Religionskritik Feuerbachs

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Feuerbachs religionskritische Projektionstheorie ist nach wie vor ein Klassiker des Atheismus. Demnach ist Gott nur die Summe aller Wünsche (nach Unsterblichkeit, Vollkommenheit, Glückseligkeit, Gleichberechtigung) jedes Menschen, die dieser aber nicht als Wünsche anerkennt, sondern in einer von sich selbst gebildeten Gottheit projiziert. Der Mensch ist endlich, sündhaft, unvollkommen und ohnmächtig. Der Mensch stellt sich seinen Gott dann mit seinen Wünschen vor, so wie er sein will: unendlich, ewig, vollkommen, mächtig und vor allem heilig. Dieser Gott wird benutzt, um den Mitmenschen eine Macht überzuordnen, mit der Autorität Gesetze zu erlassen, die von allen Mitgliedern der Gesellschaft beachtet werden.

Dieser Gott wird benutzt, um den Mitmenschen eine Macht überzuordnen, mit der Autorität Gesetze zu erlassen, die von allen Mitgliedern der Gesellschaft beachtet werden.

Feuerbach kommt zu der Forderung, der Mensch muss für den Menschen das höchste Wesen werden.

Der Begriff „Projektion“ ist nämlich eine Interpretation der Nachgeborenen; Feuerbach selbst hat diesen Begriff in seinen religionsanalytischen Schriften ("Wesen des Christentums", "Wesen der Religion") nicht gebraucht.

 

Der „Linkshegelianer“ Feuerbach (1804–1872) wendet den zu-sich-selbst-kommenden Begriff in seinem Werk „Das Wesen des Christentums 1841“ kritisch gegen die Religion und will sie als Projektion entlarven: „Gott“ sei nur der an den Himmel projizierte Selbstausdruck des endlichen Selbstbewusstseins, das sich Unendlichkeit ersehne. Mit der Vorstellung Gottes stelle der Mensch sich sein eigenes Wesen gegenüber, mache es sich als Objekt seiner Sehnsucht gegenständlich anschaulich:„Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel steht, sondern der Mensch schuf, wie ich im Wesen des Christentums zeigte, Gott nach seinem Bilde.“[1]

 

Ludwig Feuerbachs These, dass die sterblichen, beschränkten Menschen nach Vollkommenheit streben und deshalb eine Macht kreieren, die diese fehlenden Eigenschaften besitzt, hat in Zeiten der beherrschenden Stellung der christlichen Dogmatik in der BRD nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Feuerbach entfaltete diese Kritik in den weiteren Auflagen des Werks (1843, 1849) vor allem an Zentralgedanken der Theologie Martin Luthers: Die Inkarnation – „Gott wird endlicher Mensch“ – sei eigentlich „nicht anderes als“ der verkehrte Wunsch des Menschen, unendlich und unsterblich – wie Gott – zu werden.[2] Er griff dabei ausdrücklich die Kritik Epikurs am Anthropomorphismus der Religion wie auch das Drei-Stadien-Gesetz von Lessing und Comte auf.

 

Indem der Mensch in Gott sich selbst wiedererkenne, werde er sich seiner religiösen Sehnsucht als Entfremdung gewahr. Indem er sich als den Produzenten Gottes entdecke, könne seine in der Religion fehlgeleitete Vernunft zur Humanisierung freigesetzt werden: In der zwischenmenschlichen Liebe finde der Mensch seine wahre Erfüllung. Damit lehnt Feuerbach das religiöse Element des menschlichen Selbstbewusstseins nicht per se ab, will es aber „übersetzen“ und einsetzen für die Gestaltung eines humanen Zusammenlebens.

