Individualisierung als Erklärung für extrem rechte Denkmuster?

Weil sih soziokulturelle Milieus und traditionelle Bindungen familiärer Art auflösten, fehlte den Betroffenen ein fester Halt. Handlungsunsicherheit führte zu Gewißheitssuche, an die extrem echte Konzepte mit ihren Vorurteilen und Stabilisierungsversprechen anknüpften. Eine kritische Betrachtung der Individualisierungsthese von Heitmeyer und anderen.

Bereits in den 60er Jahren gingen die Soziologen Erwin K. Scheuch und Hans Dieter Klingenmann davon aus, daß unter Bedingungen raschen gesellschaftlichen Wandels tradierte Verhaltensweisen und Werte mit diesen in Konflikt gerieten. [1]

Wenn das Individuum damit verbundene Spannungen nicht konstruktiv verarbeiten könnte, würden sie ängstlich abgewehrt. Dies drückte sich politisch in der Akzeptanz von rechtsextremen Einstellungen oder Verhaltensweisen aus. Insofern sprachen Scheuch und Klingemann vom Rechtsextremismus als normaler Pathologie westlicher Industriegesellschaften. [2]

An diese Interpretation knüpften auch zahlreiche RechtsextremismusforscherInnen in den 80er und 90er Jahren mit unterschiedlicher Gewichtung in ihrem Erklärungsansatz und mit Differenzen zu Scheuch und Klingemann an. Sie erklärten den Rechtsextremismus als Reaktion auf wirtschaftliche und soziale Umbrüche in der Gesellschaft. Vor allem Wilhelm Heitmeyer [3], Professor für Pädagogik und Sozialisationsforschung an der Universität Bielefeld, griff dabei auf die Konzeption des Soziologen Ulrich Beck [4] zurück, der die Bundesrepublik seit Mitte der 80er Jahre im Übergang von einer Industrie- zur Risikogesellschaft sah, die durch Individualisierung, Enttraditionalisierung und eine Pluralität der Lebensstile gekennzeichnet war.

Man erhielt für sich eine differenzierte Auswahl an Entscheidungsmöglichkeiten, es bedeutete aber auch mehr Unsicherheit, denn es handelte sich um riskante Freiheiten, deren Wahrnehmung auf wenige Menschen beschränkt war. [5]Der fortschreitende Individualisierungsprozeß führte nach Beck zu Auf- und Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen (Klasse, Schicht, Geschlechterrollen, Familie) durch solche, in denen sie ihre Biographie selbst erstellen mußten. [6]

Chancen, Gefahren, Ambivalenzen der Biographie, die früher im Familienverband, in der örtlichen Gemeinschaft, im Rückgriff auf ständische Regeln oder sozialen Klassen bewältigt werden mochten, mußten nun von den einzelnen selbst wahrgenommen, interpretiert und bearbeitet werden. Chancen und Lasten der Situationsdefinition und –bewältigung verlagerten sich damit auf die Individuen, ohne daß diese auf Grund der hohen Komplexität die gesellschaftlichen Zusammenhänge in Abwägung von Interesse, Moral und Folgen verantwortliche treffen zu können. [7]

Globale Probleme, ökologische Katastrophen und finanzielle Engpässe waren für die Risikogeselllschaft kennzeichnend. Das Regierungssystem wurde nicht mit den drohenden Gefahren fertig, wodurch ein Verlust an politischer Kompetenz und Institutionalität entstand. [8] Für die BürgerInnen des Staates ergab sich ein „Souveränitätsverlust“ [9], der durch die Renaissance autoritärer Machtmechanismen kompensiert werden konnte.

