[Hamburg] Eine selbsterfüllende Prophezeiung

Gerhardt H. 23.12.2013 15:49 Themen: Freiräume Repression Soziale Kämpfe
Seit Wochen hat die Polizei Hamburg in Pressemitteilungen eine Eskalation vorbereitet. Schreckensnachrichten über "gewaltbereite Linksextreme" kursierten durch Hamburger Medien und wurden von diesen auch bereitwillig aufgegriffen. Im billigsten Stil berichtete beispielsweise die Hamburger Mopo die letzten Tage über die anstehenden Proteste ausschließlich aus einer Sicht eines Einsatzplaners. Hier die Polizei die alles schützen will, da die bösen Demonstranten, die die Innenstadt zerstören wollen bzw. den Weihnachtsbummel durcheinander bringen könnten.
Ja, der Weihnachtsbummel. Der ist es der Hamburger Polizei sogar wert, den Notstand auszurufen und ein 24 stündiges Ausgehverbot für alle Menschen in der Innenstadt auszusprechen, die in ihren Augen linksorientiert sind.
Bereits um Mitternacht von Freitag auf Samstag begann die Polizei damit, die Innenstadt abzuriegeln. Wer da noch rumstreunte, etwa weil er von einer Party im berühmten Gängeviertel (ein wahrer Hort der Militanz!) kam, kassierte jetzt bereits seinen ersten Platzverweis. Wer in der Innenstadt lebt oder arbeitet, für den kann solch ein Platzverweis existenziell sein. Piercing im Ohr und zu dunkle Klammotten reichen, um nicht mehr zum Weihnachtsmarkt durchgelassen zu werden.
Da freuen sich die Arbeitgeber, die gern alternative Menschen an den Ständen arbeiten lassen. Ja, wer trotzdem in die Innenstadt wollte oder musste, der musste sich schon verkleiden, um dort nicht abgegriffen zu werden. Und das nicht erst nach "Ende" der Demo, sondern seit Ausrufung des Notstandes für die Innenstadt.

Immerhin eine Erfahrung, die die Solidarisierung mit politisch Verfolgten anderswo erleichtert - denn an diesem Tag gehörten alle alternativ Aussehenden zu den politisch Verfolgten in Hamburg. So fühlt es sich an, wenn deine Grundrechte derart eingeschränkt werden, dass du dich schon arg verstellen musst um ein normales Leben führen zu können. Für Hamburger wird das aber leider zum Normalzustand - kein Aufschrei mehr, wenn Demokratie mal eben per Polizeiführungsbeschluss außer Kraft
gesetzt wird. Klassischer Polizeistaat.
Wie geschrieben: es fing nicht mit der Demonstration in der Schanze an oder mit den anschließenden Krawallen. Nein, bereits ab Mitternacht war dies der Fall, auch den ganzen Samstag Vormittag lang, den Rest des Tages ebenso. Dabei ist es interessant zu sehen, dass von der Polizei Hamburg nicht alle geschützt wurden:
Läden, die ein eher alternatives Publikum anziehen, für die war der letzte Samstag vor Weihnachten ein Desaster. Niemand ihrer Kunden schaffte es, durch zu kommen. Deren Geschäft kann ja auch ruhig kaputt gemacht werden, solange es den Pfeffersäcken nicht weh tut.

War es das wert?