 

Das religiöse Gefühl ist für ihn das Resultat der Schranken zwischen dem individuellen Menschen und dem Wesen des Menschen (der menschlichen Gattung). Diese Kluft schließt der Mensch mittels der Religion. In der Sehnsucht nach Gott sieht Feuerbach die Sehnsucht nach dem schrankenlosen Mensch- bzw. Gattungsein, die sich im konkreten „Du“ (Mitmensch) stillen lässt. Die Hingabe bzw. Liebe stellt für ihn das Zentrum der Religion und da Gott für ihn lediglich als Platzhalter des menschlichen Wesens fungiert, in letzter Konsequenz das Zentrum des menschlichen Wesens dar. Diese frühe Religionsphilosophie wird später nochmals gezielt aufzugreifen sein. Hier genügt zunächst, dass sich Feuerbach im Anschluss an seine Kritik des Christentums den Vorwurf einer einseitigen Subjektphilosophie gefallen lassen muss, weshalb er anschließend verstärkt über die Natur, d.h das objektiv Gegebene, nachdenkt und eine anthropologische Philosophie begründet, die sich intensiv mit der Sinnlichkeit des Menschen und deren Bezugsgegenstand (die Natur) auseinandersetzt.

 

Religionskritik ist für Feuerbach also notwendig, um dem religiösen Bewusstsein die Hingabe an ein fremdes Scheinwesen als von ihm produzierten Verblendungszusammenhang aufzudecken. Dann werde Religion durch sinnlich-irdische Liebe zu den Mitmenschen ersetzbar und tendenziell überflüssig. Sie könne und müsse ebenso vergehen wie der an der Unendlichkeit des eigenen Selbst hängende Egoismus, der in der Vorstellung Gottes einsame Selbstbefriedigung suche und finde.

 

Anders als Hegel zielt Feuerbach also nicht auf die Erkenntnis eines absoluten Geistes, der als an-und-für-sich-seiende oder -werdende Weltvernunft gedacht wird und überindividuell selbsttätig sein und bleiben soll, sondern auf das endgültige Verschwinden der Religion im humanen Fortschritt der Menschheit. Diese, nicht der Einzelne, ist für ihn in Wahrheit unendlich. Nur durch Liebe zur Menschheit kann das Individuum die religiöse Selbstentzweiung aufheben; nur durch Anerkennung seiner Endlichkeit – denn die Sterblichkeit ist das, was alle Menschen zu einer Gattung verbindet – wird er zur Menschlichkeit fähig.

 

Die Sinnlichkeit wird zum Schlüsselbegriff der anthropologischen Philosophie Feuerbachs. Ins Blickfeld seiner Ontologie und seiner Auffassung der menschlichen Erkenntnis geraten immer deutlicher Anschauung und sinnliche Wahrnehmung. Dies schlägt sich auch auf sein Denken über Religion nieder. Während er die Geburt des Religiösen früher im Spannungsfeld von Individuum und menschlicher Gattung ansiedelte, denkt er Religion jetzt verstärkt im Kontext der Natur. Der Begriff Natur beschreibt für ihn „allgemein den Bezirk einer außermenschlichen Wirklichkeit“.[3] Dieser Physiswelt steht der Mensch aber nicht im Sinne eines Dualismus gegenüber, vielmehr ist er durch das Band des menschlichen Leibes, der natürlichen Ursprungs ist, mit ihr verbunden. Die Natur erhält den Status eines transobjektiven Seins und gilt ihm fortan als Ausgangspunkt seines Philosophierens. Alle Phänomene gründen in letzter Konsequenz in der Natur und mittels genetischen Denkens lässt sich dies anhand der (Welt-)Geschichte zeigen. Die Religion resultiert aus der Abhängigkeit des Menschen von der Natur, die sich in den alltäglichen Erfahrungen von Endlich- und Nichtigkeit widerspiegelt.

 

Griechen und Römer kannten keinen Glauben an diese Auferstehung des gestorbenen Individuums, ihr Menschenideal war ein diesseitiges. Der Mensch schafft sich als Illusion ein Jenseits, das schöner sein soll als das jetzige Leben (Paradies). Erst die Anerkennung des Todes als eines unumstößlichen Faktums lenkt wieder die ins Jenseits gewandten Menschen zurück auf die irdische Welt. Der christlichen Philosophie wird der Vorwurf gemacht, die menschliche Natur zu knechten zugunsten eines fiktiven Jenseits.

 

Theologie und Metaphysik erklärt Feuerbach durch die Psychologie, die Metaphysik sei nichts anderes als eine esoterische Psychologie. Freiheit wird gewonnen durch die Selbstbefreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit.

