Wandzeitung: „Her mit dem sozialen Zentrum!"

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Wandzeitung: „Her mit dem sozialen Zentrum!"

Ob an Bushaltestellen, vor der Kaufhalle oder einfach am Eck. Überall finden sich öffentliche Orte an denen das gesellschaftliche Leben in den Kiezen stattfindet. Nach unserer ersten Wandzeitung zu Fluchtursachen widmen wir diese Ausgabe der Notwendigkeit von sozialen Zentren als Orte der Organisierung und des gemeinsamen Kampfs. Ihr könnt euch gedruckte Wandzeitungen im Redstuff (Waldemarstraße 110, 10997 Berlin) abholen und verkleben oder uns eine Mail schreiben.

In die Offensive! Vom Widerstand gegen Gentrifizierung zum Aufbau von Gegenmacht.

Die Bezirke, in denen wir einst wohnten, haben sich verändert. Es wird teuer, zu teuer für uns und für viele andere, die aus Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln verdrängt werden. Freiräume verschwinden, gewachsene soziale Milieus, Freundeskreise, Nachbarschaften werden zerrissen. Es entstehen Luxusappartements, Carlofts, überteuerte Restaurants. Polizeiliche Maßnahmen sollen die Konformität in den Kiezen absichern, wer nicht ins Raster passt, soll weichen. Jenseits der Innenstadtbezirke lebt man in den Plattenbausiedlungen von Hellersdorf, Marzahn, Köpenick, Neukölln-Britz ohne den Charme, den Berlin sich so gerne auf die Fahnen schreibt, in einem noch viel graueren Alltag, der nicht selten von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt ist. Darauf, wie die Stadt, die wir als Bauarbeiter_innen, Kellner_innen, Kulturschaffende, Reinigungsarbeiter_innen und in vielen anderen Berufen produzieren und gestaltet wird, haben wir kaum Einfluss. Es sind diejenigen, die mit Grundstücken und Immobilien Profit machen, und deren politische Repräsentanten von Grün bis Schwarz, die entscheiden, wie die Stadt aussehen soll und wer wo zu leben hat. Bist du nicht wohlhabend genug, dann wohn eben nicht in Mitte oder Kreuzberg. Die Mieten werden unbezahlbar, die Löhne sind niedrig, viele haben überhaupt keine Arbeit, mit der sie über die Runden kommen. Wer nicht bezahlen kann, wird zwangsgeräumt oder findet erst gar keine Wohnung. Denn für den Kapitalismus sind nicht wir und unsere Bedürfnisse der Maßstab, sondern die endlose Anhäufung von Kapital.

    Vom Widerstand ...

Gegen Gentrifizierung und Verdrängung gibt es seit langem Widerstand. Demonstrationen wie die antikapitalistische Walpurgisnacht und der revolutionäre 1. Mai haben das Thema aufgegriffen. Bündnisse wie „Zwangsräumung verhindern“ versuchen, praktisch dort zu helfen, wo Menschen mit Gewalt aus ihren Wohnungen und Vereinsräumlichkeiten vertrieben werden sollen. Andere Gruppen wählen den Weg direkter Angriffe auf Luxusimmobilien oder die Büros der Verantwortlichen. Der Widerstand ist vielfältig, auch wenn er noch wachsen muss, um wirklich Wirkung zu zeigen. Wollen wir einen Schritt weiter gehen, über die ersten Formen des Widerstands hinaus, hilft uns ein Blick in andere europäische Länder, von deren Bewegungen wir lernen können. Auch bei den Massenaufständen auf dem Athener Syntagma-Platz, der Puerta del Sol in Madrid und im Istanbuler Gezi-Park spielte der Kampf um das „Recht auf Stadt“ eine wichtige Rolle. Dieser Kampf hat viele Ebenen: „Die Frage, welche Art von Stadt wir wollen, kann nicht getrennt werden von der Frage, welche sozialen Beziehungen, welche Beziehung zur Natur, welche Lebensweisen, Technologien und ästhetischen Werte wir uns wünschen. Der Kampf um das Recht auf Stadt ist weit mehr als das um den individuellen Zugang zu urbanen Ressourcen. Er ist der Kampf um das Recht, uns selbst zu verändern, indem wir die Stadt verändern“, schreibt David Harvey. Die Menschen begannen, sich öffentliche Plätze anzueignen, diskutierten in Stadtteilforen und Räten, und schufen so ihre eigenen Entscheidungs- und Organisationsstrukturen. Es entstanden Kooperativen und Formen der gegenseitigen Hilfe und Selbstermächtigung. In Istanbul wurde ein Haus besetzt und zur selbstorganisierten Klinik umfunktioniert, im Armenviertel Küçük Armutlu wird ohne Genehmigung und Zustimmung des Staats selbst gebaut und umgestaltet, die Errungenschaften werden militant verteidigt. In Griechenland schlossen sich Aktivist_innen zu Nachbarschaftszentren zusammen und teilten ihre Fähigkeiten und Ressourcen.