Große Gefahren und politische Tatenlosigkeit fürderten die Tendenz zur „Sündenbock-Gesellschaft“ [10]. Gerade die Unfaßbarkeit und Hilflosigkeit vor der Bedrohung begünstigt mit ihrem Anwachsen radikale und fanatische Reaktionen und politische Strömungen, die soziale Stereotypen und die von ihm betroffenen Gruppen zu greifbaren „Blitzableitern“ für die dem direkten Handeln verschlossenen, unsichtbaren Gefährdungen machen. [11]

Butterwegge kritisierte: „Leider gibt der Becksche Modernisierungsbegriff weder die Richtung noch den die Träger des damit gekennzeichneten sozialen Umbruchprozesses an, läßt Herrschaftsverhältnisse, Staatsformen und Machtkonstellationen weitmehr völlig außer acht, was für die Rechtsextremismusforschung bedeutet, daß ihre Ursachenanalyse sehr abstrakt bleibt. [12] Heitmeyer machte Individualisierungsschübe, die mit der Modernisierung einhergingen, für soziale und berufliche Vereinzelungserfahrungen verantwortlich, die bei Jugendlichen Vereinzelungserfahrungen, Orientierungslosigkeit und Handlungsunsicherheiten hervorriefen.“ [13]

Jugendliche in Ostdeutschland hatten einen doppelten Transformationsprozeß zu bewältigen. Zum einen den Übergang von der formierten in die individualisierte Gesellschaft und darin eingelagert die Veränderung der Jugendphase von einer funktionlen Anpassung zu aktiven, selbstverantwortlichen Gestaltung. Diese Aufwertung neuer Chancen war in Einklang zu bringen mit den Abwertungsgefahren bisheriger biographischer Eigenleistungen. Dies erforderte einen erhöhten Interpretationsaufwand für neue Situationen, die vor allem dadurch gekennzeichnet waren, daß sie ein bisher ungekanntes Maß ökonomischer und sozialer Desintegrationspotentiale enthielten – bis neue Reintegrationsmöglichkeiten geschaffen waren.“ [14]

Weil sih soziokulturelle Milieus und traditionelle Bindungen familiärer Art auflösten, fehlte den Betroffenen ein fester Halt. Handlungsunsicherheit führte zu Gewißheitssuche, an die extrem echte Konzepte mit ihren Vorurteilen und Stabilisierungsversprechen anknüpften. [15]

Ohnmachtsgefühle wurden in Gewaltakzeptanz umgeformt, die rechtsextreme Konzepte durch die Heroisierung des Stärkeren legitimierten. Vereinzelungserfahrungen mündeten in die Suche nach Zugehörigkeitskriterien, die rechtsextreme Konzepte durch die Bedrohung der Ethnizität boten. Heitmeyers Untersuchungsansatz lag ein Rehctsextremismusbegriff zugrunde, der aus zwei Elementen bestand: „on rechtsextremen Orientierungsmustern kann man also vorrangig dann sprechen, wenn beide Grundelemente zusammenfließen, wenn also die strukturell gewaltorientierte Ideologie der Ungleichhiet verbunden wird zumindest mit der Akzeptanz von Gewalt als Handlungsform.“ [16]

Die beiden genannten Aspekte, charakteristische Grundzüge des rechtsextremen Denkens, reichten jedoch laut Butterwegge nicht aus. [17] Inhaltliche Bedenken äußerte Butterwegge zusätzlich: „Weder geht rechtsextremes Denken zwangsläufig mit der Bereitschaft einher, selbst Hand anzulegen, noch vertreten ausschließlich Rechtsextreme eine Ideologie der Ungleichheit/Ungleichwertigkeit.“ [18]

Doris Stenke wies zu Recht darauf hin, daß die Ideologie der Ungleichheit nicht nur im rechtsextremen Lager zu finden war und daß ihr reale Ungleichheiten entsprachen: „Das Benennen dieser Ungleichheiten als Elemente der rechtsextremen Ideologie verstellt den Blick auf die bundesdeutsche Realität, die (...) von Sexismus und Rassismus geprägt ist.“ [19]

Die politische Sozialisation der Jugendlichen begriff Heitmeyer als einen widersprüchlichen Prozeß: „Der Weg von Jugendlichen in das fremdenfeindliche oder rechtsextreme Terrain verläuft (...) nicht in erster Linie über die Attraktivität von Parolen, die eine Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit betonen, um diese mit Gewalt durchzusetzen, sondern über Gewaltakzeptanz, die im Alltag entsteht, und dann politische legitimiert wird.“ [20] Butterwegge war der Meinung, daß die sozialen Individualisierungsprozesse, Desintergrationserscheinungen und Tendenzen zur Paralysierung gesellschaftlicher Institutionen unterschiedlich verarbeiten wurden und nur selten zur Übernahme rechtsextremen Orientierungsmuster führten. [21]

