Die 'Tarifeinheit' und das Streikrecht

Olli R. 05.01.2014 16:30 Themen: Soziale Kämpfe
Hinter dem Wort „Tarifeinheit" steckt leider nicht das, was vermutet werden könnte, wie z.B. gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Verhinderung von Dumpingverträge kapitalnaher „Gewerkschaften" oder das Untersagen von Unternehmensaus-gründungen, um Tarifverträge zu unterlaufen. Nein, Bekanntgaben von Neuordnungen versprechen durchweg nicht Verbesserungen, sondern Verschlechterungen der Ausgangsbedingungen für den Kampf um Klassenautonomie und Solidarität. So auch in diesem Falle.
Die „Tarifeinheit" als Hebel der Begrenzung des Streikrechts

Dem (originellen) Ideenreichtum und der (kreativen) Begriffsschöpfung sind wahrlich kaum Grenzen gesetzt. Hinter dem Wort „Tarifeinheit" steckt leider nicht das, was vermutet werden könnte, wie z.B. gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Verhinderung von Dumpingverträge kapitalnaher „Gewerkschaften" oder das Untersagen von Unternehmensaus-gründungen, um Tarifverträge zu unterlaufen. Nein, Bekanntgaben von Neuordnungen versprechen durchweg nicht Verbesserungen, sondern Verschlechterungen der Ausgangsbedingungen für den Kampf um Klassenautonomie und Solidarität. So auch in diesem Falle ...

Der antigewerkschaftliche Vorstoß der GroKo
Im 180-seitigen Vertrag der Großen Koalition (GroKo) sind die Passagen auf Seite 70 aus gewerkschaftlicher und unionistischer Sicht entscheidend. In den wenigen Zeilen zielen die Großkoalitionärlnnen aus CDU/CSU und SPD de facto auf das Streikrecht. Sie kündigen an, "den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheits-prinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber" in Gesetzesform gießen zu wollen. Man wolle, heißt es dort, „den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen [...] lenken." Die im Wege stehenden "verfassungsrechtlich gebotenen Belange", womit das im Grundgesetz garantierte gewerkschaftliche Koa-litionsrecht gemeint ist, hindern die GroKo allerdings vorerst daran, umgehend in die Offensive zu gehen.
Die sog. Tarifeinheit besagt, dass faktisch nur noch diejenige Gewerkschaft, die in einem Betrieb die meisten einge-tragenen Mitglieder vorweisen kann, berechtigt ist, Tarifverträge abzuschließen. Diese tariflichen Vertragsabschlüsse gelten dann für alle Beschäftigten gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie Mitglied der entsprechenden Gewerk-schaft sind oder nicht. Die Folgen wären gravierend: Für alle Lohnabhängigen im Betrieb gälte dann während der Laufzeit des Tarifvertrages die gesetzlich verankerte Friedenspflicht. Die Rechte nach Artikel 9 Absatz 3 GG, die u.a. Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, beinhalten, wären buchstäblich suspendiert.
Argumentative Schützenhilfe kommt aus den Reihen der besonders unternehmerfreundlichen Wirtschaftsinstitute, die sich notorisch als Stichwortgeber für Einschnitte in arbeitsrechtliche Standards betätigen. An vorderster Front treten die Hofschreiber des Kapitals vom rheinischen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln an. In einer aktuellen Untersuchung wird die „Konfliktintensität von Tarifverhandlungen" analysiert. Die Analysten des IW erkennen hierbei eine „Entwertung" der tarifvertraglichen Friedenspflicht, „wenn mehrere konfliktfreudige Gewerkschaften bei einem Arbeitgeber in Konkurrenz treten." (express 12/2013) Die „Tarifeinheit" soll demnach als Instrument funktionieren, um eine Friedhofsruhe in den Betrieben einziehen zu lassen.

DGB und BDA als Vorhut
Die aktuelle großkoalitionäre Offerte schließt an das nach dem DGB-Kongress 2010 lancierte Vorhaben von Gewerk-schaftsspitzen und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) an, über den Hebel der sog. Tarifeinheit insbesondere den größer gewordenen Einfluss der Spartengewerkschaften (Marburger Bund, die Ge-werkschaft Deutscher Lokomotivführer [GDL] und die Flugbegleiterorganisation Cockpit) zu beschneiden. Die Umset-zung dieser Gesetzesinitiative konnte aufgrund des massiven Widerspruchs seitens recht breiter Kreise der Gewerk-schaftsbasis gekippt werden. Dass ein erneuter Anlauf bei einer passenden Gelegenheit unternommen würde, stand außer Frage. Nun ist es soweit und im Hintergrund klatschen die ehemals als Protagonistinnen in die Arena gesprun-genen Vertreter aus Gewerkschafts- und Kapitalverbänden Beifall.
Allein die Tatsache, dass die Führungsetagen von DGB und BDA an einem Strang ziehen und den sozialpartner-schaftlichen Klassenkompromiss in Reinform zelebrieren wollten, spricht Bände. Es ist abstrus, aber mit Hilfe der „Interessenvertretung" der Lohnabhängigen und Beschäftigten sollten die Möglichkeiten von Arbeitskampfmaßnah-men im Verbund mit denen reglementiert werden, gegen die sie sich richten sollen. D.h. mit jenen, die ein erklärtes Interesse an interventionsschwachen Gewerkschaften haben. Der DGB operiert einmal mehr nicht als Katalysator eines sozialen Protests, sondern als Stabilisator im Rahmen des „finanzmarktdominierten Kapitalismus".

