(MH) Tanzdemo für Wissollstraße von Polizei verhindert

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Am Freitag den 22.08. sollte die zweite Tanzdemo für den Erhalt der Wissollstraße in Mülheim an der Ruhr stattfinden. Die Polizei machte die Durchführung jedoch unmöglich, so dass die Demo auf halber Strecke aufgelöst werden musste. Für 18 Uhr hatte die BI "Wissollstraße erhalten" unter dem Motto "Tengelmann stoppen - Wissollstraße bleibt!" aufgerufen. Obwohl das Wetter sich genau für diese Uhrzeit zum ersten Wolkenbruch des Tages entschloss fanden sich 150 Unterstützer_innen beim Auftakt auf dem Kurt-Schumacher-Platz ein.

Bereits hier fiel das, im Vergleich zum Vorjahr, deutlich erhöhte Polizeiaufgebot samt Kamerawagen auf. Einige Ankommende berichteten, dass die geplante Demoroute zusätzlich an diversen Stellen von Polizei gesäumt sei.
Dennoch ging es nach einigen kurzen Redebeiträgen bei guter Stimmung und begleitet von elektronischer Musik der DJs auf dem Lauti sowie einer Samba-Kapelle los in Richtung Wissollstraße. Doch bereits nach ca. ¼ der Wegstrecke musste ein ungeplanter Stop eingelegt werden, um die Polizei vom Unterlassen des wie immer unrechtmäßigen Filmens zu überzeugen. Einige hundert Meter weiter fiel die Polizei dann erneut unangenehm auf, als sie den Zugang zu einem Kiosk absperrte an dem einige Demonstrant_innen noch Wegzehrung ergattern wollten. An dieser Stelle schloss die Polizei einen Teilnehmer von der Demo aus, weil er eine verschlossene Flasche Bier mit sich trug. Diese unsinnige Aktion, wurde von der Demo nicht einfach akzeptiert und es wurde beschlossen an Ort und Stelle zu verweilen, bis die Person zurück auf die Demo gelassen würde. Dazu machte die Polizei jedoch keinerlei Anstalten. Im Gegenteil, begann sie immer wieder Teile der Demo körperlich anzugreifen, die ihren Unmut über die überzogenen Aktionen und das wieder aufgenommene Filmen der Demo verbal äußerten. Dabei überrannten sie auch völlig rücksichtslos eine rollstuhlfahrende Teilnehmerin. Nur durch schnellen Einsatz der Umstehenden konnte das Umkippen des E-Rollis und unabsehbare gesundheitliche Folgen für die Fahrerin, verhindert werden. Dieser Einsatz wurde jedoch zum Anlass genommen den 17 jährigen Sohn der Rollstuhlfahrerin in Gewahrsam zu nehmen.
Insgesamt wurden auf der Duisburger Straße drei Leute in Gewahrsam genommen. Ca. 6 weitere wurden von der Polizei zu ihren Wannen gezerrt, teilweise brutal am Boden fixiert und ihre Personalien kontrolliert. Nach Polizeiangaben wurden gegen 6 Personen Anzeigen gestellt.
Aufgrund der immer wieder einsetzenden Angriffe der Polizei auf die Demo, entschloss sich der Versammlungsleiter letztlich die Veranstaltung aufzulösen. Dies passierte von Seiten der Veranstalter_innen einzig und allein aus dem Grund um weitere gesundheitliche Schäden unter den Demonstrant_innen zu verhindern und weiteren sinnlosen Ingewahrsamnahmen durch die Polizei vorzubeugen. Die Aussage der Polizei sie habe die Demonstration „beenden müssen“ um die Sicherheit der Leute zu gewährleisten ist falsch.
Leider war für einige Demonstrant_innen die skandalöse Behandlung damit noch nicht vorüber. Bei dem o.g. 17jährigen handelt es sich um einen amerikanischen Staatsbürger, der keine Dokumente zur Identifizierung bei sich trug. Noch vor Ort machte die Mutter die Polizei auf diese Tatsache aufmerksam, und bot vergeblich eine Identifikation per Geburtsurkunde an. Stattdessen wurde der Jugendliche zur Polizeiwache gebracht. Verständlicherweise versuchte die Mutter umgehend herauszufinden wohin ihr Sohn gebracht wurde und wann sie ihn abholen könne. Sie erhielt jedoch lediglich die pauschale Auskunft, wegen des fehlenden Passes könne „das Tage dauern“. Zudem drohten ihr die Beamten am Telefon lieber nicht selbst vorbei zu kommen, „sonst lande sie auch noch in Gewahrsam“. Anstelle einer Identifikation durch die Mutter entnahm die Polizei illegitimerweise eine DNA- Probe und Fingerabdrücke bei dem Minderjährigen.
Zusammenfassend verweigerte also die Polizei der einzigen auf diesem Kontinent lebenden Erziehungsberechtigten den Kontakt zu ihrem minderjährigen Sohn. So blieb letztlich nur der Weg, das amerikanische Konsulat zu benachrichtigen, welches seinerseits einen Anwalt einsetzte. Dies führte schließlich um ca. 2 Uhr nachts zur Entlassung des Jugendlichen.
Wir halten es für absolut inakzeptabel, dass aus einer von unserer Seite völlig friedlichen Veranstaltung eine solche Polizeiaktion mit internationaler Dimension werden konnte.
Abgesehen von diesem beschrieben Fall, mussten im Anschluss an die Demo noch mindestens zwei Personen im Krankenhaus behandelt werden.