Ähnlich argumentierte Jaschke: „Mit ihr (Individualisierungsthese, M.L.) läßt sich twar die veränderte Stellung als Individuum in der Gesellschaft zutreffend beschreiben, nicht aber die individuellen und kollektiven Handlungsalternativen, die daraus folgen. (...) Der Schritt von Individualisierungsprozessen hin zu Rechtsextremismus ist nicht eindimensional, nicht linear und keineswegs zwangsläufig. Warum wählen die Betroffenen aber gerade diesen Fluchtweg und keinen anderen, der ebenso der Gewißheitssuche, der Kompensation von Ohnmacht oder dem Bedürfnis der Zugehörigkeit zu übergeordneten Werten entspricht? Warum entschiden sich die betroffenen Personengruppen für eine rechtsradikale Partei und nicht für eine linksradikale oder eine radikal-ökologische oder eine andere Kleinpartei?“ [22]

Rommelspacher erklärte die Individualisierungsthese für unhaltbar und warf Heitmeyer vor, indem er rechtsextreme Jugendliche als „Opfer der Risikogesellschaft“ ausgab, eine „wissenschaftliche Täterentlastung“ vorzunehmen. [23] Sie behauptete: „Mit dem Verweis auf dramatische Umwälzungen und Erschütterungen des Sozialgefüges wird hingegen von der konkreten Problematik abgelenkt, die eine deutsche Identität mit sich bringt. Es ist keine Rede von den Versäumnissen der Nachkriegsgeneration, von der Verdrängung der Vergangenheit.“ [24] Sie sah als Nebeneffekt dieser Defizitthese, die allein im aktuellen ökonomischen und sozialen Problemdruck ausgemacht zu haben glaubte, eine Enthistorisierung und Entpolitisierung. Rommelspacher kritisierte weiterhin die Individualisierungsthese: „Auffallend ist, daß in entsprechenden Analysen der Individualisierungsprozeß primär als Gefahr und Verlust gewertet wird. Aber meines Erachtens fragt sich auch, ob die Individualisierung nicht zugleich zu einem Mehr an Selbstbestimmung und damit auch an Respekt für die Eigenart andere führen kann, zu einer kritischen Hinterfragung selbstverständlicher Normen und deren Ausgrenzungsprozesse, sowie zu einer gewachsenen Ambigenitätstoleranz, also die Fähigkeit, Uneindeutigkeiten und Widersprüche auszuhalten.“ [25]

Wilhelm Breyvogel betrachtete die Individualisierungsthese Heitmeyers als Sozialromantik, in deren Zentrum die Vorstellung einer identitätsstiftenden Gemeinschaft stand. [26] Rudolf Leiprecht warnte vor einer Mythologisierung früherer und traditioneller Lebensweisen, da in Heitmeyers Ansatz überkommene Werte und Sozialbeziehungen wie die Kleinfamilie, Heimatverbundenheit und enge Nachbarschaft als positiver Gegenentwurf zum Rechtsextremismus erscheinen. [27]

Die Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus entwickelte in ihrer Streitschrift Gegen Leggewisierung und Heitmeyerei eine Kritik an der traditionellen Institution Kleinfamilie: „Die Identitäten in der Familie früher waren allerdings recht klar, der Autoritäre Vater, der mit dem Ledergürtel die Prügelstrafe ausübte; die sozialintegrative Mutter, die alles zu erdulden hatte und Jugendliche, die sich von der Vergewaltigung bis zum zugeteilten Beruf und zur Zwangsverheiratung alles gefallen lassen mußte. Aus diesen Familien gingen die Untertanen hervor, die begeistert in den Ersten Weltkrieg des deutschen Kapitals zogen und die 25 Jahre später ehrfurchtsvoll den Führer-Reden am Volksempfänger lauschten.“ [28]

