Interkulturelle Philosophie

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Interkulturelle Philosophie ist neue Disziplin innerhalb der herkömmlichen Philosophie, die seit dem Beginn der Globalisierung die Notwendigkeit eines gewaltfreien kulturellen Austausches betont. Interkulturelle Philosophie sieht sich als eine kritische Philosophie der Philosophie und will alle philosophischen Disziplinen und Beschäftigungen durchdringen; die idealtypsisch jeweils die Dimension des Interkulturellen in sich aufnehmen sollten.

 

 

 

Der sich seit dem Ende des Kalten Krieges durchsetzende Globalisierungsprozess ist für die weltweite Vernetzung von Menschen in allen Bereichen (z. B. Politik, Wirtschaft, Kommunikation und Kultur) verantwortlich. Im kulturellen Sektor kommt es noch stärker als in den bisherigen Epochen der Geschichte zu zunehmenden wechselseitigen Verflechtungen und Beeinflussungen. Im Zeitalter der Globalisierung bilden nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die kosmopolitische Weltgesellschaft den Referenzrahmen des alltäglichen Denken und Handelns. Dieser nicht mehr umkehrbare Prozess wird sich vermutlich in der nahen Zukunft noch verstärken.

Interkulturelle Philosophie kritisiert indirekt die Thesen des konservativen US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntingtons, die nach dem Ende des Kalten Krieges hegemonialen Status erlangten.[1] Laut Huntington würden Menschen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes verstärkt aus ihrer Kultur Identität schöpfen und sich gegenüber anderen Kulturen abgrenzen: „Menschen gesellen sich zu anderen, die dieselbe Herkunft, Religion und Sprache, dieselben Werte und Institutionen haben und distanzieren sich von denen, die das nicht haben.“[2] Länder der nicht-westlichen Welt starten laut Huntington nun den Versuch, ihre machtpolitischen Interessen durchzusetzen und dadurch den Einflussbereich ihrer Kultur auszudehnen. Es gebe sieben oder acht große Kulturen in der Welt, die um herrschaftspolitische Ansprüche in Konkurrenz miteinander stünden. Dies seien die sinitische, japanische, hinduistische, islamische, westliche, orthodoxe, lateinamerikanische und die afrikanische Kultur. So würden in Zukunft Konflikte oder Kriege zwischen Nationen, die unterschiedlichen Kulturen angehören, stattfinden. Der in der Globalisierung zunehmende Kontakt mit anderen Kulturen würde dazu führen, dass kulturelle Unterschiede betont würden und dadurch eine mangelnde Akzeptanz der jeweils anderen Kultur wachse.

Kulturen werden in der interkulturellen Philosophie vielmehr als heterogene, dynamische Entitäten betrachtet, was auch auf die in ihr vertretenen Religionen und Philosophien gilt.[3] Sie können widersprüchlich, innerlich differenziert und umkämpft sein und somit Revisionen und Transformationen durchmachen.[4] Ein einheitlicher und statischer Kulturbegriff sowie die Konservierung des jeweiligen gegenwärtigen kulturellen Zustandes werden dagegen abgelehnt. Das von Samuel Pufendorf und Johann Gottfried Herder vertretene Konzept der Volkskulturen, wonach Kulturen als in sich abgeschlossene Gebilde verstanden werden, wird als obsolet zurückgewiesen. Dies gilt auch für jedwede Spielart eines ethischen Relativismus, der die Ausbildung kulturübergreifender Werte negiert. Ram Adhar Mall spricht von der „Fiktion einer totalen Reinheit einer Kultur“ und führt aus: „So wenig es eine reine d.h. homogene eigene Kultur gibt, so wenig gibt es auch eine reine fremde Kultur. Analoges gilt für die Philosophie. Die Vernetzungen der Kulturen sind vielschichtig und lassen sich fast endlos in die Vergangenheit zurückverfolgen.“[5]

Ebenso wie die interkulturelle Pädagogik spielt die interkulturelle Philosophie bei der Lösung interkultureller Schwierigkeiten eine Schlüsselrolle. In der Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen und Weltbildern kommt es darauf an, die eigenen Vorstellungen zurückzunehmen, um die Erfahrungen anderer Kulturen im Kontext ihrer eigenen Ideen zu betrachten: „Interkulturelle Philosophie soll Stereotype der Selbst- und Fremdwahrnehmung kritisieren, Offenheit und Verständnis befördern und in gegenseitiger Aufklärung bestehen. Sie muss auch bereit sein, sich selbst und seine Kultur, Philosophie und Religion von außen sehen zu lernen.“[6]

Interkulturelle Philosophie soll sowohl bei der argumentativen „Entwicklung ethischer Universalien“ als auch der „gerechtfertigten Toleranz kultureller Besonderheiten“ helfen.[7] Außerdem hat sie die Aufgabe, transkulturelle Entwürfe der Kulturalität sowie des kulturellen Verständnisses und der wechselseitigen Zusammenarbeit zu entwickeln.

Es sollen Gemeinsamkeiten und ihre explizite Benennung herausgearbeitet werden, woran sich methodisch die Feststellung und die Erklärung von Unterschieden anschließt.[8] Interkulturelle Philosophie wendet sich gegen alle Kulturen, Philosophien und Religionen, die glauben, allein im Besitz der einen einzigen Wahrheit zu sein. Stattdessen besteht die Notwendigkeit einer kulturübergreifende Kommunikation, die die Ebene zivilisatorischer Koexistenz überschreitet und zur gewaltfreien interkulturellen Verständigung führt: „Interkulturelle Philosophie soll dem friedlichen Miteinander in einer allumfassenden menschlichen Kultur dienen, die gleichwohl kulturelle Spezifika bewahrt und gelten lässt. Sie soll helfen, eine Kultur zu etablieren, die die ganze Menschheit umfasst, Frieden schafft und erhält und den Menschenrechten genügt, ohne die berechtigten Ansprüche einzelner Kulturen auf Erhalt ihrer Besonderheiten zu vernachlässigen.“[9]

