Wiking Jugend (WJ)

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Als größte rechte Jugendorganisation in der Bundesrepublik übte sie durch ihr kontinuierliches Arbeiten einen großen Einfluss aus. Zahlreiche führende Aktivisten innerhalb des rechten Spektrums erhielten in der WJ ihre ideologische Schulung.

Die WJ wurde am 02.12.1952 als Zusammenschluss der „Reichsjugend“, der „Deutschen Unitarischen Jugend“ sowie der „Vaterländischen Jugend“ in Wilhelmshaven gegründet. Sie war bis zu ihrem Verbot am 10.11.1994 durch das Innenministerium „wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit der NSDAP und der HJ“ mit 400 bis 500 Mitgliedern die größte neonazistische Jugendorganisation in der Bundesrepublik. Die WJ verstand ihre Arbeit als eine „Verbindung von politischem Aktionismus, kultureller Volkstumsarbeit mit traditionellen jugendbewegten und pfadfinderischen Gestaltungsmitteln“.[1] Die Gruppierung bekannte sich formal zu Demokratie und Grundgesetz, um keinen Anlass für ein Verbotsverfahren zu liefern. Das Beispiel der SRP, die am 23.10.1952 durch das Bundesverfassungsgericht verboten wurde, wirkte abschreckend für die WJ und sorgte für eine vorsichtige Strategie beim Bekenntnis der politischen Ziele.

Der erste Bundesvorsitzende der WJ war der ehemalige „Reichsjugendführer“ der SRP, Walther Matthaei.[2] Matthaei war ehemaliger Referent im Ministerium für die „besetzten Ostgebiete“ unter Alfred Rosenberg. Der Name der Organisation erinnerte an den völkischen Bund „Wiking“ in den 1920er Jahren sowie die Division „Wiking“ der Waffen-SS. Die SS-Division „Wiking“ wurde im Verlaufe des 2.Weltkrieges im Bereich der „Heeresgruppe Süd“ im „Ostfeldzug“ eingesetzt. Die Division wurde am 20.11.1940 als SS-Division „Wiking“ der Waffen-SS, die aus den Standarten „Nordland“, „Westland“ und „Germania“ gebildet wurden, ins Leben gerufen. In der Division „Wiking“ kämpften Freiwillige aus anderen europäischen Ländern (Flamen, Niederländer, Wallonen, Dänen, Schweden, Norweger, Finnen) mit. Damit war die Division „Wiking“ die erste der Waffen-SS mit ausländischen Soldaten. Im Verlauf des 2. Weltkrieges ermordeten Angehörige der Division am 22.06.1941 mehrere Hundert Juden. Die Division wird für das Massaker in Zborow am 11.07.1941 verantwortlich gemacht, wo 600 jüdische Einwohner als Vergeltung für „sowjetische Grausamkeiten“ getötet wurden.[3] Im Frühjahr 1945 ermoderten Angehörige der Division „Wiking“ zahlreiche geflüchtete oder nicht mehr marschfähige Häftlinge des KZ’s Mauthausen und seiner Außenlager. Am 28.03.1945 wurden 80 jüdische Häftlinge von Angehörigen der Division ermordet. Zwischen dem 07. und 11.04.1945 wurden 18 entflohene Häftlinge der Division „Wiking“ überstellt, die diese hinrichtete.[4]

Die WJ war schon vor ihrer Gründung eng mit den Kameradschaftsverbänden der Waffen-SS, deren Publikation den Titel „Wiking-Ruf“ trug, verbunden. Das Symbol der Wiking-Jugend war ein Adler vor einer aufgehenden Sonne sowie die Odal-Rune.