Jürgen Winkler wies zudem darauf hin, daß „durch die Auflösung tradierter Bindungen im Modernisierungsprozeß des Rechtsextremismus nicht forciert wurde, sondern an Boden verloren hat.“ [29] Roland Eckert konstatierte: „Gerade traditionelle, hochintegrierte Gesellschaften (...) weisen häufig (insbesondere in ökonomischen Krisen) ein hohes Maß an fremdenfeindlicher Gewalt bis hin zu Progromen auf.“ [30] Außerdem übten auch solche Menschen rechtsextreme Gewalt aus, die fest in Familien-, Nachbarschafts- und Freundschaftsbeziehungen eingebunden waren.

Die Auflösung der Familie bedeutete neben dem Verlust eines traditionellen Orientierungsmusters und der oft nur scheinbaren sozialen Sicherheit gerade für Frauen ein „Mehr als Unabhängigkeit und Selbstbestimmung über eigenes Geld, Zeit, Wohnung, Freundschaften, über den eigenen Körper und die eigene Sexualität, eine Befreiung aus der sozialen Kontrolle der patriachalischen Institution Familie.“ [31]

Albert Scherr betritt, daß es sinnvoll wäre, Individualisierung als ein Spezifikum wohlfahrtsstaatlicher Industriegesellschaften und als grundlegendes Merkmal der jugendlichen Lebenssituation heute anzusehen. [32] Individualisierung bedeutete laut Scherr keineswegs Vereinzelung.

Freerk Huisken behauptete, daß es Heitmeyer nicht um das politische Konzept des Rechtsextremismus gehe, sondern nur um die Orientierungslosigkeit, der für rechtsextremen Parolen anfälligen Jugendlichen: „Sein Anliegen ist eine sozialpsychologische Anfälligkeitstheorie, bei der sich die ausländerfeindlichen Urteile und Taten der Jugendlichen erst einmal herauskürzen.“ [33] Das soziologische Urteil Desintegration nahm laut Huisken weder einschlägige kapitalistische Tatsachen noch ihre Wirkung auf die Betroffenen zur Kenntnis, sondern erklärte die GewalttäterInnen zu Opfern und sorgte sich um die bürgerliche Gesellschaft, deren Funktionsfähigkeit unter einer desintegrierten Jugend leiden könnte. [34]

Birgit Meyer kritisierte Heitmeyers geschlechtsunspezifische Erforschung des Rechtsextremismus, obwohl Wahlanalysen eindeutig belegten, daß z.B. die Republikaner von doppelt so vielen männlichen wie weiblichen Personen gewählt wurden. [35] Heitmeyer blendete in seinen Untersuchungen sowohl den geschlechtsspezifischen Kontext als auch den Sexismus als Untersuchungsobjekt aus. Laut Siegler behauptete, daß der Grund dafür darin lag, daß empirtische Ergebnisse Heitmeyers Grundthesen auf den Kopf stellten. Gerade Frauen litten an Perspektivlosigkeit und Orientierungsverlusten, trotzdem waren sie weit weniger anfällig für rechtsextreme Einstellungen als Männer. [36]

Burkhard Schröder konstatierte: „Heitmeyers Theorie vermag nicht zu erklären, warum die originären DDR-Faschos Mitte der 80er Jahre zu einem Drittel aus Familien der Intelligenz kamen und (...) sich keineswegs als Außenseiter, sondern ganz im Gegenteil als die gesellschaftliche Avantgarde ansahen. Hier zeigt sich, daß mit Heitmeyer auch nicht erklärt werden kann, warum trotz der zahlreichen ideologischen Alternativen, anders zu handeln, sich Gruppen von Individuen nicht entschlossen von links zu opponieren, sondern ins rechtsextremistische Lager drifteten. [37]

WissenschaftlerInnen der Universität Tübingen wiesen nach, daß rechtsextreme Orientierungsmuster nicht nur bei sozial benachteiligten, sondern auch bei wohlsituierten, beruflich erfolgreichen Jugendlichen existierten. [38]

