Rassismus als linke Kritik getarnt

Jüdische Stimme 14.01.2014 14:58 Themen: Militarismus Repression Weltweit
Stellungnahme der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost zur Flugschrift der Aktion 3. Welt Saar “Vorsicht, die Helfer kommen”.

Kurz vor Weihnachten lag der taz eine Flugschrift der Gruppe “Aktion 3. Welt Saar” bei, unter dem Titel “Vorsicht, die Helfer kommen”; darin richtete sich die Kritik hauptsächlich gegen Entwicklungshilfe in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten. Wir halten es für richtig, eine kritische Diskussion über die problematischen Aspekte der vielfältigen finanziellen Interventionen westlicher Länder in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten in der Öffentlichkeit zu führen. Hier aber mussten wir feststellen, dass der Inhalt der Flugschrift nichts mit der Kritik vieler palästinensischer und israelischer Menschenrechtsorganisationen, Aktivist/Innen und unabhängiger Persönlichkeiten zu tun hat. Ganz im Gegenteil, unter einem angeblich kritischen Ton übermittelt diese Flugschrift die offizielle Propaganda der israelischen Regierung wie auch einiger rechter und rassistischer Organisationen, derer erklärten Ziel es ist, Menschen, die Kritik an der israelischen Besatzung üben, einzuschüchtern, zu bedrohen und zu diffamieren.
Tatsächlich steht die überproportionale finanzielle Intervention verschiedener internationaler Akteure in Israel-Palästina seit längerer Zeit in der Kritik, denn die Entwicklungshilfe optimiert die Bedingungen der militärischen Besatzung und macht sie somit langfristig erst möglich. Die humanitäre Not, die durch das massive Spenden aus dem Ausland gelindert werden soll, wird nicht durch Naturkatastrophen verursacht, sondern ist das Resultat einer siebenundvierzigjährigen brutalen militärischen Besatzung, die von allen europäischen Staaten geduldet wird, wenn nicht sogar aktiv Unterstützung bekommt. Die internationale Finanzierung von Entwicklungshilfe und die Institution der Palästinensischen Regierungsbehörde führen nicht zur Beseitigung der Besatzung, sondern zu einer permanenten politischen und sozialen Abhängigkeit der palästinensischen Gesellschaft von internationalen Geldgebern. Eine solche Finanzierung verursacht Korruption und setzt Depolitisierungsprozesse in Gang. Anstatt dass der israelische Staat für die miserablen Zuständen in den besetzten Gebieten Verantwortung übernimmt, wie es das Völkerrecht vorsieht, und zur Kasse gebeten wird, freut sich Israel über die Unsummen von internationalen Geldern, die zum größten Teil ihren Weg in die israelische Ökonomie finden, durch Besteuerung und durch Ankauf von israelischen Waren. Das Entwicklungsbusiness entpuppt sich tatsächlich als Hindernis für eine friedliche Lösung, dies aber nicht weil die Geldgeber anti-israelisch wären, wie es die Saar-Gruppe behauptet, sondern weil dieses Geschäft unglaublich profitabel für die Besatzungsmacht ist. Neben den viel größeren Geschäften mit Waffen und mit der Ausbeutung billiger palästinensischer Arbeitskraft erzielt der Staat Israel noch Gewinn durch den Wiederaufbau von Infrastruktur, die er selbst zerstört hat(1). Es ist daher nicht überraschend, dass das israelische Militär enge Kontakte zu vielen Entwicklungsorganisationen pflegt und dass der israelische Staat offiziell jede Investition in den palästinensischen Gebieten begrüßt, solange sie nicht ihren Annexionsplänen zuwiderläuft(2).

Gegen diese gescheiterte Entwicklungshilfe organisierte sich in den letzten Jahren breiter und mutiger Widerstand von palästinensischen Organisationen, die den internationalen Geldgebern ihre Zusammenarbeit verweigerten, solange diese nicht politischen Druck gegenüber Israel ausüben(3). Tatsächlich war es die politische Arbeit von Palästinenser/Innen, und nicht irgendwelche dunkle Motive der europäischen Geldgeber, die in den letzten Jahren zu einem kritischeren Umgang mit der israelischen Besatzungspolitik beitrug. Dies wiederum führte zu einer PR-Kampagne der israelischen Regierung gegen jene Organisationen, deren Fingerabdruck wir in dieser Flugschrift gut sehen können und in dem – ganz im Gegenteil zum tatsächlichen Verlauf – jegliche palästinensische Kritik, Handlungsfähigkeit und Selbstorganisation außer Acht gelassen wird.

Damit kommen wir zum rassistischen Kern der Flugschrift. Obwohl in vier Seiten über die Situation in Palästina geschrieben wird, kommt keine einzige palästinensische Person zu Wort, außer in einem Zitat des Exilchefs der Hamas, das nur deswegen aufgeführt wird, um die Palästinenser zu dämonisieren. Da die Flugschrift vehement vor Entmündigung der Empfänger von Entwicklungshilfe warnt, kann das totale Verschweigen von palästinensischen Stimmen nur als eine rassistische Praxis verstanden werden. Dass die einzigen Nicht-Europäer, die im Text Erwähnung finden, Vertreter der Hamas oder angebliche “türkische Islamisten” sind, ist ein Ausdruck von anti-muslimischem und anti-arabischem Rassismus, der Muslime oder Araber nur in Verbindung mit Terrorismus und Extremismus auftreten lässt.

