Rassistische Ausschreitungen in Frankfurt/Oder 1991

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Am 8.4.1991 trat das deutsch-polnische Abkommen für eine visafreie Einreise für Touristen in Kraft. Nachdem die alte Kontrollratsbestimmung mit der „Wiedervereinigung“ und der völkerrechtlichen Souveränität der BRD weggefallen war, hatte es Monate gedauert, bis polnischen Staatsangehörigen eine freie Einreise erlaubt wurde.

 

Neonazis kündigten für den Fall der Schlagbäume an der Grenze zwischen der BRD und Polen am 8.4.1991 Null Uhr eine Aktion „Kein Pole kommt nach Deutschland“ in Frankfurt/Oder an, was zu stundenlangen rassistischen Ausschreitungen in der Oderstadt führte.

 

Insider sprachen von „neofaschistischen Aktionsräumen“ auf dem Gebiet der ehemaligen DDR im Herbst 1990, die auf eine systematisch angelegte Strategie der Neonazis hindeuteten.[1] Zum einen handelte es sich um den „Braunen Ring“ um Berlin mit Stützpunkten in Königs-Wusterhausen, Oranienburg und Velten. Ein anderer Aktionsraum wurde entlang der polnischen Grenze vermutet, der sich von Schwedt über Eberswalde/Finow, Frankfurt/Oder bis Guben erstreckte. Außer in Brandenburg bestanden Aktionsräume in den Großstädten Dresden, Chemnitz und Halle und der näheren Umgebung.

 

Schon zu DDR-Zeiten existierten weit verbreitende antipolnische Ressentiments. Bis zur Schließung der Grenze 1980 wegen des „Solidarnosc-Bazillus“[2] kauften polnische Staatsbürger vor allem billige und in ihrem Land schwer zu bekommende Waren wie Kinderkleidung oder Lebensmittel ein. Da die SED-Regierung das Warenangebot nicht erhöhte, kam es vor, dass Einwohner der grenznahen Städte wie Görlitz oder Frankfurt/Oder vor leeren Regalen standen. Die Verantwortung für diesen Engpass wurde bei den „Schacher-Polen“ gesucht und nicht bei der SED-Führung. An manchen Geschäften hingen sogar Schilder mit der Aufschrift „Kein Verkauf an Polen“, die Assoziationen an die NS-Zeit weckten.[3] In einem Artikel in der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“ hieß es:[4] „Wenn sie (die Ausländer M.L.) im Fleischerladen, am Süßwarenstand oder in der Kinderschuhabteilung einen Großeinkauf machen, werden Hausfrauen, Verkäuferinnen und andere mitunter aggressiv.“

 

Der Solidarnosc-Kongress Anfang September 1981, wo unter anderem der Aufbau von „freien Gewerkschaften“ in anderen sozialistischen Staaten gefordert wurde, führte zu heftigen Angriffen auf die Volksrepublik Polen. Die SED-Führung drohte damit, die wirtschaftlichen Hilfen der DDR einzustellen. Angesichts der Streiks in Polen wurde die Frage gestellt, „ob die Hilfe für unser Nachbarvolk nicht in ein Faß ohne Boden fällt. (…) Kein Volk kann ohne Arbeit leben, wie seine Gesellschaft oder Politik auch immer gestaltet sein mag. Das ist nicht antipolnisch, sondern einfach nur logisch gedacht.“[5]

 

Am 2.7.1990 wurden polnische Autos in Frankfurt/Oder von bewaffneten Neonazis angegriffen. Mitte August 1990 versuchten Anhänger der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) die Grenze von Görlitz nach Zgorzelec zu überqueren und forderten in revanchistischer Manier ein „Bundesland Schlesien“.[6]

 

Am 8.4.1991 trat das deutsch-polnische Abkommen für eine visafreie Einreise für Touristen in Kraft. Nachdem die alte Kontrollratsbestimmung mit der „Wiedervereinigung“ und der völkerrechtlichen Souveränität der BRD weggefallen war, hatte es Monate gedauert, bis polnischen Staatsangehörigen eine freie Einreise erlaubt wurde.