Auch wenn es der Polizei am Freitag leider gelungen ist die Ziele unserer Demonstration in den Hintergrund zu drängen, werden wir es uns auch in Zukunft nicht nehmen lassen, für den Erhalt der Wissollstraße und bezahlbaren Wohnraum zu demonstrieren. Wir werden weiter die sozialen Fragen da aufwerfen, wo wir es für nötig halten.

Leider ist es uns aufgrund der völlig unerwartet chaotischen Ereignisse, während und nach unserer Tanzdemo am letzten Freitag erst jetzt gelungen hier einen Bericht zu veröffentlichen.

Tengelmann stoppen – Wissollstraße bleibt!

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Ergänzungen

hier noch der Aufruf zur Demo letzten Freitag

Tengelmann stoppen – Wissollstraße bleibt!

Seit gut zwei Jahren versucht Tengelmann drei Häuser an der Wissollstraße in Mülheim Speldorf abzureißen. Ebensolang regt sich dagegen Widerstand bei Bewohner_innen, Nachbar_innen und Unterstützer_innen. Offiziell begründet werden die Abrisspläne damit, dass es unmöglich sei, die ca. 100 Jahre alten Häuser sinnvoll wirtschaftlich zu verwerten und diese sich in einem abrisswürdigen Zustand befänden.
Stand der Dinge
In Folge der Abrissdrohung erarbeiteten die Bewohner_innen und Unterstützer_innen der Wissollstraße Konzepte für eine sinnvolle Weiternutzung aller drei Häuser und holten ein Gutachten eines unabhängigen Architekten ein, dass den Häusern eine solide Bausubstanz bescheinigt. Leider gelang es Tengelmann inzwischen zwei der drei Häuser leerzuziehen, so das heute nur noch das Haus Nummer 55 von einer WG bewohnt ist. Dieses wurde 1995 besetzt und dadurch bereits schon einmal vor dem Abriss bewahrt. Hierfür wurde schließlich ein Kaufangebot gemacht. Ungeachtet dessen blieb der ignorante Konzern bei den Abrissplänen und reichte im Dezember 2013 Räumungsklage gegen die Mieter der Wissollstraße 55 ein. Trotz diverser juristischer Unstimmigkeiten gab das Amtsgericht Mülheim der Klage im März 2014 statt. Noch während der Berufungsfrist versuchte Tengelmann mittels einer Zwangsräumung Fakten zu schaffen und das Haus abzureißen. Doch die WG ging in Berufung und das zuständige Landgericht Duisburg setzte die Zwangsräumung in letzter Minute vorläufig aus. Nun läuft dort das Berufungsverfahren.
Tengelmann gibt mittlerweile an, an der Wissollstraße ein Studiwohnheim, für die im Bau befindliche Fachhochschule, errichten zu wollen. Obwohl Studentenwerk und Hochschulleitung einen Neubau an andrer Stelle favorisieren, stellt Tengelmann seine Baupläne kommunal gerne als eine Art Sozialprojekt dar, dass Student_innen preiswertes Wohnen ermöglichen soll. Vor dem anfangs ins Feld geführten Argument der wirtschaftlichen Verwertbarkeit wird aber immer klarer, dass es dem Unternehmen um eine optische „Aufwertung“ des Viertels um die eigene Konzernzentrale, sowie die möglichst gewinnorientierte Nutzung der eigenen Grundstücke geht. Sollte es jemals zum Bau eines Studi-Wohnheims an der Wissollstraße kommen, werden wir die geforderten Mieten kritisch im Auge behalten.
Obwohl für die Umsetzung der Baupläne der Abriss aller drei Häuser nötig wäre und das Haus Nr. 55 nach wie vor bewohnt ist, hat Tengelmann im Juni mit dem Abriss der beiden Häuser Nr. 51 und 53 begonnen, wobei auch die 55 beschädigt wurde. Nach wie vor werden Tatsachen geschaffen, die eine Weiternutzung der Häuser in der ursprünglichen Form unmöglich machen.
Verfehlte Stadtentwicklungen
Solche Entwicklungen sind natürlich kein Einzelfall. In allen Großstädten, vermehrt aber auch in kleineren Städten werden bezahlbarer Wohnraum und alternative Entfaltungsmöglichkeiten zunehmend verdrängt. Ganze Städte werden durchkommerzialisiert und optisch so vereinheitlicht, wie es ins Konzept von Investoren und Stadtplanern passt. Das führt vielerorts, immer wieder zu sozialen Konflikten.

In diesem Sinne, kommt am 22.08.2014 zur Demonstration nach Mülheim.
Die Stadt gehört uns allen – Wissollstraße bleibt!

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