In diesem Licht betrachtet macht es natürlich Sinn, dass die Polizei auch an der Demonstration den Notstand ausrief. Ein komplettes Demonstrationsverbot - nicht nur wie vorher angekündigt für die Innenstadt sondern jetzt für ganz Hamburg - sollte durchgesetzt werden. Notstand eben. Was Putin und Co können, kann die Hamburger Polizei schon lange.
So wird die Demonstration von Anfang an von der Polizei angegriffen. Die eigentliche Aufgabe der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat, wie er von Polizeiführung beispielsweise beim Schützen eines marodierenden Mobs rechtsradikaler Spinner am 1. Mai vorgehalten wurde - nämlich dass es Aufgabe der Polizei ist, eine Demonstration zu schützen und zu ermöglichen - wurde mal eben aufgegeben, weil die Demonstration zu früh losgegangen sei. Klar, kann ja keiner mit rechnen, dass eine Demonstration, die für 15 Uhr angekündigt ist auch schon um kurz nach drei losgeht...
Nein, die Polizei Hamburg hatte ja vorgesorgt. Die Stimmung im Vorhinein derart angeheizt konnte auch das letzte Bischen Rechtsstaat aufgegeben werden und Knüppel Frei gegen Regime-Gegner verhängt werden. Die Zustimmung dazu hatte sie sich vorher von allen im Parlament vertretenen Parteien geholt. Das jetzt ausgerechnet die Linkspartei schimpft über einen Polizeieinsatz, dem sie im Vorhinein einen Blanko-Scheck ausgeteilt hat wirkt da schon recht verkrampft.
Den Blanko-Schein hat die Polizei dann auch genutzt. Ihre Strategie: Kesseln und Zusammenschlagen der Demonstration in der Schanze. Für Menschen, die öfters Polizeieinsätze in der Schanze beobachten konnten, sah alles danach aus.

Was jedoch auch beobachtet werden konnte war, dass die Polizei ihre eigene Taktik nicht im Griff hatte. Zu keiner Zeit hat der Kessel im Schulterblatt funkioniert. Zu viele Gruppen hatten sich bereits vorher schon abgesondert und fügten Mannschaftswägen und Geschäften rund um das Schulterblatt Schäden zu und errichteten kleinere Barrikaden in den Seitenstraßen - der Kessel konnte nicht schließen. Trupps, die vom Pferdemarkt ins Schulterblatt kamen, um dort zuzumachen und sich am Massaker zu beteiligen mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Lerchenwache und Co waren in Gefahr.
Und so scheiterte die Taktik der Polizei eklatant.

In Folge davon diffundierte die Demonstration über die angrenzenden Stadtteile. Und mit ihr auch die Krawalle, die jetzt endgültig ihre Legitimation durch die Polizei bekommen hatten.
Die Bilanz dürfte für die Polizei desaströs sein. Mehrere verletzte Polizeibeamte, zwei zerstörte Viertel, angegriffene Bezirksämter, die Schmach einer angegriffenen Wache und der Verlust diverser Dienstwägen. Vorweisen kann sie 17 Festnahmen - bei von ihr geschätzten mehr als 3000 "Gewaltbereiten" eine geradezu lächerlich anmutende Zahl.
Rund 500 verletzte Demonstranten sprechen da eine andere Sprache. Ob die dadurch provozierten Traumata ausreichen, um den Widerstand in Putin-Manier zu brechen wird sich zeigen, ist jedoch nicht von auszugehen. Trotz Aushebelung des Rechtsstaates also ein Versagen der Repressionsorgane.


Die Rolle der Autonomen

Von autonomer Seite aus wurde auf diese Demonstration hin stark mobilisiert. Kein Wunder, ist die Rote Flora doch immer noch Bezugs-, Kristallisation- und Reibungspunkt in Hamburg.
Egal wie zur Flora gestanden wird, egal was mensch von ihrer Politik hält - bleiben soll sie auf jeden Fall.
Und es wundert auch nicht, dass auf die Machtfrage der Polizei auch im Vorhinein geantwortet wurde:
Ja, wir lassen es drauf ankommen. Wenn ihr uns nicht demonstrieren lässt, demonstrieren wir trotzdem. Wenn ihr uns haut, wehren wir uns.
Was hätte es denn auch anderes werden sollen?
Und so ist die autonome Szene sich selbst treu geblieben. Sie hat einen kleinen Vorgeschmack geliefert auf das, was passiert, sollte die rote Flora tatsächlich geräumt werden: Kontrollverlust pur - und dann wird sich nicht mehr vorher mühselig im Schulterblatt gesammelt.

