Die 'Mumia-Ausnahme' im US Senat

Andrea Tams 08.03.2014 22:46 Themen: Antirassismus Blogwire Medien Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Schon mehrfach wurde in den letzten Jahren ausführlich über Verfassungsbrüche durch alle Instanzen berichtet, wenn es um Rechte des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal ging. Inzwischen scheint sich diese Haltung auch auf Anwärter*innen in Regierungsämter auszuweiten, denen im weitesten Sinne eine "Kontaktschuld" mit dem afroamerikanischen Journalisten und ehemaligen Black Panther nachweisbar ist, der bereits seit 1981 für einen untergeschobenen Polizistenmord in Haft sitzt.
Am vergangenen Mittwoch stimmte eine knappe Mehrheit aus Republikanischen und Demokratischen Senator*innen gegen Debo Adegbile als neuen Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im US Justizministerium. Präsident Obama hatte Adegbile bereits im Herbst 2013 nominiert. Adegbile, der als Rechtsanwalt des ältesten Bürgerrechtsvereins der USA, dem NAACP (1) hohes Ansehen unter Jurist*innen geniesst, sollte sich nach dem Willen der US Regierung insbesondere den strittigen Fragen der Wählerregistrierung von People Of Color annehmen. Nicht nur nach der ersten Präsidentschaftswahl von George W. Bush (2) wurde international registriert, dass der Zugang zu Wahlen und anderen institutionellen Rechten in den USA stark auf die weiße Bevölkerungsmehrheit beschränkt ist.

Initiert wurde der Boykott dieses Kandidaten durch die extrem rechte Polizei Lobby Organisation Fraternal Order of Police (FOP). Ihr gelang es, auch Senator*innen der Demokratischen Partei gegen Obamas Kandidaten aufzubringen. Dazu setzten sie direkte politische Erpressung ein, mit der in manchen von "Law and Order" geprägten US Bundesstaaten noch immer öffentliche Diskurse zu gewinnen sind.

Debo Adegbile war im Frühjahr 2013 Vorsitzender des Legal Defense Funds (LDF), der Rechtshilfeabteilung beim NAACP. Beide Organisationen hatten Abu-Jamals Verteidigung seit Jahren unterstützt, da sie seinem Fall hohe Bedeutung in Bezug auf Bürgerrechte beimessen. Ende 2010 übernahm der LDF offiziell die Verteidigung von Mumia Abu-Jamal. Rechtsanwältin Christina Swarns und Judith Ritter hatten auf der juristischen Ebene maßgeblichen Anteil daran, dass das Todesurteil gegen Abu-Jamal im Dezember 2011 aufgehoben wurde (3), da es nach Meinung des Obersten Gerichtshofes durch massive Rechtsbrüche von Seiten der Anklage und des damaligen Richters zustande gekommen war. Nach einer Phase der totalen Isolationshaft, begleitet von öffentliche Mordaufrufen der FOP wurde Mumia im Frühjahr 2012 zum ersten Mal seit seiner Verhaftung in den Normalvollzug verlegt. Seit Sommer 2013 bemüht sich der LDF bisher erfolglos um die Wiederaufnahme des Verfahrens (4), um nach über 32 Jahren Haft endlich die Freilassung des afroamerikanischen Journalisten zu erreichen. Mumia Abu-Jamal wird in wenigen Wochen 60 Jahre alt und hat über die Hälfte seines Lebens in Gefangenschaft verbracht.

Als Vorsitzender des LDF unterzeichnete Debo Adegbile insgesamt drei Eingaben seines Teams an Bundesgerichte sowie den US Supreme Court. Er hat sich selbst nie öffentlich zu den offensichtlichen Rechtsbrüchen geäußert, die sich durch Mumias gesamtes Verfahren ziehen. Die rechte FOP setzte jedoch viele US-Senator*innen damit unter Druck, sie in den kommenden Wahlen als Unterstützer eines sog. "Cop-Killers" zu bezeichnen, wenn sie für Adegbile stimmten. Zahlreiche Kommentator*innen (5) wiesen jedoch darauf hin, dass Adegbile nichts anderes getan habe, als was die Verfassung der USA erfordere, nämlich Gefangene zu ihrem Recht auf eine Verteidigung vor Gericht zu verhelfen.