 

Während seiner Studienzeit in Berlin hatte sich Feuerbach persönlich dem angestammten protestantischen Glauben entfremdet. Bereits in der ersten öffentlich verbreiteten, allerdings anonym herausgegebenen Schrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830) verwarf er den Unsterblichkeitsglauben als lebensfeindlich: Ein Leben nach dem Tod zu wünschen, widerspräche dem Funktionieren der Natur, in der alles, also auch der Tod, „wahr, ganz, ungeteilt vollständig“ sei: „Der Tod ist daher die ganze, die vollständige Auflösung deines ganzen und vollständigen Seins.“[4] Vor allem aber gelange man erst durch die ungeteilte Bejahung des Todes zur ungeteilten Bejahung des Lebens. Auch den Glauben an einen persönlichen Gott lehnte er in dieser ersten Schrift bereits entschieden ab. Dieser Glaube sei selbstsüchtig, denn der Personen-Gott sei für den Gläubigen nur „Gewährleistung seiner selbst und seines eigenen Daseins“.[5] Offen bekannte sich Feuerbach zu jenem Pantheismus, dem im Gefolge Spinozas die meisten Denker und Dichter der Spätaufklärung und der Weimarer Klassik insgeheim anhingen. Die deftig-satirischen Xenien im zweiten Teil des Buches dokumentieren die Abkehr von traditioneller und kirchlicher Gläubigkeit.

 

Beim Thema Religion gab es auch einen Dissens mit seinem Lehrer: Hegel hatte auf einer grundsätzlichen Übereinstimmung von Philosophie und christlichem Glauben beharrt. Feuerbach war gegensätzlicher Meinung, doch er kritisierte Hegels Auffassung im Frühwerk nur implizit, so etwa in der Einleitung der Geschichte der neuern Philosophie, wo er die historische Entwicklung nicht, wie Hegel, als „Stufengang des Geistes“ sah, sondern auf einen scharfen Gegensatz zwischen dem Christentum und dem „denkenden Geist“ hinauslaufen ließ: Der Geist habe sich (wie übrigens auch die Kunst) aus der „drückenden Herrschaft“ der Religion zu befreien gehabt

 

Schon in der 1830 anonym in Nürnberg erscheinenden Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“, worin er behauptet, es gibt kein Leben nach dem Tod, entwickelt Feuerbach Gedankengänge, die in seinem Hauptwerk „Das Wesen des Christentums“ zur Entfaltung kommen.
Er lehnte den christlichen Unsterblichkeitsglauben ab mit der Aufforderung im Hier und Jetzt das Unendliche zu entdecken. Vor allem aber gelange man erst durch die ungeteilte Bejahung des Todes zur ungeteilten Bejahung des Lebens. Griechen und Römer kannten keinen Glauben an diese Auferstehung des gestorbenen Individuums, ihr Menschenideal war ein diesseitiges. Der Mensch schafft sich als Illusion ein Jenseits, das schöner sein soll als das jetzige Leben (Paradies). Erst die Anerkennung des Todes als eines unumstößlichen Faktums lenkt wieder die ins Jenseits gewandten Menschen zurück auf die irdische Welt. Der christlichen Philosophie wird der Vorwurf gemacht, die menschliche Natur zu knechten zugunsten eines fiktiven Jenseits.

 

Diese Argumentation hatte eine historisch-gesellschaftliche Stoßrichtung, sie richtete sich gegen restaurativ-religiöse Tendenzen der Zeit. Wenn konservative Philosophen und Politiker forderten, die Philosophie habe sich an der Christlichkeit auszurichten, so entgegnete er mit vehementer Ablehnung jeglicher Vermittlung zwischen Religion und Philosophie.
Theologie und Metaphysik erklärt Feuerbach durch die Psychologie, die Metaphysik sei nichts anderes als eine esoterische Psychologie. Freiheit wird gewonnen durch die Selbstbefreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit.

