„Slava Deutschland“ - Eindrücke aus Kiew

lower class magazine 24.02.2014 22:57 Themen: Antifa Weltweit
Wir sind ja erst seit ein paar wenigen Stunden hier, aber soviel trauen wir uns jetzt schon zu sagen: Wer behauptet, dass die Rechte – ob parlamentarisch (Swoboda) oder außerparlamentarisch (rechter Sektor) – hier keine zentrale Rolle spielt, lügt.
Schon die Taxifahrt ins Hotel gestaltet sich, zumindest für den Fahrer, nervenaufreibend. Zweimal wird er an Straßensperren von Vermummten mit Knüppeln angehalten, die seinen Wagen durchsuchen. Angekommen im Zentrum der Millionenmetropole fühlt man sich, als wäre man in einem Heerlager. Barris, noch größer als vor einem halben Jahr am Taksim, hunderte Männer in soldatischer Kleidung mit Sturmmasken, Helmen und Waffen, einige eroberte Wasserwerfer, und sogar Panzer. Bullen gibt es keine mehr, zumindest sieht man nirgendwo welche. An und für sich eine angenehme und schöne Sache, wäre da nicht die ideologische Ausrichtung der Proteste.

Denn Faschismus ist hier kein politisches Projekt einer kleinen versoffenen Minderheit wie in der ostdeutschen Einöde. Die rechten Kräfte sind die präsenteste Kraft. Wie die Mehrheit der Bevölkerung – egal ob Opposition oder Regierungslager – denkt, darüber können wir noch nicht urteilen. Aber was die Sichtbarkeit hier im Zentrum Kiews angeht, ist hier wenig Interpretationsspielraum. Noch öfter als die Nationalfahne mit diversen Aufschriften wie „Ehre der Ukraine“ oder „Swoboda“ ist die schwarz-rote Fahne der Ukrainischen Aufständischen Armee, die im Zweiten Weltkrieg Zehntausende Juden, Polen und Kommunisten ermordete. Runen, Keltenkreuze, Bilder des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera.

Meine zweite Zufallsbekanntschaft in der Stadt lässt sich so beschreiben: Ich steh da, will ein Foto machen, ärger mich, weil die Einstellungen nicht passen. Ein Typ um die 50 sieht das, kommt her, und sagt irgendwas, das ich nicht verstehe. Ich sag ihm: Ich versteh dich nicht. Er drückt mir eine Knoblauch-Zehe in die Hand und will, dass ich die esse. Er war sympathisch, also esse ich den Knoblauch und versuch ihm auf Englisch und Deutsch zu sagen, dass ich ihn nicht verstehe. Irgendwann fällt das Wort „Deutschland“. Er wird hellhörig, setzt die Mütze ab und zeigt mir seine erstklassige Hitler-Frisur. Er sagt „Slava Deutschland“ und präsentiert stolz eine Halskette aus 5 Hakenkreuzchen.

Viele Menschen sehen hier im „Rechten Sektor“ eine Art außerparlamentarischer Kontrollinstanz. Vertrauen haben sie – natürlich nicht – in Janukowitsch und die Partei der Regionen, aber auch kaum in die westliche „demokratische“ Opposition. Sie hoffen, dass die Rechten von außerhalb des Parlaments Druck ausüben, damit – egal, wer an die Macht kommt – nicht gegen die „Interessen des Volkes“ handelt. Da zu erwarten ist, dass – angesichts der ökonomischen Situation – jede Regierung, die an die Macht kommt, durch die Aufnahme von Krediten der USA, der EU und des IWF gezwungen sein wird, extreme Verschlechterungen für die Bevölkerung hier durchzusetzen (die Austeritätsprogramme sind schon fertig geschrieben), stehen den Faschisten goldene Zeiten bevor. Sie werden sich als Retter in der Not präsentieren können, wenn die nächste Regierung den hier üblichen Weg aus Selbstbereicherung, Korruption und Unterordnung des Landes unter den Westen oder Russland fortsetzt.
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Ergänzungen

lüge ja, aber wann?