Inwiefern die Texte in der Flugschrift einer eigenen Recherchearbeit der Saargruppe entstammen oder ob die Argumentationsmuster und zweifelhaften Informationen aus anderen Quellen stammen, lässt sich durch einen näheren Blick in die Fußnoten wie auch durch einen Vergleich mit israelischen Webseiten herausfinden(4). Neben Links zu Wikipedia, zur “anti-deutschen” Zeitschrift Jungle World, zu einem amerikanischen neokonservativen und islamophoben Think-Tank und zum israelischen Außenministerium finden wir in den Fußnoten auch zwei bekannte israelische Organisationen, die sehr eng mit der israelischen Regierung zusammenarbeiten. Neben der Organisation “Palestinian Media Watch”, die von Itamar Marcus geführt wird, Siedler und Mitarbeiter der Premierministers(5), wird auch auf die Organisation NGO-Monitor hingewiesen, die sich in den Vordergrund des Kampfes gegen Menschenrechtsorganisationen in Israel stellte und die anti-demokratischen Gesetze unterstützt, die deren Finanzierung erschweren sollen(6).

Die Flugschrift der “Aktion 3. Welt Saar” entlarvt sich noch weiter als Propaganda mit ihrer einzigen längeren thematischen Auseinandersetzung: Kritisiert wird ein Bericht von Amnesty International über die israelische Wasserpolitik in den besetzten Gebieten. Komischerweise handelt es sich dabei nicht um eine Kritik an Entwicklungshilfe – dem angeblichen Thema der Flugschrift – , da Amnesty überhaupt keine Projekte in den besetzten Gebieten unterstützt, sondern lediglich Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Die in der Flugschrift publizierte Kritik basiert fast ausschließlich auf einem inoffiziellen Bericht der israelischen Wasserbehörde, der von Prof. Dr. Haim Gvirtzman – einem Siedler aus der extremistischen Siedlung Dolev in der Nähe von Ramallah – verfasst wurde. Eine ausführliche Gegendarstellung(7) des in Ramallah ansässigen Experten für Wasserwirtschaft Clemens Messerschmid zeigt, wie wenig jene Informationen mit der Wahrheit zu tun haben. Beispielsweise hält die Flugschrift den von Gvirtzman (viel zu hoch) angesetzten Gesamtwasserverbrauch von 287 Liter/Kopf&Tag (aus Trinkwasser und aus industriellem, landwirtschaftlichem und häuslichem Brauchwasser) für den reinen Trinkwasserverbrauch und argumentiert aufgrund dieses Fehlers gegen die von Amnesty genannten Zahlen von 50-70 Liter zum Trinkwasserverbrauch. Beispielsweise behauptet die Flugschrift, der Amnesty-Bericht habe keine Quellen für seine Zahlen genannt, während dieser in Wirklichkeit seine Quellen sehr wohl nennt: die Zahlen stammen aus dem Weltbankbericht.

Es wäre interessant zu erfahren, welche Geldgeber diese offensichtlichen Torheiten für so gut und wichtig befunden haben, dass sie sogar bereit waren, die Kosten für die Taz-Beilage aufzubringen. Jedoch es ist für uns wichtiger zu wissen, wie eine Flugschrift, die durch eine klare Zusammenarbeit mit rechtextremistischen Gruppen innerhalb Israel zustande gekommen ist, überhaupt als Beilage in der Taz verschickt werden durfte.

Dies sind aber Fragen, die sich nicht nur die Taz-Redaktion stellen sollte. Wir sind zutiefst besorgt, dass eine Organisation, die mit rassistischen und rechtextremistischen Kräften in Israel kooperiert, innerhalb progressiver und anti-rassistischer Netzwerke geduldet wird. Daher rufen wir alle Gruppen auf, denen der Kampf gegen Rassismus, Kolonialismus und Militarismus ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit ist, jegliche Zusammenarbeit mit der Gruppe „Aktion 3. Welt Saar“ zu beenden.
Links zum Weiterlesen: Palästinensische Kritik an Entwicklungshilfe

MA’AN Development Center Position Paper:
Matrix of Control: The Impact of Conditional Funding on Palestinian NGOs

 http://www.maan-ctr.org/pdfs/FSReport/PositionPaper.pdf

Aid industry doing no harm in Palestine? Samer Abdelnour The Electronic Intifada 22 March 2011

 http://electronicintifada.net/content/aid-industry-doing-no-harm-palestine/9826



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(1) Siehe dazu Shir Hever “Occupation and Aid”:

(2) Ein erhellender Beitrag zu dieser Thema von Oberstleutnant Sharon Biton befindet sich in “Maarachot”, einem internen Magazin des israelischen Militärs, unter dem Titel: “Internationale Hilfsorganisation in Gaza- eine Last oder Vorteil?”.  http://maarachot.idf.il/PDF/FILES/7/113177.pdf

(3) Am wichtigsten in diesem Zusammenhang war eine Erklärung im Jahr 2011, in der 28 Bürgermeister die Zusammenarbeit mit USAid abgesagt haben, nachdem die USA eine UN-Resolution für den palästinensischen Staat blockiert hat.  http://www.maannews.net/eng/ViewDetails.aspx?ID=362993

(4) Einige Parallelen sieht man mit Berichten von NGO-Monitor ( http://www.ngo-monitor.org) und vor allem mit einer rechtextremistischen Organisation namens “Center for Near East Policy Research Ltd”, die vom Siedler David Bedein geführt wird und sich mit Hetze gegen UNRWA und andere UN-Organisationen spezialisiert hat ( http://www.cfnepr.com/site/index.asp?depart_id=205640&lat=en).

(5) Siehe Akiva Eldar “What Did You Study In School Today, Palestinian Child?”in Haaretz English Edition Tuesday, January 2, 2002

(6) Siehe ihre eigene Website

(7)  http://www.scharf-links.de/55.0.html?
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