Islamisten in Diyarbakır auf dem Vormarsch?

amed2014 09.03.2014 22:09 Themen: Gender Soziale Kämpfe Weltweit
Neue islamistische Hüda Partei tritt bei den Kommunalwahlen in der Türkei an. Nachfolge Organisation der kurdischen Hizbullah, die hunderte Menschen tötete. Zentrum des Wahlkampfes ist Diyarbakır/Amed.
Die islamistische Hür Dava Partisi (kurz Hüda Par) wurde Ende 2012 gegründet. Die Mitglieder_innen sind hauptsächlich kurdisch-sunnitisch. Die Hüda Par steht in in der Tradition der kurdischen Hizbullah (keine Verbindung zur libanesisch schiitischen Hisbollah), die in den 90er Jahren hunderte Menschen tötete und folterte, die als links oder kommunistisch galten. Die Abkürzung Hüda Par hat im Kurdischen die gleiche Bedeutung wie das arabische Wort "Hizbullah" nämlich "Partei Allahs" woraus sich auch die inhaltliche Ausrichtung der Partei ablesen lässt. Der Gründungsvorsitzende Mehmet Hüseyin Yılmaz hat als Anwalt in Diyarbakır viele Angeklagte der Hizbullah vertreten.1 Der Vorgängerverein der Partei „Mustazaf Der“ wurde 2012 aufgrund der Nähe zur Hizbullah verboten, woraufhin über zehntausend Menschen gegen das Verbot protestierten.2

Die Hüda Par tritt zu den Kommunalwahlen am 30.3.2014 das erste Mal an. Dabei ist das Zentrum des Wahlkampfes Diyarbakır, aber auch in den anderen kurdisch-geprägten Gebieten wurden Wahlkampfbüros eröffnet. Die Hüda Par steht in direkter Konkurrenz zur BDP und AKP und probiert konservative nationalistische Kurd_innen für sich zu gewinnen. Dabei übernahm die Hüda Par viele Forderungen von der BDP, wie bspw. nach kultureller Freiheit, nach muttersprachlichen Unterricht in Kurdisch in staatlichen Schulen oder das Ziel einer autonomen Region.

Im Gegensatz zur BDP fordert die Hüda Par jedoch eine Gesellschaft die an religiöse Werte angepasst wird. Die Hüda Par ist dabei tiefst reaktionär und es wird ihr nachgesagt, die Scharia einführen zu wollen.

Die Frauen auf den Veranstaltungen der Hüda Par tragen zu meist eine schwarze ganzkörper Çarşaf-Verschleierung, sitzen in den letzten Reihen und sind in Gremien überhaupt nicht vertreten. Die Hüda Par hat direkten Kontakt zu Hamas und zur Muslimbrüderschaft.3 Zusätzlich werden LGBT Menschen als krank und pervers bezeichnet.4

In der letzten Zeit kam es vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen Sympathisant_innen der kurdischen Bewegung und der Hüda Par. So wurden Parteibüros der Hüda Par in Diyarbakır mit Molotow-Cocktails angegriffen und es kam zu Straßenschlachten zwischen Hüda Par Mitgliedern, Pro-BDPler_innen und der Polizei in der Provinz Mardin5.

Die aktuellsten Wahlprognosen sehen die Hüda Par in Diyarbakır zwischen 6-12% als drittstärkste Kraft. Auch in Sachen Wahlkampfwerbung versteckt sie sich nicht und ist in allen Stadtteilen mit Fahnen, Wahlkampfbüros und Plakaten präsent. Ein nagelneuer Wahlkampfbus, die täglich erscheinende Wahlkampfzeitung „Amed Haber“, Wahlkampfbüros in bester Lage und Wahlveranstaltung in riesigen Turnhallen deuten auf ein beachtliches finanzielles Polster hin.

Es wäre fatal für die Menschen der Region, wenn sich die Hüda Par langfristig etablieren könnte. Seit Jahren setzt sich die kurdische Bewegung für emanzipatorische Politik ein. Dies war und ist jedoch ein zähes Unterfangen in einer konservativen Gesellschaft in der s.g. „Ehrenmorde“ und Zwangshochzeiten im Kindesalter immer noch ein großes Problem darstellen.

Über den Kampf für Autonomie und kulturelle Freiheiten wurde die breite Bevölkerung erreicht und ihr emanzipatorische Politik nahe gebracht. Es wurden nahezu flächendeckend Fraueninitiativen gegründet. In Tarifverträge wurde geschrieben, das Arbeitern gekündigt wird, die ihre Frauen schlagen. Geschlechterquoten wurden eingeführt und es wird sich für die Rechte von LGBT-Menschen eingesetzt. Die emanzipatorische Initiative der kurdischen Bewegung fängt langsam an Früchte zu tragen.

Nun droht jedoch die Hüda Par lang erkämpfte Erfolge wieder zu Nichte zu machen, indem sie mit ihren reaktionären Lehren bei einem Teil der Bevölkerung offene Türen der Intoleranz einrennt, die die BDP zu schließen probierte. Ganz offensichtlich versucht die Hüda Par in ihrer täglich erscheinenden Wahlzeitung „Amed Haber“6 auch im konservativen Lager zu punkten, indem sie homophobe Resentiments ausnutzt und die Zusammenarbeit der kurdischen Bewegung mit LGBT-Gruppen verurteilt.

Anfänglich wurde erwartet, dass die Hüda Par Stimmen aus dem Lager der AKP gewinnen könnte, die letzten Wahlprognosen für Diyarbakir (BDP ca. 44%, AKP ca. 39%, Hüda Par ca. 9% - Durchschnitt der letzten beiden Umfragen) lassen jedoch vermuten, dass die meisten der zukünftigen Hüda Par Wähler_innen bei der letzten Kommunalwahl 2009 BDP/DTP gewählt haben. (letzte Wahl DTP/BDP 65%, AKP 31%)

Es kann in den drei Wochen bis zur Wahl jedoch noch einiges passieren und die Unsicherheit bei den Prognosen führt dazu, dass bis nach der Wahl keine sicheren Aussagen gemacht werden können.





1„Hür Dava Partisi“, Wikipedia, 16. Januar 2014,  http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=H%C3%BCr_Dava_Partisi&oldid=126411278.




2International Crisis Group (ICG), „Turkey’s Kurdish Impasse: The View from Diyarbakır“, Europe Report 222 (30. November 2012),  http://www.refworld.org/docid/50b8cac22.html.




3„Islamist Kurdish Group Seeks Role In Southeast Turkey - Al-Monitor: the Pulse of the Middle East“, Al-Monitor, zugegriffen 6. März 2014,  http://www.al-monitor.com/pulseen/originals/2013/04/free-cause-party-kurdish-islamist-group-huda-par.html.




4„HÜDA PAR’dan HDP’ye ‚eşcinsel‘ tehdidi“, T24, zugegriffen 9. März 2014,  http://t24.com.tr/haber/huda-pardan-escinsellere-yonelik-nefret-soylemi-ve-hdpye-tehdit/243011.




5„BDP`liler Kızıltepe’de HÜDA PAR`a saldırdı“, zugegriffen 6. März 2014,  http://www.haberdiyarbakir.com/bdpliler-kiziltepede-huda-para-saldirdi-62322h/.




6Ibrahim Amedi, „PKK-BDP-LGBT Üçgeni-4“, Amed Haber, 7. Februar 2014, 57 Auflage.

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen