Proletarischer Internationalismus als Erziehungsziel in der DDR

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Die DDR-Regierung war daran interessiert, seine Bürger in Richtung Marxismus-Leninismus zu erziehen und ihnen das von ihnen propagierte Gesellschaftssystem näher zu bringen. Aus diesem Grunde wurden deutsch-sowjetischen Organisationen gegründet, die die Freundschaft zwischen beiden Ländern dokumentieren und festigen sollten. Neben den politischen Aspekten organisierte die Deutsch-Sowjetische-Freundschaft kulturelle und sportliche Aktivitäten in den Städten, Gemeinden und Schulen, bei denen es um das gegenseitige Kennenlernen der Menschen und Kulturen beider Staaten ging. Die Vertiefung der Freundschaft zur Sowjetunion und die Unterstützung anderer Staaten im Kampf gegen das „imperialistische System“ hatte sich die FDJ als internationale Ziele gesetzt. Nach dem Leitbild des proletarischen Internationalismus wurden Mitglieder der FDJ in befreundete Staaten geschickt, um dort beim Aufbau des Sozialismus zu helfen. Die Einbindung der Jugendlichen setzte sich nach der Schulzeit durch den Wehrdienst, das Pflichtfach Marxismus-Leninismus für alle Studenten der DDR und später die Mitgliedschaft im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft fort.

 

 

 

  

Die Erziehungsziele des Antifaschismus und des proletarischen Internationalismus, die sich gegenseitig bedingten, wurde nach der Gründung der DDR verfolgt. Die DDR hat sich selber in die Nachfolge des antifaschistischen Kampfes der KPD und des kommunistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus gestellt. Wegen dieses Anspruchs erhob sie den Antifaschismus früh zur leitenden Staatsdoktrin, die zur Abgrenzung vom Nationalsozialismus und der Bundesrepublik Deutschland diente und die Existenz der DDR, das Machtmonopol der SED ebenso wie die Berliner Mauer („antifaschistischer Schutzwall“ rechtfertigen sollte. Beispielhaft deutlich wird dies in der Präambel der Verfassung der DDR von 1968: „(…) in Ansehung der geschichtlichen Tatsache, daß der Imperialismus unter Führung der USA im Einvernehmen mit Kreisen des westdeutschen Monopolkapitals Deutschland gespalten hat, (…) hat sich das Volk der Deutschen Demokratischen Republik, fest gegründet auf den Errungenschaften der antifaschistisch-demokratischen und der sozialistischen Umwälzung der gesellschaftlichen Ordnung, (…) diese sozialistische Verfassung gegeben.“[1]

 

Aufgrund der dimitroffschen Faschismustheorie wurde die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland als Ausdruck sich verschärfenden Klassenkampfs betrachtet.[2] Darum wurde das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus besonders auf kommunistische Widerstandskämpfer konzentriert, und die ermordeten Juden und andere Opfergruppen wurden nur am Rande thematisiert. Die Rassenideologie der NSDAP wurde lediglich als „Instrument zur Täuschung der Arbeiterklasse“ erklärt. Die Bundesrepublik verstand man als „postfaschistisch“ und versuchte, dort ideologische und personelle Kontinuitäten zum Nationalsozialismus nachzuweisen.[3] Mit diesem Geschichtsbild legitimierte die DDR-Führung ihre Herrschaft. Der DDR-Bevölkerung bot sie die Möglichkeit, eventuelle Verstrickungen in den Nationalsozialismus zu externalisieren, da der Faschismus als Phase des Klassenkampfes quasi historisch zwangsläufig erschien und mit der „antifaschistischen DDR“ endgültig überwunden sei. Jeder DDR-Bürger konnte sich selbst und die DDR als „Sieger der Geschichte“ begreifen.