In der Folgezeit entwickelte sich die Wiking-Jugend zur mitgliederstärksten und hegemonialen Jugendorganisation des Neonazismus. Die WJ nahm in dem 1954 in Hamburg gegründeten „Kameradschaftsring nationaler Jugendverbände“ (KNJ) eine führende Rolle ein.[5] Neben der WJ vertraten im KNJ der „Jugendbund Adler“ und der „Bund Heimattreuer Jugend-Österreich“ teilweise offene neonazistische Positionen. Es wurde eine politische Ausrichtung befürwortet, die auf die Wiederherstellung des „Deutschen Reiches“ sowie auf die Leitidee eines „organischen Volkssozialismus“ hinauslief. Bei dem Leitbild des „organischen Volkssozialismus“ standen auf ideologischer Ebene entsprechende Intentionen der HJ-Führung bis 1934 im Vordergrund, wobei die Tradition des „linken Strasser-Flügels“ Vorbildcharakter besaß.[6] Im Jahre 1959 verfügte der KNJ insgesamt über 18 Gruppen, die ein Gegengewicht zum „Deutschen Bundesjugendring“ (BDJR) darstellte. Der KNJ verlor jedoch stetig an Bedeutung, da die innere Geschlossenheit der Organisation durch Austritte bedroht wurde. Im Zuge der Diskussion um die Westorientierung und den Aufbau der Bundeswehr verließ der Jugendbund Adler den KNJ, da sich einige Mitgliedsverbände gegen eine Werbung für die Bundeswehr ausgesprochen hatten. Weitere Probleme waren mangelnder Nachwuchs, eine überalterte Führungsschicht sowie hohe Mitgliederfluktuationen, die letztlich zur Zersplitterung des KNJ führten.

Nach der Absetzung Matthaeis 1954 wurde Raoul Nahrath, ehemaliges Mitglied der SRP, zum Bundesvorsitzenden ernannt.[7] Seitdem befand sich die WJ bis zu ihrem Verbot 1994 unter der Leitung von (männlichen) Mitgliedern der Familie Nahrath. Die Leitung der WJ wurde von Wilhelmshaven zuerst nach Köln und dann 1967 nach Stolberg verlegt. Das Privathaus der Nahraths war bis zum Verbot der WJ deren organisatorisches Zentrum. Im selben Jahr übernahm Wolfgang Nahrath den Vorsitz der WJ von seinem Vater. Wolfgang Nahrath war zu dieser Zeit schon im extrem rechten Milieu verankert. Zuerst war er Mitglied der SRP, nach dessen Verbot trat er der DRP bei und wechselte 1965 zur NPD, bei der er mehrere Jahre verschiedene Posten bekleidete. 1991 übernahm sein Cousin Wolfram Nahrath den Vorsitz der WJ.

Die WJ verstand sich als Nachfolgeorganisation der Hitler Jugend (HJ) und des Bundes Deutscher Mädel (BDM). Vorbilder der WJ waren „politische und soldatische Leitbilder des Nationalsozialismus“, darunter Rudolf Heß.[8] Die WJ feierte die HJ als „größte einheitliche, von einem ungeheuren Idealismus getragene Jugendbewegung aller Zeiten“.[9]

Nach eigenen Angaben sollen es ca. 15.000 Kinder und Jugendliche gewesen sein, die insgesamt die Jugendorganisationen der WJ durchlaufen haben.[10] Die WJ war nach dem Lebensbundprinzip organisiert, so dass die Mitgliedschaft nicht mit dem Erwerb des Status des Erwachsenen erlosch, sondern eine lebenslange Dauer besaß. Die WJ wolle eine vollständige nationalsozialistische Sozialisation ihrer Mitglieder von der frühen Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter erreichen. Im Alter von 6 Jahren konnte die formale Mitgliedschaft gewährt werden, eine Altersgrenze nach oben existierte nicht. Der Einfluss von staatlichen Schulen, Eltern und Freundeskreisen sollte minimiert werden, eine an der nationalsozialistischen Ideologie angelehnte Erziehung wurde angestrebt. Das Ziel der WJ war die „Erziehung zur gemeinschaftsgebundenen Persönlichkeit“.[11] Dabei standen die „Ewigkeitswerte unseres Volkes, Ehre, Treue, Kameradschaft, das Soldatentum, Eid- und Pflichterfüllung“ im Vordergrund.[12] In einer „Zeit der politischen Bedrohung von außen und des geistig-seelischen-körperlichen Verfalls von innen“ wollte die WJ „die Anteilnahme der jungen Generation am politischen Geschehen wecken und auf Lager-, Fahrt- und Heimabenden die Heranwachsenden zur Selbsttätigkeit erziehen.“[13]