Die interkulturelle Philosophie erhebt den Anspruch, von mehreren Ursprungsorten des Philosophierens auszugehen und ein Bewusstsein für die Pluralität in der Weltphilosophiegeschichte zu schaffen. Es soll ein neuer Philosophiebegriff gefunden werden, der „nicht einer eurozentrischen, sondern einer interkulturellen und pluralen Weltlage Rechnung trägt. Das kann nur in Form des philosophischen Dialogs geschehen. (…) Man kann daher vom dialogischen Prinzip der interkulturellen Denkform sprechen.“[10]

In der interkulturellen Philosophie wird von der Prämisse ausgegangen, dass im Vergleich der Kulturen keine Werthierarchie angelegt wird.[11] Die Denkstruktur von „höherwertigen“ und „minderwertigen“ Kulturen wird als kultureller Rassismus eingestuft, der entschieden bekämpft werden muss. Kulturen werden als heterogene, dynamische Entitäten betrachtet, was auch auf die in ihr vertretenen Religionen und Philosophien gilt.[12] Sie können widersprüchlich, innerlich differenziert und umkämpft sein und somit Revisionen und Transformationen durchmachen.[13] Ein einheitlicher und statischer Kulturbegriff sowie die Konservierung des jeweiligen gegenwärtigen kulturellen Zustandes werden dagegen abgelehnt. Zu allen Zeiten fand trotz mancher spannungsreicher Kulturbegegnungen ein interkultureller Austausch statt, der bis heute andauert und auch die Zukunft prägen wird.

Kultureller Rassismus tritt auch dort auf, wo andere Kulturen aus eurozentrischer Sicht vermeintlich positiv beurteilt werden. Dazu zählt die idealisierte Figur des edlen Wilden, also eines von der (europäischen) Zivilisation unverdorbenen „Naturmenschens“.[14] Trotz dieser positiv gedeuteten Verharrung im „Naturzustand“ wird dieser Mensch weiterhin als „wild“ betrachtet, der im Gegensatz zu dem europäischen „Kulturmenschen“ auf einer „minderwertigen“ Kulturstufe steht. Für dieses die europäischen Geistesgeschichte prägende Bild ist vor allem Jean-Jacques Rousseau mit seinem Werk Discours sur l'inégalité über den Naturzustand des Menschens verantwortlich. Louis Antoine de Bougainvilles Reisebericht seiner Weltumsegelung, wo er die Einwohner_innen Tahitis als positiven Gegenpart zur europäischen Kultur darstellte, führte Rousseaus Motiv weiter aus und gab ihm einen praktischen Anknüpfungspunkt.[15] Philosophie im Vergleich der Kulturen, sprich interkulturelle Philosophie hat die traditionelle hermeneutische Einbahnstraße verlassen und thematisiert kritisch auch die europäische Philosophie und Religion aus der Sicht z. B. des indischen, chinesischen oder afrikanischen Denkens. Dieses Interpretierbargewordensein des europäischen Geistes durch die Nichteuropäer überrascht Europa mehr als Nichteuropa. Auch heute noch bestimmen die Europäer, wie etwas hermeneutisch zu verstehen ist.

Der Begriff „Nation“ ist in der wissenschaftlichen Forschung schon längst als Konstrukt entlarvt worden. Ernest Gellner kam zu dem Schluss: „Nationalismus ist keineswegs das Erwachen von Nationen zu Selbstbewußtsein: man erfindet Nationen, wo es sie vorher nicht gab.“[16] Balibar und Wallerstein diagnostizierten: „Sicher ist indessen, dass es uns beiden gleichermaßen wichtig erscheint, die Nation und das Volk als historische Konstruktionen zu denken, dank derer die heutigen Institutionen und Antagonismen in die Vergangenheit projiziert werden können, um den ‚Gemeinschaften‘ eine relative Stabilität zu verleihen, von denen das Gefühl der individuellen ‚Identität‘ abhängt.“[17] Benedict Anderson definiert „Nation“ als „eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist die deswegen, weil ihre Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“[18]

Ethnozentristische und damit einhergehende rassistische Denkweisen lehnt die interkulturelle Philosophie ab. Andere Kulturen und Gemeinschaften sollen nicht aus der Perspektive der eigenen Kultur beurteilt und anhand der eigenen Normen bewertet werden. Die Abweichung von eigenen kulturellen Werten wird als dagegen als normal und bereichernd auch für die eigene Entwicklung empfunden. Ansichten wie die des österreichischen Verhaltensforschers Irinäus Eibl-Eibesfeldt, für den die „Neigung zum Ethnozentrismus“ zu den „allgemeinmenschlichen Eigenschaften“ gehört, werden als Konstrukt entlarvt.[19]

Die Prinzipien der interkulturellen Philosophie sind auch auf das Feld des interreligiösen Austausches anwendbar. Interreligiöser Dialog ist wegen des existierenden religiösen Pluralismus und der globalen Probleme notwendiger denn je. Nicht nur die religiösen Kriege und Konflikte in der Welt, die natürlich auch unter machtpolitischen Gesichtspunkten geführt werden, sind ein abschreckendes Beispiel. Auch in der BRD wird von verschiedenen Seiten seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ein religiöser Konflikt zwischen dem Christentum und dem Islam heraufbeschworen.[20] Längst vergangene Bilder von der Belagerung Wiens durch die Osmanen oder Kreuzzugsideologeme werden dabei wieder aktiviert. Eine angebliche „Islamisierung“ soll eine krisenhafte Bedrohung für die westlich geprägte Welt darstellen. Der immer fälschlicherweise als Gesamtkollektiv gesehene Islam wird auch in der breiten Öffentlichkeit zumeist negativ dargestellt und somit vorhandene latente Ängste und Vorbehalte noch weiter geschürt. In der Realität sind radikale Gruppierungen, die anstatt des Grundgesetzes die Scharia einführen wollen, innerhalb der deutschen muslimischen Gemeinde in einer Minderheitenposition.

