Re: Wenn Nazis über Nazis schreiben

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Den folgenden Text hab ich am 25.7. als Kommentar unter folgende Artikel gesetzt:

 

https://linksunten.indymedia.org/de/node/119183 

http://de.indymedia.org/node/1384 

 

Auf Anraten von Freund_innen und Bekannten hab ich mich entschieden, einen eigenen Artikel daraus zu machen, weil ich die erhobenen Vorwürfe nicht unwidersprochen stehen lassen möchte und außerdem einige Erklärungen von den Autor_innen des ursprünglichen Textes erwarte.

 

ZEHN FRAGEN UND MEINE ENTGEGNUNG

 

In der Ostukraine herrscht bekanntermaßen Krieg, und ein wesentlicher Motor dieses Krieges ist Nationalismus. Die ultra-nationalistische Svoboda war an der Regierung beteiligt, die gestern zurückgetreten ist, und das Innenministerium hat ganz offiziell eine neue Spezialeinheit namens Azov geschaffen. Zur Veranschaulichung, hier deren Logo, mehr gibt's bei google:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Azov_Batallion_logo.jpg

Auf facebook, VKontakte, youtube und twitter gab es Freudesbekundungen über die in Odessa und Lugansk ermordeten Ukrainer_innen, Frau Timoshenko äußerte öffentlich Vernichtungswünsche gegenüber der Bevölkerung im Osten, der neue Präsident schließt seine Reden mit dem Bandera-Gruß "Ruhm der Ukraine!" und der Verteidigungsminister versprach eine "Siegesparade im ukrainischen Sevastopol", sprich: Krieg gegen Russland. Das halbe Land befindet sich in nationaler Hysterie und Euphorie, die gezielt von Medien und Staat mitgeschürt werden, ehemals als rechts-extrem geltende Parolen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und Hunderttausende skandieren nun ganz selbstverständlich "Ruhm der Nation, Tod den Feinden", "Ukraina über alles", usw - und ihr macht mich an, weil ich eine Buchpräsentation ermöglicht habe, wo es um ukrainischen Nationalismus ging?

Gleichzeitig schäumt die mediale Öffentlichkeit in Deutschland über vor Hetze gegen Russland, teilweise ist es richtige Kriegstreiberei. Ein solch aggressives deutsches "Sendungsbewusstsein" im Namen angeblich "zivilisatorischer" Werte hatten wir schon zwei Mal. Beide Male führte es zu Weltkriegen, die gerade im Osten Europas bestialisch gewütet haben. Hunderte ziviler Opfer des Beschusses von Großstädten im Osten der Ukraine durch Artillerie und aus Kampfjets sind den deutschen Medien kaum eine Zeile wert, ebensowenig die mehreren hunderttausend durch dieses militärische Vorgehen Vertriebenen. Statt dessen stimmen sie mit Inbrunst in das Geschrei ein, dass Putin der neue Hitler sei, eine Gefahr für Europa, dass die "Appeasement-Politik der EU" endlich aufhören und man Härte zeigen müsse, etcetera. Sie bringen täglich neue Versionen ein und derselben Story.

Und ihr reproduziert diesen bürgerlichen Scheiß, indem ihr "Kreml-Propaganda" und "russische Behörden" in direkten Zusammenhang mit neofaschistischen Organisationen bringt. Was wollt ihr damit ausdrücken? [Frage 1]

Noch dazu macht ihr meine "serbische" Herkunft zum Thema. Ohne mich zu kennen presst ihr mich in eine nationale Identität und versucht, mein Handeln daraus abzuleiten - DAS ist nationalistisches Denken.
Wie kommt ihr überhaupt darauf, dass ich "Serbe" sei? Und was spielt das für eine Rolle? Beide Fragen will ich näher erklärt haben. [Fragen 2 und 3]

Und in diesen Zeiten, wo es übelst nach Krieg aussieht, wo zufälligerweise auch noch die "deutsche Verantwortung" immer deutlicher thematisiert und offen für "militärische Optionen" geworben wird, und auch schon vereinzelt von einem Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine geredet wird - da habt ihr nichts besseres zu tun, als andere Linke zu diskreditieren, die sich gegen den (drohenden) Krieg engagieren? Ihr tut das auch noch ohne Inhalte! Nur anhand von Äußerlichkeiten!

