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, bezeichnete das Urteil als ein „wichtiges Signal für die Menschen in Ägypten und anderen Teilen der arabischen Welt“.[3] Anschließend äußerte sie:[4] „Die Botschaft lautet: für Fremdenfeindlichkeit und Islamphobie ist kein Platz in unserem Land.“ Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Ayyup Axel Köhler, zeigte sich erleichtert und „sei stolz auf die unabhängige Justiz in Deutschland.“ Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, begrüßte, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld des Mörders anerkannt hatte. Er habe allerdings bei der Urteilsverkündung einen Vertreter der Bundesregierung vermisst, vor allem auch weil die Reaktionen in Deutschland unmittelbar nach der rassistischen Tat sehr zögerlich waren.[5] Der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums, Hossam Zaki, hat das Dresdner Urteil gegen den Mörder der Ägypterin Marwa El-Sherbini begrüßt:[6] „Die Verhängung der höchsten nach deutschem Recht möglichen Strafe dient der Gerechtigkeit und sollte abschreckend auf diejenigen wirken, die aus Hass und Böswilligkeit handeln“. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sah eine „Sternstunde des deutschen Rechtsstaates“ und erklärte:[7] „Das umfangreich begründete Ergebnis und vor allem die mit großer Souveränität geführte Hauptverhandlung sind der beste Beweis dafür, dass in einem Rechtsstaat vor Gericht ohne Ansehen der Person geurteilt wird.“

 

Bewertung

Das rigorose Urteil gegen Alexander W. bedeutet jedoch nur einen kleinen Zwischenschritt im Kampf gegen Rassismus und Islamophobie[8]. Das Thema Islamfeindlichkeit muss in der Öffentlichkeit endlich auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Besondere Bedeutung für die Haltung gegenüber Muslime haben Medienbilder, die die Meinungsbildung über den Islam bestimmen. Dabei wirkt sich negativ der geringe Einfluss, den Muslime selbst auf diesen Diskurs ausüben können, aus. In vielen Medien gilt die These von Samuel P. Huntington, dass die Konflikte des 21. Jahrhunderts durch kulturelle Differenzen entstehen, als anerkanntes Faktum.[9] Dies ist tief in das Gedächtnis der deutschen Bevölkerung eingedrungen. Laut einer im Jahr 2006 durchgeführten Meinungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vertraten 56% der Befragten die Ansicht, es herrsche „zurzeit ein Kampf der Kulturen“.[10]

Weiterhin wird auf die notwendige Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus verzichtet. Der Islam (arabisch Ergebung in Gottes Willen) ist eine der großen Weltreligionen. Dagegen handelt es sich beim Islamismus um eine Vorstellung, die auf den Gesellschaftswandel mit einer intoleranten Ablehnung aller nichtislamischen Ideologien in alle Lebensbereiche geantwortet hat. Es handelt sich weniger um eine religiöse Erneuerung als eine totalitäre Ideologie, die die Religion in ihren Dienst stellt. Der Islamismus zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:[11]

  • Rückkehr zum Koran als unverfälschte Glaubensquelle;

  • Orientierung am Frühislam als die Einheit der Umma (islamische Gemeinschaft), in der die Scharia, das islamische Recht, alle Bereiche des menschlichen Lebens regelt;

  •  Betonung der Gleichheit aller Gläubigen und Einheit Gottes.

    Der Islam wird homogenisiert und die komplexen Entstehungsprozesse der verschiedenen religiösen Vorstellungen im Islam, die geprägt sind von diversen politischen Faktoren und individuell unterschiedlich gelebten Alltagspraxen in den „Herkunfts“- und Einwanderungsländern. ignoriert.

    Umstrittene Wissenschaftler wie Efraim Karsh, Leiter des Programms für Mittelmeerstudien am King’s College der Universität London, werden als Kronzeugen für den gewalttätigen und imperialen Islam ausgerufen. Karsh stellte in seinem Werk „Imperialismus im Namen Allahs“[12] fest, dass islamische Reiche sich in der Geschichte als Imperien schlechthin verstanden hätten. Der Islamismus sei nicht als „Bruch“ mit der Geschichte des Islams zu verstehen, sondern als Bestandteil imperialen Denkens von Beginn an. In der historischen Vorstellung vieler Muslime und Araber sei bin Laden kein Geringerer als die neue Inkarnation Saladins. Der Krieg des Hauses des Islam um die Weltherrschaft sei ein traditionelles Bestreben, das auch für das 21. Jahrhundert gelte.