 

Am politischen Geschehen in diesen unruhigen Jahren nahm Ludwig Feuerbach interessiert teil, ohne sich bestimmten Gruppierungen anzuschließen Der junge Karl Marx bemühte sich bereits 1843 Feuerbach zur Mitarbeit für die "Deutsch-Französischen Jahrbücher" zu gewinnen. Ludwig Feuerbach lehnte dies ab. In den weiteren Jahren kristallisierten sich dann auch die unterschiedlichen Auffassungen beider Philosophen heraus. Karl Marx und Friedrich Engels stellten vor allem die ökonomischen und gesellschaftlichen Prioritäten in den Vordergrund, im Gegensatz zu Feuerbach, der weiter sein anthropologisches, auf das Individuum ausgerichtetes materialistisches Weltbild vertrat. 1843 erschien seine Schrift: "Grundsätze der Philo­sophie". Darin unterstreicht er seine Thesen eines anthropologischen Sensualismus und Materialismus und sieht die Bedeutung des Menschen sowohl als Individuum wie aber auch als Gemeinschaftswesen.

 

In der im Jahre 1841 erscheinenden Schrift „ Das Wesen des Christentums“ vertritt er die These, dass die christliche Religion Menschenwerk sei und Ergebnis von Projektionen. Der Titel stammte eigentlich von seinem Verleger. Feuerbach wollte eigentlich das Buch als Gegenstück zu Kants Werk „Kritik der reinen Vernunft“ „Kritik der reinen Unvernunft“ nennen.
In der Einleitung entfaltet Feuerbach die These von der kopernikanischen Wende des Denkens. Diese kopernikanische Wende bestand laut Feuerbach in der Aufhebung der transzendenten Vorstellung, die einen neuen Philosophiebegriff und einen damit verbundenen neuen erkenntnistheoretischen und anthropologischen Ansatz schuf: „Die Religion ist das Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts anderes sein, als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen beschränkten, sondern unendlichen Wesen.“[6]
Die Religion steht im Widerspruch zum eigentlichen Wesen des Menschen, die dogmatische christliche Philosophie wird als religiöse Projektion entlarvt: „Die Religion zieht die Kräfte, Eigenschaften, Wesensbestimmungen des Menschen vom Menschen ab und vergöttert sie als selbständige Wesen – gleichgültig ob sie nun, wie im Polytheismus, jedes einzeln für sich zu einem Wesen macht oder, wie im Monotheismus, alle in ein Wesen zusammenfasst.“[7]
Laut Feuerbach ist Gott nur die Summe aller Wünsche (nach Unsterblichkeit, Vollkommenheit, Glückseligkeit, Gleichberechtigung) jedes Menschen, die dieser aber nicht als Wünsche anerkennt, sondern in einer von sich selbst gebildeten Gottheit projiziert. Der Mensch ist endlich, sündhaft, unvollkommen und ohnmächtig. Der Mensch stellt sich seinen Gott dann mit seinen Wünschen vor, so wie er sein will: unendlich, ewig, vollkommen, mächtig und vor allem heilig: „Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott. So viel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott. Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen. Die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen; die Religion ist die feierliche Enthüllung der verborgenen Schätze des Menschen, das Eingeständnis seiner innersten Gedanken, das öffentliche Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse.“[8]
Feuerbach kommt zu der Forderung, der Mensch muss für den Menschen das höchste Wesen werden. Der Mensch sollte das Christentum aufgeben, erst dann wird er Mensch. Dieser anthropologische Materialismus Feuerbachs stellte heraus, dass die Religion im Widerspruch zum eigentlichen Wesen des Menschen steht.
In den Anfang 1842 geschriebenen, wegen des Verbots durch die Zensur allerdings erst im Herbst 1843 erschienenen „Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie“ sah Feuerbach in seiner Religionsphilosophie nicht das Ergebnis eines kontinuierlichen Diskussionsprozesses, sondern einen Bruch mit der Geschichte der neueren Philosophie. Feuerbach entwickelte eine Philosophie, die auf den Menschen ausgerichtet ist: „Die menschgewordene Philosophie ist allein die positive, wahre Philosophie.“[9] Dies soll als neuer erkenntnistheoretischer und anthropologischer Ansatz verstanden werden. Dies kam besonders in seinem 1843 in der Schweiz veröffentlichten Werk „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ zum Ausdruck. Die „alte“ Philosophie sagt: nur das Vernünftige ist das Wahre und Wirkliche. Die „neue“ Philosophie sagt: Nur das Menschliche ist das Wahre und Wirkliche“, der Mensch das Maß der Vernunft.[10]
Die „Philosophie der Zukunft“ war ein neues theoretisches Fundament, das insgesamt die traditionelle Philosophie (Idealismus, Empirismus) überwindet in einer neuen humanistischen Philosophie, deren Grundprinzipien die der Sensualität und Individualität sind.[11]
Mit seinem anthropologischen Materialismus war Feuerbach ein wichtiger Wegbereiter für die Entwicklung der Philosophie von Karl Marx. In seinem Werk „Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844“kam Marx nach der Beschäftigung mit den religionsphilosophischen Thesen Feuerbachs zu der Erkenntnis, dass der Idealismus seine Strahlkraft verloren hatte und stattdessen dem Materialismus die Zukunft gehöre. Marx will die Feuerbachschen Gedanken auf die Politik anwenden und entwickelte daraus seine Theorie der Religion als „Opium des Volkes.“ Marx entwickelt aus dem anthropologischen Materialismus Feuerbach einen historischen Materialismus, der einen Umsturz der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse propagierte.
Fast 50 Jahre nach dem Erscheinen des Werkes hat Friedrich Engels die befreiende Wirkung des Buches in der akademischen und intellektuellen Welt festgestellt. Außer der Natur und den Menschen existiert nichts und die höheren Wesen erschuf die religiöse Phantasie des Menschen. Feuerbach galt für Engels als eine unmittelbarer Vorläufer der marxistisch-leninistischen Philosophie und einer der bedeutendsten Vertreter des bürgerlichen Materialismus. Er schrieb: Die Hegelsche Schule war aufgelöst, aber das Hegelsche System war nicht kritisch überwunden. Strauß und Bauer nahmen jeder eine ihrer Seiten heraus und kehrten sie polemisch gegen die andere. Feuerbach durchbrach das System und warf es einfach beiseite. (…) Man muß die befreiende Wirkung dieses Bruchs selbst erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Die Begeisterung war allgemein: Wir waren alle momentan Feuerbachianer.“[12]