wahrheit 25.02.2014 - 04:31

die behauptung, dass die infragestellung der rolle der rechtsradikalen eine "lüge" ist, möchte ich kurz kommentieren, weil sie so nicht stehen bleiben kann.

es waren vielmehr während den ersten vier wochen der proteste nichts als dumme unwahrheiten gewesen, wenn jemand über den maidan behauptet hatte, dass es sich bei den aktiven überwiegend um rechtsradikale handeln würde.

ihr seid nach eurer angabe seit dem 21.02. in kiev und wollt dort "hunderte" rechtsradikale gesehen haben.

das ist glaubwürdig, und enrpciht auch dem, was andere berichtertstatter vor ort übermitteln.

aber hier ist daran zu erinnern, dass auf der auftaktkungebung am 14.01. eine halbe million menschen waren – wohl kaum überwiegend rechtsradikale.

bis vor zehn tagen berichteten zeugen noch von vor ort, dass z.b. die kirchen und synagogen zum gotttesdienst fast leer waren, weil alle auf der demo sind.

dass sich dies inzwischen geändert hat ist tragisch.

und die ursachen dafür sind kaum auszumachen, weil sich die rechten und der staat für die brandschatzungen und die angriffe auf linke und westlich orientierte gegenseitig die verantwortung zu schieben.


Momentaufnahme

lowerclassmagazine 25.02.2014 - 07:22
Wie die Bewegung am Anfang zusammengesetzt war, sehen wir jetzt natürlich nicht mehr, wir haben hier nur eine Momentaufnahme. Uns scheint aber vor allem eins bei den Leuten präsent zu sein: Jetzt wird (z.B. Timoschenko) Politpersonal installiert, dass man hier schon kennt, und von dem man nichts Gutes erwartet. Die Rechten haben auf dem Maidan den Leuten bewiesen, dass sie vorne kämpfen, während Klitschko auf irgendwelchen Treffen rumhockt. Das alles führt hier bei Vielen zur Annäherung an offen faschistische Positionen. Dennoch: Hier waren gestern vielleicht 7000 Menschen (grob geschätzt, ist schwer zu schätzen), die Mehrheit der Bevölkerung, egal ob ukrainisch oder russisch, ist das sicherlich nicht. Also können wir schwer einschätzen, was die "Mehrheit" will.

Video

... 25.02.2014 - 09:14
Intressantes Video zur Einschätzung der Situation in der Ukraine.
 http://derstandard.at/1392686088991/Alles-Faschisten-Was-in-der-Ukraine-wirklich-geschieht

...ob die mehrheit nun nais sind oder nicht.

klara 25.02.2014 - 11:24
...sei dahingestellt. unbestritten ist aber wohl, dass die mehrheit zumindest die nazis stillschweigend toleriert. un bei wahlergebnissen von 25% für die nazis bei den letzten wahlen (im westen des lanades) kann wohl kaum von einer kleinen gruppe gesprochen werden.

@schwarzrot

(A) 26.02.2014 - 10:07
Ukrainische Rechte verwenden rot-schwarze Fahnen, roter Streifen oben, schwarzer unten. Über schwarz-rote Fahnen, also z. B. rasierte Schlandfähnchen, regen sie sich ziemlich auf, weil sie nicht wissen, was es ist. Nestor Machno wird bei ihnen teilweise auch als Unabhängigkeitsheld verehrt, ohne dass die anarchistische Idee erwähnt wird, er hat's neulich sogar auf eine 2-Hrywna-Sondermünze geschafft.

was stimmt denn nu?

grunz 26.02.2014 - 11:02
Laut "Junge Welt" kontrollieren rechte Milizen Kiew:
 http://www.jungewelt.de/2014/02-24/001.php

Laut antideutschem "Hate Mag" sind die Faschisten in Kiew dagegen "marginal":
 http://www.jungewelt.de/2014/02-24/001.php

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