Die Kinder- und Jugendarbeit bestand aus Zelt-, Wochenend-, Sommer-, Herbst-, Winter-, Berg- und Skilager, Wandern, Fahrten zu Kriegsgräbern, Erntedank- und Sonnwendfeiern, „Volkstanz“ und Drachenfliegen.[14] Diese praktische Jugendarbeit wurde streng hierarchisch nach dem Führerprinzip ausgerichtet. Schon im jugendlichen Alter erfolgte eine Art paramilitärische Ausbildung, die die „Wehrhaftigkeit“ und die „soldatischen Tugenden“ der Teilnehmer gewährleisten sollte. Bei dieser Ausbildung standen auch Schießübungen auf dem Programm. In der Nähe von Stolberg, in der Eifel und in der Umgebung von Düren kam es seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre regelmäßig zu paramilitärischen Übungen der WJ.

Ein Schwerpunkt lag auch auf der körperlichen Ertüchtigung, wobei sportliche Übungen den „Jungen stählen“, das „Mädchen abhärten“ und „wohlgestalten“ sollten. Dies knüpfte an die Erziehungsmethoden im „Dritten Reich“ an, wo Leibesertüchtigung im Hinblick auf den zukünftigen Soldaten eine große Rolle spielte: „Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten.“[15]

Weiterhin standen regelmäßig „Heimatabende“ auf dem Programm, die der politischen Indoktrination dienten. Auf längeren gemeinsamen Reisen wurde den Kindern und Jugendlichen die nationalsozialistische Ideologie näher gebracht. Dudek und Jaschke schrieben: „Neben den alljährlich organisierten Großfahrten nach Nordeuropa, an die DDR-Grenze, in die Ostmark oder nach Südtirol erfreuen sich die Sonnen- und Winterwendfeiern in den Kreisen der WJ allgemeiner Beliebtheit, die an historischen Stätten wie dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald zu Kundgebungen der wahren deutschen Patrioten hochstilisiert werden.“[16]

Anfang des Jahres 1953 gab es eine enge Kooperation der WJ mit der nordrhein-westfälischen FDP auf Kreisebene. Der erste Bundesvorsitzende Walter Matthaei trat häufig bei FDP-Versammlungen als Diskussionsteilnehmer auf und wurde zum Bielefelder Landesparteitag und dem Bad Emser Bundesparteitag eingeladen. Matthaei stand in Verhandlungen mit der FDP über „eine Möglichkeit der Zusammenarbeit“.[17] Deren nordrhein-westfälische Hauptgeschäftsführer Wolfgang Döring hatte von Matthaei einen „außerordentlich positiven Eindruck“ gewonnen. Nach der Verhaftung Naumanns durch die britische Besatzungsmacht nahm die nordrhein-westfälische FDP von einer offiziellen Kooperation mit der WJ Abstand. Laut Döring war ein verbindlicher Beschluss der Kooperation nicht mehr möglich, „solange das derzeitige Kesseltreiben gegen den Landesverband im Gange ist, (…) da diese Entscheidung zweifelsohne wieder als ein erneuter Beweis unserer zum Radikalismus neigenden Tendenzen propagiert würde.“[18]

Am 13.12.1959 kam es zu einem Überfall einer Gruppe extremer Rechter auf ein Jugendzentrum in Bochum, das vorwiegend von linken Jugendlichen besucht wurde. Unter den festgenommenen Rechten waren auch Mitglieder der WJ. Am 03.02.1961 beteiligten sich WJ-Mitglieder an der Verteilung eines geschichtsrevisionistischen Flugblattes in der Krefelder Innenstadt, wo folgende Forderung aufgestellt wurde: „Ostpreußen, Schlesien und das Sudetenland gehören zum Deutschen Reich.“[19]