 

Marx übernahm von ihm nicht nur die Religionskritik (die er politisch radikalisierte), sondern auch und vor allem den anthropologischen Materialismus. Dieser war für ihn die theoretische Grundlage, hinter die nicht zurückgeschritten werden durfte. Explizit bezeugen dies die Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, wo es in der Vorrede heißt: „Von Feuerbach datiert erst die positive humanistische und naturalistische Kritik. Je geräuschloser, desto sicherer, tiefer, umfangsreicher und nachhaltiger ist die Wirkung der Feuerbachischen Schriften, die einzigen Schriften seit Hegels Phänomenologie und Logik, worin eine wirkliche theoretische Revolution enthalten ist“.[13] Auf dem Boden dieser „theoretischen Revolution“, die die materielle Wirklichkeit als die primäre erklärt und damit die idealistische Philosophie „vom Kopf auf die Füße stellt“.[14]

 

Nach dem Ausbruch der März-Revolution 1848 wurde Feuerbach von mehreren Seiten dazu aufgefordert, für das Frankfurter Paulskirchenparlament zu kandidieren. Er unterlag zwar bei der Kandidatenaufstellung knapp einem örtlichen Advokaten, ging aber dennoch als Beobachter nach Frankfurt, auch weil er glaubte, sich eine neue Existenz aufbauen zu müssen: Da die Bruckberger Porzellanfabrik zeitweilig zahlungsunfähig war, verlor seine Frau ihr Einkommen und dem Ehepaar drohte völlige Mittellosigkeit. In Frankfurt stand Feuerbach in engem Kontakt mit der Fraktion der radikaldemokratischen Linken. Feuerbach erkannte sehr früh die Aussichtslosigkeit der parlamentarischen Bemühungen; auch auf außerparlamentarische Vereinigungen wie den Demokratenkongress, dessen eingeschriebenes Mitglied er war, setzte er kaum Hoffnungen. Im Herbst 1848 lud ihn eine studentische Delegation zu Vorlesungen in Heidelberg ein. Da die Universität die Aula verweigerte, las Feuerbach im Rathaussaal.[15]