 

Anders als in den westlichen Besatzungszonen[4] wurde die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR ungleich konsequenter durchgeführt.[5] Auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 vereinbarten die Alliierten, „alle nationalsozialistischen und militaristischen Einflüsse aus den öffentlichen Dienststellen sowie dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben des deutschen Volkes auszuschalten“.[6] Die Forderung der Direktive Nr.24 des Alliierten Kontrollrates vom 12.01.1946 bestimmte:[7] „Die Ausmerzung des Nationalsozialismus und Militarismus macht es erforderlich, Personen, die voraussichtlich undemokratische Traditionen verewigen würden, von allen ausschlaggebenden und einflussreichen Stellungen zu entfernen und auszuschließen.“

 

Mit dieser Erklärung wurde der Personenkreis umrissen, der unter die Entnazifizierungsmaßnahmen zu fallen hatte: ehemalige Mitglieder der NSDAP, die nicht unmittelbar an den Verbrechen beteiligt gewesen waren, aber durch ihre autoritätshörige Tätigkeit das NS-System letztendlich mitgetragen und ermöglicht zu haben. Unter Führung von KPD-und SPD-Mitgliedern in intensiver Zusammenarbeit mit Vertretern der Roten Armee gründeten sich in der SBZ kurz nach der Befreiung „Antifaschistische Komitees“.[8] In seinem Aufruf „an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands“ vom 11.6.1945 äußerte das KPD-Zentralkomitee als „unmittelbarste und dringendste Aufgabe die vollständige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes und der Hitlerpartei“ und forderte „die Mithilfe aller ehrlichen Deutschen bei der Aufspürung versteckter Naziführer, Gestapo-Agenten und SS-Banditen“ sowie die „restlose Säuberung aller öffentlichen Ämter von aktiven Nazisten.“[9]

 

Für die Frage, welche NSDAP-Mitglieder im öffentlichen Dienst weiter beschäftigt wurden, waren die Landes- und Provinzialverwaltungen zuständig. Wenn frühere Nationalsozialisten eine Position im öffentlichen Dienst übernahmen, bedurfte es der Zustimmung der Blockparteien, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Für die Durchführung der Entnazifizierung wurden insgesamt 262 Kommissionen gebildet, lediglich „Schwerbelastete“ wurden den Gerichten oder der Polizei übergeben. Sie schloss neben strukturellen Eingriffen wie die Bodenreform und die Sozialisierung, mit denen die soziale Basis des Nationalsozialismus zerschlagen werden sollte, auch eine umfassende personelle Säuberungspolitik ein, die besonders die Bereiche Bildung, Justiz und Polizei erfasste. Bis zum Februar 1948, als die sowjetische Militäradministration das offizielle Ende der Entnazifizierung verkündete, wurden rund 520.000 ehemalige Nationalsozialisten aus der öffentlichen Verwaltung und allen Bereichen des Wirtschaftslebens entfernt.[10]

 

 

 

Am 1. September 1945 trafen sich KPD- und SPD-Vertreter, um einen Ausschuss zur Schaffung des Jugendausschusses für die gesamte sowjetische Besatzungszone zu errichten. Aus den Jugendausschüssen sollte eine „freiheitliche deutsche Jugendbewegung“ erwachsen. Obwohl die SPD auch an der Errichtung einer eigenen Jugendorganisation arbeitete, verständigten sich ihre Vertreter auf der Gründungssitzung des Zentralen Antifaschistischen Jugendausschusses („Antifa-Jugend“) mit den Kommunisten auf eine paritätische Besetzung. Erich Honecker sollte das Gremium leiten.