Von der Einschränkung zur Ausweitung des Streikrechts
In der Bundesrepublik existiert weder ein individuelles Grundrecht auf Streikhandlungen, noch das Recht, politisch motiviert in den Streik zu treten. Letzteres käme, so die staatstragende Kritik, einer „Parlamentsnötigung" gleich. Die Ausführenden der „Volkssouveränität" würden in ihrer Entscheidungsunabhängigkeit tangiert, wenn mittels eines politischen Streiks Druck auf „den Gesetzgeber" ausgeübt würde. Nun bleibt der gute alte Erfahrungswert wirkungsmächtig, dass ohne sozialen Bewegungsdruck keine Verschiebung von Kräfteverhältnisse zu erwarten ist. Es fehlt denen, die an den Schalthebeln (wirtschaftlicher und politischer) Macht sitzen, folgerichtig der Antrieb, Räume für sozialen Widerstand zu öffnen. Forderungen, die in diese Richtung adressiert werden, kommen mit dem Hinweis der Unzustellbarkeit postwendend zurück.
Eigeninitiatives und selbstbestimmtes Auftreten sind die einzig adäquaten Reaktionen, um eine Chance zu haben, die klassenspezifischen Angriffe des Bündnisses von GroKo, DGB und BDA abzuwehren. Das Erkämpfen des politi-schen Streikrechts steht bereits seit Jahren auf der Widerstandsagenda linksgewerkschaftlicher, syndikalistischer und unionistischer Initiativen. Die konzertierte Attacke gegen Streiks, die über die „Tarifeinheit" eingeleitet werden soll, lässt sich am ehesten kontern, wenn die Idee des politischen Streiks popularisiert wird. Unter dem Motto „Hände weg vom Streikrecht!" mobilisiert die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG) für Ende Januar 2014 zur Gegenwehr: „Für alle, die die geplanten Eingriffe in das Streikrecht, die Tarifautonomie und das Recht auf Koaliti-onsfreiheit erneut verhindern wollen, gilt es, frühzeitig den Widerstand gemeinsam zu organisieren." Dieser Appell wird hiermit ausdrücklich unterstützt ...

Strike! Streitschrift für revolutionären Unionismus und Rätekommunismus
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Ergänzungen

Große Koalition gegen Koalitionsfreiheit?

FAU-IAA Berlin 05.01.2014 - 19:14
Presseerklärung - 13.12.13 von Pressesekretariat | FAU Berlin:


Gewerkschaftsfreiheit: Große Koalition gegen Koalitionsfreiheit?

"Tarifeinheit" ist Angriff auf Gewerkschaftsfreiheit. FAU Berlin kritisiert scharf Pläne der großen Koalition.

Im Koalitionsvertrag bekundet die angehende Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, man plane, „den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken“, und wolle „den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip ... gesetzlich festschreiben.“ Von einer solchen Regelung wären nicht nur die sogenannten Spartengewerkschaften betroffen, sondern auch Basisgewerkschaften wie die Freie ArbeiterInnen-Union Berlin (FAU Berlin).

Bereits im November 2011 hatte die International Labour Organisation (ILO) der UNO kritisch angemahnt, dass ihr jegliche Entwicklung in Sachen einer gesetzlichen Regelung zur Tarifeinheit angezeigt werden soll, da die Tarifeinheit international anerkannte Arbeitnehmerrechte verletzen könnte. Auch die Rechte von kleinen Gewerkschaften zu stärken, wurde durch die ILO eingefordert.

„Tarifpluralität ist ein Schritt näher an der Gewerkschaftfreiheit“, so Florian Wegner, Sekretär der FAU Berlin, „die Tarifeinheit ist das genaue Gegenteil; eine Burgfriedenpolitik in Zeiten der Krise“. Letztlich würde dies eine Einschränkung der grundgesetzlichen Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG) bedeuten.

Im Kern geht es darum, wer das Recht hat, einen Arbeitskampf zu führen. Eine gesetzliche Regelung würde die tarifliche Friedenspflicht über die vertragsschließende Organisation hinaus auf den gesamten Betrieb ausdehnen und das Streikrecht anderer Gewerkschaften verletzen. Damit behindert das „betriebsbezogene Mehrheitsprinzip“ auch die gewerkschaftliche Wahlfreiheit und privilegiert weiterhin staatlich anerkannte DGB-Gewerkschaften und fördert deren Gewerkschaftsmonopolismus.

Die FAU Berlin kämpft weiter für die Annäherung an internationale Standards, die Gewerkschafts- und Koalitionsfreiheit und proklamiert darüber hinaus das Streikrecht als Menschenrecht.

Berlin den 13.12.2013