Dieser angestrebte Dialog zwischen den Religionen soll nicht nur in der lokalen, regionalen und internationalen Praxis stattfinden, sondern auch auf der Ebene des wissenschaftlich-theologischen Austausches, wo Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den jeweiligen Religionen benannt werden. Ziel des Dialogs ist weder Mission noch der Aufbau einer eigenen Weltreligion. Er dient vielmehr der gegenseitigen Verständigung, dem Aufbau von Vertrauen, Respekt und Verstehen, dem Abbau von Unkenntnissen, Vorurteilen und Ängsten.Die eigene Religion sollte nicht statisch sein, sondern dynamisch und empathisch. Respekt vor dem Glauben des/der Anderen und Akzeptanz für eine religiöse Heterogenität in der bundesrepublikanischen Gesellschaft und eine Absage an kulturelle Hegemoniebestrebungen der christlichen Kirche.

Einer der Protagonisten des interreligiösen Dialoges war der protestantische Theologe Paul Tillich. Tillich widmete sich nach einer Begegnung mit Mircea Eliade seit den 1960er Jahren dem Feld der Interreligiosität.[21] Darunter verstand er einen von Repräsentanten von Religionsgemeinschaften angestrebten, gleichberechtigten, respektvollen und kritischen Meinungsaustausch sowie das Feststellen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Tillich stellte heraus, dass alle Religionen eine gemeinsame Grundlage besitzen, da sich im Endlichen das Unendliche zeigt und dort als das Heilige und Unbedingte erfahren wird.[22] Interreligiosität führe zu einem tieferen Verständnis der eigenen Person und der Wirklichkeit. Tillich bemerkte: „Der Weg zu diesem Ziel ist nicht die Preisgabe der eigenen religiösen Tradition um einer universalen Idee willen, die nichts als eine Abstraktion wäre. Der Weg führt vielmehr in die Tiefe der eigenen Religion. (…) In der Tiefe jeder lebenden Religion gibt es einen Punkt, an dem die Religion als solche ihre Wichtigkeit verliert und das, worauf sie hinweist, durch ihre Partikularität hindurchbricht, geistige Freiheit schafft und mit ihr eine Vision des Göttlichen, das in allen Formen des Lebens und der Kultur gegenwärtig ist.“[23]

Ein weiterer Wegbereiter der interkulturellen Philosophie war Ernst Cassirer. Cassirer beruft sich auf die Theorie des symbolischen Interaktionismus von G.H. Mead, wonach sich die Bedeutung eines Objektes aus dem Verhältnis des Wahrnehmenden und Handelnden zu diesem Objekt ergibt. Mead selbst geht auch vom Begriff des Symbols aus, im Gegensatz zu Cassirer allerdings enstehen aber die Bedeutungen bestimmter Symbole durch Erziehung. Abhängig von der gesellschaftlichen Normen und Werten entstehen durch die Wiederholung und positive bzw. negative Sanktionierung von Interaktion sogenannte ,,soziale Institutionen". Dies bedeutet letztendlich, dass die Bedeutung von Dingen ist also das Ergebnis von Erfahrungen ist. Cassirer legt dagegen den Fokus seiner Betrachtung eher auf die Freiheit des Menschen, seine Umwelt zu benennen, also mit Symbolen zu versehen und dadurch so zu strukturieren, dass sie für ihn verständlich wird.

Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen legte Cassirer den systematischen Entwurf einer Kulturphilosophie vor, sondern sich als eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen versteht. Nach Cassirers tragender Einsicht bildet die Kultur die ganze Wirklichkeit des Menschen. Dabei geht er von einer Komplexität und Differenzierung aus, in der Kultur immer schon besteht und bestanden hat. Er vertrat die These, dass sich die Sinntätigkeit der Symbolisierung nicht auf eine einzige Gestaltungsweise zurückführen läßt, sondern sich in einer Pluralität von Gestaltungsweisen auslegt. Diese Pluralität besteht nicht in einer chaotischen und beliebigen Unendlichkeit, sondern in einem gegliederten, irgendwie systematischen Zusammenhang. Nur die Pluralität der symbolischen Formen läßt eine freie Weltgestaltung für jeden zu und gewährleistet einen Schutz vor monistischen Ordnungsvorstellungen.Kultur ist demnach keine Einzigartigkeit, sondern prägt sich aus in einer Vielfalt von Gestaltungsbereichen. Sie ist auch kein beliebig auftürmbares Aggregat, sondern ein System von Gestaltungsweisen. Cassirer sieht den Menschen nicht nur als ein organisches Wesen an, sondern jemand, der immer nach Sinn und Bedeutung fragt. Letztlich bestimmt der Mensch sich und seinen Sinn durch die aktive Bildung der symbolischen Formen, die jeweils mit einem ihnen eigenen Sinn verbunden sind.

In seiner  Schrift „Essay on Man“ baute Cassirer seine kulturphilosophische Theorie der symbolischen Formen zu einer anthropologischen Philosophie aus. Unterscheidungen  zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mit Erklären und Verstehen als Wissenschaftsprinzipien lehnte Cassirer ab. Einheitliche philosophische Systeme wie zum Beispiel beim Idealismus wurden von ihm ebenfalls verworfen. Die Philosophie Cassirers wurde zunächst dem naturwissenschaftlich orientierten Neukantianismus der Marburger Schule zugeordnet, was nachweislich nicht stimmt. Cassirer setzte sich durch die Tatsache deutlich vom Neukantianismus ab, dass für ihn nicht nur Begriffe zur Erkenntnis beitragen. Vielmehr sei jede Form des Weltbezugs auf die Symbolisierung angewiesen. Für seine kulturphilosophische Theorie war die Ausformulierung der symbolischen Prägnanz wichtig. Cassirer definierte: „Unter symbolischer Prägnanz soll also die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als ‚sinnliches‘ Erlebnis zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen ‚Sinn‘ in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt.“[24]