Es ließ sich feststellen, daß Rechtsextremismus kein Unterschichtenphänomen war, sondern gerade bei gutverdienenden ArbeitnehmerInnengruppen vorkam. Diese Aussage wurde auch dadurch belegt, daß eine Studie des sächsischen Innenministeriums zufolge ca. 90% der politisch aktiven Rechtsextremen Sachsens einen Beruf ausübten und sozial integriert waren. [39]

Die Individualisierungsthese Heitmeyers beinhaltet, daß Handlungsunsicherheit zur Gewißheitssuche führt, an die rechtsextreme Konzepte mit vermeintlichen Stabilitätsversprechen anknüpften. Diese These enthält einige Schwächen und muß daher abgelehnt werden. Indem mensch Rechtsextreme zum Opfer der Risikogesellschaft macht, wird TäterInnenentlastung betrieben. Diese These reduziert Rechtsextremismus auf sozial benachteiligte Personen und streitet die Tatsache ab, daß dieses Phänomen in allen Schichten der Gesellschaft existiert. Die Individualisierungsthese hilft nicht nur, Verständnis für die geistigen Enkel von Ausschwitz aufzubauen, sondern senkt auch die Hemmschwelle, weitere rechtsextrem motivierte Taten folgen zu lassen.

 

Die oben vorgstellten Thesen Heitmeyers [40] trugen mit dazu bei, dass die extreme Rechte und Gewalt vornehmlich als Jugendproblem thematisiert wurden. [41] Die jugendliche Gewalt wurde als ‘Hilferuf’ einer verunsicherten Generation bewertet: „Die Jugendlichen fühlen sich angesichts der auch durch die Medien verbreiteten Vorurteile und Anklagen ohnmächtig gegenüber der Gesellschaft. Als einzige Gegenreaktion bleibt das Mittel der Gewalt.“ [42]

Weiterhin wurde die Gewalt der Jugendlichen als Protestausdruck einer sozialen Bewegung gedeutet, die als Reaktion auf politische Fehlentwicklungen zu begreifen wäre. [43] Die rechtsextremistischen Gewalttäter wurden als „APO der 90er Jahre“ gesehen, rassistische Gewalt als „jugendliches Protestverhalten“ apostrophiert. Der Schriftsteller Bodo Morshäuser sprach in einem Interview von einer „antiautoritären Rebellion“, die durch „subversive Frechheit der Nichtprivilegierten“ geprägt wurde. [44]

In den Massenmedien erfolgte die Deutung der extremen Rechten als Jugendprotest im Rahmen einer Berichterstattung über rassistische Gewalttaten, die für Butterwegge „vorübergehnd den Eindruck erweckte, als handele es sich hierbei um das Aufbegehren einer ganzen Generation.“ [45] Butterwegge kritisierte die „in der Tagespublizistik vorherrschende Tendenz zur Vereinfachung und Fehldeutung eines letzlich unbegriffenen Problems.“ [46]

Karl-Heinz Roth stellte fest: „Die Brandschatzungen, Messerstechereien und Prügelexzesse der Jugendlichen von Hoyerswerda, Mannheim-Schönau, Eisenhüttenstadt, Rostock-Lichtenhagen und Mölln enthielten gerade in ihrer Bestialität den kollektiven wie orientierungslosen Notschrei einer inzwischen sehr breit gewordenen Schicht, die sich in ihrer fortgeschrittenen Verelendung nur noch Erfolge innerhalb des zum Sammelbecken aller Pauperisierten gewordenen Sozialghettos zutraut.“ [47] Butterwegge kritisierte daran, daß damit die argumentative Grundlage geschaffen wäre, um ein gewisses Verständnis für die jugendlichen Täter aufzubauen. [48]

Laut Jaschke konstituierte sich der Rechtsextremismus seit 1989/1990 als soziale Bewegung. [49] Jaschke behauptete: „Der Protest von rechts ist eine sich zur sozialen Bewegung formierende modernisierungskritische Reaktion auf zwei fundamentale Veränderungen der Gesellschaft - auf Ethnisierungsprozesse und auf Individualisierungsschübe.“ [50] Butterwegge kritisierte diese These, indem er feststellt: „Es fällt jedoch auf, daß Jaschke den Rechtsextremismus durchgängig als soziale Bewegung thematisiert, ihre Herausbildung allerdings nach Opportunitätsgesichtspunkten datiert.“ [51] Er war der Ansicht, daß die Charakterisierung des modernen Rassismus als einen Jugendprotest ihn nicht nur verharmloste, sondern auch seine gesellschaftlichen Ursachen verschleierte. [52] Auf diese Weise würde laut Butterwegge die rassistische Gewalt entpolitisert werden.




