„Wir haben es satt“ - Demo in Berlin

Heinz Eckel 19.01.2014 13:02 Themen: Biopolitik Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
Schon zum vierten Mal in Folge fand am Samstag in Berlin die große überregionale Demonstration für eine Agrarwende statt. Ca. 30 000 Teilnehmer/innen zogen durch das Regierungsviertel zum Bundeskanzleramt, um ihrem Protest und Widerstand gegen die Agrarindustrie, Landgrabbing, Massentierhaltung und das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP Ausdruck zu geben. Aufgerufen zu der Demonstration hatten über 100 Organisationen und Initiativen vor allem aus der bäuerlichen Landwirtschaft und dem Umwelt-,Verbraucher- und Tierrechtsschutz.
Bei der Auftaktkundgebung bekundeten Sprecher/innen aus Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Österreich und Schweden ihre Solidarität im Kampf für eine ökologische Agrarwende, weg von Massentierhaltung, Antibiotikaeinsätzen, Agrarchemie und Gentechnik. Mit Straßentheater wurde auf das zunehmende Landgrabbing sowie das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP aufmerksam gemacht und agitiert.

Das TTIP, welches US-und multinationalen Konzernen die Durchsetzung ihrer Interessen unter Umgehung nationaler und EU-weiter Umwelt- und Sozialstandards sowie nationaler Gerichtsbarkeiten ermöglichen soll, stellte dieses Jahr auch eines der zentralen Themen der Demonstration dar. Eine Rednerin aus den USA vericherte ihre Solidarität im Kampf gegen dieses - quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit geheim verhandelte -Abkommen, welches auch die sich in den USA gerade stark entwickelnde Bewegung für eine ökologische und regionale Lebensmittelversorgung bedroht. Hubert Weigert vom BUND fasste die entsprechenden Forderungen treffend so zusammen: „FairHandel statt Freihandel“.

Hier die gemeinsame Pressemitteilung des "Wir haben es satt!"-Bündnisses zur Demonstration:

30 000 Menschen fordern: Stoppt Agrarindustrie!

Die wachsende „Wir haben es satt!“-Bewegung demonstriert für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft und gutes Essen

Berlin, 18. Januar 2014 | Angeführt von hunderten Bäuerinnen und Bauern und 70 Traktoren zogen heute 30 000 Menschen vor das Kanzleramt in Berlin. Die DemonstrantInnen forderten von Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel einen Kurswechsel in der Agrarpolitik. Statt weiterhin „Klientelpolitik für die Agrarindustrie“ zu betreiben, solle sich die Bundesregierung für eine soziale, tiergerechte und ökologische Agrarwende einsetzen.

„Die Große Koalition fährt die Agrarpolitik an die Wand! Wer Megaställe genehmigt und subventioniert, wer auf Export und Freihandel setzt und dann auch noch darüber nachdenkt, Gentech-Pflanzen auf Europas Äckern zuzulassen, der lässt die Bäuerinnen und Bauern im Stich und handelt gegen die Interessen von VerbraucherInnen, Tieren und Umwelt“, sagt Jochen Fritz vom „Wir haben es satt!“-Bündnis. „Wir erwarten von der neuen Bundesregierung eine Landwirtschaftspolitik, die das Arten- und Höfesterben stoppt und den Hunger in der Welt bekämpft.“

Die Veranstalter kritisierten besonders das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP). „Hinter verschlossenen Türen verhandelt die EU-Kommission über ein Freihandelsabkommen, das Bauern und Verbrauchern gleichermaßen schadet. Die große Mehrheit der Menschen will keine Chlorhühnchen, kein Hormonfleisch und keine Gentechnik durch die Hintertüre“, sagte Fritz. Genau das drohe aber, wenn das geplante Freihandelsabkommen abgeschlossen wird.

Aufgerufen zu der Demonstration hatte das „Wir haben es satt!“-Bündnis aus über 100 Organisationen, darunter Bäuerinnen und Bauern, ImkerInnen, Natur-, Tier- und VerbraucherschützerInnen, Entwicklungsorganisationen und Erwerbsloseninitiativen.

Statements:

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
„2014 ist ein entscheidendes Jahr. Es kommt darauf an, das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zu stoppen. Dieses Abkommen gefährdet uns, unsere Kinder, die Tiere und die Umwelt. Das dürfen wir nicht zulassen. Chlorhühnchen, Hormonfleisch und Gentechnik auf dem Teller lehnen wir ab! Stattdessen brauchen wir eine Landwirtschaft, in der bäuerliche Betriebe gefördert werden statt Massentierhaltung und Export. Agrarminister Friedrich muss sich dafür einsetzen, dass mehr Geld in tiergerechte Haltungsformen fließt und dass Gentechnik und Pestizide nicht in unsere Lebensmittel gelangen.“

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: "Immer größere Bestände in immer intensiveren Haltungen mit immer mehr manipulierten Hochleistungstieren sind ein Irrweg. Wir brauchen ein neues Denken und Handeln in der Agrarpolitik."