Die symbolische Formgebung lief für ihn beim Menschen zugleich mit der sinnlichen Wahrnehmung ab: „Unter einer symbolischen ‚Form‘ soll jene Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem innerlich zugeeignet wird.“[25] Symbolische Formen seien somit Grundformen des Verstehens, die universell und intersubjektiv gültig sind und mit denen der Mensch seine Wirklichkeit gestaltet. Cassirer unterschied dabei zwischen Wahrnehmungs- und Bedeutungsprägnanz: Die Wahrnehmungsprägnanz verleiht dem Wahrgenommenen einen Umriss und Deutlichkeit, die die Bedeutungsprägnanz in einen Kontext einbindet. Da sich in der Formgebung und Symbolisierung eine Objektivierung vollzieht, bringen diese Prozesse den Menschen in eine verfügende Distanz zu seinen Emotionen, Wünschen oder Anschauungen. So wird es dem Menschen ermöglicht, sich frei zu ihnen zu verhalten. Cassirer definierte die „freie Persönlichkeit“ folgendermaßen: „Sie (die freie Persönlichkeit, M.L:) ist nur dadurch Form, daß sie sich selbst ihre Form gibt, und deshalb dürfen wir in ihr (…) nicht lediglich eine Schranke sehen, sondern wir müssen sie als eine echte und ursprüngliche Kraft erkennen und anerkennen. Das Allgemeine, das sich uns im Bereich der Kultur, in der Sprache, in der Kunst, in der Religion, in der Philosophie enthüllt, ist daher stets zugleich individuell und universell. Denn in dieser Sphäre läßt sich das Universelle nicht anders als in der Tat der Individuen anschauen, weil es nur in ihrer Aktualisierung, seine eigentliche Verwirklichung finden kann.“[26] 

Clifford James Geertz (23. August 1926-30. Oktober 2006) war ein US-amerikanischer Kulturanthropologe, der für seine Arbeit über kulturelle Symbole und Bedeutung bekannt wurde. In seinen Forschungsarbeiten studierte er die Kulturen von Südostasien und in Afrika, untersucht eine Vielzahl von sozialen Strukturen einschließlich der wirtschaftlichen Entwicklung, politische Strukturen, Familienleben und Religion. Geertz führte umfangreiche ethnographische Forschung in Südostasien, vor allem in Java und Bali, und in Nordafrika durch. Dabei ging es ihm auch immer um die allgemeine Frage der ethnischen Vielfalt und ihre Auswirkungen in der modernen Welt.

Gesellschaften sollen als Texte gelesen werden, die ihre eigene Interpretation in sich tragen. Kultur ist zu verstehen als ein Prozeß fortschreitender reflexiver Sem­antisier­ung und insofern eine Montage oder ein Ensemble von Texten, "aus sozialem Material geschaffene Phantasiebildungen", die das reale Sozial­gefüge, den kollektiven Text, abbilden, also Metainformationen über die Kultur, ein System symbolischer Bedeutungen, die sich in semiotisch vermittelten Darstellungsformen äußern. Soziales Verhalten wird in enger Verknüpfung mit kultureller Selbstauslegung gesehen. Die Kultur ist demnach jedoch nicht nur abbildend, sondern viel mehr für die "Hervorbringung und Erhaltung [von] Empfindungen konstitutiv".

Geertz meint, daß Ethnologie keine allgemeinen Aussagen anstrebe, die sich auf verschiedene Fälle beziehe, sondern nur Generalisierungen im Rahmen eines Einzelfalles vornimmt. Es werden keine Schlußfolgerungen aus einer Reihe von Beobachtungen gezogen, die auf ein allgemeines Gesetz abzielen. Es wird nicht induktiv vorgegangen, sondern einzelne symbolische Handlungen in einen verständlichen Zusammenhang gebracht.

Seine Symboldefinition ist sehr breit gefächert. Dazu gehören „alle Gegenstände, Handlungen, Ereignisse, Eigenschaften oder Beziehungen, die Ausdrucksmittel einer Vorstellung sind, wobei eben diese Vorstellung die »Bedeutung« des Symbols ist“. Ein Symbol befördert die Bedeutung und ist eine Verkörperung von Ideen, Empfindungen und Erfahrungen. Das wichtigste Symbolsystem einer Kultur ist die Sprache. Daneben gelten Gesten der Begrüßung, Ausdrucksmittel aus den Bereichen Kunst, Theater und Religion als weitere Symbolsysteme. Diese Symbole und ihre Bedeutungen verknüpft Geertz dann zu Symbolsystemen bzw. Vorstellungsstrukturen verknüpft. Ein Symbol erhält seine Bedeutung aus der Stellung in einem der Symbolsysteme der jeweiligen Kultur und trägt gleichzeitig selbst zur Ausgestaltung des Symbolsystems und zu den damit verbundenen Vorstellungsstrukturen bei, da es Teil davon ist. Die Angehörigen einer Gesellschaft sind in ein gemeinsames Bedeutungsnetzwerk verstrickt; aus diesem Grund verkörpern Symbole auch soziale Handlungsanleitungen.

William James, der von als Professor für Psychologie und Philosophie an der Harvard Universität lehrte, gilt sowohl als Begründer der Psychologie in den USA als auch als einer der wichtigsten Vertreter des philosophischen Pragmatismus. Angeregt von Max Schelers wissenssoziologische Arbeit und Gehlens Konzeption der Anthropologie entwickelte James seinen eigenen Handlungsbegriff.Für James zählten die praktischen Konsequenzen, die aus einer Theorie folgten, der „Cash Value“ war für ihn maßgebend. Wenn ihre Richtigkeit oder Falschheit keinen Unterschied darstellt, sei die Theorie überflüssig und falsch genannt. Zwei Theorien, die zu denselben praktischen Konsequenzen führen, waren für James bedeutungsgleich. James lehnte Metaphysik ab und widersprach dem klassischen Wahrheitsbegriff der abendländischen Philosophe „adequatio intellectus et rei“. Wahrheit bedeutete für ihn die Abwägung in Form von Nützlichkeit. Ausgehend von einer Analyse dessen, was sich in der Erfahrung zeigt, fragt James nach Gesetzmäßigkeiten des religiösen Lebens, die die Vielfalt religiöser Erfahrungen nicht auflösen, sondern zu verstehen erlauben. In der Vielfalt religiöser Erfahrung entdeckte er Übereinstimmungen zwischen bestimmten Frömmigkeitsformen und Charakterstrukturen, die sich dynamisch weiterentwickeln und kein festgelegtes Ende haben.

