Rien ne va plus - zum Film "Snowpiercer"

lower class magazine 02.04.2014 14:44 Themen: Kultur Soziale Kämpfe Ökologie
Der Film “Snowpiercer” ist die geniale Bestandsaufnahme einer Welt, in der nichts mehr geht. Und vielleicht ein Plädoyer dafür, eine sinnlose Welt aus Schmerz und Gewalt lieber anzuzünden, als in ihr weiterzuleben.
Als 2013 Neil Blomkamps “Elysium” in die Kinos kam, waren viele gespannt, ob das Ding an den wirklich guten Vorgänger “District 9″ anknüpfen würde können. Eine geteilte Welt, in der die Ausgebeuteten und Deklassierten in einer Dystopie aus Dreck und Gewalt leben, während es sich die Bosse im “Elysium” an nichts fehlen lassen, klang ja erstmal nach einer ganz interessanten Ausgangssituation. Doch insgesamt blieb der Film enttäuschend, denn anstatt eines kollektiven Aufstands präsentierte Blomkamp nur den aufgepumpten Einzelkämpfer Max DeCosta (Matt Damon), der eigentlich nur die Barriere ins Domizil der Reichen überwinden will, um seine eigene nach einem Arbeitsunfall verstrahlte Haut zu retten – weil oben in Elysium gibt´s Geräte, die das können.

Das schafft er dann auch, Happy End. Nicht durch kollektive Aktion, nicht mit irgendeiner gesellschaftskritischen Idee, sondern vor allem durch Kraft und Technik, der Wunderwaffe eindimensionaler Hollywood-Heroes. Mit McFit und Exoskelett in die Zukunft. Und nebenbei, weil er´s geschafft hat, geht die Welt der Bonzen kaputt. Alles in allem fad, ziemlich viel Lärm und trotz des guten Ansatzes eigentlich nichts, was begeistert.
Ganz anders ein Film, der jetzt gerade in den deutschen Lichtspielhäusern anläuft: “Snowpiercer”, der erste englischsprachige Film des Südkoreaners Bong Joon-ho. Produziert hat das Ding kein Geringerer als Park Chan-wook (Oldboy, Lady Vengeance), in der Hauptrolle als Curtis findet sich Chris Evans, der hier eine wirklich geile Performance abliefert.
Immer im Kreis
“Snowpiercer” spielt in einer traurigen, aussichtslosen Zukunft, in der ein Klima-Experiment den Planeten unbewohnbar gemacht hat. Der klägliche Überrest der Menschheit fährt in einem Zug durch die
Welt, der niemals stoppt und genau einmal im Jahr die gesamte Erde umrundet. Die kaputte Welt draußen bedingt die kaputte Welt drinnen, im Zug. “Menschen überdauern darin nur als abgeschottete, streng hierarchisierte und nach Waggons segmentierte Notgemeinschaft – in einem Zug, der nirgends je hält und in dem daher alles, was geschieht, die stete Wiederkehr des aussichtslos Immergleichen bedeutet”, schreibt Dietmar Dath in der FAZ.
Hinten im Zug leben die Proleten und Subproleten, die Geschändeten, Wehrlosen, Verwahrlosten. Je weiter man nach vorne kommt, desto besseres Essen, desto mehr Raum und stupider Spaß. Doch nach vorne dürfen die, die hinten leben nie, dafür sorgt eine martialische Armee von Bullen. Am Ende sitzen sie aber alle gemeinsam im Käfig, wenn auch die hinten in einem aus Blut und Dreck und Schweiß, die vorne in einem aus Pelzmäntel, Drogen und Sushi. Denn der Zug kann die Aufrechterhaltung des sinnlosen Daseins der Restmenschheit nur gewährleisten, wenn bestimmte “Sachzwänge” aufrecht erhalten werden, ein Gleichgewicht, für das schon mal ein paar Proletarier mit der Waffe dezimiert und Kinder in die “holy engine” gestopft werden müssen, damit sie auf ewig weiter laufe.
Ganz vorne residiert der Eisenbahn-Tycoon Wilford, der den Zug erschaffen hat, und dafür Sorge trägt, dass die Welt sich weiterdreht. Sicher, er frisst keine Insektenpampe wie die Elendsgestalten am anderen Ende, sondern Steak. Sein persönlicher Handlungsspielraum ist aber auch nicht größer. Er ist der brutale Sachverwalter einer Welt ohne Möglichkeitsraum.
Nach vorne. Und dann?
Am Arschende des Zugs ist man klarerweise wenig zufrieden. Also
geht´s los, ab nach vorne, in Form eines Aufstands, den Curtis manchmal mehr, manchmal weniger unwillig anführt. Wird man noch euphorisch, wenn die ausgehungerten Proletarier mit Eisenstangen und Messern das Personal der Repressionsorgane abschlachten, wird einem, je weiter sie vordringen, immer klarer: Zu gewinnen gibt es hier nichts. Das Nihilsten-Pärchen Yona und Namgoong weiß es schon die ganze Zeit, am Ende sieht es auch Curtis ein: Dieser Zug funktioniert nur als autoritäre, hierarchische Maschine, in der immer jemand die Arschkarte wird ziehen müssen. Ein besseres Leben geht mit ihr und durch sie nicht.
Curtis steht vor der Wahl, Wilford einfach zu ersetzen, die Position zu tauschen, vom Arschende zum Kopfende, an dem es noch mehr stinkt, oder allem ein Ende zu setzen. Er gibt also Yona das Feuer, sie zündet die Lunte an. Bum. Der Zug und mit ihm die Restmenschheit sind weg, nur Yona und eines der Kinder, die in der Maschine gefangen waren, um sie am Laufen zu halten, überleben. Alleine stehen sie im Schnee, sie sehen eine Bären und lächeln. Ein verstörendes Ende, denn reproduzieren wird sich diese Zwei-Personen-Menschheit wohl nicht mehr und ihre Lebenserwartung in der Eishölle ist wohl auch eher gering.
Kein Ausweg. Nirgends
Für den Marxisten oder Anarchisten sicher ein enttäuschendes Ende. Man wartet den ganzen Film darauf, dass der Proletenführer jetzt endlich die Produktionsmittel im Zug vergesellschaftet, die hedonistisch-dauerzugedröhnte Mittelschicht auch mal schuften lässt, die Bullen samt dem Zugführer aus dem Fenster wirft – und her mit dem schönen Leben.
Es geht aber nicht. Denn die Maschine läuft einfach nicht ohne die Kinder, die als einzige so klein sind, dass man sie zwischen die Zahnräder setzen kann – und ohne geht das Ding kaputt. Die Frage steht: Was wenn der Kapitalismus Umwelt und Mensch so weit zugrunde gerichtet hat, dass es keine Perspektive auf gelingende Gesellschaftlichkeit mehr gibt? Was wenn die historische Möglichkeit diese Scheisse zu überwinden, solange ungenutzt blieb, dass sich das Fenster geschlossen hat und man vor der Wahl steht, eine sinnlose Existenz aus Schmerz und Brutalität aufrechtzuerhalten, oder ganz abzutreten? Sicher keine Wahl, vor der man stehen will.Aber noch ist es nicht eisig draußen und wir sitzen nicht im Zug. Wir können das schlechte Ganze immer noch anzünden und müssen nicht neben dem Eisbären aufs Sterben warten, sondern machen dann einfach was anderes als Insektenfressen. Noch.

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