[Ukr] Nationalgarde wird Neonazis integrieren

Antifa International 14.03.2014 16:39 Themen: Antifa Soziale Kämpfe Weltweit
Eine Nachricht, die im momentanen Spektakel der imperialen Auseinandersetzungen um die Krim etwas zu kurz kommt, und doch die Aufmerksamkeit der antifaschistischen Öffentlichkeit benötigt: Die aktuellen ukrainischen Machthaber haben die Bildung einer 60.000 Personen starken Nationalgarde beschlossen. Diese soll vornehmlich aus den paramilitärischen, zum einem großen Teil neonazistisch motivierten sogenannten „Selbstverteidigungskräften“ des Maidan bestehen. Dies bedeutet für Europa nach 1945 eine beispiellose Bewaffnung und Finanzierung rechtradikaler Paramilitärs.
Bereits Ende Januar, also vor der endgültigen Eskalation der Proteste gegen die Regierung Janukowitsch, hatten linke ukrainische Aktivisten eine pessimistische Vorstellung über die Konsequenzen der Revolution.

„Es ist offensichtlich, dass die extreme Rechte auf lange Sicht durch die Proteste enorm profitieren wird, egal wer gewinnt. Im Falle des Sieges der Opposition, werden sie mit Sicherheit selbst Kontrolle über die Polizeikräfte, Sonderdienste, etc. bekommen. Wenn Yanukovych gewinnt, bedeutet dies, dass die Hälfte des Landes fester Anhänger der extremen Rechten werden wird, da diese angeblich der einzige patriotische und radikale Kraft darstellte, die in der Lage ist, sich dem Diktator entgegenzustellen“.
( http://revolution-news.com/euromaidan-we-support-your-struggle-but-not-your-fascists-2nd-interview-with-a-ukrainian-anarchist/)


Bekanntlich siegte die Opposition, und es wurde deutlich, wie richtig der Aktivist der ukrainischen „Autonomous Workers Union“ mit seiner Analyse lag. Das Macht-Vakuum, das sich in Kiew nach der Flucht der alten Machthaber ergeben hat, wurde schnell durch die Aktivisten der sogenannten „Selbstverteidigung des Maidan“ ausgefüllt, die unmittelbar Polizeiaufgaben in ganz Kiew übernahmen.


Die Selbstverteidigung des Maidan bestand verschiedenen Quellen zufolge etwa zur Hälfte aus Hundertschaften, die aus dem Umfeld der „Vaterlandspartei“ gebildet wurden, und zur Hälfe aus Hundertschaften, die durch die rechtradikalen Swoboda, den Rechten Sektor, und anderen rechtsradikaler Gruppen gebildet wurden.


Das Bindeglied dieser Koalition bildete Andrij Parubij als sogenannter „Kommandant“ des Maidan. Er war Gründungsmitglied der Swoboda, die damals noch Sozial-Nationalen Partei der Ukraine hieß. Später wechselte er mehrfach die Parteizugehörigkeit, und landete schließlich 2012 auf einem Listenplatz der Vaterlandspartei. Ein perfekter Vermittler zwischen rechtsradikalen und rechts-liberalen Kräften also. In enger Zusammenarbeit mit Dmitrij Jarosch, dem Anführer des „Rechten Sektors“ organisierte er den bewaffneten Kampf auf dem Maidan.


Als Dimitrij Jarosch nach dem vermeintlichen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition, der Neuwahlen im Dezember 2014 vorsah, zum bewaffneten Sturm auf das Parlament aufrief, und der jubelnde Maidan im Gefolgschaft sicherte, stellte sich Kommandant Parubij ihm nicht entgegen. Was folgte ist bekannt: Yanukovych floh, die Staatsmacht brach zusammen, und die Opposition ergriff verfassungswidrig die Macht – der Beginn der verfahrenen Situation und ihrer internationalen Konfliktdimension.


Die zentrale Rolle der rechtsextremen Führungspersonen nach der Machtübernahme der Opposition spiegelt ihre „Verdienste“ im militanten Kampf wieder. Neben Ministerposten aber bevorzugten sie, wie von linken Aktivisten vorhergesehen, zentrale Positionen im Sicherheitssektor zu besetzen. Die Ergebnisse waren die folgenden:

Andrij Parubij, ehemals Swoboda und heute Vaterlandspartei, wurde Sekretär des mächtigen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine. Dieser koordiniert die innere und äußere Sicherheitspolitik des Landes, inklusive Militär, Polizei und Geheimdiensten.

Dimitrij Jarosch, Anführer des Rechten Sektors, ist stellvertretender Minister für Nationale Sicherheit und damit ebenfalls an der Kontrolle der ukrainischen Sicherheitskräfte beteiligt.

Oleh Makhnitskyi, Anführer des juristischen Apparats innerhalb der Swoboda, ist Generalstaatsanwalt

Daneben stellt die Swoboda einen Vize-Premierminister (Oleksandr Sych), den Umweltminister (Andriy Mokhnyk) sowie den Landwirtschaftsminister (Ihor Shvaika).