Sein Denken richtet sich gegen monistische Modelle wie Materialismus oder Physikalismus, wonach alles Materie ist und nur physikalische oder materielle Objekte und Wirkungen real sind. Dies ist die in der Neuzeit mit Abstand populärste Ausprägung des Monismus . Andere monistische Ausprägungen Idealismus oder Phänomenalismus, wonach alles Geist ist und nur geistige Vorgänge real sind. Eine Variante dieser Auffassung wurde beispielsweise von George Berkeley vertreten. Pluralistische Sicht, wonach die Dinge nicht zu einer sich gegenseitig bedingten Einheit zusammengefügt sind. Er wendet sich also explizit gegen „den monistischen Verbindungstypus mit seiner radikalen Einheit aller Dinge.“ In einem pluralistischen Universum kann es keine letzten Gewissheiten geben, die Vorläufigkeit von Praxisnormen und theoretischen Erklärungsmodellen sind die Regel. James führte aus: „Die einzige vollständig rationalisierte Welt wäre eine Welt mit Wunschkappen, eine Welt der Telepathie, wo jedes Verlangen augenblicklich erfüllt wird, ohne daß umgebende oder dazwischentretende Mächte berücksichtigt oder versöhnt werden müßten. Das ist die eigentliche Welt des Absoluten. Es ruft die Welt der Erscheinungen ins Dasein, und sie ist da, genau so, wie es das Absolute will, ohne daß es noch weitere Bedingungen braucht. In unserer Welt hingegen sind die Wünsche der einzelnen Personen nur eine der Bedingungen. Andere Personen sind da mit andern Wünschen, und die müssen erst gewonnen werden. (…)In der Welt der Vielheit wächst das Sein unter Widerständen aller Art und erhält unter fortwährenden Kompromissen nur ganz allmählich jene organisierte Gestalt, die man annähernd rational nennen kann.“[27]

Interkulturelle Philosophie grenzt sich gegen jegliche Spielart von kulturrelativistischen Modellen ab, die die Überzeugung vertreten, dass sich bestimmte Kulturen strikt voneinander unterscheiden und ein wechselseitiges Verständnis ausschließen. Darunter fällt sowohl das Konzept des Ethnopluralismus, das in der BRD unter anderem von der neonazistischen NPD favorisiert wird, als auch dessen Apologetik in der wissenschaftlichen Forschung wie z.B. von dem Ethologen[28] Irinäus Eibl-Eibesfeldt.

Der Ethnopluralismus ist ein von Alain de Benoist, dem führenden Kopf der französischen Rechten, entwickeltes Modell. Für de Benoist sind die „sozio-kulturellen Eigenheiten der Völker“, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben, unabänderbar, da sie „natürlich vorgegeben“ wären.[29] Nach völkischen Kriterien sollen deshalb die „Völker und Kulturen“ der Welt strikt getrennt werden, um „Ent- und Überfremdungen“ zu verhindern, die die jeweiligen „kulturellen Identitäten“ vernichten würden. Entscheidend sei nicht der Einzelne, sondern „das Volk, das sich im Laufe der Geschichte durch die Evolution herausgebildet habe“. Die „Völker“ werden als „Schicksalsgemeinschaften“ begriffen, als „Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte geprägt“ und die eine spezifische, letztlich genetisch bedingte Kultur hervorgebracht haben.[30] Die „Einwanderung von Ausländern nach Europa“ widerspreche den „Naturgesetzen“, da sie einerseits die Migrant_innen ihrem „natürlichen Lebensraum entwurzele“ und andererseits durch Migration die „biologische Substanz der Völker“ gefährdet werde: „Ein Volk, das sich dauerhaft mit Menschen anderer Kulturen mische, werde langfristig sterben.“[31]

Der Gegner ist für de Benoist der bürgerliche Liberalismus und seine Ausprägung in den USA. De Benoist behauptete: „Liberalismus, das ist Ausstieg aus der geschichte, Verfall der Politik, Einebnung aller Grenzen und Unterschiede.“[32] De Benoist bezeichnete denLiberalismus als „kaufmännische“ Gesellschaftsform, die er von der „organischen“ unterschied.[33] Der Liberalismus wirke als „Sinnzerstörer“ einer Gesellschaft, indem er sich „kulturellen“ und „nationalen“ Werten entgegenstelle: „Was ist heute die Hauptbedrohung? Es ist das fortschreitende Verschwinden der Vielgestaltigkeit der Welt. Die Nivellierung der Menschen, die Reduktion aller Kulturen auf eine „Weltzivilisation“ baut auf dem auf, was am allgemeinsten und gewöhnlichsten ist. (…) Von Holiday Inn bis zu Howard Johnson kann man die Konturen einer einförmig grauen Welt sich abzeichnen sehen. (…) Die Freude, die man auf einer reise empfindet, liegt darin, verschiedene, noch verwurzelte Lebensweisen zu sehen. Sie liegt darin, andere Völker nach ihrem eigenen Rhythmus leben zu sehen, Völker, die eine andere Hautfarbe, eine andere Kultur, eine andere Mentalität haben, und die auf ihre Verschiedenheit stolz sind. Ich glaube, daß diese Vielgestaltigkeit den Reichtum der Welt ausmacht und daß der Egalitarismus dabei ist, sie zu töten.“[34] Er wendet sich gegen die Menschenrechte: „Wenn der Begriff der Menschenrechte ein rein westlicher ist, kann kein Zweifel bestehen, daß seine globale Verallgemeinerung eine Einmischung von außen darstellt, eine andere Art der Bekehrung und Beherrschung, eine Fortsetzung also des kolonialen Syndroms.“[35] Er lehnte die Gleichheit aller Menschen ab: „Ich nenne hier –aus reiner Konvention – die Haltung rechts, die darin besteht, die Vielgestaltigkeit der Welt und folglich die relativen Ungleichheiten, die ihr notwendiges Ergebnis sind, als ein Gut und die fortschreitende Vereinheitlichung der Welt, die durch den Diskurs der egalitären Ideologie, der seit zweitausend Jahren gepredigt und verwirklicht wird, als ein Übel anzusehen. Individualismus wäre nur als „Akt der Teilnahme im Leben eines Volkes“ denkbar: „Im einen Fall ist die Menschheit die Summe aller Individuen, in jedem besonderen menschlichen Wesen gleichermaßen repräsentiert: man ist zunächst , Mensch‘ und erst in zweiter Linie, wie zufällig, Angehöriger einer bestimmten Kultur oder eines bestimmten Volkes. Im anderen Fall ist die Menschheit nur die Gesamtheit der Kulturen und Volksgemeinschaften: das Individuum ist lediglich bestimmt durch seine organische Zugehörigkeit zu ihr.