[1] Pfahl-Trauytsber. A.: Rechtseyxtremismus in der Bundesrepublik, München 1999, S.101

[2] Scheuch, E.K., Klingemann, H.-D.: Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Nr. 12, Tübingen 1967

[3] vgl. dazu Heitmeyer, W., Jacobi, J.-C. (Hrsg.): Politische Sozialisation und Individualisierung, Westheim 1991, S.15-34; Heitmeyer, W.: Gesellschaftiche Desintegrationsprozesse als Ursachen von finanzieller Gewalt und politischer Paralysierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1993/2-3, S.3-13; Heitmeyer, W. Hrsg.): Das Gewalt-Dilemma, Frankfurt/M 1994; Heitmeyer, W., Buhse, H., Liebe-Freund, J, Möller, K., Müller, W., Rehn, H., Sille, G., Vossen, J.: Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie, Weinheim 1992; Heitmeyer, W., Conrads, J., Kaul, D., Kützel, W., Matuschek, I., Möller, R., Ulbricht-Hermann, M.: Gewalt. Schalterzeiten der Individualisierung bei Jugendlichen aus unterschiedlichen Milieus, Weinheim 1995; Heitmeyer, W., Collmann, B., Conrads, J., Kraul, D., Möller, R., Ulbricht-Hermann, M.: Gewalt in sozialen Milieus. Darstellung eines differenzierten Ursachenkonzeptes, in: Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 15 (1995), S.145-167; Heitmeyer, W., Müller, J.: Fremdenfeindliche Gewalt junger Menschen. Biographische Hintergründe, soziale Situationskontexte und die Bedeutung strafrechtlicher Sanktionen, Bonn 1995; Heitmeyer, W. (Hrsg.): Die zerrissene Gesellschaft, Frankfurt/M. 1996

[4] Beck, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andwere Moderne, Frankfurt/M 1986

[5] Beck, U., Beck-Gemsheim, E. (Hrsg.): Riskante Freiheiten, Frankfurt/M 1994

[6] Beck, U.: Vom Verschwinden der Solidarität. Individualisierung heißt Verschärfun sozialer Ungleichheiten, in: Detting, W. (Hrsg.): Perspektiven für Deutschland, München 1994, S.90 f

[7] FR vom 14./15.02.1993

[8] Beck, Risikogesellschaft, a.a.O., S.64

[9] ebd., S.72

[10] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, Darmstadt 1996, S.80

[11] Beck, Risikogesllschaft, a.a.O., S.101

[12] Butterwegge, Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.80

[13] Heitmeyer, Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse als Ursachen von fremdenfeindlicher Gewalt und politischer Paralysierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1992/2-3, S.4

[14] Heitmeyer, W.: Die Wiederspiegelung von Modernisierungsrückständen im Rechtsextremismus, in: Heinemann, K.-H., Schubarth, W. (Hrsg.): Der antifaschistische Staat entläßt seine Kinder. Jugend und Rechtsextremismus in Ostdeutschland, Köln 1992, S.100-115, hier S.102

[15] Butterwegge, Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.81

[16] Heitmeyer, W.: Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen, a.a.O., S.16

[17] Butterwegge, Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.81 f

[18] ebd., S.82

[19] Stenke, D.: Geschlechterverhältnis und Rechtsextremismus, in: Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (Hrsg.): Rassismus – Fremdenfeindlichkeit – Rechtsextremismus: Beiträge zu einem gesellschaftlichen Diskurs, Bielefeld 1993, S.91