 

Die FDJ war die einzige offiziell zugelassene Jugendorganisation der DDR und nahm im System der Massenorganisation einen wichtigen Platz ein.[11] Sie stellte die Nachwuchsorganisation der SED dar, deren führende Rolle sie in ihrem Statut anerkannte. Die Vertiefung der Freundschaft zur Sowjetunion und die Unterstützung anderer Staaten im Kampf gegen das „imperialistische System“ hatte sich die FDJ als internationale Ziele gesetzt. Nach dem Leitbild des proletarischen Internationalismus wurden Mitglieder der FDJ in befreundete Staaten geschickt, um dort beim Aufbau des Sozialismus zu helfen. So waren „FDJ-Brigaden“ am Bau der Erdgasleitung „Drushba“ (Drushba-Trasse) und der Eisenbahnstrecke Baikal-Amur-Magistrale (BAM) in der Sowjetunion beteiligt oder arbeiteten als Entwicklungshelfer z.B. im sandinistischen Nicaragua oder zeitweise in Mosambik und Angola.[12]

 

Ihre weiteren Aufgaben waren die politische Organisation der Jugend in Grundorganisationen, die ab drei Mitgliedern in Wohnstätten, Betrieben, Erziehungsstätten usw. gebildet wurden, die ideologische und fachliche Erziehung der Jugend und die Freizeitgestaltung. Mit der Bildung relativ kleiner Grundorganisationen verfolgte die FDJ das Ziel, möglichst viele Jugendliche in die aktive Verbandsarbeit einzubeziehen. Die FDJ war nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus organisiert.

 

 

 

Die DDR-Regierung war daran interessiert, seine Bürger in Richtung Marxismus-Leninismus zu erziehen und ihnen das von ihnen propagierte Gesellschaftssystem näher zu bringen. Aus diesem Grunde wurden deutsch-sowjetischen Organisationen gegründet, die die Freundschaft zwischen beiden Ländern dokumentieren und festigen sollten. Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) war eine Massenorganisation in der DDR, die den Menschen Kenntnisse über die Kultur und Gesellschaft der Sowjetunion vermitteln sollte.[13] Die DSF ging am 2. Juli 1949 aus der am 30. Juni 1947 gegründeten Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion hervor und war nach der Einheitsgewerkschaft  FDGB die zweitgrößte Massenorganisation der DDR mit rund 6 Millionen Mitgliedern im Jahre 1985. Als zahlenmäßig und politisch bedeutendste Freundschaftsgesellschaft war sie Mitglied in der  Liga für Völkerfreundschaft der DDR. Dort war sie älteste der Freundschaftsgesellschaften in der SBZ bzw. der DDR neben der im August 1948 gegründeten „Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft für kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen mit dem neuen Polen“.[14] Es existierten auch die Freundschaftskomitees DDR-USA, DDR-Frankreich und DDR-Großbritannien wie auch die Freundschaftsgesellschaft DDR-Afrika oder DDR-Arabische Länder. Am 7. Juni 1952 wurden alle bestehenden Freundschaftsgesellschaften in der DDR in der Dachorganisation „Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland“ vereint. Aus ihr ging am 15. Dezember 1961 die Liga für Völkerfreundschaft hervor.

 

Auch in der BRD kam es im September 1950 in Homberg auf dem konstituierenden 1. Kongress zur Gründung einer westdeutschen Organisation. Sie wurde erst in einzelnen Bundesländern verboten. In West-Berlin war die DSF als „Deutsch-Sowjetische Freundschaftsgesellschaft“ bis 1990 ein eingetragener Verein.

 