    Nicht nur von rechtspopulistischen Gruppierungen wird behauptet, dass der Islam sei keine Religion im Sinne des Artikels 4 des Grundgesetzes, da Gewalt zu seinen Grundlagen gehöre.[13] In diesem Sinne wird versucht, eine Unvereinbarkeit zwischen dem Islam und dem Grundgesetz herzustellen. Die immer wiederkehrende These, die christlichen europäischen Gesellschaften müssen sich gegen einen immer als fundamentalistisch und monolithisch verstandenen Islam wehren, dient dazu, religiöse Konkurrenzangst zu nationalisieren bzw. zu ethnisieren.

    Diesem verzerrten Bild des Islam muss durch Aufklärung und Diskussionen entschieden entgegengetreten werden. Dies darf natürlich nicht nur von Vertretern der Mehrheitsgesellschaft betrieben werden, sondern ausschließlich unter Einbeziehung muslimischer Gruppen und Einzelpersonen. Initiativen wie das Internetportal Qantara.de, wo die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsche Welle, das Goethe-Institut und das Institut für Auslandsbeziehungen ein Medium zum Dialog mit der islamischen Welt schufen, der interreligiöse Arbeitskreis des Vereins Interkultureller Rat in Deutschland oder unzählige kleinere Aktivitäten können dabei als Beispiel dienen.

    Literatur:

  • Aachener Nachrichten vom 3.7.2009

  • Aachener Nachrichten vom 9.11..2009

  • Aachener Nachrichten vom 12.11.2009

  • FAZ vom 17.5.2006

  • Halm, D./Leokova, M./Yetik, Z.: Pauschale Islamfeindlichkeit? Zur Wahrnehmung des Islams und zur sozio-kulturellen Teilhabe der Muslime in Deutschland, in: Jäger, S./Halm,D. (Hrsg.): Mediale Barrieren? Rassismus als Integrationshindernis, Münster 2007, S. 10-24

  • Huntington, S.P.: Kampf der Kulturen – Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien 1996

  • Karsh, E.: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden, München 2007

  • Leibold, J./Kühnel, S.: Islamophobie oder Kritik am Islam?, in: Heitmeyer, W. (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 6, Frankfurt 2008, S. 95-115

  • Tworuschka, M.: Grundwissen Islam. Religion, Politik und Gesellschaft, Münster 2003

  • www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,660759,00.html

  • www.welt.de/news/article5174734/Muslime-sind-mit-Urteil-gegen-Alex-W-zuf...

  • www.zeit.de/newsticker/2009/11/12/iptc-bdt-200911122975632xml




[1] Aachener Nachrichten vom 3.7.2009

[2] Aachener Nachrichten vom 9.11..2009

[3] Aachener Nachrichten vom 12.11.2009, S. 8

[4] Ebd.

[5] www.welt.de/news/article5174734/Muslime-sind-mit-Urteil-gegen-Alex-W-zuf...

[6] www.zeit.de/newsticker/2009/11/12/iptc-bdt-200911122975632xml

[7] www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,660759,00.html

[8] Islamophobie bezeichnet als soziologischer Begriff die feindselige Ablehnung des Islam als abstrakte Kategorie und der als Minderheit in einer Mehrheitsgesellschaft lebenden Muslime als Personen. Sie äußert sich durch generelle ablehnende Einstellungen gegenüber muslimischen Personen und allen Glaubensrichtungen, Symbolen und religiösen Praktiken des Islams.Vgl. dazu Halm, D./Leokova, M./Yetik, Z.: Pauschale Islamfeindlichkeit? Zur Wahrnehmung des Islams und zur sozio-kulturellen Teilhabe der Muslime in Deutschland, in: Jäger, S./Halm,D. (Hrsg.): Mediale Barrieren? Rassismus als Integrationshindernis, Münster 2007, S. 14f

[9] Huntington, S.P.: Kampf der Kulturen – Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien 1996

[10] Noelle, E./Petersen, T.: Eine fremde, bedrohliche Welt, in: FAZ vom 17.5.2006, S.5

[11] Tworuschka, M.: Grundwissen Islam. Religion, Politik und Gesellschaft, Münster 2003, S. 73

[12] Karsh, E.: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden, München 2007

[13] Leibold, J./Kühnel, S.: Islamophobie oder Kritik am Islam?, in: Heitmeyer, W. (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 6, Frankfurt 2008, S. 95-115, hier S. 112

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