 

Feuerbachs Thesen waren auch für die Theorie Nietzsches von Bedeutung. Den christlichen Glauben sieht Nietzsche in Europa im Niedergang („Gott ist tot“). Er analysierte seine Zeit, vor allem die seiner Auffassung nach inzwischen marode gewordene (christliche) Zivilisation. Nietzsche war zudem nicht der erste, der die Frage nach dem „Tod Gottes“ stellte. Hegel äußerte diesen Gedanken bereits 1802 und sprach von dem „unendlichen Schmerz“ als einem Gefühl, „worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot“.[16]

 

Die bedeutendste und meistbeachtete Stelle zu diesem Thema ist aus der Fröhlichen Wissenschaft. Dieser Text lässt den Tod Gottes als bedrohliches Ereignis erscheinen. Dem Sprecher darin graut vor der Schreckensvision, dass die zivilisierte Welt ihr bisheriges geistiges Fundament weitgehend zerstört hat:

 

Das Wort vom Tod Gottes findet sich auch in den Aphorismen 108 und 343 der Fröhlichen Wissenschaft; das Motiv taucht auch mehrmals in Also sprach Zarathustra auf. Danach verwendete Nietzsche es nicht mehr, befasste sich aber weiter intensiv mit dem Thema. Beachtenswert ist hier etwa das nachgelassene Fragment „Der europäische Nihilismus“ (datiert 10. Juni 1887), in dem es nun heißt: „,Gott‘ ist eine viel zu extreme Hypothese.“

 

Nietzsche kam zu dem Schluss, dass mehrere mächtige Strömungen, vor allem das Aufkommen der Naturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft, daran mitgewirkt haben, die christliche Weltanschauung unglaubwürdig zu machen und damit die christliche Zivilisation zu Fall zu bringen. Es besteht heute weitgehende Übereinstimmung, dass Nietzsche sich nicht als Befürworter des Nihilismus sah, sondern ihn als Möglichkeit in der (nach-)christlichen Moral, vielleicht auch als eine geschichtliche Notwendigkeit sah. Auf diesen nun bevorstehenden „europäischen Nihilismus“, in dem er eine „Selbstverkleinerung des Menschen“ fürchtet, sucht Nietzsche eine Antwort. Seine vor allem in Also sprach Zarathustra gegebenen Hinweise auf neue Wertsetzungen („Wille zur Macht“,  „Übermensch“) Gegen metaphysische und religiöse Konzepte ist Nietzsche grundsätzlich skeptisch.

 

Da Ludwig Feuerbach sich schon früh von der universitären Philosophie distanzierte, hat es nie eine „Feuerbach-Schule“ gegeben. Im 19. Jahrhundert orientierten sich allerdings Eduard Zeller und Kuno Fischer, obwohl Hegelianer bzw. Kantianer, an Feuerbachs Philosophiegeschichtsschreibung und entwickelten sie weiter; Zeller näherte sich auch in der Religionsphilosophie den Auffassungen Feuerbachs. Rudolf Haym begrüßte Feuerbachs kritische Leistung, schreckte jedoch vor den religionskritischen Konsequenzen zurück. Er widmete Feuerbach eine seiner ersten Schriften.

 