Neben den politischen Aspekten organisierte die Deutsch-Sowjetische-Freundschaft kulturelle und sportliche Aktivitäten in den Städten, Gemeinden und Schulen, bei denen es um das gegenseitige Kennenlernen der Menschen und Kulturen beider Staaten ging.[15] Waren es 1970 noch 394.000 Veranstaltungen, stieg deren Gesamtzahl 1988 auf 1.161.262. Unter dem Motto „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ wurden Anfang 1951 für den 3. Kongress Studienreisen, Sprachkurse und Kulturveranstaltungen organisiert. Jährlich fand im Mai eine DDR-weite Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft statt. Gemeinsam mit der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und der FDJ initiierte die DSF an den Schulen speziell im Russischunterricht Brieffreundschaften zwischen deutschen und sowjetischen Kindern und Jugendlichen. Mit den jährlichen „Freundschaftszügen“ fuhren Kinder ins jeweils andere Land, um den Sommer in internationalen  Ferienlagern zu verbringen. Tatsächlich waren viele Mitglieder nur passiv und haben nie eine Veranstaltung der DSF besucht. Die Mitgliedschaft bot DDR-Bürgern die Möglichkeit, die manchmal nützliche „gesellschaftliche Aktivität“ auf Mindestniveau nachzuweisen.[16] Auf der anderen Seite wurden über die DSF Elemente aus Arbeitskultur und Alltag aus der UdSSR auf das Leben der DDR übertragen, wo sie teilweise abgelehnt, zum Teil aber auch modifiziert oder direkt übernommen wurden.

 

Auszeichnungen der Gesellschaft für DSF waren u. a. die Ehrennadel der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die in den Stufen Bronze, Silber und Gold jeweils in der Woche der deutsch-sowjetischen Freundschaft an Mitglieder verliehen wurde. Kreisorganisationen der Gesellschaft für DSF wurden mit Ehrenschleifen des Zentralvorstandes und der Bezirksvorstände oder Eintragungen in das Ehrenbuch der Bezirksvorstände der Gesellschaft für DSF ausgezeichnet.

 

Schon im Kindesalter wurde in der DDR mit der politischen Heranführung der Jugend begonnen. Dabei stellte die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, die nach dem ehemaligen Vorsitzenden der KPD Ernst Thälmann benannt wurde, die politische Massenorganisation für Kinder dar.[17] Der beeindruckende Lebenslauf Ernst Thälmanns sollte Vorbild und Ansporn für die Kinder darstellen und er selbst wurde in den Heldenstatus ohne Fehl und Tadel erhoben.[18] Im Juni 1946 wurde auf dem I. Parlament der FDJ beschlossen, Gruppenorganisationen für Kinder zu gründen.[19] Dabei griff sie auf Erfahrungen in der Weimarer Republik zurück, wo die KPD die Kinderorganisation Jung-Spartakusbund hatte. Eine Gründung des Verbandes der Jungen Pioniere erfolgte dann am 13. Dezember 1948 auf Grundlage der Beschlüsse der SED. Die erste Vorsitzende war Margot Feist, die spätere Frau von Erich Honecker. Ihr gehörten seit den 1960er/1970er Jahren fast alle Schüler vom ersten bis zum siebten Schuljahr als Jung- oder Thälmannpioniere an. Die Pionierorganisation, die der FDJ angegliedert war, wurde am 13. Dezember 1948 gegründet und im August 1990 aufgelöst. Vom Gründungstag abgeleitet, wurde der 13. Dezember deshalb in der DDR als Pioniergeburtstag begangen. Die Pionierorganisation der DDR war vollständig nach sowjetischem Vorbild aufgebaut und organisiert.

 

Ernst  Thälmann war Parteivorsitzender der KPD von 1925 bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo im Jahr 1933. Er war kommunistischer Kandidat für die Reichspräsidentenwahlen von 1925 und 1932 und Mitglied des Reichstages von 1924 bis 1933. Thälmann führte von 1925 bis zu seinem Verbot 1929 den kommunistischen Widerstand gegen die Weimarer paramilitärische Rechte an, der  als Schutz- und Wehrorganisation vor allem in Straßenkämpfen vor allem mit den Nationalsozialisten in Erscheinung trat. Er schloss die in den Statuten der Kommunistischen Internationalen vorgesehene Umstrukturierung der KPD als Partei neuen Typus ab. Aufbauend auf die „Sozialfaschismusthese“ der Sowjetunion bekämpfte die KPD unter seiner Führung die SPD als politischen Hauptfeind innerhalb der Weimarer Republik, was sich im Nachhinein als schwerer politischer Fehler herausstellte. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde er zwei Tage vor der Reichstagswahl im Märze 1933 verhaftet. Dort kam er in Einzelhaft, die qualvolle 11 Jahre dauerte. Im August 1944 wurde er von den Nationalsozialisten, vermutlich durch den direkten Befehl Hitlers erschossen.