Irinäus Eibl-Eibesfeldt, Schüler von Konrad Lorenz, ist ein österreichischer Verhaltensforscher, der die Humanethologie als selbständigen Forschungszweig begründete.[36] Eibl-Eibesfeldt favorisiert einen „biologischen Reduktionismus“, indem er Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung an Tieren eins zu eins auf den Menschen überträgt.[37] Er vertritt die Überzeugung, dass es sich „bei der Xenophobie der Erwachsenen um ein anthropologisches Merkmal des Menschen“ und ein „stammesgeschichtlichen Erbe“ handele, das sich in den letzten zehntausend Jahren nicht verändert hätte.[38]Zu allen Zeiten hätten sich Menschengruppen durch Sprache, Brauchtum und Glauben gegenüber anderen abgegrenzt und auf diese Weise eine Identität wie die ethnisch fundierte Nation geschaffen. Für Eibl-Eibesfeldt gehört die „Neigung zum Ethnozentrismus“ zu den „allgemeinmenschlichen Eigenschaften“. Nationen würden immer als „Solidargemeinschaften“ auftreten, die zunächst einmal eigene „Überlebensinteressen“ vertreten würden. In sozialdarwinistischer Manier sieht Eibl-Eibesfeldt einen Kampf der Völker und Nationen um „begrenzte Lebensgrundlagen“ vor allem auf ökonomischer Ebene: „Völker und Nationen konkurrieren um begrenzte Lebensgrundlagen, heute vor allem wirtschaftlich, und sie sind gerüstet und durchaus auch bereit, zu den Waffen zu greifen, wenn vitale Interessen gefährdet scheinen.“[39] Auf der biologischen Ebene sei auch der Mensch in der heutigen Gesellschaft an ein Leben in territorialen Kleingruppen angepasst, die sich von anderen abgrenzen würden. Die Drei-Generationen-Familie bildet laut Eibl-Eibesfeldt den Kristallationskern solcher Gemeinschaften. Die Neigung von Menschen zum Gefolgsgehorsam gegenüber schutzversprechenden Führerfiguren würden ebenfalls zum „stammesgeschichtlichen Erbe“ gehören. Menschen neigten dazu, sich in Gruppen zusammenzuschließen und von „Fremden“ abzugrenzen. Dies sei bereits bei Säuglingen zu beobachten, die im Alter von sechs bis acht Monaten „Fremdenfurcht“ zeigten: „Sehr früh im Säuglingsalter beobachten wir Abgrenzung über die agonistischen Verhaltensmuster Flucht und Abwehr. Während sich Säuglinge in den ersten drei Monaten nach der Geburt jedem, der sich ihnen nähert, freundlich zuwenden, ändern sie im Alter von sechs bis acht Monaten ihr Verhalten in oft dramatischer Weise. (…) Zur Entwicklung der Fremdenscheu bedarf es keinerlei schlechten Erfahrungen mit Fremden. Auch Kinder, die nie Böses von Fremden erfahren haben, verhalten sich so, und zwar in allen daraufhin untersuchten Kulturen, offenbar aufgrund stammesgeschichtlicher Programmierung.“[40]

Die Stärke der „Fremdenscheu“ hänge davon ab, wie ähnlich „der Fremde“ den Bezugspersonen des Kindes sei. Kindern von Schwarzafrikanern würden sich „mehr von weißen Fremden als von Fremden der eigenen Rasse“ fürchten. Dieses Verhaltensmuster gelte analog für „weiße Kinder“.

Eibl-Eibesfeldt vertritt die Überzeugung, dass es sich „bei der Xenophobie der Erwachsenen um ein anthropologisches Merkmal des Menschen“ handele, das angeblich „stammesgeschichtlich fundiert“ wäre: „Bemerkenswert bleibt das Mißtrauen, das zunächst unser Verhalten gegenüber Fremden kennzeichnet. Dieses Vorurteil schafft die Bereitschaft, vom Fremden vor allem das Negative wahrzunehmen, gewissermaßen als Bestätigung des Vorurteils.“[41] Damit legitimiert Eibl-Eibesfeldt rassistische Einstellungen und Handlungen als „normale“ menschliche Denk- und Reaktionsmuster, die unveränderlich seien und nicht mit pädagogischen oder bildungspolitischen Maßnahmen zu bekämpfen wären.

Seit der Entwicklung von Territorialstaaten und Nationen seit dem 18. Jahrhundert existierte ein Zwang zur Homogenisierung, da neben anderen nationalen Identifikationsobjekten die uniformierte Nationalsprache den Zusammenhalt der Nationalstaaten nach innen gewährleisten sollte. Diese räumliche Homogenisierung beinhaltete ein identitätsstiftendes Einschluss- und ein ausgrenzendes Ausschlussdenken. Die Rechte und die Kultur von Minderheiten wurden systematisch unterdrückt, Differenz und Vielfalt als Bedrohung wahrgenommen.