 

Neonazis kündigten für den Fall der Schlagbäume an der Grenze zwischen der BRD und Polen am 8.4.1991 Null Uhr eine Aktion „Kein Pole kommt nach Deutschland“ in Frankfurt/Oder an.[7] Schon am Rande einer Demonstration in Dresden am 20.10.1990 sprach der Neonazi Michael Kühnen von „Aktionen“ gegen die deutsch-polnische Grenze.[8] In der Nacht sammelten sich ca. 250 extreme Rechte, die die Durchfahrt hinter der Zollstation blockierten. 30 Polizisten, die trotz Vorwarnung keine Verstärkung erhalten hatten, wurden von den Neonazis mit Pflastersteinen und Feuerwerkskörpern beworfen. Dies führte dazu, dass die Öffnung der Grenze um eine knappe Stunde verschoben werden musste, bis angeforderte Verstärkung der Polizei eingetroffen war. Es konnte trotzdem nicht verhindert werden, dass die Neonazis polnische Busse und Autos angriffen. In dieser Nacht wurden 41 Gewalttäter von der Polizei festgenommen.

 

Ein ähnliches Bild wie in Frankfurt/Oder bot sich in dieser Nacht auch in Guben, 40 Kilometer weiter südlich. Dort hielten 30 Neonazis mit einer Sitzblockade den deutsch-polnischen Grenzübergang über eineinhalb Stunden geschlossen. In dieser Nacht der Grenzöffnung wurden in den beiden Städten fünf polnische Staatsbürger verletzt, einer davon schwer.[9] Hinter den neonazistischen Gewalttaten stand unter anderem der 1990 in Frankfurt/Oder gegründete Kameradschaftsbund Deutschland (KBD). Axel Vornbäumen hob mit Recht die geistige Verwandtschaft der ganz normalen Bürger und den Neonazis hervor:[10] „Doch die Krakeeler sind damit nur noch der Lautstärke nach eine Minderheit. Inhaltlich treffen sie mit ihren Parolen mitten ins Meinungsbild der grenznahen Ostler. Das Gros der Schaulustigen, die feixend Spalier standen, als die ersten verängstigten Polen mit fast einstündiger Verspätung die Grenze passieren, findet allenfalls den Hitlergruß übertrieben. Auch sie, die nicht auf Kommando losschreien, wenn das Scheinwerferlicht der Fernsehkameras angehen, kennen den Polen nur als Schieber, Schwarzhändler und Schwarzarbeiter.“

 

Der von Journalisten interviewte Besitzer eines Gasthauses direkt an der deutsch-polnischen Grenze forderte die Verhinderung der Grenzöffnung:[11] „Die Berliner Mauer hätten sie an der Oder wieder aufbauen sollen.“

 

Zum Schutz der polnischen Bürger wurde der Grenzverkehr am nächsten Tag von der Frankfurter Stadtbrücke über die Autobahnbrücke umgeleitet.

 

Als geistiger Brandstifter erwies sich zwei Wochen vorher schon Berlins Innensenator Heckelmann (CDU), als er „von unzumutbaren Belästigungen von bis zu 100.000 Polen-Besuchern am Wochenende“ sprach, „die mit illegalem Handel in den Stadtteilen“ einhergingen.[12]

 

Nach den Grenzkrawallen kam es zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen der Berliner Ausländerbeauftragten, Barbara John (CDU), und der brandenburgischen Landesregierung. John kritisierte, durch ihre Gleichgültigkeit habe sich die Polizei zu „Komplizen der Gewalttäter“ gemacht.[13]

 

Lucina Leyko, Dezernentin für internationale Beziehungen in Slubice, urteilte:[14] „An diesem Tag ist eine neues Kapitel des braunen Buches aufgeschlagen worden.“ Der Stadtpräsident von Gorzow Wielkopolski brach nach den Grenzkrawallen erstmal alle offiziellen Beziehungen zu Frankfurt/Oder ab.

 

Die Reaktionen ausländischer Publikationen auf die Grenzkrawallen waren voller Sorge über ein Anwachsen neonazistischer Denkmuster. Die französische Liberationsprach von einer „schrecklichen Nacht für die deutsch-polnische Völkerverständigung“.[15] Das spanische Blatt El Pais sah „braune Schattenseiten der deutschen Wiedervereinigung“.[16]

 

Im Mai 1991 wurde der Wagen des Polen Wiesiaer Przywozny, der sich auf der Autobahn von Berlin nach Frankfurt/Oder befand, von einem Auto mit deutschem Kennzeichen überholt. Dessen Insassen warfen einen Stein ins Seitenfenster des polnischen Wagens. Das Auto Przywoznys überschlug sich mehrfach, der Fahrer blieb wie durch ein Wunder unverletzt.[17]

 

Seit 1993 betrieben Neonazis in Frankfurt/Oder ein Nationales Pressearchiv (NPA). Dahinter verbarg sich ein „Stützpunkt“ der seit 1992 verbotenen Nationalistischen Front (NF).[18] Es diente der NF bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen sowie anderen neonazistischen Gruppen zur Sammlung von Informationen über antifaschistisch eingestellte Einzelpersonen oder Initiativen. Betreiber des NPA war der Frankfurter Neonazis Danny Sowade, der auch gleichzeitig den NPA-Rundbrief „Nationaler Beobachter“ herausgab, der zur Vernetzung der neonazistischen Szene zumindest in Ostdeutschland diente.