 

Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ war als politische Kinderorganisation und Teil des einheitlichen sozialistischen Schulsystems in der DDR fest in die Schulen integriert.[20] Sie bildete die Vorstufe zur Mitgliedschaft in der FDJ. Die Einbindung der Jugendlichen setzte sich nach der Schulzeit durch den Wehrdienst, das Pflichtfach Marxismus-Leninismus für alle Studenten der DDR und später die Mitgliedschaft im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft fort. So blieb ein DDR-Bürger vom siebten Lebensjahr bis zum Ende seines Arbeitslebens eingebunden in verschiedene sozialistische Organisationen.

 

Es wurden regelmäßig Pioniernachmittage abgehalten.[21] Ein Pioniernachmittag war eine regelmäßige Zusammenkunft aller Mitglieder der Pionierorganisation einer Schulklasse. Die Treffen fanden im Allgemeinen an einem Mittwochnachmittag statt und standen meistens unter Anleitung des Klassenlehrers. Im Jahr 1981 waren 98 Prozent aller Schüler der entsprechenden Altersgruppen Mitglied der Pioniere,so dass der Pioniernachmittag als außerunterrichtliche Aktivität der jeweiligen Schulklasse betrachtet werden kann. Pioniernachmittage fanden, soweit thematisch möglich, in der Schule statt. Sie dienten neben der Freizeitgestaltung auch der politischen Beeinflussung.[22]

 

Die Inhalte der Pioniernachmittage waren vielfältig. Neben mehr oder weniger unpolitischen Freizeitaktivitäten wie Wanderungen, Kino-, Theater- oder Tierparkbesuchen gab es auch explizit politisch orientierte Nachmittage. Zu den Pioniernachmittagen konnten Gäste eingeladen werden. Mitunter waren Eltern oder Mitglieder der Patenbrigade beteiligt, insbesondere bei Ausflügen und Fahrten,

 

Eine besondere Form der Pioniernachmittage waren die Lernkonferenzen, auf denen der Leistungsstand einzelner Schüler im Klassenverband besprochen wurde. Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, in denen auch intensiv Kritik und Selbstkritik in diesen Zusammenkünften eingesetzt wurden, bestand die Forderung, dass jeder Schüler schriftlich eine Selbstverpflichtung formulieren musste, die Ausdruck für ein erreichbares Ziel sein sollte. Später verpflichteten sich einzelne Pioniere dabei zur Erreichung eines bestimmten Leistungszieles in der Schule.

 

Die Pionierorganisation stellte stets das Kollektiv in den Mittelpunkt, Individualismus war wenig erwünscht. Das Tragen des Halstuches war in den Schulen an den Tagen mit Fahnenappell und an solchen, an denen sich die Pioniergruppe nach der Schule regelmäßig traf, sowie einigen sozialistischen Feiertagen, wie dem 1. Mai und dem Pioniergeburtstag mit Nachdruck erwünscht.

 

Seit  den 1960er Jahren mussten die Jungen Pioniere das folgende Gelöbnis ablegen: „Ernst Thälmann ist unser Vorbild. Als Thälmann-Pionier gelobe ich, so zu leben, zu lernen und zu kämpfen, wie es Ernst Thälmann lehrt, getreu unserem Gruß bin ich: Für Frieden und Sozialismus immer bereit!“[23]

 

Am Ende der 7. Klasse oder am Anfang der 8. Klasse erfolgte meist die Aufnahme in die FDJ, damit endete die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation. Die Mitgliedschaft bei den Jungen Pionieren sowie den Thälmann-Pionieren war formal freiwillig. Andererseits wurde sie seitens des Staates und damit der Schule sowie von vielen Eltern als selbstverständlich angesehen. In der Praxis ging die Initiative für die Aufnahme aller Schüler einer Klasse von der Schule aus.[24]

 

Nicht nur im Bereich der Kinder- und Jugenderziehung diente Ernst Thälmann als Vorbild für ein Leben für den Kommunismus. Viele Arbeitskollektive, Schulen, Straßen, Plätze, Orte bzw. Siedlungen und Betriebe in der DDR, der VEB SKET (Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann) oder die Offiziershochschule der Landstreitkräfte der NVA, trugen ebenfalls seinen Namen.[25] Auch wurde die Ernst-Thälmann-Insel in der kubanischen Schweinebucht nach ihm benannt. Am 30. November 1949 wurde der Berliner Wilhelmplatz feierlich in Thälmannplatz umbenannt. Auch die angrenzende U-Bahn-Station bekam den Namen Thälmannplatz. In den 1980er Jahren wurde in Berlin im Prenzlauer Berg der Ernst-Thälmann-Park angelegt, dazu wurde ein großes Denkmal mit dem Konterfei Thälmanns des sowjetischen Bildhauers Lev Kerbel errichtet.[26] Daneben gibt es weitere Denkmäler mit Ernst Thälmann. Außerdem gab es noch die inzwischen abgerissene Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Sporthaus Ziegenhals bei Berlin. Dort bot er 1933 in seiner Rede der SPD die „Antifaschistische Aktion“ als Einheitsfront gegen den deutschen Faschismus an. Eine weitere Thälmann-Gedenkstätte befindet sich im Kleistpark in Frankfurt/Oder.

 

Eine enge Verbindung und ein ständiger Austausch  bestand zur russischen PionierorganisationWladimir Iljitsch Lenin.[27]Im Revolutionsjahr 1917 zählte man in Russland mehr als 50.000 Pfadfinder, vornehmlich Kinder aus wohlhabenden Familien.

 

Die Bewegung setzte ihr Wirken auch nach der Revolution in der Sowjetunion fort. Viele Pfadfinder flohen gemeinsam mit ihren Familien ins Ausland, insbesondere nach Frankreich und in die USA. Im Jahr 1922 berieten auf der Allrussischen Versammlung der Pfadfinderführer die Aktiven der Pfadfinderbewegung über das weitere Vorgehen: Zahlreiche Pfadfinderverbände beteiligten sich an der Gründung der kommunistischen Pionierorganisation. Zum Zeitpunkt des endgültigen Verbotes der Pfadfinderbewegung in der Sowjetunion im Jahr 1923, ein Jahr nach Gründung der Pionierorganisation, gab es noch etwa 8.000 russische Pfadfinder. Einer der Hauptakteure sowohl der russischen Pfadfinderbewegung als auch der entstehenden sowjetischen Pionierorganisation war Innokenti Nikolajewitsch Schukow (1875–1948). Seit 1914 Sekretär der Allrussischen Vereinigung Russki Skaut, wurde er später zum Obersten Pionier der RSFSR. Als Vertreter einer eher humanistisch ausgerichteten Strömung der Pfadfinder versuchte er seit 1917 einen eigenständigen Roten Pfadfinderverband Krasny Skaut, zu gründen. Dies gelang nicht. Seit 1921 arbeitete er gemeinsam mit Lenins Frau Nadeschda Krupskaja und dem Kommissariat für Volksbildung (Narkompros) an einer Möglichkeit, die Methoden der Pfadfinderbewegung an die Erfordernisse einer sowjetischen Kinderorganisation.

