Autonomer 1. Mai in Oldenburg

OL 30.04.2014 19:45 Themen: Soziale Kämpfe
Auch die­ses Jahr gibt es in Ol­den­burg wie­der eine au­to­no­me 1. Mai-​De­mo mit an­schlie­ßen­dem Stra­ßen­fest beim Al­ham­bra. Be­ginn ist um 13 Uhr in der Kai­ser­stra­ße/Hbf. Hier nun der Auf­ruf: Ar­beit | Gei­ßel der Mensch­heit | Ver­flucht seist du bis ans Ende aller Tage | Du, die du uns Elend bringst und Not | Uns zu Krüp­peln machst und zu Idio­ten *nichts gegen Krüp­pel und Idio­ten, das ist nur sym­bo­lisch ge­meint* | Uns schlech­te Laune schaffst und un­nütz Zwie­tracht säst | Uns den Tag raubst und die Nacht | Ver­flucht seist du | Ver­flucht | In Ewig­keit | Amen
… ja, okay, beten wird`s wohl nicht brin­gen, auch nicht mit die­sem wun­der­schö­nen Psalm von Micha­el Stein, einem poe­ti­schen Feind des Lohnar­beits­zwangs.
Also mal wie­der am 1. Mai auf die Stra­ße, für ein Leben ohne Aus­beu­tung und Un­ter­drü­ckung und für die Ab­schaf­fung des Ka­pi­ta­lis­mus; ge­mein­sam mit Mil­lio­nen an­de­ren, die ihr Leben nun wirk­lich nicht als das Pa­ra­dies auf Erden wahr­neh­men; über­all auf der Welt und na­tür­lich auch hier in der nord­deut­schen Tief­ebe­ne. Seit 1890 geht das nun schon so, ur­sprüng­lich als Un­ter­stüt­zung für den durch den vom Hay­mar­ket Riot ge­präg­ten Kampf der „Fe­de­ra­ti­on of Or­ga­ni­zed Tra­des and Labor Uni­ons of the United Sta­tes and Ca­na­da“ für eine Ar­beits­zeit­ver­kür­zung – und lei­der sieht es ge­ra­de nicht da­nach aus, als ob wir in naher Zu­kunft am 1. Mai aus­schließ­lich flau­schi­gen Som­mer­freu­den nach­kom­men könn­ten. Durch zig Kri­sen und hun­der­te Krie­ge ist der Ka­pi­ta­lis­mus heute fes­ter im Sat­tel, als es sich die Leute der „Zwei­ten In­ter­na­tio­na­le“ bei der Aus­ru­fung des „Kampf­ta­ges der Ar­bei­ter­klas­se“ in ihren schlimms­ten Alp­träu­men vor­stel­len konn­ten.
Und wäh­rend in vie­len Tei­len der Welt zwar keine Re­vo­lu­tio­nen, aber im­mer­hin aus­ge­wach­se­ne so­zia­le Re­vol­ten an der Ta­ges­ord­nung sind, ist in Deutsch­land noch nicht ein­mal ein re­bel­li­sches Lüft­chen wahr­zu­neh­men. Klar, Deutsch­land ist ak­tu­ell der Kri­sen­ge­winn­ler, seit über 100 Jah­ren im­pe­ria­lis­ti­sche Groß­macht und daher im Ge­gen­satz zu an­de­ren Staa­ten be­reit und fähig um des lie­ben „so­zia­len Frie­dens“ Wil­len zu­min­dest ein Min­dest­maß an Exis­tenz­si­che­rung, Ge­sund­heits­ver­sor­gung und Bil­dung zu ga­ran­tie­ren. Und so be­kom­men die Leute die Ge­walt des Mark­tes weit we­ni­ger zu spü­ren als an­ders­wo. Doch auch hier wird für die Meis­ten die Kohle knap­per, das Leben teu­rer und der Job stres­si­ger. Wäh­rend wir also den Gür­tel immer enger schnal­len müs­sen, krie­gen ei­ni­ge ihn kaum noch zu. So läuft`s halt in der Klas­sen­ge­sell­schaft. Ob das ver­nünf­tig, ge­recht oder sonst was ist, braucht nicht mehr ge­fragt zu wer­den.