Denn was bitte ist an dem Buch "Neonazis und Euromaidan" so verwerflich, dass ihr derartig intensiv damit beschäftigt seid, es schlecht zu machen? Auch dazu will ich eine Erklärung. Konkret zum Inhalt des Buches! [Frage 4]

Wir haben die ursprünglich geplante Veranstaltung abgesagt und betont, dass "eine explizit linke Veranstaltung zum Buch unangebracht" wäre, eben aufgrund der Kontroverse um die Autoren. Trotzdem halten wir ihr Buch für eine äußerst informative Studie zum Thema, und fanden es wichtig, dass sie ein breiteres Publikum erreicht. Dafür haben wir bewusst einen neuen Rahmen gesucht, und zwar gezielt das Russische Haus in Berlin. Also, wo ist jetzt das Problem? Konkret! [Frage 5]

Im Gegensatz zu euch haben wir die Autoren persönlich kennengelernt, sie direkt mit den Vorwürfen konfrontiert, und stundenlang mit denen geredet. Das Ergebnis war folgende Erklärung:
http://coopcafeberlin.de/ex/buchvorstellung/index.html  (lest es bitte)
Das ist der Text einer Rundmail, die wir an alle zuvor Eingeladenen rausgeschickt haben, mit der Bitte, es entsprechend weiterzuleiten. In dieser Rundmail gab es abschließend ein nicht veröffentlichtes persönliches PS von mir, unter anderem zu den Autoren:

"Kochetkov ist ein Profi des Polit-business, Technokrat, der sich schon seit über einem Jahrzehnt auf internationalem Parkett bewegt. Er war sichtlich irritiert ob der Anschuldigungen, erzählte von seiner oben geschilderten Vergangenheit, und das war's.

Byshok war wesentlich gesprächiger und bekannte sich offen zu einer konservativen Einstellung. Er sagte es zwar nicht so, aber ich sage: rechts-konservativ. Zugleich, ich muss es so sagen, ein offener und tolerant auftretender Gesprächspartner, der sich gewählt und differenziert ausdrückt. Es ist nicht überraschend, dass Sergei von der Borotba die beiden schlicht für Bürgerliche hielt. Er hat sich zudem überzeugend von seiner Vergangenheit distanziert. Er ist kein Aussteiger im uns bekannten Sinn, der sich jetzt aktiv gegen rechte Strukturen einsetzt, sondern hat sich bloß von der Szene entfernt, studiert, und ist jetzt dabei Karriere zu machen. Vereinzelte persönliche Kontakte in die Szene gestand er von sich aus ein, betonte dabei aber den sich aus seiner Biografie ergebenden freundschaftlichen Charakter dieser Kontakte."

Eure Anschuldigungen gegenüber Byshok, er sei Nazi, "untermauert" ihr nicht inhaltlich anhand persönlicher Aussagen von ihm, sondern ihr hangelt euch von seinen "Facebook-Freund*innen" über "Temnozor" und "Russkij Obraz" hin zu "Modus Agendi". Allein sowas ist keine Aufklärungsarbeit von bedeutender Qualität, denn ihr nennt weder von Byshok über "Modus Agendi" (oder wo auch immer) verbreitete Inhalte, noch Einzelheiten zum konkreten Stellenwert dieser "Facebook-Freund*innen" in seinem Leben. Außerdem ist er laut Selbstaussage seit 2005 bzw. 2007 bei Temnozor und RO nicht mehr dabei, wir schreiben das Jahr 2014.

Ach ja, im von euch verlinkten "Schreiben" von 2008 wird Byshok kurz erwähnt, ja. Es geht darum, dass er als "Vertreter der RO" in einem "Brief an uns" erklärt habe, dass ein gewisser Oleg Kassin nicht zur RO gehöre - sehr aussagekräftig! Euer Link funktioniert übrigens nicht, hier, der funktioniert:
http://www.kavkazcenter.com/russ/content/2008/10/27/61817.shtml

Ein Artikel mit über 200 Zeilen, fünf davon haben mit Byshok zu tun. Mal ehrlich, wie lange habt ihr google durchforstet, um so eine nichtsagende Nachricht zu finden, die Byshok mit der RO im Jahre 2008 in Verbindung bringt? Oder lest ihr etwa regelmäßig kavkazcenter.com? [Fragen 6 und 7]

Damit alle verstehen, auf welches antifaschistische Frontblatt unsere Autor_innen sich zur Untermauerung ihres Vorwurfs berufen, dass Byshok über 2007 hinaus bei RO war, hier ein aktueller englischsprachiger Artikel:
http://www.kavkazcenter.com/eng/content/2014/07/24/19377.shtml
Titel: "Bloody Jews attacked school in southern Palestine Gaza and butchered 15 Muslim children". Schaut euch auf der Seite ruhig mal ein wenig um...

Und wie gesagt, wir schreiben 2014, nicht 2008. Ich hab Byshok vor kurzem persönlich kennengelernt, und ja, er ist rechts-konservativ. Na und? Er ist kein Faschist, kein Nazi, er vertritt durchaus Werte wie Respekt, Toleranz und Menschlichkeit. Wenn ihr meint, so etwas könnten Rechte nicht, bitteschön, ich seh's anders. Macht euch mal eins klar, wir haben die beiden vor vollendete Tatsachen gestellt: "Es gibt keine Buchpräsentation, weil es heißt, ihr seid Nazis." Punkt. Die Art, wie sie damit umgegangen sind, wie sie mit uns umgegangen sind, wie sie offen und ehrlich auf die Vorwürfe reagiert und sich dazu geäußert haben - all sowas spielt für mich eine entscheidende Rolle, wenn ich einen Menschen beurteile.