 

Auf Schukow und die Moskauer Gruppe „Brüder des Feuers“ rund um Nikolai Fatjanow gehen die Bezeichnung Pionier, sowie die Übernahme des PfadfindergrußesSei bereit! – Immer bereit!“ zurück.[28] Die Moskauer Pfadfinder verabschiedeten am 13. Mai 1922 - zu einem taktisch günstigen Zeitpunkt wenige Tage vor der Allrussischen Konferenz des Kommunistischen Jugendverbandes - eine „Deklaration der Scoutmaster der Stadt Moskau zur Frage der Schaffung einer Kinderbewegung in der RSFSR“. Darin schlugen sie vor, als Fundament der neuen kommunistischen Kinderbewegung das System Scouting zu benutzen und die neue Organisation als „Junge Pioniere“ zu bezeichnen. Es gelang ihnen dadurch ein entscheidender Perspektivenwechsel im öffentlichen Diskurs über die russische Pfadfinderbewegung. Sie wurde fortan nicht mehr als dem Komsomol entgegengesetzte Scout-Organisation betrachtet, sondern als System Scouting einer neuen Kinderbewegung zugrunde gelegt.

 

Der Perspektivenwechsel der Moskauer Pfadfinder wurde wenige Tage später vom Kommunistischen Jugendverband übernommen, der am 19. Mai 1922 den Beschluss fasste, „die Frage der Kinderbewegung zu bearbeiten und dabei das reorganisierte System des Scoutings zu verwenden“.[29] In den folgenden Jahren gründeten die ehemaligen Scoutmaster neue Pioniergruppen und bildeten die Gruppenleiter aus. Der Beschluss der Zweiten Allrussischen Komsolkonferenz vom 19. Mai 1922 wird später als Gründungsdatum der Pionierorganisation (Pioniergeburtstag) festgelegt.[30]

 

Schon kurz nach der Gründung begann ein starkes Wachstum der Organisation. Zählte sie 1923 nur 75.000 Mitglieder, waren es 1926 schon zwei Millionen. Den Höhepunkt erreichte die Mitgliederentwicklung in den 1970er Jahren mit mehr als 25 Millionen Mitgliedern. Obwohl die Mitgliedschaft formal freiwillig war, gehörten nahezu alle Kinder und Jugendliche der Organisation an. Am 23. Mai 1924, wenige Monate nach Lenins Tod, wurde der Name der Pionierorganisation um den Zusatz „Wladimir Iljitsch Lenin“ erweitert.[31]

 

Nachdem sich der Komsomol und die mit ihm verbundene Pionierorganisation im Rahmen von Glasnost und Perestroika neue Strukturen gegeben hatten, brachen beide Organisationen schnell zusammen. Die Pionierorganisation wurde gemeinsam mit dem Komsomol nach dem gescheiterten Augustputsch 1991 verboten.

 

Bis 1942 war die Pionierabteilung die Hauptebene der Arbeit. In ihr wurden alle Schüler einer Schule zwischen 10 und 15 Jahren zusammengefasst. Ab 1942 wurde dieser Begriff nur noch für die Leninpioniere aus einer Schulklasse verwendet, die Bezeichnung auf Schulebene war jetzt Pioniergruppe. Die Pionierorganisation war in drei Altersstufen eingeteilt, mit 15 Jahren konnten die Mitglieder mit Empfehlung der Pionierorganisation in den Komsomol wechseln. Vor die Pionierorganisation waren die Gruppen der „Oktoberkinder“ geschaltet, in denen 7- bis 9-jährige Kinder zusammengeschlossen waren. Geleitet wurde die Organisation durch das Zentralkomitee der Pionierorganisation, das wiederum vom Zentralkomitee des Komsomol kontrolliert wurde. Die Organisation unterhielt zahlreiche Pionierlager als Ferienlager.[32]

 




[1] Zitiert aus Welsh, H.: Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen 1945-1948, München 1989, S. 72

[2] Benzer, G.: Konzeptionen und Praxis der Abrechnung mit dem deutschen Faschismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 11/1984, S. 951-967, hier S. 955

