[Kolumbien] Rauschgift – ein Problem aller

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Kokaplantage in Cauca

Nachfolgend ein Artikel aus der Resistencia International zum komplexen Drogenproblem, der trotz des Erscheinungsjahres (Jahr 2000), nicht an Aktualität eingebüßt hat. Erst am 14. Dezember veröffentlichte die Friedensdelegation der FARC-EP ein Kommuniqué, in dem sie zurückweisen, dem organisierten Drogenhandel anzugehören.

Der Rauschgifthandel ist ein schwerwiegen­des nationales und internationales Problem. Er verkör­pert falsche Illusio­nen Hunderttausender Ausgestoßener in Stadt und Land, eine Doppelmoral der kapitalistischen Händler, der korrupten Regierenden, des Militärs und der Paramilitärs. Der Drogenhandel ruft die Erinnerung an die herrschende Clique wach, von deren Kolumbiens korrupte politische Klasse und das Unternehmertum über Jahre beherrscht war. Bis die Guerilla ein Gegengewicht schaffte. Auf der einen Seite sehen wir heute einen US-Botschafter, der das Wort der „Drogen-Guerilla“ prägte und dann dabei ertappt wurde, wie er die mittelamerikanischen Contras mit Geldern aus dem Drogenhandel finanzierte.

Kürzlich kaufte derselbe Botschafter durch Bezahlung der Kaution einen befreundeten Drogenkurier aus dem Gefängnis frei. Auf der anderen Seite sehen wir Dutzende Latinos, die in den Sicherheitstrakten der Gefängnisse schmoren.

Man muss sich darüber klar werden, dass der Drogen­handel ein rein kapitalistisches Phänomen ist, in das mächtige makroökonomische Interessen aus der ganzen Welt involviert sind. Im Handel, in den Finanzen und in der Politik. Es ist ein enormer Markt, der Geldsummen bewegt, die 20 bis 30 Prozent des Welthandels entsprechen. Der Handelswert für Drogen ist größer als der des Erdöls. Er wird nur noch vom Waffenhandel übertroffen.

Das hat zur Folge, dass in dem Gesellschafts-„Modell“, das die USA sein wollen, der Kokainverbrauch weiterhin steigt. Sogar bei den 12- bis 17jährigen. Marihuana, von dem sie so viel rau­chen, stellt heutzutage das Hauptan­bauprodukt dar (der Anbau wurde technisch so entwickelt, dass man es heute schon in Schränken kultiviert). Es repräsentiert einen Handelswert von 32 Milliarden US-Dollar.

Die Lieferanten der für die Her­stellung von Kokain notwendigen che­mischen Substanzen sind vor allem US-Amerikaner und Europäer, die damit die größten Gewinne des Drogenmark­tes einstreichen und reich werden, die dann auch die Chemikalien zur Ver­nichtung der Kulturen, die Waffen und sogar die Sonnenhüte der Anti-Drogen­polizei liefern. Sie sind es also, die in einem perversen Teufelskreis dieses Problem erst schaffen, um ihr vielseiti­ges Geschäft und ihre unverschämte Einmischung zu rechtfertigen, als würde dies die Lösung bringen.

Auf diese Weise macht der Kapitalismus sein Geschäft mit der Krankheit und mit dem angeblichen Heilmittel. Während die USA seit 1981 lediglich 250 Millionen Dollar für den Kampf gegen den Drogenkonsum ausgegeben haben, waren es in den Ländern der „Dritten Welt“ 21 Milliarden. Das heißt, sie verdienen an allen Ecken und Enden, denn außerdem streifen sie uns, den Lateinamerikanern, das Büßer­hemd über. Sie entfachen Kriege, brin­gen uns die ökologische Zerstörung, zwingen uns die entwürdigende Auslie­ferung von Bürgern unserer Länder auf.

Ein besonders entwürdigendes Bei­spiel: Mitten im laufenden Prozess des Friedensdialogs formierten sie ein Bataillon von 1 000 Mann, um die auf­ständische Bewegung in Kolumbien zu bekämpfen. Sie begründeten dies mit dem Märchen von der Verfolgung des Drogenhandels, und der Herr Präsident, der immer erklärt, er tue „alles für den Frieden“, hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich dazu herabzulassen. Er macht sich zum Handlanger der Lügen.

In Kolumbien ist der Drogenhandel mit den vom Staate gestützten Paramilitärs, den Großgrundbesitzern sowie der liberal-konservativen politischen Klasse verfilzt. Das sind die perfekten Verbündeten der sogenannten Gegen-Agrarreform. Ihre Anführer haben sich auf gewaltsame und schmutzige Weise mehr als vier Millionen Hektar der besten Böden angeeignet und damit die ungerechte Verteilung der Pro­duktionsressourcen auf dem Lande, wo sieben Millionen kolumbianische Bauern im Elend leben, weiter ver­schärft. Sie haben in bedeutendem Maße zu der dramatischen Zahl von anderthalb Millionen vertriebener Landsleute beigetragen, ganz zu schweigen von den „Verschwunde­nen“, den Massakrierten und den mit Motorsägen Verstümmelten. Die Regierenden haben den Drogen­handel immer zugelassen und sich an ihm bereichert. Einige Experten spre­chen von einem Wachstum des Natio­naleinkommens von 1,5 Prozent bis zwei Prozent, das aus diesem Geschäft resultiert. Aber auch hier gelten die Gesetze des Kapitalismus: Die Nutz­nießer sind einige wenige, während auf der anderen Seite dieses gewalt­trächtigen und schmutzigen Teu­felskreises 400 000 Landsleute aus­schließlich im Anbau der Pflanzen tätig sind, die – wie das Plenum des Zen­tralen Generalstabes der FARC-EP im November 1997 feststellte – „Opfer einer ungerechten sozialen Situation sind, denn sie werden in ihrer Mehrheit gewaltsam in andere Gebiete des Lan­des vertrieben, wo ihnen das Recht auf Arbeit, auf ein Dach überm Kopf, auf medizinische Betreuung sowie Erzie­hung verweigert wird und sie dadurch als einzige Überlebensalternative ge­zwungen sind, sich dem verbotenen Kokainanbau zu widmen. Sie sind Teil der Bauernschaft und Opfer der Vertrei­bungen und der staatlichen Ausbeu­tung.“

