Neue Rüge aus Straßburg

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Unai Romero war einer der bekanntesten Fälle von Folter in Spanien

Erneut wurde die spanische Justiz aus Europa kritisiert, weil sie Foltervorwürfen nicht ernsthaft nachgegangen ist. Kläger war in diesem Fall Patxi Arratibel, der mit dieser Entscheidung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekam. Das Gericht stellte fest, dass der spanische Staat den Artikel 3 der Europäischen Konvention der Menschenrechte verletzt hat, weil die spanische Justiz die Vorwürfe des Verhafteten aus Navarra nach seinem Durchlauf durch die Folterkeller der Guardia Civil nicht weiter nachgegangen ist. Die europäische Entscheidung fiel einstimmig aus. 

Arratibel wurde im Januar 2011 in seiner Heimatstadt Etxarri festgenommen unter dem Vorwurf, zu der politischen Organisation EKIN zu gehören, die per juristischer Definition ETA zugerechnet wird. Gleichzeitig wurden vier weitere Personen festgenommen, alle wurden in Verließe der Guardia Civil gebracht. Nach der in Spanien üblichen Kontaktsperre von fünf Tagen erklärten vier der fünf Verhafteten, sie seien gefoltert worden, neben Arratibel waren dies Iñigo González, Iker Moreno und Gorka Zabala. Sie zeigten physische und psychologische Folter an: die Anwendung der “Tüte“ bis kurz vor dem Ersticken, Schläge auf den ganzen Körper, Vergewaltigungs-Simulationen, Elektroden. Dazu ständige Drohungen in Bezug auf die Familie.

Arratibel beschrieb dem zuständigen (berüchtigten) Richter Grande-Marlaska das Erlebte und wies darauf hin, dass er in einer der von ihm unterschriebenen Erklärungen (“Geständnisse“) neben seinen Namen das Wort “aztnugal“ schrieb, was in umgekehrter Reihenfolge der Buchstaben auf Baskisch “laguntza“ heißt: Hilfe. Er tat dies, weil er keine anderen Mittel hatte, darauf hinzuweisen, dass er Hilfe benötigte, inmitten der Foltersitzungen, ohne jegliche Rechte.

Nach 18 Monaten wurde Patxi Arratibel freigelassen. Seine Klage auf dem Weg der spanischen Justiz hatte (natürlicherweise) keinen Erfolg, sodass er im September 2013 mit Hilfe der Anti-Folter-Organisation Behatokia (bask: Schutzort) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorstellig wurde.

Nach dem Urteil jenes Gerichts war die der Anzeige folgende Untersuchung weder gründlich noch effektiv. Denn die totale Kontaktsperre und Abschottung von der Außenwelt verpflichtet die Justiz – so die Stimme aus Straßburg – umso mehr, genau zu erforschen, was passiert war. Zum Beispiel wurden die für die Bewachung der Gefangenen zuständigen Polizisten nicht vernommen, ihre Aussagen “hätten zur Aufklärung der Geschehnisse beitragen können, im einen oder anderen Sinn“.

Das Urteil legt wert auf die Feststellung, dass “die Verletzbarkeit der Inhaftierten, die der Kontaktsperre unterliegen, eine rigurose Anwendung von geeigneten Kontrollmaßnahmen erfordert, um Missbrauch zu vermeiden und die körperliche Integrität der Verhafteten zu gewährleisten“. Nichts ist im spanischen Staat weiter von der Realität entfernt.

Das europäische Gericht legt mit diesem Urteil erneut den Finger in eine Wunde, die schon Jahrzehnmte lang nicht heilen kann. Auch die UNO hat sich deswegen schon beschwert. In den vergangenen 50 Jahren wurden wenigstens 10.00 Menschen aus dem Baskenland misshandelt oder gefoltert, einige starben dabei. Nur gegen 10% dieser Personen wurde letztendlich Klage erhoben, was zeigt, dass es bei den Verhaftungen nicht um konkrete Verbrechen ging, sondern darum, Personen unter Folter zu irrwitzigen Aussagen zu zwingen, die wiederum andere belasten – ein Teufelskreis, denn die nächsten Verhaftungen sind somit vorprogrammiert.

Das zweite Problem, das der Europäische Gerichtshof nicht erfassen konnte und kann ist, dass es sich bei der Folter im spanischen Staat und bei den nicht erfolgten Untersuchungen der Foltervorwürfe nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein zynisches System, das auf eine ganze ideologische Gemeinschaft zielt – all jene, die (potentiell) für Sozialismus und Unabhängigkeit im Baskenland stehen. Ob die von Folter Betroffenen bei ETA waren oder nicht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Untersuchung durch das Hochkommissariat der UNO gegen Folter ging in dieser Frage einen Schritt weiter. Von einer Liste von Foltervorwürfen wurde mehr als die Hälfte als hochgradig glaubwürdig eingestuft, kein einziger Vorwurf war nicht glaubwürdig. Was ein Licht wirft auf die Systematik der Folter.

 

Ein weiteres Kapitel in Sachen Folter wird derzeit in Madrid geschrieben, bei einem Prozess gegen 10 Jugendliche, die ebenfalls massive Misshandlungen erlebten, als sie durch die Keller der Guardia Civil geschleppt wurden. Vorgeworfen wird ihnen die Mitgliedschaft in einer verbotenen Jugendorganisation, die zu ETA gehören soll. Die “Geständnisse“ wurden unter Folter erpresst. Zehn Jahre Haft wird für die zehn gefordert. Es ist abzuwarten, ob das Gericht den Vorwürfen der Jugendlichen Glauben schenkt, möglicherweise mit einem nach Straßburg gerichteten Auge. Zwar wäre es nicht der erste Fall, dass selbst die berüchtigte Audiencia Nacional die Polizei-Methoden anzweifelt, dennoch bleiben es Einzelfälle. Das System sitzt weiter fest im Sattel. (Redaktion Baskinfo)

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