Das Märchen "hohe Lohnkosten"

Zetern die einen, die Löhne fräßen die Profite weg, preisen die andren sie als Mittel der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums. Beide Seiten treffen sich im Lob deutscher Sozialpartnerschaft und Unterordnung unter das vorgebliche Allgemeinwohl. Doch die Unterstellung, die Höhe der Löhne hätte irgendeinen Einfluss auf die Höhe der Profite oder ihre Verteilung, ist nichts als ein antidemokratischer nationaler Mythos.

Die Klage der Kapitalisten über angebliche Konkurrenzunfähigkeit aufgrund der hohen Löhne bzw. Lohnnebenkosten in Deutschland hat ihr Gegenstück in dem linken Märchen, durch Lohnerhöhung eine Scheibe vom produzierten Mehrwert abschneiden und unter das Volk verteilen zu können. Dieses Märchen ist so alt wie die Legalisierung der Sozialdemokratie. Seine Basis ist die Verkehrung des Zusammenhangs von Lohnarbeit und Kapital. Es beförderte stets die Einsicht in die Notwendigkeit für die Masse der Lohnabhängigen, zugunsten des Wohlergehens des nationalen Arbeitgeber-Standes Verzicht zu leisten. Dabei legitimierte dieser Mythos vor allem die Aufrechterhaltung der Vorstellung nationaler Hierarchie; wirtschaftlich erfüllt er keinen Zweck. Das ganze Thema ist ein Sinnbild des herrschenden Irrationalismus. Die Lohnkosten haben nichts mit der Mehrwertrate zu tun, da diese ausschließlich auf dem Grad der produktiven Ausnutzung unbezahlter Mehrarbeit im durchschnittlichen Gesamtarbeitstag beruht, die aufgrund der Exklusivität der Eigentumsverhältnisse ausgepresst werden kann. Sie haben auch nichts mit der Höhe der Profite zu tun, aus dem formalen Grund, da sie der Kalkulation zugrunde zu legen sind. Egal wie hoch die Lohnkosten auch immer, geben sie stets den Wert der Arbeitskraft an, ausgedrückt in ihrem Preis, als ob es sich bei ihr um eine x-beliebige andere, in der Produktion benötigte, Ware handelte. Der Grund des steigenden Preises der Arbeitskraft, den die Lohnabhängigen zurecht geltend machen, ist der Erfolg der kapitalistischen Produktionsweise: der stetigen Ausweitung und Vertiefung des kapitalistischen Verwertungsprozesses. Was in der nationalen Mythologie Entfremdung heißt, das Vordringen des Kapitalismus in sämtliche Lebensbereiche und die Verwandlung sämtlicher Lebensäußerungen in profitbringende Konsumtionsakte, geht ein in den Wert der Arbeitskraft und erhöht ihren Preis (freilich spielen in der Preisbildung weitere Faktoren eine Rolle). Lohnerhöhungen haben nichts damit zu tun, die Ausbeutung zu beenden. Umgekehrt gilt dasselbe: die Drückung des Preises der Arbeitskraft unter ihren Wert hat keinen Einfluss auf den Anteil unbezahlter Mehrarbeit, steigert nicht die Produktivität und trägt somit auch nichts zur Herstellung von Konkurrenzfähigkeit bei. Die Sache der Arbeitgeber-Lohndrückerei hatte einen harten materiellen Kern in der historischen industriellen Struktur der produktiven Ökonomie und ihrer volkswirtschaftlichen Zusammenfassung und Bewertung. Deren Kennzeichen waren ein starkes Übergewicht der weltmarktorientierten Produktionsgüterindustrien und die Marginalisierung der Konsumgüterindustrie im Staatsgebiet. Die schwerindustriellen Komplexe des Ruhrgebietes, die an dieser historischen Struktur einen wesentlichen Anteil hatten, sind jedoch Vergangenheit. Noch weiter zurückliegende Vergangenheit sind die Gutswirtschaften preussischer Junker mit ländlicher Elendsbevölkerung auf Subsistenzbasis. Nationale Selbstversorgung war von jeher nichts als Mythos. Der Mythos bezeugt die Verlagerung des Schauplatzes der Klassenauseinandersetzung von einem Kampf um das Prinzip der Ausbeutung hin zu einem Kampf darum, wem wessen Geld gehört, verbrämt als gerechte Gewinnbeteiligung. Er machte einen unerfreulichen historischen politischen Sinn, als gegen eine starke revolutionäre Arbeiterbewegung die sozialdemokratische Integrationspartei in Stellung gebracht wurde. Heutzutage kann von einer solchen Notwendigkeit keine Rede sein. Eine radikale antagonistische Arbeiterbewegung existiert nicht. Ebensowenig Subsistenzwirtschaft. Allenfalls das Schreckgespenst des Staatssozialismus läßt sich noch ausmalen. Im Gegenteil erweist der Mythos deutlich seine Afunktionalität im Zusammenhang des Weltsystems des Kapitalismus. Da nicht zu erwarten ist, dass sich irgendwo jene Helotenvölker finden lassen, die sich bereit erklären, die natürliche Überlegenheit der deutschen Bourgeoisie und ihres folgsamen Anhangs anzuerkennen, wäre es besser, wenn sich die nationale Bourgeoisie eher mal ökonomisch etwas anstrengen und von ihrem Statusdenken verabschieden würde. Die Sozialdemokratie müßte sich von ihrem Politikmodell gerechter Gewinnbeteiligung trennen. Einzig für die organisierte und nicht organisierte ArbeiterInnenschaft bliebe im Prinzip alles beim Alten: sie bekommt, was sie verdient.

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Ergänzungen

Na ja, auf ner hohen Abstraktionsstufe habt ihr zwar recht, aber leider reicht eine Abstarktion nicht aus, die konkrete kapitalistische Vergesellschaftung zu beschrieben und euch fehlt jedes Verständniss für einen global organisierten Konkurrenzkapitliamus in denen  nationale Wettbewerbsstaaten agieren, mit ihren reallen Erpressungspotentialen. Mit sowas könnt ihr bei Unisseminaren punkten, für den reallen Kampf ist eine solche Abstraktion, ohne die Übersetzung in konkrete Gesellschaftsverhältnisse, zu banal.