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Die Menschen wollen keine Gentechnik auf Äckern und Tellern. Die Zukunft aller Landwirte in Deutschland hängt daher davon ab, ob sie weiterhin gentechnikfrei produzieren können. Es ist deshalb entscheidend, dass die Bundesregierung in Brüssel mit einem klaren Nein gegen die Zulassung des Gentech-Maises „1507“ stimmt.“

Kerstin Lanje, Referentin für Welthandel und Ernährung bei MISEREOR: „Milchpulver, Hühnchenreste und Schweinefleisch, die in Massen von Deutschland und der EU exportiert werden sind so billig, dass Bauern in Afrika damit nicht konkurrieren können. Auch unsere Soja-Importe als Futtermittel für die massenhafte Fleischproduktion gehen auf Kosten der Armen in den Herkunftsländern. Riesige Flächen von wertvollem Ackerland werden für die Sojaproduktion genutzt, die dann für den Anbau von Lebensmitteln fehlen. Menschen werden von ihrem Land vertrieben. Pestizide für die anfälligen Monokulturen vergiften Menschen, Tiere und die Umwelt.“

Carlo Petrini, Präsident von Slow Food International: „Die bäuerliche Landwirtschaft ist nicht modernitätsfern, arm oder unterentwickelt. Es ist ein nachhaltiges landwirtschaftliches Modell, das natürliche und menschliche Ressourcen respektvoll nutzt und so soziale und Ernährungssicherheit weltweit garantiert. Dafür steht das diesjährige Internationale Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe und dafür stehen wir heute in Berlin!“

Eckehard Niemann, Sprecher des Netzwerks Bauernhöfe statt Agrarfabriken: „Das Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken fordert von der Bundesregierung das vollständige Verbot neuer Megaställe sowie Gesetze für eine artgerechte, flächenverbundene Tierhaltung ohne Antibiotika-Abhängigkeit, mit Auslauf und Stroh, in bäuerlich-mittelständischen Strukturen und lebendigen ländlichen Regionen – also: Klasse statt Masse zu fairen Erzeugerpreisen!“
 http://wir-haben-es-satt.de


(Sämtliche Fotos – und noch einige mehr – sind zur freien nichtkommerziellen Verwendung im Original auch hier abrufbar:  http://www.flickr.com/photos/36881840@N06/sets/72157639908760413 )
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Ergänzungen

Ergänzung

Heinz Eckel 19.01.2014 - 13:32
Ein Hintergrundbericht zum Landgrabbing in Ostdeutschland findet sich hier:

 http://www.deutschlandfunk.de/landgrabbing-ausverkauf-der-ostdeutschen-landwirtschaft.724.de.html?dram:article_id=274916

und eine ausführliche Bestandsaufnahme zur Verflechtung und Verfilzung der Gentechnik in Deutschland mit staatlichen Geldgebern und Genehmigungsbehörden, „Forschungseinrichtungen“ (auch universitären) sowie Lobbyorganisationen hier:  http://www.youtube.com/watch?v=GHx-nozx5fQ
(dieser Beitrag spart auch nicht mit Kritik an Umweltorganisationen und eher gentechnikkritischen Parteien wie den Grünen, der Linkspartei und der SPD).

Den Audiomitschnitt einer TTIP-Satire auf der gestrigen Demo füge ich bei (diese Szene wurde auch von einer Reporterin von Dradio – Deutschlandfunk oder Deutschlandradio Kultur - mitgeschnitten und dürfte auch dort, in technisch besserer Qualität, vorhanden sein).

(Alle Fotos zur freien nichtkommerziellen Verwendung auch hier wieder im Original abrufbar:  http://www.flickr.com/photos/36881840@N06/sets/72157639908760413 )

TTIP-Satire

H.E. 19.01.2014 - 15:12
Hier noch der Link zur Satire (die in der Ergänzung nicht erschienen ist):

 http://www.youtube.com/watch?v=7tgDvEx-y98

Ergänzung

Name 20.01.2014 - 14:18
Hier noch ein paar Anmerkungen zur Demo:

Es gab ein großes Transparent mit der Aufschrift "Schlachthof Wriezen - Europas größte Gaskammer". Das Transparent konnte die ganze Demo unbehelligt mitlaufen. Ein Versuch, die Träger*innen des Transparentes anzusprechen, scheiterte an deren Kommunikationsverweigerung.

Es gab diverse Beiträge, die unkritisch und unhinterfragt die "bäuerliche familiäre Landwirtschaft" als Gegenmodell zu den "Konzernfabriken" glorifizierten - naiv und oberflächlich.

Die Moderation auf der Abschlussbühne war absolut nervig und autoritär - wie auch große Teile der Veranstaltung insgesamt.

Es gab einen sehr großen Block der Partei "Die Grünen" gegen Ende der Demo. Sonst überwogen auf der Demo große Mengen an einheitlichen Fahnen von fragwürdigen Organisationen wie "Brot für die Welt" und "Miserior" (missionarische Christen), "Demeter"(Eso-Sekten-Anhänger, sog. "Anthroposophen) sowie großen NGOs wie BUND und, auch sehr nervig, CampAct. Entsprechend durchorganisiert war auch die ganze Veranstaltung, inklusive genauer Anweisungen, wo welche Forderung anzubringen ist, damit sie von der Presse abgefilmt werden kann, Anweisungen, dass jetzt gefälligst mal zwei Minuten mit den Nachbar*innen geredet werden soll etc. usw.

Nicht nur Nazi-Relativierer*innen wie die Leute mit dem "Gaskammer"-Transpi, sondern auch rechte Parteien wie die ÖDP konnten sich unbehelligt (und auf der Abschlusskundgebung auch dominant mit diversen Fahnen direkt vor der Bühne) betätigen.

Also insgesamt eine ziemlich fragwürdige Veranstaltung. Sehr groß, sehr gemischt, und mal gucken wo das alles noch hinführt.

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