Entscheidend für den Ausgang dieser Abstimmung war die Demokratische Partei selbst. Sieben Demokratische Senator*innen, u.a. aus Pennsylvania, Arkansas und Montana erachteten es nach dem Druck der FOP als wichtiger, ihre persönliche Karriere zu sichern, als einen Bürgerrechtsanwalt mit allgemeiner fachlicher Anerkennung in ein Amt zu wählen, für dass in ihr Partei Kollege Obama nominiert hatte.

Medial offen ausgesprochenes Motiv hinter den Bemühungen der FOP ist eine Konstruktion, die von vielen in der US Rechten geteilt wird. Angeblich existiere seit dem Amtsantritt von Obama Rassismus gegen die weiße Bevölkerungsmehrheit. Dieses Konstrukt treibt sie jedes Mal zu Höchstleistungen an, wenn es darum geht, noch so kleine soziale Errungenschaften zu verhindern. Dass die Rechte dafür dieses Mal das medial eingeübte Schreckensbild eines vermeintlichen "Copkillers" Mumia Abu-Jamal aufbieten mußte, zeigt zum einen den mangelnden Realitätssinn dieser politischen Akteure. Zum anderen macht es aber auch deutlich, wie verunsichert eine politische Machtstruktur durch die in den Kinos der USA oft gesehene Dokumentation "MUMIA - Long Distance Revolutionary" zu sein scheint. Anstatt die exzessiv praktizierte Gewalt gegen Minderheiten gerade in ihrer Berufsgruppe zu überdenken, scheint die fortlaufende Dämonisierung eines Gefangenen eher das Gegenteil anzudeuten. Paradoxerweise behauptet die FOP dabei sogar, die Verfassung zu verteidigen, in dem sie sich offen über sie hinwegsetzt.

Für die Zukunft ergibt sich aus dieser Entscheidung für manche jedoch eine bittere Erkenntnis. Anwält*innen, die das verfassungsgarantierte Grundrecht ausüben, Gefangene zu verteidigen, können daran gehindert werden, politische Ämter zu bekleiden, wenn sie sich in ihrer Arbeit auf Bürgerrechte für die offen diskriminierten Teile der US Bevölkerung konzentrieren. Diese Erkenntnis mag manche Beobachter*innen sicherlich nicht überraschen, wurde aber schon lange nicht mehr so deutlich auf der politischen Bühne Washingtons aufgeführt. Der Menschenrechtsausschuss ist seit seiner Existenz hart umkämpft und spätestens seit der Amtszeit von George W. Bush weitesgehend ohne politische Eigenständigkeit gewesen. Es gelang der Rechten mit dieser Initiative, einen erfolgversprechenden Kandidaten aus einer Institution heraus zu halten, die sie sowieso am liebsten abschaffen würden. Der Vorsitz im Menschenrechtsausschuss bleibt nun unbesetzt, was den Ausschluss von People Of Color aus den Institutionen der US Gesellschaft weiter zementiert, wie ein Vertreter des NAACP am Donnerstag in einer Stellungnahme anmerkte (5 - siehe besonders den Beitrag von Democracy Now).

Mumia Abu-Jamal kommentierte diese Vorgänge am Freitag mit folgenden Worten:
"Wie bezeichnest du ein Land, in dem die Polizei entscheidet, wer Richter*in, Staatsanwält*in oder Regierungsbeamt*in wird? Wir nennen das einen Polizeistaat." (6)


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(1) NAACP, 1909 gegründet  http://www.naacp.org/


(2) George W. Bush konnte 2000 die Präsindetschaftswahlen lediglich dadurch gewinnen, indem sein Bruder und damaliger Gouverneur in Florida systematisch Afroamerikaner*innen von der Wahl ausschloss. Bereits kurz nach der Wahl war klar, dass Bush ohne diesen Eingriff keine Mehrheit gehabt hätte.