Bei der Vorbereitung und Durchführung von Kundgebungen und Demonstrationen in und außerhalb Nordrhein-Westfalen kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen WJ-Mitgliedern und der DRP. Am Rande einer Gewerkschaftstagung am 17.05.1962 in Hamm protestierten unter anderem Angehörige der WJ, der DRP und des „Arbeitskreises Volkstreuer Deutscher“ gegen den „Verrat deutscher Interessen“ in der Außenpolitik. Die etwa 50 Rechten skandierten dabei Parolen wie „Volksgemeinschaft statt Lizenzpolitiker“ und „Schluß mit dem Volksbetrug: Sozialismus und Bolschewismus bekämpfen“.[20] Auf einem im Juni 1963 in der Dortmunder Innenstadt verteilten Flugblatt war zu lesen: „Die Regierung in Bonn fixiert die deutsche Vergangenheit weiterhin auf die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft. Sie tut nichts, um mit der Kriminalisierung deutscher Kultur, Geschichte und ihrer Menschen zu beginnen. Die Kriegspropaganda der Siegermächte ist in unsere Geschichtsbücher eingegangen, ihre Fälschungen müssen von der deutschen Jugend geglaubt werden, da eine objektive Geschichtsschreibung nicht geduldet wird. Diese Lebenslüge zulasten des deutschen Volkes kann nicht länger ungestraft hingenommen werden.“ Unterschrieben wurde das Flugblatt mit dem Kürzel „WJ“.[21]

Als 1979 vom Oberlandesgericht Celle die früheren WJ-Mitglieder Uwe Rohwer und Manfred Börm wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu 9 bzw. 7 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden, distanzierte sich die WJ nicht von der Militanz ihrer früheren Mitglieder. Ende der 1970er Jahre wurden bei WJ-Mitgliedern in Cuxhaven, Königswinter und Hilden Waffen bzw. Herstellungsanleitungen für Molotowcocktails und Zeitzünder gefunden.

Anfang der 1970er kam es zu einer Kooperation der WJ mit Gerhard Frey und dessen „Freiheitlichem Rat“, dem unter anderem die Deutsche Volksunion (DVU), der Deutsche Block, der Jungbund Adler, die Aktion Oder-Neiße und der Stahlhelm angehörte. Auch mit der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten gab es Kontakte.[22]

Die WJ unterhielt enge Beziehungen zur neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann sollen an einer als „Pfingstlager“ deklarierten Wehrsportübung der WJ Mitte der 1970er Jahre teilgenommen haben.[23] Ob es auch Verbindungen zu der am 05.10.1970 durch die NPD in München zusammen mit anderen extrem rechten Organisationen gegründeten „Aktion Widerstand“ gab, die sich vor allem gegen die Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung unter Willy Brandt richtete, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Auch Verbindungen zur „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands“ (VSBD) unter der Führung von Friedhelm Busse oder zu den „Deutschen Aktionsgruppen“ (DA) des rechten Aktivisten Manfred Roeder lassen sich nicht nachweisen.

Im Oktober 1962 verbot das Innenministerium der WJ das Tragen von Uniformen, da diese stark an die HJ sowie dem BDM erinnerten.

Die WJ war zentralistisch und autoritär organisiert. Die Spitze der Organisationsebene bildete der „Bund“ mit dem „Bundesführer“. Dem „Bund“ unterstanden „Gaue“ und diesen wiederum „Horste“. Die Gruppe der männlichen Jugendlichen wurden als „Pimpfe“ und die weiblichen Jugendlichen als „Jungmädel“ bezeichnet. Die vom „Bund“ ausgewählten Gruppenführer besaßen uneingeschränkte und unkontrollierbare Machtbefugnis. Diese Gruppenführer waren in der Regel ehemalige Mitglieder der völkisch-nationalen Jugendverbände der Weimarer Republik sowie jüngere Funktionäre aus der HJ oder dem BDM. Vor dem Verbot 1994 gab es „Gaue“ in Bayern, „Preußen/Berlin“, Schwaben, Rhein-Westfalen, „Nordmark“ (Schleswig-Holstein, Hamburg), Niedersachsen (inklusive Bremen), Hessen/Franken/Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen. Die Jugendorganisation verfügte auch über verwandte Organisationsstrukturen in Spanien, Großbritannien, Flandern, Frankreich, Skandinavien, Australien, Neuseeland, Österreich und in der Schweiz. Diese unterstanden dem „Bund“ in der Bundesrepublik und wurden als „Gaue“ oder „Stützpunkte“ bezeichnet. Unter den nichtdeutschen organisatorischen Ablegern der WJ war die niederländische und flämische „Wiking Jeugd“ besonders aktiv. Die WJ stand in einem engen Austausch mit anderen europäischen extrem rechten Vereinigungen oder Parteien. So besuchten die Mitglieder der WJ am 17./18.08.1968 ein Treffen internationaler Faschisten in Dixmuiden in Belgien.[24]