Und eben deshalb wollen die jungen Bewohner der Regionen, in denen Kokain angebaut wird, auch nicht mit Drogenhändlern gleichgesetzt werden. Für sie ist dieses Wort ein Synonym für Räuber, Betrüger, Mörder und Mafioso.

Aus all diesen Gründen kann eine Lösung dieses gesellschaftlichen Pro­blems, das sowohl ein Problem von uns als auch der gesamten Menschheit ist, nicht weiterhin in der ökologischen Zerstörung durch Giftzerstäubung und gewaltsame Vertreibungen liegen. Zumal diese Praxis zur ständigen Ausweitung der Vernichtung von Wäl­dern und anderen Agrarflächen führt. Sie kann auch nicht auf militärischem Wege erfolgen. Worauf es ankommt, ist, den Drogenkonsum in den reichen Ländern substantiell einzuschränken, den Verkauf der für die Herstellung benötigten Mittel zu kontrollieren und die Drogendealer ernsthaft zu verfol­gen. In unserer Plattform für eine Regierung der nationalen Versöhnung und des Wiederaufbaus fordern wir, dass die Lösung auf internationaler Ebene bei Respektierung der Souveränität jedes Landes ausgehan­delt werden muss.

Die Lösung in den produzierenden Ländern kann notwendigerweise nur über eine radikale Umverteilung des Bodens und der anderen Ressourcen erfolgen. Das wiederum erfordert die Ausarbeitung von Plänen, die auf regio­naler Ebene abgestimmt werden und auf eine langfristige und gesicherte alternative Entwicklung gerichtet sind, eine Entwicklung, die ihrerseits eine autonome Nutzung der Umweltres­sourcen ermöglicht und dabei auch die Ablösung verbotener Anpflanzungen durch gesellschaftlich nützliche Produk­te vorsieht.

In diese Richtung zielt der Vorschlag, den Landkreis Cartagena del Chaira, dessen Wirtschaft hauptsächlich vom Kokain abhängt, den FARC-EP zu un­terstellen. Danach sollen unter unserer Leitung die Bewohner einen alternati­ven Entwicklungsplan erarbeiten und verwirklichen, der auf die finanzielle Unterstützung der an gerechten Lö­sungen interessierten internationalen Gemeinschaft rechnen kann. Dieser Vorschlag entspringt der Überzeugung, dass die dringende Lösung dieses Problems nicht von den Fortschritten beim Friedensdialog abhängig gemacht werden darf, obwohl diese natürlich einen bedeutenden Impuls dafür dar­stellen könnten. Vorausgesetzt, es wird der Beweis erbracht, dass es Alternativen gibt, die der Bevölkerung dienlich sind und in der Tat zu einer beginnenden Einschränkung der verbotenen Anpflanzungen führen. Dies auch, weil alle einigermaßen informierten Menschen wissen, dass die Vernichtung durch die Zerstäubung chemischer Substanzen einen kontraproduktiven Effekt hat, da die Bauern für jeden Hektar ver­nichteter Pflanzungen anderthalb Hektar neu aussäen. Es handelt sich also um ein Phänomen, dem nicht beizukommen ist, solange den Menschen keine anderen rentablen und würdigen Optionen geboten wer­den.

Wir sind offen für die Debatte, damit wir Kolumbianer in dieser wichtigen Angelegenheit zum Kern der Dinge vor­dringen. Es gibt andere ernstzunehmen­de und begründete Vorschläge, wie den der Legalisierung, die von dem Jour­nalisten Antonio Caballero propagiert wird. In den verschiedenen gesellschaft­lichen und akademischen Kreisen gibt es viele Kritiken und Vorschläge, die wir Kolumbianer ernsthaft prüfen sollten.

Für diese nationale Diskussion stellt die von den FARC-EP verwaltete „Zona de despeje“ einen geeigneten Ort dar. Ob sie es bleibt, wird vom Willen der Regierung abhängen. Sie muss es fertigbringen, diese Zone, trotz der aggressiven Kampagne der Feinde des Friedens, aufrechtzuerhalten. Der Gegner ist stark. Er versucht mit Hilfe der Medien die Realität zu verdrehen und schlecht zu machen, was der Vernunft entspringt. Er kämpft gegen Menschen an, die ihren Intellekt und ihre Kraft in den Dienst eines neuen Kolumbiens stellen.

 

Aus: Resistencia International 01 (Deutsche Ausgabe), Mai bis August 2000, Seite 15-17

 

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