Und Byshok hat sich nun einmal die Arbeit gemacht, Aspekte des ukrainischen Nationalismus näher zu untersuchen, und ein - trotz einiger Mängel - lesenswertes und informatives Buch geschrieben. Wenn ihr was Besseres zum Thema kennt, lasst es mich wissen.

Und was Kochetkov angeht: Ihr behauptet, er behauptet. Eure obigen Anschuldigungen stehen gegen sein "Stimmt nicht, ich bin seit Mitte der 90er nicht mehr in solchen Strukturen aktiv."
- was sollen wir da jetzt machen? Euch einfach glauben, weil ihr so gut informiert daherschreibt? Nicht eine eurer Aussagen belegt Kochetkovs Engagement bei der RNE über die 90er hinaus. Unbelegt bleibt auch seine angebliche Involviertheit bei euren sonstigen, durchaus interessanten Ausführungen zur extremen Rechten in Russland. Ihr behauptet einfach, Kochetkov sei "seit Anfang der 90er ein RNEshik und neofaschistischer Netzwerker" und habe mit der CIS-EMO "seine nationalistische Arbeit institutionalisiert". Als Beleg für letzteres führt ihr an, dass 2005 Luc Michel da mit aktiv war. Und bis wann bitte? Wer war noch alles für CIS-EMO aktiv? Warum nennt ihr nicht auch Ján Čarnogurský und Leszek Miller, zum Beispiel? [Frage 8]

Ich hab mit dieser Organisation nichts zu tun und sehe es nicht als meine Aufgabe, diese zu verteidigen. Ebenso sind mir die beiden Autoren letzten Endes scheißegal.

Aber dass ich jetzt mit Klarnamen und öffentlich als möglicher Wegbereiter von angeblichen Nazis dargestellt werde, auch noch von Herr_Frau_Gruppe "Anonym", das ist mir nicht scheißegal.

Es ging mir ausschließlich ums Buch und dessen Inhalt, und zwar vor dem konkreten und überaus aktuellen Hintergrund, dass der ukrainische Nationalismus in der deutschen Öffentlichkeit zu wenig Beachtung findet bzw. gar als nicht-existent weggeredet wird. Letzte Tage erst wieder von Claus Kleber im heute-journal.

Auch da schlagt ihr in dieselbe Kerbe wie die Bürgerlichen, wenn ihr schreibt, dass 2013/14 die CIS-EMO Byshoks letzte vier Bücher veröffentlicht hat, die (bis auf das zu Navalnyj) "immer die Symphatisant*innen von Stepan Bandera und die vermeintliche nationalistische Hegemonie in der Ukraine" zum Thema haben. Wollt ihr sagen, das Erbe von Stepan Bandera spielt keine Rolle in der derzeitigen Ukraine? Und dass der ukrainische Nationalismus angesichts von Krieg, Verfolgung politischer Gegner, staatlicher Anerkennung von Nazi-Milizen und hysterischer Russophobie nicht von hegemonialer Bedeutung für die derzeitige ukrainische Gesellschaft sei? [Frage 9]

Abgesehen davon hat Byshok im Grunde nur zwei Bücher geschrieben:
- 2013: „Illjuzija Svobody. Kuda vedut Ukrainu novye Banderovcy“ (Illusion der Freiheit. Wohin führen die neuen Bandera Symphatisanten die Ukraine)
- 2014: „Naval'nyj. Chelovek, kotoryj ukral les“ (Naval'nyj. Der Mensch, der den Wald gestohlen hat)

Der Inhalt des erstgenannten Buchs wurde recycled, um die Maidan-Bewegung erweitert, und wurde so zum "dritten Buch":
„Evromajdan imeni Stepana Bandery. Ot demokratii k diktatury“ (Der Euromaidan unter dem Banner Stepan Banderas. Von der Demokratie zur Diktatur)

Welches dann für's westliche Publikum in gekürzter Version auf Englisch übersetzt wurde, "viertes Buch":
„Neonazis & Euromaidan. From democracy to dictatorship“

Das hat also nichts mit einer von euch angedeuteten Obsession zu tun, sondern erklärt sich aus der Aktualität des Themas und der Tatsache, dass "Illusion Svoboda" von März 2013 genau dieses Thema behandelte, und schon damals einige der derzeitigen Ereignisse und Mechanismen in der Ukraine vorhersagte.

Und meine letzte Frage [Frage 10]: Wer seid ihr?

Denn ich find's milde gesagt äußerst unsolidarisch, dass ihr mich aus der Anonymität heraus unter meinem Klarnamen öffentlich mit Dreck bewerft.

 

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Ergänzungen

Ist „Neonazis & Euromaidan“ ein Buch, in dem Nazis über Nazis schreiben? (Rezension)
http://de.indymedia.org/node/1465
https://linksunten.indymedia.org/de/node/119751