[20] Heitmeyer, W.: Das Desintegrations-Theorem. Ein Erklärungsansatz zu fremdenfeindlich motivierten rechtsextremen Gewalt und zur Lähmung gesellschaftlicher Institutionen, in: Heitmeyer, W. (Hrsg.): Das Gewalt-Dilemma, a.a.O., S.46

[21] Butterwegge, Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.83

[22] Jaschke, H.G.: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Opladen 1993, S.119 f

[23] Rommelspacher, Rechtsextremismus und Dominanzkultur, in: a.a.O., S.85

[24] Siegler, B.: Auferstanden aus Ruinen. Rechtsextremismus in der DDR, Berlin 1991, S.164 f

[25] Rommelspacher, Rassismus und Rechtsextremismus, der Streit und die Ursachen, in: a.a.O., S.12

[26] Breyvogel, W.: Die neue Gewalt Jugendlicher gegen Fremde 1990-1993. Zur Kritik der Arbeiten des `Bielefelder Erklärungsansatzes´, in: Sozialwissenschaftliche Literaten Rundschau 29 (1994), S.16

[27] Leiprecht, R.: Das Modell ùnmittelbare und/oder direkte Konkurrenz´: Erklärung von Rechtsextremismus oder Rechtfertigungsangebot?, in: Insitut für Sozilpädagogische Forschung Mainz (Hrsg.): Rassismus – Fremdenfeindlichkeit – Rechtsextremismus: Beiträge zu einem gesellschaftlichen Diskurs, a.a.O., S.69

[28] Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus (Hrsg.): Gegen Leggewiesierung und Heitmeyerei im Antifaschismus, Bonn 1989, S.14

[29] Winkler, J.R.: Bausteine einer allgemeinen Theorie des Rechtsextremismus. Zur Stellung und Interpretation von Persönlichkeits- und Umweltfaktoren, in: Falter, J.W.: Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen 1996, S.42

[30] Eckert, R.: Gesellschaft und Gewalt – ein Aufriß, in: Soziale Welt 3/1993, S.358

[31] radikal 11/1992, S.41

[32] Scherr, A.: Sind Jugendliche individualisiert, in: Gegenwartskunde 2/1994, S.173 ff

[33] Huisken, F., Zur Kritik von Heitmeyers Rechtsextremismustheorie, in: Deutsche Jugend. Zeitschrift für Jugendarbeit 11/1993, S.497

[34] ebd.

[35] Siegler, Auferstanden aus Ruinen, a.a.O., S.150

[36] ebd.

[37] Schröder, B.: Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst, Reinbek 1997, S.222

[38] Held, J. u.a.: „Du mußt so handeln, daß du Gewinn machst...“. Empirische Untersuchungen und theoretische Überlegungen zu politisch rechten Orientierungen jugendlicher Arbeitnehmer, Dortmund 1991

[39]Aktion Noteingang (Hrsg.): Zivilcourage gegen Rassismus?, Berlin 1999, S.11

[40] siehe Kapitel 6.1

[41] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.89

[42] Funk-Henrigs, E.: Angst, Haß und Gewalt in unserer Gesellschaft - dargestellt an der Musikszene der Skinheads., in: Sauerwald, G. (Hrsg.): Angst, Haß, Gewalt - Fremde in der Zweidrittelgesellschaft. Münster/Hamburg 1994, S.61

[43] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.89; vgl. dazu auch Eisenberg, G./Gronemeyer, R.: Jugend und Gewalt. Hamburg 1993, S.169-172

[44] Morshäuser, B.: Rechtsradikale Jugendliche: „Eine antiautoritäre Rebellion“, in: Psychologie heute 12/1993, S.41

[45] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.90

[46] Ebd., S.90

[47] Roth, K.H.: Rassismus von oben - Rassismus von unten, in: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jh., 2/1993, S.4

[48] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.91

[49] Jaschke, H.G.: Rechtsradikalismus als soziale Bewegung. Was heißt das?, in: Vorgänge 122 (1993), S.54

[50] Ebd., S.105

[51] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt, a.a.O., S.92

[52] Ebd., S.91

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