[3] Mampel, S.: Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik: Kommentar; mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung. 3. Auflage 1997, S. 27

[4] Zur Entnazifizierung in den Westzonen siehe Niethammer, L.: Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, 2. Auflage, Berlin 1982; Funke, H. (Hrsg.): Von der Gnade einer geschenkten Nation. Zur politischen Moral der Bonner Republik, Berlin 1988; Krüger, W.: Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberungen in Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1982

[5] Peukert, D./Bajohr, F.: Rechtsradikalismus in Deutschland, Hamburg 1990, S. 36ff

[6] Zitiert aus Siegler, B.: Auferstanden aus Ruinen… Rechtsextremismus in der DDR, Berlin 1991, S. 100ff

[7] Ebd., S. 101

[8] Nationalrat der Nationalen Front (Hrsg.): Graubuch. Expansionspolitik und Neonazismus in Westdeutschland. Hintergründe, Ziele, Methoden. Eine Dokumentation, 2. Auflage, Berlin (Ost) 1967, S. 23

[9]Olsen, G.: Germany after the Second World War, Boston 1991, S. 45

[10] Vgl. Meinecke, W.: Die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone 1945-1948, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 11/1984, S. 969; Welsh, H.: Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen 1945-1948, München 1989; Frei, N.: Vergangenheitspolitik, München 1996; Benzer, G.: Konzeptionen und Praxis der Abrechnung mit dem deutschen Faschismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 11/1984, S. 951-967 oder Neues Deutschland vom 21.4.1948

[11]Mählert, U./Stephan, G.-R.: Blaue Hemden Rote Fahnen – Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Opladen 1996, S. 21

[12] Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 178

[13]Klier, F.: Lüg Vaterland - Erziehung in der DDR, München 1990, S. 98f

[14] Günther, K.-H.: Das Bildungswesen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1979, S. 89

[15]Geißler, G./Wiegmann, U.: Schule und Erziehung in der DDR. Studien und Dokumente, Neuwied am Main u. a. 1995, S. 103

[16]Geißler, G.: Geschichte des Schulwesens in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1962, Frankfurt am Main u. a. 2000, S. 127

[17]Markus, U.: Was war unsere Schule wert? Volksbildung in der DDR, Berlin 2009, S. 37f

[18]Elsen, H.: Geschichte der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“. Chronik, Berlin (Ost) 1983, S. 15

[19]Chowanetz, R.: Zeiten und Wege. Zur Geschichte der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ von den Anfängen bis 1952. In Berichten, Briefen, Erinnerungen, Bildern und einer Chronik. 2. Auflage, Berlin 1988, S. 29ff

[20] Ebd., S. 38

[21] Ebd., S. 39

[22]Chowanetz, R.: Die Kinderzeitschriften in der DDR von 1946 bis 1960, Berlin 1983, S. 35

[23] Zitiert aus Chowanetz, R.: Zeiten und Wege. Zur Geschichte der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ von den Anfängen bis 1952. In Berichten, Briefen, Erinnerungen, Bildern und einer Chronik. 2. Auflage, Berlin 1988, S. 39

[24] Ebd., S. 40

[25] Bimberg, S.(Red.): Sing mit, Pionier! Liederbuch der Jungpioniere, Leipzig 1989, S. 65

[26] Elsen, H.: Geschichte der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“. Chronik, Berlin (Ost) 1983, S. 65

[27]Klier, F.: Lüg Vaterland - Erziehung in der DDR, München 1990, S. 57

[28] Bernbuch, N.: Der Jugend gehört die Zukunft, Ost-Berlin 1963, S. 66

[29] Greusser, H.: Geschichte der Sowjetunion, Berlin 1982, S. 138

[30] Ebd., S. 140

[31] Ebd., S. 142

[32] Günther, K.-H.: Das Bildungswesen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1979, S. 125

 

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