    ... zur Offensive

Damit wir aus den defensiven Kämpfen in die Offensive kommen, brauchen wir ein Konzept von Gegenmacht. Wir müssen uns Infrastruktur schaffen, von der aus wir Kerben in das Bestehende schlagen können. Ein Projekt, das in diesen Bereich fällt, ist die Erkämpfung eines sozialen Zentrums. Viele Orte des gemeinsamen Lebens, Schaffens, Träumens sind uns über die Jahre genommen worden. Es ist an der Zeit, das wir uns wieder mal etwas nehmen. Also: Wir wollen uns ein soziales Zentrum an eignen und gemeinsam aufbauen. Wir brauchen einen Ort, an dem es möglich ist, sich zu treffen, zu diskutieren, zu arbeiten, zu lachen, zu feiern - und vor allem zu kämpfen. Direkte Solidarität zu üben, sich zusammenzuschließen und sich zu unterstützen; einfach gesagt, einen Ort, um gemeinsam Pläne für eine bessere Zukunft zu schmieden und eine Gegenmacht zu dem, was wir so hassen, aufzubauen. Wir holen uns gemeinsam das soziale Zentrum!

 


 

Erzählung über das besetzte soziale Stadtteilzentrum Kukutza in Bilbao

„Mit der Besetzung wurde Raum geschaffen, andere solidarischere Gesellschaftsentwürfe zu leben“

 

N. und R. haben uns von dem besetzten sozialen Stadtteilzentrum Kukutza in Bilbao erzählt:

N: Das besetzte Gaztetxea (soziales Zentrum) Kukutza in Bilbao, Baskenland, begann 1996. Nach zwei Räumungen besetzten sie das Kukutza III in einer leeren mehrstöckigen Fabrik im Arbeiter_innen-Viertel Rekalde. Ab Sommer 2011 wurde es nach 13 Jahren Aktivität von Räumung bedroht. Ein Investor hatte angekündigt an seiner Stelle Wohnungen bauen zu wollen.

R: Am 21.09.2011 wurde die Räumung trotz entschlossenen Widerstands und zwischenzeitlicher Erfolge durch massive Polizeigewalt und u.a. mit der Sprengung verbarrikadierter Türen durchgesetzt. Das Viertel wurde abgesperrt, sowie Demonstrationen, Anwohner_innen und solidarische Personen angegriffen, mit Prozessen und U-Haft überzogen. Die Räumung stieß auf viel Wut, mehrere Tage lang passierten Demos und Aktionen, auch über Bilbo hinaus.

N: Im Zentrum waren hunderte Leute aus dem Viertel und darüber hinaus aktiv. Es gab täglich Programm, von Werkstätten und Kneipenbetrieb über Kindergruppen, Tanzen, Klettern und weitere Sportarten, Musikräume, -unterricht und Theater, sowie gemeinsames Kochen und Essen mit hundert Menschen. Der Umsonstladen war so groß wie ein Kleidungsgeschäft, es gab auch ein Büro, eine Bibliothek, und unten in der großen Halle Versammlungen, Konzerte und regelmäßig einen Markt mit lokalen landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkten u.v.m. Natürlich war das Kukutza trotz der massiven Repression gegen baskische Bewegungen durch den spanischen Staat auch ein Ort für vielfältige politisch aktive Zusammenhänge.

R: Es war in Bilbao, v.a. Fürs Viertel Rekalde der soziale, kulturelle und politsche Dreh- und Angelpunkt. Den Satz „Alles, was dieses Viertel hat, hat es sich erkämpft“ ist ständig präsent und zeigt die Entschlossenheit, das Erkämpfte zu verteidigen. Das Projekt hatte auch international einen hohen Stellenwert. Von der Vielfalt der Menschen, ihrer Entschlossenheit und der Solidarität untereinander haben wir viel gelernt. Nur wenige Tage nach der Räumung wurde unter massivem Protest der Abriss des Hauses durchgesetzt, auf dem Areal ist bis heute Brachfläche. Im Baskenland sind Gaztetxeas (soziale Zentren) vor allem Be-
zugspunkt für Stadtteile bzw. Nachbarschaften - dem Stadtteil Errekalde wurde der soziale und kulturelle Treffpunkt gestohlen. Aber die Solidarität untereinander ist gewachsen, das ist noch heute zu spüren.

N: Ein Ort wie das Kukutza ermöglicht Menschen zusammen zu kommen, sich auszutauschen und zu organisieren. Mit der Besetzung wurde Raum geschaffen, andere, solidarischere Gesellschaftsentwürfe u.v.m. zu diskutieren, auszuprobieren und zu leben. Der konsumorientierten, neoliberalen und vielfach diskriminierenden Realität wurde ein soziales Zentrum entgegengestellt, in dem etliche gemeinsame Aktivitäten Platz fanden und an solidarischen Konzepten gearbeitet werden konnte.

N: Wäre es noch da, ich würde euch einladen, es selbst zu erleben. Doch viel besser ist: Selber machen! Besetzt die Häuser, eröffnet ein, zwei, viele soziale Zentren - überall!

 

Videodokumentation zum Kukutza: https://youtu.be/UnIMYQmiFB8

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