Arbeitslager statt Olympia

Cawa 20.02.2014 08:24 Themen: Repression Weltweit Ökologie
Der Versuch, in Sotschi einen Umweltbericht zu präsentieren, endet für den Öko-Aktivisten Witischko mit Arbeitslager und Hungerstreik. Weitere AktivistInnen sind von Repression betroffen.
Eugen Witischko ist Mitglied der "Ökowache Nordkaukasus" (ewnc.org) und war deshalb schon früh in den Widerstand gegen die Winterspiele in den Subtropen involviert. Aber nicht nur dieses Megaprojekt zerstört die Umwelt am Ostufer des Schwarzen Meeres. 2011 entdeckte er gemeinsam mit anderen AktivistInnen in einem geschützten Waldgebiet einen neu errichteten Zaun. Wie sich herausstellte, hatte sich Alexander Tkatschjow, Gouverneur des Bezirks Krasnodar, ein riesiges Areal am Schwarzen Meer angeeignet, um sich dort eine Luxusvilla bauen zu lassen. Proteste, Anfragen an Behörden und Anzeigen blieben folgenlos. Daraufhin legten die AktivistInnen im November 2011 zwei Felder des Zauns um, drangen in das Gelände ein und dokumentierten die Schwarzbaustelle fotografisch. Den Zaun beschrifteten sie mit der Parole: "Alexander ist ein Dieb!" Für diesen unglaublichen Akt des Vandalismus wurden Witischko und sein "Komplize", der Wissenschaftler Suren Gasarjan, im Juni 2012 verurteilt; Witischko erhielt drei Jahre auf Bewährung und Gasarjan flüchtete ins Ausland, wo er wegen dieser Angelegenheit politisches Asyl erhielt.
Das Oberste Gericht der Russischen Föderation verwies den Fall am 21. Oktober 2013 zurück an die unteren Instanzen, es habe nämlich zahlreiche Verfahrensfehler gegeben und als erstes wäre mal zu klären, ob der beschädigte Zaun überhaupt legal gewesen sei. Die unteren Instanzen taten einen Teufel und erklärten stattdessen, Witischko habe seine Bewährungsauflagen verletzt und solle die drei Jahre absitzen. Dagegen legte er Berufung ein, die am 22.2. vor dem Berufungsgericht in Krasnodar verhandelt werden sollte.
Zu seinen Bewährungsauflagen gehörte unter anderem eine strenge Meldepflicht mit Reisebeschränkungen. Also meldete er sich am 3. Februar brav bei der zuständigen Polizeiwache und kündigte ordnungsgemäß an, dass er nach Sotschi zu reisen gedenke. Er wollte dort nämlich den Bericht der Ökowache zu den olympischen Umweltzerstörungen vorstellen ( http://ewnc.org/files/sochi/Doklad-Sochi-2014_EWNC.pdf - auf Russisch, aber mit vielen Bildern, also auch so ganz interessant zum Anschauen). Dazu kam es aber nicht. Gleich an der Bushaltestelle vor dem Polizeigebäude wurde er festgenommen, angeblich wegen Fluchens in der Öffentlichkeit, was zwei zuverlässige Polizeizeugen später schriftlich bestätigten. Das Amtsgericht verweigerte ihm, seinen Anwalt zu kontaktieren, setzte ihm stattdessen einen Pflichtverteidiger vor die Nase (den er ablehnte), weigerte sich auch, die Belastungszeugen zu hören (was wollen Sie denn, die Aussagen liegen doch schriftlich vor) und verurteilte ihn zu 15 Tagen Ordnungshaft (eine Art Bußgeld-Ersatz, kann für 5-15 Tage verhängt werden und ist sofort vollziehbar).
Die Vorstellung des Umweltberichts in Sotschi scheiterte schließlich, weil auch andere Mitglieder der "Ökowache" mit Repression überzogen wurden. Igor Chartschenko wurde am 4.2. unter ähnlich dubiosen Umständen zu Ordnungshaft verurteilt, und mindestens fünf weitere AktivistInnen wurden jeweils für einige Stunden festgenommen.
Damit nicht genug, zog das Berufungsgericht die Verhandlung über Witischkos Bewährungswiderruf um zehn Tage vor und bestätigte ihn somit bereits am 12.2. ohne Abstriche (wobei er wegen seiner Inhaftierung nicht persönlich, sondern nur per Videoschaltung an der Verhandlung teilnehmen konnte). Normalerweise hätte er sich nach Absitzen seiner Ordnungsstrafe selbst in die Strafkolonie begeben müssen, das ersparten ihm aber die freundlichen Behörden, indem sie ihn gar nicht freiließen, sondern direkt auf den Transport schickten. Witischko griff zum einzigen Mittel, das ihm in dieser Situation noch blieb, und trat in den Hungerstreik. Das ist auch die letzte Nachricht, die wir von ihm haben, denn solche Transporte können eine Weile dauern und in dieser Zeit haben die Gefangenen keinen Kontakt zur Außenwelt (Nadja von Pussy Riot war auf dem Weg nach Sibirien letztes Jahr mehrere Wochen "incomunicada").
Der Nolympia-Widerstand in Russland, speziell in der Region um Sotschi, war übrigens anfangs recht stark, brach aber nach der Vergabe der Spiele wegen einer Mischung aus Resignation und Repression ziemlich vollständig zusammen.

Protestieren könnt Ihr z. B. bei der russischen Botschaft in Berlin, Unter den Linden 63-65, oder über  http://eng.letters.kremlin.ru/send direkt beim Chef (könnt auch auf Deutsch schreiben, das "eng" bedeutet bloß, dass die Formularfelder englisch angeschrieben sind). Quellen und weiterführende Informationen findet Ihr bei Amnesty International (amnesty.de - Protestaktion:  http://amnesty.de/urgent-action/ua-014-2014-2/drei-jahre-haft-fuer-umweltschuetzer), der Ökowache Nordkaukasus (ewnc.org) und weiteren russischen Umweltorganisationen wie den Chimki-WaldschützerInnen (ecmo.ru); zum Suchen ganz hilfreich ist die englische Transkription des Namens Eugen Witischko, nämlich "Yevgeniy Vitishko" (und auf Russisch schreibt er sich Евгений Витишко, falls der indy-Editor die Sonderzeichen durchlässt).

Leider ist das nicht der einzige Fall von Repression in Russland: Der Punk und linke Aktivist Alexej Ras'chodtschikow aus Murmansk wurde am 11.2. wegen "Widerstands" zu einem Jahr Lagerhaft verurteilt (er wurde auf dem Wostok-Forum in Murmansk letzten Herbst verhaftet und saß seither unter wechselnden Anklagen im Hausarrest). Und diesen Freitag (21.2.) steht die Urteilsverkündung gegen Sandra Duchanina-Naumowa und sieben weitere Angeklagte im Bolotnaja-Prozess (wegen der zerschlagenen Großdemo gegen Putins erneute Amtseinführung 2012) an, die Staatsanwaltschaft hat für alle fünf bis sechs Jahre Haft beantragt. Infos hierzu auf avtonom.org (das meiste auf Russisch, aber in der englischen Sektion gibt's auch halbwegs aktuelle Updates, während der deutsche Newswire ziemlich brachliegt).
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Ergänzungen

Urteil

avtonom 22.02.2014 - 08:41
Sandra und die anderen sieben Bolotnaja-Gefangenen sind am Freitag alle schuldig gesprochen worden, das Strafmaß wird am Montag verkündet. Sah nicht so aus, als gäbe es viel Rabatt auf den Antrag der Staatsanwaltschaft.

Und avtonom.org ist anscheinend wieder mal down...