Im Zeitalter der Globalisierung bilden nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die kosmopolitische Weltgesellschaft den Referenzrahmen des alltäglichen Denken und Handelns. Die Bedeutung der Nationalstaaten schwindet, da sie ihre ökonomische, soziale und kulturelle Steuerungsfunktion nur noch in begrenztem Maße wahrnehmen können. Die interagierende Weltgesellschaft mit ihrer kulturellen Vielfalt kann nur durch interkulturellen Dialog und Kooperation bestehen. Der Philosoph Kwame Anthony Appiah stellt zu Recht fest: „Eine Welt, in der sich Gemeinschaften klar gegenüber abgrenzen, scheint keine ernsthafte Option mehr zu sein, falls sie es denn jemals war. Abtrennung und Abschließung waren in unserer umherreisenden Spezies schon immer etwas Anormales.“[42]

Ram Adhar Mall plädiert für einen Ausgleich und für eine Verständigung der Religionen in der Gegenwart: „Zur interkulturellen Philosophie und zum interreligiösen Ethos gehört es, sich eine gewisse Überzeugung, eine gewisse Attitüde zu eigen zu machen, und die besagt: Wenn es eine philosophia perennis gibt, und es gibt sie anscheinend, wenn es eine religio perennis gibt, und es gibt diese, dann darf die Tradition – weder die asiatische, noch die europäische – den Anspruch erheben, diese philosophia oder religio perennis alleine bzw. exklusiv zu besitzen. Zu einem offenen Denken gehört die Bejahung sowohl einer säkularen als auch einer sakralen Pluralität.Wenn eine Religion für sich den Anspruch erhebt, die einzig wahre Religion zu sein, wird es schwierig. Wenn die Aussage, meine Religion ist die absolut wahre Religion, bedeutet, dass diese Aussage die absolut gültige Aussage für mich ist, dann hat die interkulturelle Philosophie nichts dagegen. Wenn aber damit gemeint sein soll, meine Religion ist nicht nur für mich und für die Meinen die einzig wahre, sondern für die gesamte Menschheit, dann protestiert die interkulturelle Philosophie. Aber man muss hier wiederum differenzieren. Wenn die Aussage, meine Religion ist nicht nur für mich, sondern für die ganze Menschheit die wahre, als Angebot, als Vorschlag vorgebracht wird, dann kann die interkulturelle Orientierung dies diskutieren. Aber wenn diese Aussage ontologisch, als die Wahrheit, gemeint ist, ist mit solchen Religionen ein Gespräch nicht möglich. Absolutheit nach innen, ja, Absolutheit nach außen, nein.  Unterscheiden muss man zwischen einem theoretischen und einem praktischen Fundamentalismus. Wenn Sie sagen, meine Lesart von Hegel ist die einzig richtige Lesart, dann sind Sie nicht fähig, philosophische Dialoge zu führen. Denn es gibt unterschiedliche Lesarten und diese Lesarten sind inhaltlich manchmal konträr bis kontradiktorisch. Welcher soll ich nun glauben? Es ist eine Forderung der interkulturellen Philosophie, dass man unterschiedliche Lesarten qua Lesarten gleich behandelt, aber für die eigene Lesart mit Argumenten eintritt und sie so, aber nicht aus einer absolutistisch-exklusivistischen Gesinnung heraus, verteidigt. Auch der Gegner liest Hegel, aber er liest Hegel anders. Aber selbst dann, wenn die Lesarten konträr bis kontradiktorisch sind, handelt es sich zumindest um Lesarten von etwas, was wir gemeinsam haben. Gegenargumente sind auch Argumente, mögen sie noch so konträr sein.“[43]

Die Geschichte der Ein- und Auswanderung nach bzw. aus Deutschland zeigt eindeutig, dass es immer wieder zu einer Vermischung und Neuschöpfung von Kultur in jeglicher Form gab.[44] Gerhard Paul bemerkt richtigerweise: „‘Autochtone‘ Kulturen gibt es nicht. So gibt es keine reine oder ‚wahrhaft‘ deutsche Kultur.“[45]

Für Ram Adhar Mall steckt die Entwicklung der interkulturellen Philosophie noch „in den Kinderschuhen“.[46]Die verschiedenen Ansätze einer interkulturellen Philosophie haben in der Tat in den Curricula der Philosophie-Ausbildung der westlichen aber auch nicht-westlichen Universitäten noch keinen oder einen sehr marginalen Platz gefunden. An der Universität Trier existiert eine Forschungsstelle für interkulturelle Philosophie (FIP) mit einer transdisziplinären Ausrichtung.[47] Ram Adhar Mall[48] von der Universität München gehört zusammen mit dem ehemals in den Niederlanden lehrenden Heinz Kimmerle[49] und dem österreichischen Philosophen Franz Martin Wimmer[50] zu den Protagonisten der interkulturellen Philosophie im deutschsprachigen Raum. Seit 1991 ist Mall Gründungspräsident der internationalen „Gesellschaft für interkulturelle Philosophie (GIP) e.V.“. Die GIP ist neben der 1994 gegründeten Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie (WIGIP) die bedeutendste Organisation im deutschsprachigen Raum. Wimmer gibt seit 1998 die Zeitschrift „polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren“ heraus, die „die vielen philosophierenden Stimmen im Kontext ihrer jeweiligen Kulturen und in ihrer Relevanz für andere Kulturen, in allen Arten und Weisen ihrer Artikulation, gleichberechtigt und gleichwertig einander vernehmbar machen“ will.[51]




[1]Marx, J.: Does Culture matter? Eine kritische Betrachtung der These Huntingtons, wonach in kulturellen Differenzen die Ursache zukünftiger Konflikte liege, in: Gerlach, H.-M./Hütig, A./Immel, O.(Hrsg.): Symbol, Existenz, Lebenswelt. Kulturphilosophische Zugänge zur Interkulturalität, Frankfurt/Main 2004, S. 169-186, hier S. 169

[2] Huntington, S.P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 1998, S. 194

[3] Breidbach, S.: Bildung. Kultur. Wissenschaft. Reflexive Didaktik für den bilingualen Sachfachunterricht, Münster 2007, S. 128

[4] Benhabib, S.: Kulturelle Vielfalt und demokratische Grundrechte. Politische Partizipation im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt/Main 1999, S. 52