Auch wenn Dimitrij Jarosch Aussage, „Wir sind keine Politiker. Wir sind Soldaten der Revolution“ ( http://time.com/4493/ukraine-dmitri-yarosh-kiev/) durch die jüngsten Ankündigung, an den kommenden Präsidentschaftswahlen teilzunehmen, relativiert wird, ergibt sich doch ein klares Bild der politischen Strategie der radikalen Rechten. Die Besetzung bzw. die Kontrolle der staatlichen Sicherheitsorgane kann dabei die zahelnmäßige MArginalität der radikalen Rechten überwinden helfen.


Auch auf dem Maidan errangen die Rechten durch ihre Militanz zunächst die Unterstützung der nicht-rechten Demonstrantrierenden, und damit die Legitimation als Ordnungsmacht aufzutreten. Anschließend nutzen sie ihre Ordnungsmacht, um eine faktische Meinungshoheit auf dem Maidan zu erreichen. Vermummte Rechte konnten auf dem Maidan jeder Zeit Personen wegen „falscher“ Äußerungen „festnehmen“, ohne dass selbst kritische Umstehende es wagten, einzuschreiten ( http://www.taz.de/!133706/). Wer versuchte, linke Positionen offen zu vertreten wurde mit Gewalt vertrieben. ( http://marx21.de/content/view/2067/32/, auch bereits früher  http://jungle-world.com/artikel/2014/02/49128.html)

Es ist dabei aus antifaschistischer Perspektive unwesentlich, das radikale Rechte auf dem Maidan eine zahlenmäßige Minderheit darstellen, wie immer wieder beteuert wird. Sie haben es durch Militanz gegen Polizisten und Gewalt gegen Andersdenkende dennoch geschafft, eine faktische rechte Hegemonie zu erlangen.


Ähnliches ist nun auf staatlicher Ebene zu befürchten. Der große Einfluss auf den Sicherheitssektor, sowohl Anklage wie auch ausführende Organe, also die Übernahme der faktischen Repressionsfunktionen in weiten Teilen des Landes wird den Einfluss der radikalen Rechten in ähnlicher Weise stärken: Zunächst durch die Schaffung von Akzeptanz als Ordnungsmacht, und anschließend in der gewaltsamen Bekämpfung Andersdenkender.
Die landesweite Zerstörung kommunistischer Parteibüros (mindestens zu gleichen Teilen durch ideologischen Antikommunismus wie Ablehnung der konkreten Regierungsarbeit der KPbestimmt) und Drohungen gegen jüdische Einrichtungen sind dabei nur erste Beispiele, wie dies aussehen könnten. Die geplante sogenannte Lustration, also die Säuberung aller Verwaltungsebenen von „verbrecherischen“ Mitgliedern der „Partei der Regionen“ und der „Kommunistischen Partei“, das geforderte Verbot beider Parteien, sowie die hartnäckigen Gerüchte über Todeslisten ( https://linksunten.indymedia.org/node/107143) lassen nichts Gutes erahnen. Auf der "V-Kontakte" Seite des "Rechten Sektors" gepostete Fotos zeigen die Auswüchse dieser Säuberung.
( http://vk.com/public62043361)


Die angekündigte Bildung einer eigenen Nationalgarde stellt jedoch eine neue Stufe der rechtsradikalen Bedrohung dar. Im Gegensatz zu bestehenden Militär- und Polizeikräften wäre diese neue staatliche, paramilitärische Organisation ausschließlich durch solche Kräfte bestimmt, die selbst neo-nazistischen Organisationen angehören, durch diese geprägt sind, oder zumindest die Zusammenarbeit mit diesen befürworten.


Andrij Parubij kündigte an, die Nationalgarde solle sich vor allem aus Freiwilligen der so genannten Selbstverteidigungsgruppen vom Maidan zusammensetzen. Er kündigte zudem umfassende Aufgaben für die neue Organisation an: Sie solle "die Sicherheit des Staates garantieren, die Grenzen verteidigen und Terrorgruppen ausschalten.
( http://www.tagesschau.de/ausland/ukraine1290.html)


Damit ist klar, dass auch ein Einsatz in eventuellen Auseinandersetzungen mit Russland denkbar sind. Der Kampf gegen Russland ist für viele der ultranationalistischen und rechtsradikalen Maidan-Kämpfer eine Herzensangelegenheit. Feststeht, dass die umfassende, offene staatliche militärische Ausbildung, Bewaffnung und Finanzierung organsierter Neonazis und ihrer Sympathisanten in 10000er Stärke eine neo-faschistische Bedrohung historischen Ausmaßes in Europe bedeutet. Der brutale Angriff auf Antifaschisten in Malmö durch schwedische Neonazis, die gerade aus der Ukraine zurückkamen, um ihre Kameraden zu unterstützen, lässt bereits jetzt eine Gefahr auch in West-Europa erahnen.

Im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Russland, die sowohl Form eines kriegerischen Konflikts, als auch eines bewaffneten Untergrundkampfes annehmen könnte, ist eine erlangen der Hegemonie durch Rechtsradikale in Teilen der Ukraine bei den derzeitigen Entwicklungen durchaus vorstellbar. Die Folgen wären mit Sicherheit katastrophal.Darauf zu vertrauen, dass sich die ukrainischen Neonazis an demokratische Spielregeln halten werden, ist naiv

Solidarität mit den emanzipatorischen und antifaschistischen Kräften in der Ukraine ist daher zwingend notwendig.
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Ergänzungen

nur ma

so 19.03.2014 - 15:47
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