 

Polnische Studenten, die an der Frankfurter Universität Viadrina eingeschrieben waren, wurden häufig Opfer von rassistischen Gewalttaten. Der BWL-Student Adam Twardoch erzählte:[19] „Laut in der Straßenbahn polnisch zu reden traue ich mich nicht.“ Der ehemalige Rektor der Viadrina, Hans Weiler, berichtete:[20] „Ausländische Angehörige von Mitarbeitern drängen auf einen Wegzug aus Frankfurt, weil sie die Anpöbelungen in der Öffentlichkeit nicht mehr ertragen können.“

 

Angesichts dieser Situation sah sich die Hochschule gezwungen, gegen rassistische Gewalt Stellung zu beziehen. Vertreter der Viadrina hoben hervor, dass die Universität ein kultureller Treffpunkt zwischen der BRD und Polen sei und im Geist der europäischen Idee mithelfen wolle, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.[21]

 

Wie weit antipolnische Stimmungen in der Bevölkerung Frankfurt/Oders verbreitet waren, zeigte der „Brötchenkrieg“ im Sommer 1995. Auf die Eröffnung einer Bäckerei in Frankfurt/Oder, die deutlich billigere Backwaren aus Polen bezog, reagierten Frankfurter Bäcker mit der Drohung eines Lehrstellenboykotts. Die Handwerkskammer rief gar zum Verbot des Verkaufs polnischer Backwaren in der Oderstadt auf.[22]

 

Am 6.8.1997 griffen Neonazis den Asylbewerber Mohammad Mouzain an und fügten ihm Blutergüsse und eine Platzwunde am Kopf zu.

 

Frankfurter Neonazis verfassten 1998 Flugblätter mit Terrorsymbolen, die der linken Roten Armee Fraktion (RAF) ähnelten. Analog zum Muster der RAF, die ihre Traktate mit einem fünfzackigen Stern mit Maschinenpistole versah, wurde ein Papier mit der Abbildung eines Sturmgewehrs auf einem Hakenkreuz konfisziert. Aufforderungen zu militanten Untergrundaktionen fanden sich in den dazugehörigen Texten. Dort war zu lesen. „Klagt nicht an – richtet.“ Oder „“Das Wort tritt in den Hintergrund – es entscheidet die Tat!“ In der Neonaziszene in Frankfurt/Oder kursierten steckbriefartige Listen von Politikern, Journalisten und Antifaschisten mit Adressen, Fotos und Autokennzeichen. Bei einer Hausdurchsuchung im Jahre 1999 wurde Munition für ein Maschinengewehr und ein Positionspapier gefunden, das die Bildung militanter Gruppen im Untergrundkampf befürwortete.[23]150 TeilnehmerInnen versammelten sich am Samstag dem 28.August 1999 in der Europauniversität "Viadrina" auf Einladung des Demokratischen JugendFORUM Brandenburg e.V., um unter der Überschrift "Mehr als tolerant?" eine Bilanz des Aktionsbündnisses „Aktion Noteingang“ zu ziehen, das in 13 Städten Brandenburgs Befragungen zum Thema extreme Rechte durchgeführt hatte. Hochkarätig besetzte Podien und Arbeitskreise diskutierten die Perspektiven antirassistischer und antifaschistischer Arbeit in Brandenburg.[24]

 

Der Pro-Rektor der Universität, Professor Hermann Ribhegge, und der Beigeordnete der Sozial- und Kulturverwaltung der Stadt, Martin Patzelt, sprachen Grußworte und bedankten sich bei den Organisatoren der Konferenz für deren Aktivitäten. Insbsondere Ribhegge betonte, dass angesichts der Zunahme von rassistischen Übergriffen um 50 Prozent, ein verstärktes Engagement dringend erforderlich sei. Fortgesetzt wurde die Konferenz mit einer Podiumsdiskussion und der Arbeit in 4 Arbeitskreisen.