In dieser Hinsicht hat die rote Flora beziehungsweise deren UnterstützerInnen deutlich gezeigt, dass sie die Machtfrage jederzeit stellen können und die Polizei dem nicht viel entgegenzusetzen hat. Ja, es ist sogar möglich wenn die Polizei sich auf den "größten Einsatz seit Jahren" vorbereitet und sich ebenso Verstärkung aus dem ganzen Bundesgebiet holt. Was in Hamburg zu sehen war, war ein Schaulaufen von Eliteeinheiten, sogenannte BFE's, die sich auf Straßenkampf freuten und dann doch nur verwirrt durch Straßen liefen und Barrikaden entfernen konnten. Dabei waren die Autonomen noch nicht einmal zu Höchstformen aufgelaufen. So gut wie keine Schutzbekleidung wurde gesehen und auch die Bewaffnung der Aufständischen beschränkte sich auf improvisierte Wurfgegenstände und ein wenig Feuerwerkskörper. Sie waren scheinbar auch gar nicht nötig für diejenigen, die den Kontrollverlust
herbeiführen wollten. Das produzierte Chaos hat gereicht, um eben diesen temporären Kontrollverlust über einen großen Teil Hamburgs zu ermöglichen und auszudehnen.

Ob das Reicht, um die Flora zu retten bleibt fraglich. Wenn es um den reinen Erhalt der Flora als Gebäude und Veranstaltungsort geht haben die Ereignisse vom Samstag nicht gerade viel beigetragen. Sie haben deutlich Kretschmer in die Hände gespielt, der sich jetzt freuen kann, dass es für die Politik einerseits schwerer wird, sich für die Rote Flora öffentlich einzusetzen, andererseits aber durch die bestärkte Drohkulisse den Kaufpreis für die Stadt in die Höhe zu treiben.
Ein Schulterschluss zwischen Stadt und Flora gegen Kretschmer kann es jetzt nicht mehr geben.
Aber vielleicht war es auch genau das, was die Autonomen wollten. Wenn jetzt ein Politiker sich für sie einsetzen will, so tut das weh. Die Flora bleibt der Stachel in der eiternden Wunde. Sie bleibt wahrlich unverträglich bis zum Schluss und sucht sich immer den Weg aus, der ihr treu bleibt - auch wenn es dadurch schwerer wird.
Insofern ist sie ein erfreulicher Kontra-Punkt zum angepassten Gängeviertel oder zur schlafenden Hafenstraße und nach wie vor wichtig für die autonome Bewegung in Hamburg und bundesweit.
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Ergänzungen

@xavier / Mopo

Käpt'n Bär 25.12.2013 - 19:37
Zu den Castortransporten nach Gorleben hatte die Polizei so als Gesprächssimulation mit dem Bürger" ein Diskussionsforum eingerichtet.
Da hatten dann div.Leute solche angeblichen Horrorstorys von vorherigen Castortransporten gepostet.
Auf konkrete Nachfragen wurden die allesamt immer wager und schließlich AUSNAHMSLOS als Lügen entlavt werden.
Ich habe den Verdacht,daß das auch Projektionen von verdrängten eigenen Empfindungen waren.
Denn derlei völlig empatiefreies Verhalten IST eben tatsächlich bezeichnend für polizeiliches Verhalten.
Ganz laienhaft ausgedrückt: "Was ich selber mach und tu, trau' ich auch jedem anderen zu."
(Ich habe aber gar keine Ahnung von Psychologie)
Bedauerlicherweise -oder eben auch bezeichnenderweise wurden diese Foren kurz nach den Transporten bald wider gelöscht.
Im Wendland selber hatte ich mich beim Castor 2004 mit einem Polizeibeamten unterhalten, der erklärte, er wäre mit seinem Bully "gerade" in einen "Steinehagel" "der Autonomen" geraten. Der Buly wies aber nicht den kleinsten Lackschaden auf.
Die Story in der Mopo erinnert mich ihrer gesamten Diktion nach stark an diese erfundenen Greuelgeschichten.
Ich bin überzeugt, daß die Sache zumindest zum allergrößten Teil erfunden oder grotesk übertrieben ist oder daß die Abläufe wesentlich irreführend dargestellt sind.
Es wird ja aber jedenfalls Augenzeugen geben,so daß man ganz sicher bald mehr davon erfahren wird.

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