Denn heut­zu­ta­ge kommt als Ant­wort auf die Frage „nach dem Leben, dem Uni­ver­sum und dem gan­zen Rest“ nicht mehr „Re­vo­lu­ti­on“, „So­li­da­ri­tät“ oder „42“ in Be­tracht, son­dern nur noch „So­zi­al ist was Ar­beit schafft“. Das er­üb­rigt dann ei­gent­lich auch jede Frage. Zum Bei­spiel die da­nach, warum der Ge­winn nicht unter den Leu­ten auf­ge­teilt wird, die ir­gend­was her­stel­len, son­dern in der Ta­sche des Chefs lan­det. Warum uns im Su­per­markt hun­der­te ver­schie­de­ne Jo­ghurts dar­ge­bo­ten wer­den, wäh­rend in an­de­ren Tei­len der Welt die Leute kaum etwas zu Fres­sen haben. Warum Leute ma­lo­chen gehen müs­sen, nur weil sie bil­li­ger sind als eine Ge­schirr­spül-​ oder Sor­tier­ma­schi­ne. Warum die Leute, die den Tee, Plas­tik-​Tin­nef oder die Jeans her­stel­len, mit Cent-​Be­trä­gen ab­ge­speist wer­den, wäh­rend wir rich­tig Schot­ter dafür hin­le­gen müs­sen. Warum man immer län­ger ar­bei­ten soll, wäh­rend Mil­lio­nen ohne Job unter den Schi­ka­nen des Ar­beits­am­tes lei­den. Warum es ver­nünf­tig sein soll, auf Teile des Lohns zu ver­zich­ten, um damit die Kol­leg*innen aus einer an­de­ren Firma oder einem an­de­ren Land aus­zu­ste­chen. Warum Leute im Asyl­ver­fah­ren keine Ar­beits­er­laub­nis be­kom­men und daher in Schwarz­ar­beits­jobs ohne jeg­li­che Ab­si­che­rung der Will­kür ihrer Bosse aus­ge­lie­fert sind. Warum Leute aus Ru­mä­ni­en oder Un­garn in den Südol­den­bur­gi­schen Schlacht­fa­bri­ken für Hun­ger­löh­ne schuf­ten und dann auch noch mal lo­cker 300 Euro für einen ran­zi­gen Penn­platz ab­drü­cken müs­sen. Warum eine Kin­der­gärt­ne­rin mal ge­ra­de ein Drit­tel von dem Lohn eines Gym­na­si­al­leh­rers kriegt oder eine Putz­frau nur einen Fit­zel von dem eines Herz­chir­ur­gen. Warum Leute, die sich als Zeit­ar­bei­ter*innen ver­kau­fen müs­sen, trotz 40-​Stun­den-​Wo­che nicht mit der we­ni­gen Kohle über­le­ben kön­nen. Warum die reichs­ten 85 Men­schen den­sel­ben Reich­tum be­sit­zen wie die är­me­re Hälf­te der Erd­be­völ­ke­rung zu­sam­men. Warum mit ge­nü­gend Knete das „Be­dürf­nis“ nach den neuen Nike Air`s, dem Ga­la­xy S5 oder der 222`er S-​Klas­se be­frie­digt wer­den kann, wäh­rend ohne Geld selbst das Be­dürf­nis nach Trink­was­ser oder einem Dach über dem Kopf un­er­füllt bleibt. Warum deut­sche Bau­ar­bei­ter*innen mehr mit ihrem so­ge­nann­ten „Ta­rif­part­ner“ ge­mein haben sol­len, als mit Mau­rer*ìnnen, Dach­de­cker*innen oder Be­ton­bau­er*innen aus Polen, Ugan­da oder Schwe­den… – um nur mal ei­ni­ge der Fra­gen zu nen­nen, die sich doch zu fra­gen loh­nen.
Und die wirk­li­che Ant­wort ist ei­gent­lich auch ganz ein­fach: Der Ka­pi­ta­lis­mus, oder mit Marx ge­sagt die „alte Schei­ße”, hat mit Ge­rech­tig­keit und Ver­nunft so viel zu tun wie Bay­ern Mün­chen mit der Ab­stiegs­zo­ne. „Kon­sum“, „Pro­fit“, „Ak­ku­mu­la­ti­on“: die Man­tras des Mark­tes; die klin­gen nicht nur men­schen­feind­lich, die sind es auch. „Die Ma­schi­ne­rie des Ka­pi­ta­lis­mus wird mit dem Blut der Ar­bei­ter geölt“, kon­sta­tier­te einst der Spring­fiel­der AKW-​Tech­ni­ker Homer Sim­pson. Recht hat er. Eben­falls ins Schwar­ze traf schon gut 100 Jahre zuvor der Song­wri­ter Hein­rich Eil­der­mann mit sei­nem Ever­green „Dem Mor­gen­rot ent­ge­gen“: „Die Ar­beit kann uns leh­ren | sie lehr­te uns die Kraft | den Reich­tum zu ver­meh­ren | der unsre Armut schafft“.
Klar, die Welt kann nun mal nicht per­fekt sein und da ist ein ge­wis­ses Maß an Ar­beit lei­der immer nötig. Aber nur mal an­ge­nom­men, wir alle ei­ni­gen uns dar­auf was ge­sell­schaft­lich nötig ist, nut­zen die bes­ten Tech­no­lo­gi­en und tei­len die üb­rig­blei­ben­de Ar­beit zwi­schen uns auf, dann ist eine 3,5 Stun­den-​Wo­che nicht mehr allzu un­rea­lis­tisch. Kom­bi­niert mit dem Prin­zip „Alle nach ihren Fä­hig­kei­ten, alle nach ihren Be­dürf­nis­sen“ sähe das Ganze dann doch schon ziem­lich rosig aus. Also los geht`s, Faust aus der Ta­sche und – nur so als An­fang – am 1. Mai auf die Stra­ße. Für eine Ge­sell­schaft, in der Her­kunft, Ge­schlecht und se­xu­el­le Ori­en­tie­rung keine Rolle mehr spie­len, in der es kein Oben und Unten mehr gibt, in der alle ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und Zu­gang zu Bil­dung haben. Mit so wenig Ar­beit wie nötig und so viel Luxus wie mög­lich.
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hey, — xxx