 

Im Sommer 1998 startete in Bernau/Brandenburg die ‚Aktion Noteingang‘. Anlass war ein Vorfall, bei dem Neonazis in der Stadt einen gambischen Asylbewerber und einen Vietnamesen zusammengeschlagen und schwer verletzt hatten. Aus diesen Ereignissen heraus entstand das Bedürfnis, auf die zunehmende Anzahl von rechtsextremen Übergriffen aufmerksam zu machen und Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen. [25]

 

Der Ansatzpunkt bestand darin, ein Handlungskonzept zu entwerfen, das nachhaltig die Problematik rechtsextremer Angriffe in der Mitte der Gesellschaft thematisierte, von wo die TäterInnen ihre Rückendeckung bekamen. Die Aktion sollte eine breite öffentliche Diskussion innerhalb der Gesellschaft und das Aufzeigen einer konkreten Handlungsmöglichkeit gegen rechtsextremes Denken ermöglichen. Die Initiative kritisierte auch die Asylpolitik, die Flughafenverfahren, Zwangsabschiebungen, Residentpflicht in den Unterkünften und Arbeitsverbote vorsah, rechtsextreme Äußerungen von PolitikerInnen über ‚volle Boote‘ sowie die Abschottung der deutsch-polnischen Grenze.[26] Im Rahmen des Projektes wurden LadenbesitzerInnen, Gaststätten- und TankstellenbetreiberInnen, FilialleiterInnen, Verantwortliche für Kultur-, Kirchen- und Sozialeinrichtungen und andere öffentliche Institutionen angesprochen. Ihnen wurde in einem Gespräch die ‚Aktion Noteingang‘ vorgestellt, sie erhielten eine schriftliche Erläuterung, die Aufkleber zur Aktion, eine Liste mit wichtigen Kontakttelefonnummern und Hinweise zu Verhaltensweisen bei direkter Gefahr.

 

Die Handzettel, die zum Beginn des Wintersemesters 2000/2001 an Erstsemester der Viadrina von der Polizei verteilt wurden, kamen einer Kapitulation vor der rassistischen Gewalt in Frankfurt/Oder gleich. Auf diesem Handzettel mit der Überschrift „Sicher in Frankfurt/Oder“ warnte die Polizei vor „glatzköpfigen jungen Männern zwischen 16 und 25 Jahren in Springerstiefeln, die oft alkoholisiert in Gruppen auftreten und fremd wirkende Mitmenschen anpöbeln.“ Wer „ausländisch aussehe“ und Jugendlichen „in Jacken mit Aufnähern ‚My race ist my pride’ auf sich zukommen sehe, sollte sich schnellstens aus dem Staub machen.“[27]

 




[1] Antifaschistisches Autorenkollektiv (Hrsg.): Drahtzieher im braunen Netz, Berlin 1996, S. 32

[2] Hacker, J.: SED und nationale Frage, in Spittmann, I. (Hrsg.) Die SED in Geschichte und Gegenwart, Köln 1987, S. 43-64, hier S. 60

[3] Die Zeit vom  21.6.1991, S. 13

[4] Die Kirche vom  7.5.1989

[5] Neues Deutschland vom  8.9.1981

[6] Siegler, Auferstanden aus Ruinen…, a.a.O., S. 32

[7] Ebd., S. 28

[8] Borchers, Neue Nazis im Osten, a.a.O., S. 76

[9] Ebd., S. 23

[10] Frankfurter Rundschau vom  9.4.1991

[11] Siegler, Auferstanden aus Ruinen, a.a.O., S. 29

[12] Berliner Zeitung vom  24.3.1991

[13] Süddeutsche Zeitung vom 13.4.1991

[14] Gazeta Wyborcza vom  22.4.1991

[15] Liberation vom 10.4.1991

[16] El Pais vom 11.4.1991

[17] Borchers, Neue Nazis im Osten, a.a.O., S. 24

[18] Antifaschistische Aktion Berlin (Hrsg.): Das Konzept Antifa. Grundsatztexte und Konkretes, Berlin 1999, S. 52

[19] Der Spiegel 15/1998, S. 78ff

[20] Ebd.

[21] Der Tagesspiegel vom  11.11.1997

[22] MOZ vom  25./26.8.1995

[23] Der Tagesspiegel vom 12.5.1999

[24] http://aktion-noteingang.de/kongress/deckblatt.htm

[25] Aktion Noteingang (Hrsg.): Zivilcourage gegen Rassismus? Ein Jahr Aktion Noteingang: Erfahrungen eines antirassistischen Jugendbündnisses, Berlin 1999, S.16 ff

[26] Golz, H.-G.: ‚Noteingang‘ gegen Rassismus, in: Deutschland-Archiv 33,2,2000, S.710 f

[27] Zitiert aus Die Welt vom 19.11.2000

 

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