(3) siehe dazu auch "30. Haftjahrestag von Mumia Abu-Jamal" vom 10. Dezember 2011  http://de.indymedia.org/2011/12/321583.shtml


(4) Beschreibung der juristischen und politischen Hintergründe in dem Artikel "Mumia-Ausnahme" vom 2. September 2013  http://de.indymedia.org/2013/09/348132.shtml


(5) Artikel Auswahl:

(Adam Serwer) The Republican war on civil rights laws (March 6, 2014)  http://www.msnbc.com/msnbc/republican-war-civil-rights-laws

(Democracy Now interviewt Johanna Fernandez u.a.) Dems Join GOP to Block Obama DOJ Pick Tied to Legal Defense of Mumia Abu-Jamal (March 6, 2014)  http://www.democracynow.org/2014/3/6/senate_race_baiting_dems_joins_gop

(Dave Linndorff) Senator and Police Union Use a Widow's False Memory to Stir Up Hatred for Imprisoned Man and for Obama Nominee (March 5, 2014)  http://thiscantbehappening.net/node/2177

(Linn Wasgington) Vote Trashes 'Rule of Law' (March 5, 2014)  http://thiscantbehappening.net/node/2173

(Steven Vitoria und Noelle Hanrahan/Prison Radio) Behind the Flash Mob Attack on Obama’s DOJ Attorney General Nominee Debo Adegbile (March 5, 2014)  http://www.mumia-themovie.com/blog_files/beff454bfb66f36b5b33c4128481fa16-28.html


(6) Mumia Abu-Jamal: "Bullies of Babylon" (March 6, 2014)  http://prisonradio.org/media/audio/mumia/mumia-abu-jamals-statement-fop-blocking-obamas-adegbile-nomination-doj-post
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Ergänzungen

scheint nicht überall gut anzukommen

Free Mumia 08.03.2014 - 23:45
Dieser Coup der Rechten scheint nicht in allen bürgerlichen Medien unwidersprochen anzukommen, wie z.B. dieser Fernsehbericht zeigt:

Why didn’t Debo Adegbile get confirmed?
The Senate failed to confirm President Obama’s nominee Debo Adegbile to head the DOJ’s Civil Rights Division.
 http://www.msnbc.com/all-in/watch/why-didnt-debo-adegbile-get-confirmed-183727683570

Müßte sich mensch mal nach hier übertragen vorstellen: 90% aller Medien dämonisieren einen einzigen kämpfenden Gefangenen über Jahrzehnte und schreiben einen Haufen Müll, weil sie damit institutionellen Rassismus, politische Repression und Ausbeutung verstecken wollen. Was für ein Quatsch, aber es wird in den USA wirklich seit Mitte der 1990er gemacht.

Es ist ein Wunder, dass Abu-Jamal noch lebt. Es ist aber kein Wunder, dass dieses rechte Gehetze in den USA immer weniger Menschen glauben. Dort gibt es inzwischen lokale Bewegungen gegen die Masseninhaftierung, die problemlos inhaltliche Bezüge zu den Kämpfen der Panthers und anderer aus den 1970ern herstellen. Und das trotz COINTELPRO und massiver täglicher Polizeigewalt, wegen der beinahe täglich jemand getötet wird.

Wo sind die "politischen Gefangene"?

januschkowitsch 09.03.2014 - 01:14
So sehr wir in den Auseinandersetzungen um Solidarität alle zusammen gelernt haben, dass es um Solidarität für eine Gesellschaft ohne Knäste geht...

so sehr zeigen auch die aktuellen Entwicklungen im Weltgeschehen:

+ Randale von rechts ist legitim und im Zweifelsfall sorgt auch Frau Merkel dafür, dass es kein Vermummumgsverbot für Nazis in Kiew mehr gibt.
+ wer "politischer Gefangener" ist, definiert künftig BILD: alle "oppositionellen Oligarchen" und korrupten Politiker*innen gehören dazu, insoweit sie in Osteuropa leben.

Es gibt jedenfalls viele Gründe, mal wieder darüber Öffentlichkeit zu schaffen, wo die wirklichen politischen Gefangenen sitzen: viele in den USA - allen voran Mumia!

Freiheit für Mumia!
Unterstützt antifaschistische und emanzipatorische Bewegungen in Osteuropa!
Break the walls!

US Rechte gegen Bürgerrechte

10.03.2014 - 19:21

"... In other words, the extraordinary stupid arguments that Republican Senators raised about Abu-Jamal shouldn't be allowed to conceal their real agenda: kneecapping federal efforts to do things like protect voting rights, address police brutality, oppose employment discrimination. The Republican rejection of Adegbile is of a piece with a broader anti-civil rights agenda, such as their ongoing efforts to suppress the vote of racial minorities and the poor and a bare majority of the Supreme Court gutting the Voting Rights Act based on incoherent arguments with no basis in the text of the Constitution... "

 https://portside.org/2014-03-10/disgraceful-rejection-debo-adegbile