In programmatischer Hinsicht verstand sich die WJ als „volkstreue nordländische Jugendbewegung“. Das Jahr 1945 wurde als negativer Einschnitt in der deutschen Geschichte betrachtet. Es wurde verbunden mit der „Tragödie des Autoritätsverlustes“ der Eltern, wenn man den „Vater als Nazi, Kriegsverbrecher oder Militaristen abstempelte und die Mutter zur Hitlerischen Gebärmaschine degradierte.“[25] Es wurde die Errichtung eines „Sozialismus auf völkischer Grundlage“ sowie eines nationalsozialistischen Staates angestrebt. Die WJ sah im Kommunismus den „Todfeind europäischen Denkens und Lebens“ und wandte sich gegen jegliche Annäherungspolitik gegenüber der Sowjetunion.

In den völkischen, rassistischen und antisemitischen „Leitsätzen“ der WJ wurden „Bekenntnisse zum Volkstums- und Reichsgedanken“ postuliert. Eine solche „Reichseinheit“ bezeichnete die WJ als „Nordland“. Dieses „Nordland“ wurde als „der geschlossene Lebensraum der Völker germanischer Herkunft in Nord- und Mitteleuropa“ bezeichnet. Die Nordland-Ideologie, die „seit Jahren (…) in echter kameradschaftlicher Verbundenheit in der volkstreuen Jugend unserer germanischen Völker“ existiere, habe im 2. Weltkrieg vor allem die Waffen-SS verinnerlicht: „Wir sagen ja zu einem vereinten Europa unter der unabdingbaren Voraussetzung der Erhaltung der Eigenart unserer germanischen Völker. Ihre Besten hatten im Krieg der Churchill – Stalin - Roosevelt zum Schutze unseres gemeinsamen Erbes als Freiwillige in der Waffen- SS gekämpft und ihr Leben gegeben.“[26]

Die WJ bejahte eine „germanische Rassenpflege“, die sich auf die pseudowissenschaftlichen Studien des „Rassenforsches“ Hans F. K. Günther stützte, der vor allem durch sein grundlegendes Werk „Rassenkunde des deutschen Volkes“ bekannt ist. So wurde festgestellt: „Wir wissen, daß jeder Mensch in Seele, Geist und Leib durch die von Eltern und Voreltern ererbten Anlagen bestimmt ist, daß er sich nur im anlagemäßig begrenzten Spielraum entwickeln kann. Die Naturwissenschaft hat bewiesen, daß es Gruppen von Lebewesen mit in ihrer Zusammensetzung gleichen oder sehr ähnlichen Erbanlagen gibt, die man als Rassen bezeichnet. Dies gilt für den Menschen genauso wie für die Tierwelt - auch wenn dem lebensgesetzlichen Denken feindliche Ideologien dies nicht wahrhaben wollen. Jedes Volk ist in seiner Wesensart durch die Eigenschaften jener Rassen gekennzeichnet, aus denen es sich zusammensetzt. Ein beschriebenes Blatt Papier, sei es 'Staatsangehörigkeitsnachweis', 'Taufschein' oder sonstwie benannt, kann aber niemals die Erbanlage ändern. Man kann damit staatsbürgerliche oder kirchliche Rechte anerkennen, nicht aber die Wesenhaftigkeit oder die leibliche Beschaffenheit umbestimmen.“[27]

Publikationsorgane der WJ waren die Zeitschrift „Der Wikinger“, der vierteljährlich in einer Auflage von ca. 500 Exemplaren erschien, sowie die Schülerzeitschrift „Gäck“.[28] Weitere unregelmäßig erscheinende Publikationen waren der „Bauge-Mädelbrief der Wiking-Jugend“, das „Pimpfenblatt“ und der „Odal-Kalender“.[29] Die nichtdeutschen Organisationen der Wiking-Jugend verfügten zum Teil auch über eigene Medien.

Das Frauenbild der WJ orientierte sich an der nationalsozialistischen „Rassenpflege“. Frauen wurden als „Lebensträger unseres gesamten Volkes.“ gesehen. Die Frau als Mutter „germanischer“ Kinder und damit als „Erhalterin des deutschen Volkskörpers“ stand dabei im Mittelpunkt des Interesses. Die Gebärfähigkeit von Frauen bildete die biopolitische Grundlage für die nordische Rassenideologie der WJ. Der über sie herzustellende „Volkskörper“ sollte als Grundlage für einen völkischen Staat dienen.

Als größte Jugendorganisation im extrem rechten Spektrum kam der WJ eine besondere Funktion als ideologische Ausbildungsorganisation für zukünftige rechte Kader zu. Zahlreiche Funktionsträger innerhalb der extremen Rechten in der Bundesrepublik bekamen in der WJ ihre ideologische und praktische Charakterschulung.[30]

Dazu gehörte auch der spätere Terrorist Odfried Hepp. Hepp ging Anfang der 1980er Jahre mit der Wehrsportgruppe von Karl-Heinz Hoffmann in den Libanon, um sich dort paramilitärisch ausbilden zu lassen.[31] 1982 gründete er in Frankfurt am Main mit Walter Kexel die rechte terroristische Hepp-Kexel-Gruppe, der sich weitere Neonazis anschlossen. Das Ziel der neonazistischen Gruppe lag darin, die Bundesrepublik von der amerikanischen „Besatzung“ zu „befreien“. Nach mehreren Raubüberfällen zur Finanzierung ihrer Aktionen verübten sie Anschläge mit Autobomben auf amerikanische Soldaten und Einrichtungen.

Ein weiteres Mitglied der WJ, das später im rechten Spektrum Karriere machte, war der „nationale Barde“ Frank Rennicke. Rennicke war „Jugendführer“ bei der WJ. Nach dessen Verbot 1994 wurde Rennicke Mitglied bei der NPD. Er gilt als größter Protagonist des Balladengesanges im gesamten extrem rechten Spektrum.[32] Rennicke setzt bewusst das Medium des Gesanges ein, um neue Anhänger und Sympathisanten für rechte Ideen zu gewinnen. Er beschränkt sich bei der Verbreitung seiner kruden Ideen nicht nur auf Musik, sondern trat auch bei verschiedenen Veranstaltungen als Redner auf.

In erster Linie sang er bei Veranstaltungen der NPD. So spielte Rennicke auf dem Fest „35 Jahre NPD“ am 27.11.1999 in München sowie am „2. Tag des Nationalen Widerstandes“ am 27.05.2000 in Passau.[33] Weiterhin unterstützte er mit Beteiligung der rechten Sängerin Annett Moeck Wahlkampfveranstaltungen der NPD im Berliner Landeswahlkampf 2001 und trat auf dem Pressefest der „Deutschen Stimme“ im September 2001 in Grimma auf.

Vor dem Böblinger Amtsgericht wurde Rennicke wegen „Volksverhetzung“ zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Bei der Bundestagswahl 2008 wurde Rennicke auf dem dritten Platz der rheinland-pfälzischen Landesliste der NPD geführt. In den Jahren 2009 und 2010 wurde er von der NPD als Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten vorgeschlagen.

Anton Pfahler, der in der 1960er Jahren Mitglied der WJ gewesen war, entwickelte sich zu einem militanten Neonazi. Pfahler schloss sich der Wehrsportgruppe Hoffmann an, die 1980 verboten wurde, und wurde gleich „Sektionsleiter“ in Bayern.[34] Er versorgte die Wehrsportgruppe aufgrund seiner ausgezeichneten Kontakte zu paramilitärischen Kreisen mit Waffen. Pfahler war gleichzeitig Mitglied der NPD; auf seinem Anwesen im bayrischen Sinning befanden sich von 1998 an bis zum Jahresbeginn 2000 die Redaktion und der Versandhandel des „Deutsche-Stimmes-Verlages“. Zeitweilig war Pfahler auch Aktivist des „Deutschen Bundes“ und Funktionär der antichristlichen und neuheidnischen „Arbeitsgemeinschaft Naturreligiöser Stammesverbände“ (ANSE), die in Verbindung zu dem ariosophisch ausgerichteten „Armanenorden“ (AO) stand. Bei einer Hausdurchsuchung bei Pfahler wurden im Juni 1998 unter anderem fünf Handgranaten, mehrere Maschinenpistolen und extrem rechtes Propagandamaterial sichergestellt. Daraufhin wurde er vom Ingolstädter Landgericht im September 1999 wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.