[5] Mall, R. A.: Philosophie und Philosophen interkulturell gelesen, in: in: Gerlach, H.-M./Hütig, A./Immel, O.(Hrsg.): Symbol, Existenz, Lebenswelt. Kulturphilosophische Zugänge zur Interkulturalität, Frankfurt/Main 2004, S. 29-48

[6] Mall, R.A.: Tradition und Rationalität,  in: Bickmann, Tradition und Traditionsbruch zwischen Skepsis und Dogmatik, a.a.O., S. 30

[7] Paul, G.: Einführung in die interkulturelle Philosophie, Darmstadt 2008, S. 21

[8] Ebd., S. 31

[9] Ebd., S. 7

[10] Hengst, D.P./von Barloewen, C. (Hrsg.): Kulturbegegnungen. Band 1, Osnabrück 2003, S. 24

[11] Yousefi, H.R.: Interkulturalität und Geschichte. Perspektiven für eine globale Philosophie, Reinbek 2010, S. 13

[12] Breidbach, S.: Bildung. Kultur. Wissenschaft. Reflexive Didaktik für den bilingualen Sachfachunterricht, Münster 2007, S. 128

[13] Benhabib, S.: Kulturelle Vielfalt und demokratische Grundrechte. Politische Partizipation im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt/Main 1999, S. 52

[14] Ellingson, T.: The Myth of the Noble Savage, Berkeley u. a. 2001, S. 14

[15] Kohl, K.-H.: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation, Berlin 1981, S. 22f

[16] Gellner, E.: Thought and Change, London 1964, S. 13

[17] Balibar, E./Wallerstein, I.: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin 1990, S. 15

[18] Anderson, B.: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, 2. Auflage, Frankfurt/Main 2006, S. 15

[19]Eibl-Eibesfeldt, I.: Wider die Mißtrauensgesellschaft. Streitschrift für eine bessere Zukunft, München 1995, S. 126

[20] Vgl. dazu Shooman, Y.: Vom äußeren Feind zum Anderen im Inneren. Antimuslimischer Rassismus im Kontext europäischer Migrationsgesellschaften, in: Jäger, M./Kauffmann, H. (Hrsg.): Skandal und doch normal. Impulse für eine antirassistische Praxis, Münster 2012, S. 159-174

[21] Vgl. dazu Baumert, B.: Die Kehrseite der Anschlussfähigkeit. Zur Prä- und Postexistenz des Logos in Auseinandersetzung mit der Christologie von Paul Tillich, Münster 2014, S. 47-56

[22] Lauster, J.: Die Tiefe der Religion und ihre kulturelle Gestaltung. Paul Tillichs religions- und kulturphilosophische Grundlegung des interreligiösen Dialogs, in: Gerlach, H.-M./Hütig, A./Immel, O.(Hrsg.): Symbol, Existenz, Lebenswelt. Kulturphilosophische Zugänge zur Interkulturalität, Frankfurt/Main 2004, S. 49-62, hier S. 58

[23] Tillich, P.: Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen, in: Ders.: Die Frage nach dem Unbedingten, München 1986, S. 51-98, hier S. 98

[24][24]Cassirer, E.: Philosophie der symbolischen Formen, Band III, Darmstadt 1982, S. 235

[25]Cassirer, E.: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. 1910, Hamburg 2000, S. 161

[26]Zitiert nach Schwemmer, O.: Ernst Cassirer. Ein Philosoph der europäischen Moderne. Berlin 1997, S. 145

[27] Noch ergänzen

[28] Die Ethologie ist ein Teilgebiet der Biologie, die sich mit der Erforschung, Beobachtung und Analyse des Verhaltens von Tieren und Menschen befasst.

[29] De Benoist, A.: Aufstand der Kulturen, Berlin 2000, S. 12

[30] Ebd., S. 15

[31] Ebd., S. 20

[32] De Benoist, Kulturrevolution von rechts, a.a.O., S. 141

[33] De Benoist, A.: Die entscheidenden Jahre. Zur Erkennung des Hauptfeindes, Tübingen 1982, S. 51

[34] Ebd, S. 33

[35] de Benoist, A.: Kritik der Menschenrechte. Warum Universalismus und Globalisierung die Freiheit bedrohen, Berlin 2004, S. 73

[36] Vgl. dazu folgende Werke: Eibl-Eibesfeldt, I.: Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, München 1967; Eibl-Eibesfeldt, I.: Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Grundriß der Humanethologie, München 1984; Eibl-Eibesfeldt, I.: Menschenforschung auf neuen Wegen. Die naturwissenschaftliche Betrachtung menschlicher Verhaltensweisen, Wien 1976

[37] Wilhelmi, C.: Anthropologische Konstanten?, Heidelberg 1998, S. 35

[38][38] Eibl-Eibesfeldt, I.: Zukunft multikulturelle Gesellschaft?, in: Eder, R./Mölzer, A.: Einwanderungsland Europa?, Graz 1993, S. 129-142, hier S. 130

[39] Eibl-Eibesfeldt, I.: Wider die Mißtrauensgesellschaft. Streitschrift für eine bessere Zukunft, München 1995, S. 126

[40] Eibl-Eibesfeldt, I.: Wider die Misstrauensgesellschaft. Streitschrift für eine bessere Zukunft, 2. Auflage, München 1994, S. 108

[41] Ebd., S. 112

[42]Appiah, K.A.: Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums, München 2009, S. 19

[43] Zitiert aus Paul, G.: Einführung in die interkulturelle Philosophie, Darmstadt 2008, S. 39

[44] Bade, K.J.: Europa in Bewegung: Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000 oder Bade, K.J. (Hrsg.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992

[45] Paul, Einführung in die interkulturelle Philosophie, a.a.O., S. 19

[46] Mall, R.A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen, Darmstadt 1996, S. 11

[47] www.uni-trier.de/index.php?id=35038

[48] Mall, R.A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philosophie – eine neue Orientierung, Darmstadt 1995

[49] Kimmerle, H.: Einführung in die interkulturelle Philosophie, Hamburg 2002

[50] Wimmer, F. M.: Globalität und Philosophie: Studien zur Interkulturalität. Wien 2003

[51] Shorny, M.: Editorial zu polylog - Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 1, S. 1

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