Mit ca. 2,26 Milliarden Gläubigen ist das Christentum vor dem Islam (ca. 1,57 Milliarden) und dem Hinduismus (ca. 900 Millionen) die am meisten verbreitete Religion auf der Welt. Das Christentum wächst heute in den meisten Erdteilen der Welt sehr stark, wobei sich sein Schwerpunkt vom „alten“ Kontinent Europa hin zu den Kontinenten Asien und Afrika verschiebt.
Die religiösen Texte des Christentums sind voller Verhaltens-, Essens- und Lebensregeln, die die Menschen in ihrer Autonomie einengen und eine Sklavenmoral erzeugen. Eine Sexualität, die nicht der Fortpflanzung dient, wird nicht geduldet; Homo- oder Transsexualität wird weiterhin bekämpft.  Die mittelalterliche Scholastik prägt auch heute noch das Christentum. Die griechischen und römischen Kirchenväter entwarfen eine Moral des asketischen Ideals mit folgenden Zwangsvorstellungen: Hass auf alles Körperliche, auf sämtliche Wünsche und Begierden und predigten stattdessen die Verherrlichung des Zölibats, der Selbstbeherrschung und der Keuschheit. Zu Recht konstatierte der französische Philosoph Michel Onfray:[17] „Wo sich nun ein letzter (…) Kampf abzeichnet, um die Werte der Aufklärung gegen die Darstellungen der Magie zu verteidigen, gilt es, einen postchristlichen, also militant atheistischen Laizismus voranzubringen (…).“

 

Gott gehört zur mythologischen Fabelwelt. Die Neurose, die zur Erschaffung von Göttern führt, erwächst aus der normalen Reaktion der Psyche und des Unbewussten. Die Erzeugung des Göttlichen geht nämlich mit einem ängstlichen Gefühl der Leere eines Lebens einher. Bestimmte Leute (religiöse Würdenträger) geben vor, von Gott eingesetzt worden zu sein, um in seinem Namen alles Mögliche zu befehlen. Die irdischen Machthaber behaupten, dass die Götter ihnen die Macht übertragen hätten und ihnen dies immer wieder durch sichtbare Zeichen bestätigen würden. Die sterblichen, beschränkten Menschen streben nach Vollkommenheit und kreieren deshalb eine Macht, die diese fehlenden Eigenschaften besitzt.

 

Gott ist abzuschaffen, aber es muss auch etwas dagegengesetzt werden, eine neue Moral oder neue Ethik. Abkehr von allem Transzendenten. Ein postmoderner Atheismus muss geschaffen werden bestehend aus der Philosophie, der Vernunft, den Nutzen, den Pragmatismus und den individuellen und sozialen Hedonismus. Postchristliche Moral für die die Erde kein Jammertal, das Vergnügen keine Sünde, die Frauen kein Fluch und Hedonismus kein Fremdwort.

 

Der Glaube an einen gewalttätigen, eifersüchtigen, intoleranten und streitlustigen einzigen Gott hat deutlich mehr Haß, Leid und Tod hervorgebracht als Frieden. Bezogen auf das Christentum: die Kreuzzüge, die Inquisition, die Religionskriege, die Bartholomäusnacht, die Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen, die weltweite Kolonialisierung, die Völkermorde in Nordamerika, die Unterstützung der faschistischen Systeme des 20. Jahrhunderts und die Allmacht des Vatikans.

Gerade deshalb hat Feuerbachs „Wesen des Christentums“ nichts von seiner Aktualität verloren.




[1]Feuerbach, L.: Das Wesen des Christentums, 1. Auflage, Leipzig 1841, S. 20

[2]Zitiert aus Ettelheim, R.: Wege zum Atheismus, München 1992, S. 145

[3] Orban, W.: Beiträge zum Atheismus, Berlin 1988, S. 89

[4] Glaser, N.: Feuerbach, Berlin 1976, S. 77

[5] Ebd., S. 89

[6]Feuerbach, L.: Das Wesen des Christentums, 1. Auflage, Leipzig 1841, S. 23

[7] Ebd.

[8]Schmidt, A.: Emanzipatorische Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus, München 1973, S. 10

[9]Sass, H.-M.: Ludwig Feuerbach, 4. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 91-100

[10] Ebd.

[11]Schmidt, A.: Emanzipatorische Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus, München 1973, S. 8

[12]Marx-Engels-Studienausgabe, Band I, Frankfurt/Main 1966, S. 190f

[13] Zitiert aus Neumann, B.: Marxismus, Berlin-Ost 1966, S. 77

[14] Ebd., S. 78

[15]Schmidt, A.: Emanzipatorische Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus, München 1973, S: 67

[16] Zitiert aus Geffer, N.: Hegel und der Hegelianismus, Bonn 1990, S. 62

[17]Onfray, M.: Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muß, München 2006, S. 298

 

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