Das schon oben erwähnte frühere WJ-Mitglied Manfred Börm, der später dem terroristischen neonazistischen Spektrum angehörte, gehörte zu den Erstunterzeichnern der Erklärung des NPD-Parteivorstandes vom 13.09.2002 bezüglich der Terroranschläge vom 11.09.2001, in der es hieß: „Der NPD-Parteivorstand verurteilt den Terroranschlag in den USA und stellt fest, daß Gewalt kein Mittel der Politik sein darf. Allerdings befindet sich Amerika seit Jahrzehnten im Krieg und muß immer mit entsprechenden Gegenreaktionen rechnen. Erstmals wurden die Amerikaner auf ihrem eigenen Territorium empfindlich getroffen. Die USA betreiben seit ihrer Gründung eine imperialistische Politik. Sie begann mit der weitgehenden Ausrottung der Indianer, der Versklavung der Schwarzen und wird ihr Ende nicht mit der Bombardierung Jugoslawiens gefunden haben. Ein altes Sprichwort sagt: ‚Wer Wind sät, wird Sturm ernten.’“[35]

Der Multifunktionär der rechten Szene, Jürgen Rieger, war ebenfalls früher Mitglied der WJ. Seine ausgeprägten Kontakte im In- und Ausland machten ihn zu einer der zentralen Figuren des deutschen Rechtsextremismus.[36]

In neuheidnischen Zirkeln wie der „Artgemeinschaft-Germanische Glaubensgemeinschaft wesensmäßer Lebensgestaltung e.V.“ und der „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V.“ nahm Rieger eine führende Stellung ein.[37] Er bezichtigte das dem Judentum entstammende Christentum der Schuld an der Zerstörung der „Umwelt“ sowie alter „Rangordnungen“. Rieger wollte die christliche Moral durch eine biologisch begründete Ethik ersetzen, in der die „Starken“ einen „höheren Rang“ erhalten als die „Schwachen“. Die Artgemeinschaft sieht sich in der Tradition germanischer, heidnischer Vorfahren und bekennt sich zum „germanischen Kulturerbe“ und dessen der Gegenwart angepasster „Weiterentwicklung“. Diese Organisation verbindet naturreligiösen Glauben mit rechten Inhalten, die einer biologistischen „Blut und Boden -Ideologie“ entsprechen.[38] Außerdem war Rieger im Vorstand des „Nordischen Rings“, wissenschaftlicher Beirat im „Weltbund zum Schutz des Lebens“ sowie Herausgeber der „Nordischen Zeitung“ und der Zeitschrift „Recht und Justiz“.

Rieger veröffentlichte 1969 ein Buch über das Thema „Rasse - Ein Problem auch für uns“, das 1972 von der Bundesprüfstelle indiziert wurde. Seit Mitte der 1970er Jahre war Rieger als selbständiger Rechtsanwalt tätig und vertrat seitdem bekannte Rechtsextremisten wie Michael Kühnen, Christian Worch und Jürgen Mosler vor Gericht.

Ende der 1970er Jahre erwarb der neonazistische „Freundeskreis Filmkunst e.V.“, dem Rieger angehörte, ein Gebäude in Hetendorf bei Celle. Dort hielten die „Nationalistische Front“ (NF), die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) und die WJ Veranstaltungen ab. Seit 1991 fanden auf dem Gelände regelmäßig die „Hetendorfer Tagungswochen“ statt, die eine zentrale Veranstaltung der extremen Rechten in der Bundesrepublik darstellen.

Rieger wurde 1996 mit dem Andreas-Hofer-Preis der DVU ausgezeichnet; zwei Jahre später trat er beim „1. Tag des Nationalen Widerstandes“ der NPD auf.[39] Rieger starb am 29.10.2009 in Berlin.

 

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wiking-Jugend, die ab 1967 ihren Sitz in Stolberg bei Aachen hatte, die bedeutendste Jugendorganisation des extrem rechten Spektrums darstellte. Die WJ verstand sich als Nachfolgeorganisation der HJ und des BDM und brachte Kindern und Jugendlichen ihre rassistische und antidemokratische Weltanschauung näher. Die hierarchisch aufgebaute Kinder- und Jugendarbeit war auf die „Erziehung zur gemeinschaftsgebundenen Persönlichkeit“ ausgerichtet. Dabei stand eine Art paramilitärische Ausbildung im Vordergrund, die die „Wehrhaftigkeit“ und die „soldatischen Tugenden“ der Teilnehmer gewährleisten sollte. Die WJ besaß Kontakte zu rechten terroristischen Gruppen und Einzelpersonen. Ihre besondere Bedeutung lag darin, dass zahlreiche Verantwortungsträger innerhalb der rechten Szene in der Bundesrepublik dort ideologisch sozialisiert wurden




[1] Bundesministerium des Inneren (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1983, Bonn 1984, S. 142

[2] Grumke/Wagner, Handbuch Rechtsradikalismus. Personen-Organisationen-Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft, a.a.O., S. 436

[3] Pohl, D.: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941-1944, München 1996, S. 43

[4] www1.yadvashem.org/download/about_holocaust/studies/lappin_full.pdf

[5] Hübner, A.: Rechtsradikale Jugendgruppen in der Bundesrepublik, in: Fetscher, I. (Hrsg.) Rechtsradikalismus, Frankfurt/M. 1967, S. 125-156, hier S. 127f

[6] Ebd.

[7] Ebd. S. 133f

[8] Fromm, R.: Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Darstellung, Analyse und Einordnung: ein Beitrag zur Geschichte des deutschen und europäischen Rechtsextremismus, Berlin 1998, S. 88f

[9] Wikinger 4/1982, S. 8

[10] Scheuler, W.: Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik, Sankt-Augustin 1996, S. 25f

[11] Wikinger 4/1992, S. 4

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Grumke/Wagner, Handbuch Rechtsradikalismus. Personen-Organisationen-Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft, a.a.O., S. 437

[15] Krink, A.: Die NS-Diktatur, 3. Auflage, Frankfurt/Main 1975, S. 41

[16] Dudek/Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus, Band 2, a.a.O., S. 245

[17] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 177

[18] Zitiert in Ebd.

[19] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[20] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[21] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[22] Grumke/Wagner, Handbuch Rechtsradikalismus, a.a.O., S. 438

[23] Ebd.

[24] Bundesministerium des Inneren (Hrsg.): Erfahrungsbericht über die Beobachtungen der Ämter für Verfassungsschutz, Bonn 1969, S: 40

[25] Zitiert aus Nahrath, W.: Wege der Jugenderziehung aus der Sicht der volkstreuen Bünde, Hannover 1964, abgedruckt in Dudek/Jaschke: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus, Band 2, a.a.O., S. 242f

[26] Ebd.

[27] Hirsch, Rechts von der Union. Personen, Organisationen, Parteien seit 1945, a.a.O., S. 149

[28] Mecklenburg, J.: Antifaschistisches Handbuch und Ratgeber, Berlin 1996, S. 181

[29] Grumke/Wagner, Handbuch Rechtsradikalismus, a.a.O., S. 436

[30] Fromm, Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Darstellung, Analyse und Einordnung, a.a.O., S. 90

[31] Winterberg, Y.: Der Rebell. Odfried Hepp – Neonazi, Terrorist, Aussteiger, Bergisch Gladbach 2004, S. 24f

[32] Grumke/Wagner, Handbuch Rechtsradikalismus, a.a.O., S. 477

[33] Ebd., S. 476

[34] Ebd., S. 170

[35] Zitiert aus Ebd., S. 404

[36] Ebd., S. 302

[37] Ebd., S. 204

[38] Ebd., S. 356f

[39] Ebd., S. 301

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